Quelle Nummer 490

Rubrik 21 : METEOROLOGIE   Unterrubrik 21.00 : METEOROLOGIE

UNSER WETTER
HEINZ HABER
UNSER WETTER
EINFUEHRUNG IN DIE MODERNE METEOROLOGIE
DEUTSCHE VERLAGS-ANSTALT STUTTGART 1971, S. 25-


001  Triebkräfte des Wetters. Kapitel 2. Im ersten
002  Kapitel haben wir uns klargemacht, wie sehr Wetter und Klima die
003  Menschen beeindrucken und beeinflussen. Unsere Stimmung, unser
004  Wohlbefinden, unsere Pläne und unsere Lebensführung hängen von
005  diesen wichtigen Kräften in unserer irdischen Umwelt ab.
006  Vielfach sogar greift das Wetter tief in unser Schicksal ein,
007  wenn wir an die großen Wetterkatastrophen denken. Auch haben wir
008  gesehen, daß der Mensch den Elementen immer ohnmächtig
009  gegenüberstand. Aus diesem Grund opferte er den Wettergöttern,
010  um ihren Zorn zu beschwichtigen. Auch können wir verstehen, daß
011  der Mensch immer den Wunsch gehabt hat, Einblicke in die nähere
012  und fernere Zukunft des Wettergeschehens zu gewinnen. Völlig
013  unbegründete Prophezeiungen, wie wir sie in dem Hundertjährigen
014  Kalender vorfinden, sind dafür freilich gänzlich ungeeignet.
015  Auch die berühmten Bauernregeln über das Wetter - obwohl nicht
016  wenige von ihnen vielfach zutreffend sind - helfen uns nicht viel
017  weiter. Nun ist aber in unserer modernen Zivilisation die
018  Kenntnis der Wetterentwicklung, wenigstens für die nächsten zwei,
019  drei Tage, so wichtig, daß in allen Kulturstaaten umfangreiche
020  Organisationen für den Wetterdienst aufgebaut worden sind.
021  Mehrmals am Tage werden an Tausenden von Stellen, über die
022  ganze Erde verteilt, Messungen über den Zustand der Atmosphäre
023  und Beobachtungen über das damit verbundene Wetter gemacht.
024  Viele Millionen von Meßdaten geben den wissenschaftlichen
025  Meteorologen die notwendigen Unterlagen, um täglich verläßliche
026  Wetterprognosen zu erstellen. Diese erfolgreiche Tätigkeit des
027  Meteorologen beruht auf einer Kenntnis all jener
028  Naturerscheinungen und Naturkräfte, welche die verschiedenen
029  Klimate erzeugen und für die Witterung längerer Zeiträume
030  verantwortlich sind und damit ganz allgemein das tägliche Wetter
031  gestalten und steuern. Die wissenschaftliche Meteorologie ist mit
032  einem Alter von knapp 100 Jahren eine der jüngsten
033  Naturwissenschaften. Bei ihrem schnellen Wachstum konnte sich
034  dieses wichtige und höchst interessante Wissenschaftsgebiet vor
035  allem auf die Erfahrungen der Physik, der Chemie, der Geologie,
036  der Geographie und der Astronomie stützen. Alle diese
037  Wissenschaften haben dazu beigetragen, jene Faktoren, die das
038  Wetter gestalten, zusammenzustellen und ihre Wirkung auf die
039  Physik der Atomsphäre zu studieren. So hat die moderne
040  Meteorologie den Beweis erbracht, daß entgegen allen früheren
041  Anschauungen der Mond und die Planeten auf das Wetter keinerlei
042  Einfluß ausüben. Solche Anschauungen stammen noch aus der Zeit,
043  als man in dem festen Glauben an die Irrlehre der Astrologie den
044  Wandelsternen solche beherrschenden Kräfte zubilligte. Bei einem
045  Gestirn jedoch traf diese Annahme zu, und sogar in ganz
046  hervorragender Weise. Der eigentliche Antrieb des
047  Wettergeschehens liegt in der Sonne. Die Erde wird täglich von
048  der Sonne mit einer solch gewaltigen Energie in der Form von
049  Sonnenstrahlung überschüttet, daß auf dem Umweg über die
050  Erwärmung des Erdbodens, des Ozeans und von bestimmten Teilen
051  der Luft die ganze Atmosphäre der Erde in dauernde Bewegung
052  versetzt wird. Die Erwärmung erfolgt dabei nicht völlig
053  gleichmäßig über die ganze Erdoberfläche; so erhitzt sich die
054  Äquatorzone wesentlich stärker als die Polarzonen; das Land
055  erhitzt sich mehr als das Meer. Diese unterschiedlichen
056  Temperaturen teilen sich der Luft mit, und als Folge dieser
057  Prozesse ist die Atmosphäre dauernd bemüht, die
058  Temperaturdifferenzen auszugleichen. Das geschieht in der Weise,
059  daß erwärmte Luftmassen nach oben steigen oder auch den Polen
060  zustreben, während kalte Luftmassen absinken oder auch von den
061  Polen zum Äquator fließen. Mit dieser Aufgabe, die
062  Temperaturdifferenzen und Energiedifferenzen
063  auszugleichen, kommt die Atmosphäre allerdings niemals an ein
064  Ende; die Sonne strahlt täglich neue Energien ein, die von der
065  Atmosphäre wiederum verteilt werden müssen. Mit diesen
066  Prozessen finden an jedem Tag solch riesige Energietransporte
067  statt, daß man geradezu von einer Wettermaschine sprechen kann.
