Quelle Nummer 465

Rubrik 13 : GESCHICHTE   Unterrubrik 13.03 : TEILGEBIETE

KULTUR- UND SITTENGESCHICHTE
HANSFERDINAND DOEBLER
KULTUR- UND SITTENGESCHICHTE DER WELT
(EROS - SEXUS - SITTE)
BERTELSMANN KUNSTVERLAG, GUETERSLOH 1971, S. 258-


001  Die Partner spielten Blindekuh. Die Hochzeit als eine
002  Zeremonie, die ein Paar " vor Gott und den Menschen "
003  miteinander verbindet, gibt es in nahezu allen Kulturen, entweder
004  als symbolische Handlung, wie sie auch einem Handel Rechtskraft
005  verleiht, oder als Ritus, der magische und kultische Aspekte
006  einbezieht. Bevor es aber zur Hochzeit kommt, die ja die
007  Verwandtschaftsverhältnisse und Besitzverhältnisse in
008  einer Sippe, einem Stamm oder Volk entscheidend verändern kann,
009  muß das Paar sich gefunden haben. Auch hier stehen die
010  Interessen des Kollektivs auf dem Spiel: Nicht dem Zufall
011  einer leidenschaftlichen Zuneigung, sondern einem Auswahlsystem,
012  das in Generationen erprobt ist, vertraut man die Beantwortung der
013  Frage an, wie die Frau an den Mann zu bringen sei oder wie ein
014  Mann die richtige Frau findet. Die verschiedenen Völker haben
015  dafür ganz unterschiedliche, oft überraschende und häufig sehr
016  einleuchtende Methoden gefunden; mit der Begegnung zwischen
017  jungen Männern und den Mädchen des Dorfes war die Frage ja
018  nicht gelöst: Die konnte am Brunnen erfolgen, wie dies schon in
019  der Bibel geschildert wird und noch in Goethes Faust eine Rolle
020  spielt; man sah sich während des Gottesdienstes und bei großen
021  Festlichkeiten, im Kreis der Familie oder bei Wettkämpfen.
022  Nicht die Begegnung fehlte, sondern die gerechte Verteilung der
023  Chancen, denn die Gesellschaft wünschte nicht so sehr das große
024  Glück des einzelnen, sondern eine möglichst große Zahl von
025  Normalfällen zur Zufriedenheit aller, wie Homer es in der
026  Odyssee formuliert hat: " (...) denn nichts ist besser und
027  wünschenswerter auf Erden, als wenn Mann und Weib, in
028  herzlicher Liebe vereinigt, ruhig ihr Haus verwalten: Den
029  Feinden ein kränkender Anblick, aber Wonne den Freunden; und
030  mehr noch genießen sie selber. " Eine unüberbietbar praktische
031  Lösung des Problems, wie jeder zu seinem Recht kommt, haben die
032  geschäftstüchtigen Babylonier gefunden. Sie haben die Sache von
033  Angebot und Nachfrage her aufgezogen, sehr zum Staunen Herodots,
034  der darüber berichtet: " In jedem Dorf geschah alle Jahre
035  folgendes: Wenn die Mädchen mannbar geworden waren, so mußten
036  sie alle zusammen auf den Marktplatz gebracht werden. Rundherum
037  stand die Schar der Männer. Dann hieß der Ausrufer die
038  Allerschönste aufstehen und versteigerte sie. Nachdem sie um viel
039  Geld erworben worden war, rief er eine andere aus, die nächst
040  dieser die Schönste war, aber alle unter der Bedingung, daß sie
041  geehelicht würden. Was nun die Reichen unter den Babyloniern
042  waren, die heiraten wollten, die überboten einander, um die
043  Schönste zu bekommen. Was aber gemeine Leute waren, denen es
044  nicht um die Schönheit zu tun war, die bekamen die häßlichsten
045  Mädchen und noch Geld obendrein. " Wenn nämlich die schönsten
046  Mädchen verkauft waren, hatte der Auktionator eine ganz
047  beachtliche Kasse zusammen. Aus diesem Härtefonds wurden jene
048  Männer bedacht, die sich entschlossen, eines der häßlicheren
049  Mädchen zu heiraten, und zwar bekam das jeweils angebotene
050  Mädchen der, der am wenigsten Geld für die Heirat verlangte,
051  und " auf diese Weise brachten die Schönen die Häßlichen und
052  Krüppel an den Mann ". Herodot schreibt, daß gegen Betrug
053  und Fehlkauf gewisse Sicherungen eingebaut waren: " Keiner,
054  der ein Mädchen gekauft hatte, durfte es ohne weiteres mit nach
055  Hause nehmen, sondern er mußte einen Bürgen stellen, daß sie
056  wirklich seine Frau werden sollte, und wenn sie sich nicht
057  vertragen konnten, so mußte er das Geld wieder herausgeben, das
058  er bekommen hatte. " Eine andere Methode, die vorhandenen
059  Mädchen richtig zu verteilen, führt in verblüffende Nähe des
060  Blindekuhspiels, von dem man annehmen möchte, daß es an solche
061  uralten Formen der Partnerverteilung anknüpft. So soll es in
062  Sparta Brauch gewesen sein, daß man heiratslustige junge Männer
063  gemeinsam mit den Mädchen, die in Frage kamen, in einem
064  finsteren Raum einschloß. Im Dunkeln mußte jeder Mann nach
065  einem Mädchen tasten, und sobald er eines erwischt hatte, mußte
066  er es festhalten und später ordnungsgemäß zu seiner Frau machen.
