Quelle Nummer 460

Rubrik 12 : BILDENDE   Unterrubrik 12.03 : FILM

PHOTOTECHNIK
DR. OTTO CROY
FAUSTREGELN FUER FARBFOTOS
HEERING VERLAG SEEBRUCK/CHIEMSEE 1971, S.8-


001  DIE SYSTEME. Farbfotos scheiden sich in zwei
002  Gruppen: in farbige Aufsichtsbilder (Papierbilder) und
003  in farbige Durchsichtsbilder (Diapositive). Erstere
004  lassen sich ins Album kleben oder in entsprechender Vergrößerung
005  an die Wand hängen, letztere müssen in einem Bildwerfer
006  (Projektionsapparat), wie im Kino, im dunklen Raum auf eine
007  weiße Fläche gestrahlt werden, wenn man sich nicht damit begnügt,
008  sie in einem sogenannten Betrachtungsapparat zu besehen. In
009  beiden Fällen entsteht bei der Aufnahme zunächst ein belichtetes
010  Negativ, dessen Silbergehalt durch Entwicklung geschwärzt wird.
011  Farbfilm unterscheidet sich vom Schwarzweiß-Film jedoch
012  dadurch, daß er nicht aus einer einzigen, sondern aus
013  drei übereinanderliegenden Schichten besteht, von denen die
014  obere für Blau, die mittlere für Grün und die untere für Rot
015  empfindlich ist. Das in seiner Gesamtheit - wie gewohnt -
016  geschwärzte Negativ ist - den drei Grundfarben entsprechend -
017  somit in drei voneinander unabhängige Schichten aufgeteilt.
018  Besondere Zusätze lassen in jeder Schicht durch chemische
019  Reaktion überall dort einen entsprechenden Farbstoff entstehen,
020  wo bei der Entwicklung metallisches Silber niedergeschlagen wird.
021  Diese zusätzlich gebildeten Farben können aber erst sichtbar
022  werden, wenn das sie überdeckende, undurchsichtige Silber in
023  einem Lösungsmittel (Abschwächer) entfernt wird. Was übrig
024  bleibt, ist ein silberloses Farbnegativ. Wie in der
025  Schwarzweiß-Fotografie auf dem Negativ alles schwarz
026  wiedergegeben wird, was in der Natur weiß ist und umgekehrt, so
027  weist ein Farbnegativ die Farben ebenfalls negativ, d.h.
028  verkehrt auf. Diese entgegengesetzten Farben werden
029  Komplementärfarben genannt. So wie Schwarz und Weiß in
030  der Mischung Grau ergeben, entsteht ebenfalls Grau aus den
031  verschiedenartigsten Farben, sofern sie zueinander
032  komplementär sind. Die Farbenspinne auf Seite 23 gibt eine
033  Übersicht über die Zusammenhänge. Die jeweils diagonal
034  gegenüberliegenden Farben sind komplementär, d. h.
035  " Farben im Gegensatz ", so wie ein Negativ Gegensatz zum
036  Positiv ist. Eine Zitrone erscheint mithin violett, ein
037  Rasen purpurrot und eine Tomate blaugrün. Erst beim Kopieren
038  oder Vergrößern auf ein gleichartiges, dreischichtiges
039  Farbpapier wird aus dem Farbnegativ ein farbiges Positiv, was in
040  unserem Fall ein farbrichtiges Bild bedeutet, weil die
041  " negativen " Komplementärfarben wieder in " positive "
042  Ausgangsfarben umgewandelt sind. Es erscheinen somit: die
043  Zitrone gelb, der Rasen grün und die Tomate
044  rot. NEGATIVVERFAHREN UND
045  UMKEHRVERFAHREN. Filme lassen sich bekanntlich
046  nicht nur zu einem Negativ entwickeln. Um die
047  zusätzlichen Kosten des Umkopierens zu vermeiden, werden
048  Amateurschmalfilme einer Umkehrentwicklung unterzogen; d.h.
049  das Negativ wird in der Umkehranstalt nach
050  vorausgegangener Zusatzbelichtung und Ausbleichung abermals
051  entwickelt, so daß auf demselben Film bereits das fertige Positiv
052  entsteht. Die gleiche Methode wird für Farbfilm-