068  Der Motor dieser gigantischen Maschine ist die Sonne. Welch
069  entscheidende Rolle die Sonne dabei spielt, können wir sofort
070  einsehen, wenn wir uns einmal überlegen, was sich ereignen würde,
071  wenn die Sonne plötzlich verschwände. Binnen weniger Tage
072  würde die Temperatur an der Erdoberfläche steil absinken, und
073  nach spätestens einer Woche wären alle Seen und Ozeane
074  zugefroren. Gewiß, der Erdkörper erzeugt selbst in seinem
075  Innern eine große Wärmemenge, die aber nur als sehr verdünnter
076  Strom die dicke Erdkruste durchsetzt und nach außen dringt.
077  Diese Wärmemengen reichen nicht aus, die Wärmeverluste der
078  Erdoberfläche in den freien Weltenraum hinaus wettzumachen,
079  solange die Temperaturen nicht sehr tief abgesunken sind. Ohne
080  Sonnenstrahlung wird sich daher die Temperatur der Erdoberfläche
081  binnen kurzem dem absoluten Nullpunkt nähern. Nach ein paar
082  Monaten könnte man auf der Erdoberfläche Temperaturen von minus
083  250 Grad Celsius und darunter messen. Bei diesen unvorstellbar
084  niedrigen Temperaturen verflüssigen sich auch längst die Gase der
085  Luft, nämlich Stickstoff und Sauerstoff. Eine Zeitlang bilden
086  sie dampfende Tümpel, die dann schließlich auch zufrieren. Ohne
087  Sonne büßt unsere Erde ihre Atmosphäre in kurzer Zeit ein.
088  Damit gibt es freilich auch kein Wetter mehr, und jede Bewegung
089  auf ihrer Oberfläche erstarrt. Lediglich Vulkanausbrüche und
090  Lavaströme sorgen für etwas Abwechslung in dieser reglosen
091  Eiswüste. Aber die ausgestoßenen Dämpfe und Gase schlagen
092  sich auch binnen kurzem nieder und vereisen, und die Lavaströme
093  erstarren. Umgekehrt, würde die Sonne wieder zu scheinen
094  beginnen, so würden diese Prozesse wieder rückläufig werden.
095  Zuerst verdunsten Stickstoff und Sauerstoff, und bei einer
096  Temperatur von minus 150 Grad Celsius und darüber hätten wir
097  wieder die ursprüngliche Atmosphäre; wenn dann die Ozeane
098  schließlich auftauen, so wäre wieder alles beim alten, und das
099  rastlose Spiel des Wetters begänne von neuem. Lediglich das
100  Leben wäre vernichtet worden, mit Ausnahme von bestimmten
101  Gattungen einzelliger Lebewesen, welche das Einfrieren bei
102  Temperaturen von minus 250 Grad Celsius ohne Schaden überdauern
103  können. Die Sonne strahlt ihre gewaltigen Energien nach allen
104  Seiten völlig gleichmäßig aus. So ist ihre Strahlungsdichte,
105  die außerhalb der Erdatmosphäre auf eine senkrechte Fläche
106  fällt, über den Polen genauso groß wie über dem Äquator.