067  Diese Spekulation auf die Vernunft des Zufalls findet man auch
068  bei Naturvölkern. Die Nayadi, ein südostasiatisches
069  Dschungelvolk, überlassen allerdings den Zugriff den Mädchen.
070  Diese setzen sich, wenn die Zeit günstig ist, in eine dunkle
071  Hütte aus Palmblättern und warten, bis die jungen Männer
072  kommen, bewaffnet mit Stöcken. Zunächst tanzen die Männer
073  singend um die Hütte und verkünden ihre guten Absichten, doch
074  plötzlich bleiben sie wie auf Kommando stehen, und jeder stößt
075  seinen Stock durch die Hüttenwand. Sofort greift jedes der
076  Mädchen nach einem Stock und hält ihn fest, bis sie weiß, wem
077  der Stock gehört: Dieser Mann wird ihr Gatte. Allen diesen
078  Beispielen ist gemeinsam, daß die Partnerwahl von der
079  Gesellschaft gelenkt wird. Wo sie auf freier Entscheidung des
080  jungen Mannes für ein bestimmtes Mädchen beruht, haben sich
081  gewisse Regeln gebildet, zwischen dem Verlangen und der
082  Erfüllung eine Spanne der Prüfung zu setzen: Der Held, der
083  um der Jungfrau willen seine Taten vollbringt und sie durch
084  Bewährung gewinnt, ist in Märchen und Sage zur Symbolfigur
085  geworden; stets zielen diese Geschichten auf das glückliche Paar,
086  auf dem der Segen des Gelingens ruht. Eine amüsante Form
087  solcher Bewährung ist der Völkerkunde entnommen, allerdings nur
088  noch ein historisches Kuriosum: Auf Kamtschatka, der
089  nordöstlichen Halbinsel Russisch-Asiens, begann die
090  Bewährung wie beim biblischen Laban mit einem längeren Dienen im
091  Haus der künftigen Schwiegereltern. Wenn man den jungen Mann
092  akzeptiert hatte, begann der Sitte nach der zweite Abschnitt der
093  Werbung, nämlich eine geduldete Entführung. Von nun an hockte
094  das Mädchen, in dicke Kleidung gewickelt und mit Lederriemen
095  verschnürt, als schwer bewegliches Bündel zu Hause. Wenn das
096  Haus tatsächlich verlassen werden mußte, hielten sich stets
097  ältere Frauen in Reichweite auf, und alle Weiber des Dorfes
098  waren verpflichtet, dem Mädchen im Falle der Entführung
099  beizustehen. Es war die Aufgabe des Mannes, im richtigen
100  Augenblick den Überfall zu wagen und dem Mädchen die Kleider
101  vom Leibe zu reißen. Erst wenn ihm das gelang und die letzte
102  Hülle gefallen war, gehörte sie ihm, ohne daß sie ihm jemand
103  hätte streitig machen können. Meist aber rief gellendes Geschrei
104  die Weiber des Dorfes herbei, die ihn zerkratzten und
105  verprügelten, und der unglückliche junge Mann mußte mehrere
106  Versuche unternehmen, bis er durch Kraft oder List triumphieren
107  konnte. Solche Sitten, aus der Südsee oder den Polargebieten
108  berichtet, wirken auf uns barbarisch oder exotisch, doch enthält
109  unsere abendländische Zivilisation noch zahllose Sitten, die an
110  solche uralten Bräuche erinnern. Mit Myrtenkranz und
111  Schleier. Wenn heute ein Brautführer neben dem Paar die
112  Kirche betritt, so steckt darin eine Reminiszenz an die Raubehe.
113  Damals war der Begleiter von Kopf bis Fuß bewaffnet und ein
114  erprobter Waffengefährte des Bräutigams, dem er beistand, die
115  Braut zu entführen. Auch der Brautschleier erinnert an die
116  Vergangenheit. Er ist wohl symbolischer Rest jenes Tuches, in
117  das die Braut eingewickelt wurde, bevor der Bräutigam sie vor
118  sich auf den Sattel hob, um mit ihr durch die Nacht
119  davonzusprengen. Andererseits ist der Schleier bereits in der
120  Bibel ein Requisit der Weiblichkeit, denn schon Rebekka nahm,
121  als sie zum erstenmal mit Isaak, ihrem künftigen Mann, zusammen
122  war, einen Schleier, um sich zu verhüllen. Bei vielen Völkern