107  Gewiß, bei der Stellung der Erdachse relativ zur Richtung auf
108  die Sonne, sind die Pole etwas weiter von der Sonne entfernt als
109  der Äquator. Bei der riesigen Entfernung der Sonne jedoch
110  fällt das überhaupt nicht ins Gewicht. Man kann leicht
111  ausrechnen, daß der Unterschied der Bestrahlungsdichte über den
112  Polen und über dem Äquator weniger als ein hundertmillionstel
113  Prozent ausmacht. Daran kann es also nicht liegen. Der große
114  Unterschied liegt nicht in der Sonnenstrahlung selbst, sondern in
115  der Kugelgestalt der Erde. Wäre die Erde eine Scheibe, so wie
116  die alten Völker sich das vorstellten, würde sie über die ganze
117  Fläche hinweg den gleichen Betrag an Sonnenenergie pro
118  Quadratmeter erhalten. Es würden daher in den verschiedenen
119  Gegenden der Erde kaum Temperaturunterscheide auftreten, so daß
120  ein wichtiger Faktor für die Entstehung von Luftbewegungen
121  fortfiele. Mit der Tatsache, daß die Erde eine Kugel ist,
122  ergeben sich jedoch entscheidend andere Verhältnisse. So kann man
123  sich ohne weiteres klarmachen, daß die Äquatorgegenden, in denen
124  die Sonnenstrahlen senkrecht auftreffen, mit einer größeren
125  Energiedichte beladen werden als die Polargegenden, in denen die
126  Sonnenstrahlen flach einfallen. Durch dieses gedachte " Rohr "
127  fließt ein Strahlenstrom, der am Äquator eine bestimmte
128  Energiemenge pro Minute auf die 100 Quadratmeter Erdboden absetzt.
129  Bei der riesigen Entfernung zwischen Sonne und Erde können wir
130  die Strahlen und Strahlenbündel, welche die kleine Erde treffen,
131  als parallel ansehen. Verschieben wir jetzt das gleich dicke
132  Bündel nach Norden oder Süden bis an die Polgegenden, so
133  verformt sich die Schnittfläche zwischen dem Bündel und der
134  Erdoberfläche zu einer langgestreckten Ellipse, deren Fläche
135  weit größer ist als 100 Quadratmeter. Durch das Bündel fließt
136  aber immer noch die gleiche Energiemenge pro Minute, so daß sich
137  jetzt die Energie auf eine viel größere Fläche verteilen muß.
138  Die Erwärmung pro Minute ist daher viel geringer. Damit sind
139  wir mit unseren Überlegungen noch nicht am Ende. Das Bündel,
140  das den Äquator trifft, durchsetzt die Erdatmosphäre senkrecht
141  und legt dabei den kürzesten Weg durch die Luft zurück, der für
142  einen aus dem Weltall kommenden Lichtstrahl überhaupt möglich ist.