123  wurde die Braut über die Schwelle getragen: Die alten Römer
124  kannten diesen Brauch, auch die Indianer in Kanada, die
125  Abessinier und die Chinesen, also darf man annehmen, daß dieser
126  Handlung sehr viel ältere magische Vorstellungen zugrunde liegen,
127  die mit den Hausgeistern und der Heiligkeit der Schwelle
128  zusammenhängen. An die Kaufehe, deren Rechtsgültigkeit
129  besiegelt wird, erinnert der Ring. Er war bei den Römern
130  gleichsam die Anzahlung, eine erste Rate des Kaufpreises für den
131  Erwerb der Frau, übrigens ein eiserner Ring ohne Stein. Bei
132  den Juden ist der Ring im achten Jahrhundert an die Stelle einer
133  kleinen Münze getreten, die der Mann seiner Erwählten übergab,
134  übrigens auch aus praktischen Gründen, denn ein Ring ging
135  weniger leicht verloren als eine Münze. Aber die Verwendung des
136  Ringes hat auch andere Aspekte: Im alten Orient bedeutete ein
137  breites Schmuckstück, ein Armband oder eine Kette, die um die
138  Hüfte geschlungen wurde, daß die Frau dem gehörte, der ihr das
139  Band umlegte. Auch bot ein solcher Schmuck, als eine Art
140  magischer Kreis, Schutz vor bösen Geistern. Der Schmuckring
141  ist die verkleinerte Form einer solchen Inbesitznahme, wie heute
142  ein Hundekettchen um den Fußknöchel. Unter griechischem
143  Einfluß übernahmen die Römer dann den Siegelring, das Zeichen
144  der Verfügungsgewalt. Wer seiner Gattin seinen Siegelring gab,
145  überließ ihr Verfügungsrechte und teilte mit ihr seine Macht.
146  Das Christentum hat dem Ring im neunten Jahrhundert unter Papst
147  Nikolaus eine neue Bedeutung gegeben; nun wurde der Ring zum
148  Symbol für die Beständigkeit der ehelichen Bindung und verwies
149  auf die Unendlichkeit. Im Mittelalter wurde der Ring erst auf
150  den Daumen gestreift, ein Rückgriff auf die uralte heidnische
151  Vorstellung von der Magie der Finger, denn der Daumen war Wotan
152  geweiht. Daß er bei der Trauung sofort auf den Ringfinger
153  gesetzt wird, hat sich erst in neuerer Zeit eingebürgert. Der
154  christlichen Hochzeitszeremonie entsprechen ähnliche Feiern in
155  anderen Kulturkreisen. Solche Festlichkeiten gipfeln meist in
156  einer Mahlzeit, nachdem zuvor den himmlischen und irdischen
157  Mächten Tribut gezollt worden ist. Immer wird die Feierlichkeit
158  des Augenblicks durch das Hochzeitsgewand unterstrichen, die
159  Familie ist versammelt, und oft übernimmt es der Priester,
160  zwischen den Brautleuten und den Göttern zu vermitteln oder
161  Dämonen abzuwehren. In Thailand zum Beispiel knien Braut und
162  Bräutigam vor dem Altarschrein, entzünden Kerzen und murmeln
163  Gebete zu Ehren " Lord Buddhas ". Der eigentliche Trauakt
164  vollzieht sich aber ohne priesterlichen Segen. Nur eine weiße
165  geweihte Schnur wird über die Krönchenfrisur der Braut und den
166  lackschwarzen Scheitel des Bräutigams gelegt. Danach erscheinen
167  alle Verwandten, barfuß und in leuchtenden Baumwollgewändern,
168  um nach den geladenen Gästen die " Wassergießzeremonie "
169  durchzuführen: Aus einem silbernen Kännchen gießt man Wasser
170  über die Hände des mit Kränzen behangenen Paares in eine
171  Blumenschale und erhält als Dank ein goldverziertes
172  Tüllbeutelchen mit duftenden Kräutern. Zum Abschluß werden
173  Reis, Kokosflocken und kandierte Früchte gereicht. Die Gäste
174  sitzen dabei auf Stühlen, während das Paar halb gleitend von
175  einem zum anderen wechselt, um seinen Dank zu sagen. Reiche
176  Familien laden Mönche zur Speisung ein, normalerweise aber
177  werden nur die Almosenschalen der vorbeiziehenden Mönche gefüllt.
178  Wichtiger als die Spende an den Klerus ist, daß man die
179  Hausgeister gnädig stimmt. Das weißgoldene Geisterhäuschen,
180  das draußen im Garten auf einem Pfahl steht, wird mit frischen
181  Blumen und Speisen versorgt. Diese Zeremonien sind aber
182  keineswegs in der buddhistischen Religion begründet, die sich zur
183  Ehe nicht äußert. Die Ehe ist nur, wie jede andere Zeremonie
184  vom Wohnungswechsel bis zur Fabrikeinweihung, für den Buddhisten
185  ein Anlaß, auf zeremonielle Weise eine " gute Handlung " zu
186  vollziehen, die seinem jenseitigen Verdienstkonto gutgeschrieben
187  wird. Ganz anders war es in Japan, wo der Ahnenkult eine
188  stärkere religiöse Haltung erzwang. Hier war es zunächst die
189  Aufgabe des Shinto-Priesters, das junge Paar bei der Wahl
190  des Zeitpunktes zu beraten, der unter einem günstigen Stern
191  stehen mußte. Die Braut trug eine komplizierte Frisur, den
192  " Hornverstecker ", der die Hörner der Eifersucht verbergen
193  sollte, und war in einen kostbaren Kimono gekleidet, von denen sie
194  mindestens zehn Stück besaß, oft aber bis zu 100 in der
195  Aussteuer hatte. Die altjapanische Hochzeit wird vom Priester
196  eingeleitet, der die heiligen Texte spricht; dann gelobt der
197  Mann, seine Frau zu lieben und zu schützen bis zum Tode, die
198  Braut bleibt stumm. Schließlich wird auch hier eine Zeremonie
199  durchgeführt, die an ein Trankopfer erinnert. Der Bräutigam
200  nimmt eine der drei Schalen mit geweihtem Reiswein, die auf dem
201  Altar stehen, und reicht sie der Braut. Die zweite Schale
202  trinkt er selbst, die dritte reicht er wieder der Braut, und der
203  Hochzeitsakt ist besiegelt. Nun bekommt jedes der Eheleute vom
204  Priester einen immergrünen Zweig mit Papierbändern, auf denen
205  magische Formeln die bösen Geister bannen. In allen Kulturen
206  ist die Kompliziertheit der Hochzeitszeremonien Ausdruck einer
207  bestimmten kulturellen Entwicklung: Der Vorgang selbst wird,
208  unter Berücksichtigung aller seiner Aspekte, seiner
209  Alltäglichkeit entrückt und zum Ereignis stilisiert; hier
210  spricht sich das menschliche Bedürfnis nach Selbstdarstellung aus,
211  denn im Unterschied zum Tier befriedigt der Mensch nicht nur
212  einfach seine Bedürfnisse, sondern erlebt sich selbst als Teil
213  eines Ganzen. Selbst bei den Papuas auf Neuguinea liefert die
214  Hochzeitszeremonie den Beweis dafür, daß der Mensch, scheinbar
215  auf primitiver Stufe stehend, auf diese Stilisierung nicht
216  verzichtet. Am Hochzeitstag eines Papuapaares wird zunächst der
217  Sagobrei bereitet, schon dies erfordert erhebliche Mühe. Mit
218  Körben aus geflochtenen Blättern holen die Mädchen Wasser und
219  legen heiße Steine hinein, bis das Wasser warm geworden ist.
220  Das warme Wasser wird auf eine Schale mit Sagomehl gegossen, und
221  unter ständigem Rühren entsteht der " Pep‚da ", der mit
222  wilder Zitrone gewürzt wird. Bei den Papuas hat " Pep‚da
223  miteinander essen " eine sexuelle Nebenbedeutung. Die
224  Hochzeitszeremonie selbst ist einfach: Die Brautleute setzen
225  sich mit gespreizten Beinen so einander gegenüber, daß sie sich
226  mit den Fußsohlen berühren. In der Mitte zwischen ihnen steht
227  das Gefäß mit Pep‚da. Nun sticht das Mädchen die Gabel
228  in den Brei, dreht sie blitzschnell herum, damit möglichst viel
229  auf der Gabel bleibt, und stopft sie dem künftigen Gatten in den
230  Mund. Alle Dorfbewohner stehen im Kreis um das Paar und geben
231  lachend ihre Meinung zum Besten. Die Bemerkungen drehen sich
232  ausschließlich um das gemeinsame Essen von Pep‚da mit seiner
233  Doppelbedeutung, die schwer wiegt; eine verheiratete Frau, die
234  einem anderen Mann Pep‚da anbietet, begeht nämlich damit
235  bereits Ehebruch. Mit dieser Zeremonie ist die Ehe
236  rechtskräftig geschlossen, und jeder geht wieder seiner Arbeit
237  nach.

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