143  Die Energie des Lichtbündels wird daher bei senkrecht stehender
144  Sonne am wenigsten durch die Atmosphäre geschwächt. Ein
145  Strahlenbündel, das die Polargegenden trifft, muß dagegen die
146  Erdatmosphäre schräg durchsetzen, so daß ein viel längerer Weg
147  durch die Atmosphäre entsteht; längs dieses Weges geht durch
148  Absorption, Reflexion und Streuung recht viel Energie verloren.
149  Polare Strahlenbündel, die von der Sonne kommen, müssen daher
150  im Vergleich zur Äquatorzone für eine viel größere Fläche
151  ausreichen. Die Kugelgestalt der Erde hat demnach eine ganz
152  entscheidende Bedeutung für die Art und Verteilung der Winde,
153  die nun entstehen müssen. Die Luft muß nämlich die entstandene
154  Temperaturdifferenz zwischen der Äquatorzone und den Polarzonen
155  ausgleichen, und das kann sie nur durch Luftströmungen. Es
156  entsteht ein ganz typisches System von Winden, die den ganzen
157  Planeten umspannen und eine geschlossene Einheit bilden. Man
158  nennt die Gesamtheit dieser Luftströmungen auch das " planetare
159  Windsystem ", über das wir später noch ausführlich sprechen
160  wollen. An dieser Stelle soll es genügen, darauf hinzuweisen,
161  daß die Kugelgestalt der Erde in erster Linie das planetare
162  Windsystem erzeugt. Jetzt kommen wir zu einer anderen
163  Naturerscheinung, an die man eigentlich gar nicht denkt, wenn vom
164  Wetter die Rede ist. Doch ist auch sie verantwortlich für ganz
165  erhebliche Aspekte des gesamten Wettergeschehens. Es handelt sich
166  um die Tatsache, daß die Erde sich um ihre Achse dreht. Diese
167  Rotation beschert uns zunächst Tag und Nacht und damit auch an
168  allen Orten der Erde jene Temperaturschwankungen, die im Verlauf
169  von 24 Stunden auftreten. Allein damit erschöpfen sich die
170  Einflüsse der Erdrotation auf die Witterung noch nicht. Stellen
171  wir uns vor, die Erde stünde still und würde der Sonne immer die
172  gleiche Seite zuwenden. Ein solcher Zustand wäre für die
173  Erdatmosphäre und auch für die Ozeane verheerend. Auf der
174  sonnenzugekehrten Seite würde die Temperatur sehr bald Beträge
175  bis zu 100 Grad Celsius und darüber erreichen, während sich die
176  Nachtseite bis zu Temperaturen von 150 Grad unter Null abkühlen
177  würde. Es würde gar nicht lange dauern, bis die beweglichen
178  Elemente, nämlich die Luft und der Wasserdampf, sich auf der
179  kalten Seite ansammeln würden. Die Erde wäre ein riesiges
180  Destilliergefäß. Auf der heißen Seite würde das Wasser
181  verdampfen, und Winde würden den Wasserdampf auf die kalte Seite
182  hinübertragen, wo er dann als Schnee herabfiele. Auf der kalten
183  Rückseite der Erde würde sich dann nach relativ kurzer Zeit ein
184  dicker Eispanzer bilden - ein gewaltiger Gletscher von mehreren
185  Kilometern Dicke, in dem sich im Laufe der Zeit das gesamte
186  Wasser aller Ozeane ansammeln würde. Schließlich würde es dort
187  so kalt werden, daß auch die Luft flüssig würde, und auch sie
188  würde sich dann auf der kalten Seite niederschlagen. Die heiße
189  Seite wäre dann völlig trocken, nur noch von einer sehr dünnen
190  Atmosphäre bedeckt, da der größte Teil der Luft von der kalten
191  Seite in flüssiger oder vielleicht sogar fester Form
192  gefangengehalten würde. Ein dünner Luftschleier nur bliebe, da
193  längs der Grenzlinie zwischen der kalten und heißen Halbkugel der
194  Erde die Sonne imstande wäre, kleine Luftreste zu verdampfen,
195  die sich dann über die ganze Erde verteilen würden. Wir sehen
196  also: Wenn die Erde sich nicht um ihre Achse drehte, so könnte
197  man von Wetter in dem Sinne, wie wir es heute kennen, überhaupt
198  nicht mehr sprechen. Die Erdrotation übt aber auch einen sehr
199  wichtigen Einfluß auf das planetare Windsystem aus, wie wir
200  später noch im einzelnen sehen werden. Die Rotation der Erde
201  bewirkt nämlich, daß Luftströme, die polwärts fließen, nach
202  Osten abgelenkt werden, während umgekehrt Luftströme, die sich
203  dem Äquator nähern, nach Westen gedreht werden. Diese
204  ablenkenden Kräfte sind der Grund dafür, daß sich in den
205  gemäßigten Zonen die gesamte Luft langsam von Westen nach Osten
206  um die ganze Erde herumwälzt. Diesen Vorgang kennen wir von der
207  vertrauten Ostdrift der Tiefdruckgebiete, die man auf der
208  Wetterkarte schon 1m Verlauf von wenigen Tagen ablesen kann. Die
209  Entwicklung des Wetters von Tag zu Tag hängt innig mit dieser
210  West-Ost-Strömung zusammen, und daran ist die Rotation
211  der Erde schuld. Auch die Passatwinde verdanken ihre Entstehung
212  der Rotation unseres Planeten. Im ersten Kapitel haben wir
213  gesehen, daß wir dem Mond keinerlei Einfluß auf das
214  Wettergeschehen zubilligen konnten. Nach der Betrachtung über
215  die Erdrotation und ihre Rückwirkungen auf die irdische
216  Atmosphäre müssen wir dieses Urteil über den Mond und seine
217  Wetterwirksamkeit in einem Punkte revidieren. Der Mond hat
218  nämlich einen - wenn auch sehr schwachen - Einfluß auf die
219  Erdrotation und damit schließlich auch auf das Wetter. Diese
220  Wirkungen werden allerdings erst nach Milliarden von Jahren
221  merklich werden.

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