053  Umkehrdiapositive angewendet. Das Endergebnis ist dann nicht
054  mehr ein Negativ zur Weiterverarbeitung, sondern ein fix und
055  fertiges, farbrichtiges Durchsichtsbild (Diapositiv),
056  das erst in der Projektion in entsprechender Größe voll
057  zur Wirkung kommt. Diesen beiden unterschiedlichen
058  Anwendungsgebieten entsprechend unterscheidet man also:
059  Negativ-Farbfilme, die nach der Entwicklung
060  komplementäre Farbnegative ergeben, nach denen sich bei
061  entsprechender Filterung farbrichtige Papierbilder herstellen
062  lassen, und Umkehr-Farbfilme, bei denen durch
063  Umkehrentwicklung direkte farbrichtige Diapositive
064  entstehen, die im Bildwerfer (Projektionsapparat) vorgeführt
065  werden können. Es ist einleuchtend, daß das erstgenannte
066  Verfahren kostspieliger sein muß, da ja beim zweiten
067  der Film selbst, ohne weitere Prozesse oder zusätzliche
068  Materialien, bereits das fertige " Bild " ist. " Fertig "
069  ist allerdings auch das Papierbild aus der Polaroid-Kamera.
070  Es ist zwar nicht das billigste, dafür kann man es aber
071  bereits eine Minute nach der Aufnahme fix und fertig betrachten.
072  DAS BETRACHTEN VON FARßFOTOS. Zur
073  ästhetischen Seite der Bildbetrachtung ist folgendes zu sagen:
074  Farbige Papierbilder werden bei Tageslicht betrachtet, in einer
075  vertrauten Umgebung also, deren Farben als " Vergleichsfarben "
076  ohne weiteres Rückschlüsse auf echte oder falsche
077  Wiedergabe zulassen. Farbendias (Umkehrfarbfilme) werden erst
078  im verdunkelten Raum auf der Leinwand richtig sichtbar. Die
079  Ausschaltung der realen Umwelt durch die Dunkelheit gestattet
080  keine Vergleiche zu ihr. Somit: In der Projektion
081  läßt sich eine bedeutend naturnähere und echtere Wiedergabe
082  erzielen als auf dem Papierbild, selbst dann, wenn das Bild nicht
083  100 % ig geglückt ist. Die Augen des Betrachters
084  " glauben " unter Ausschluß der Wirklichkeit eher, daß alles
085  seine Richtigkeit hat, als wenn sie an der Wirklichkeit selbst
086  Anhaltspunkte für Verfälschtes finden. SEHEN -
087  MIT DEM VERSTAND. Wir Menschen sehen nicht
088  schlechthin, d. h. zufolge der Physik und Physiologie des
089  Sehvorgangs. Wir sehen vielmehr auch mit unserem Intellekt und
090  mit unserem Gedächtnis; also nicht nur körperlich -
091  animalisch, sondern auch seelisch - psychisch. Ein
092  weißes Blatt Papier ist und bleibt - sooft wir es auch ansehen
093  - für uns weiß, weil wir erfahren haben und somit
094  wissen, daß es weiß ist; und theoretisch ist es gar
095  nicht weiß. Weiß ist nur, was weiße Strahlen aussendet bzw.
096  reflektiert. Im Tagesablauf reflektiert Papier aber zur Zeit des
097  Sonnenaufganges seine gelben Strahlen, zur Mittagszeit das Blau
098  des Firmaments und zum Tagesende das Purpur der Abendröte.
099  Selbst wenn später die gelben Lichter der abendlichen Lampen
100  aufflammen und das Papier nur ihre gelben Strahlen reflektieren
101  kann, gibt es für uns immer noch dieselbe Deutung: Das
102  Schreibpapier ist weiß. Kurzum, wir sehen nicht den
103  jeweiligen Zustand. sondern ersetzen die Ansicht des
104  Materials, im Hinblick auf sein Aussehen, durch unser
105  Wissen, das wir von ihm durch Gewohnheit erworben
106  haben. Der optische Eindruck beim " Sehen " wird vom
107  " Wahrnehmen " (in des Wortes echter Bedeutung) übertüncht.
108  TAGESLICHTFILME UND
109  KUNSTLICHTFILME. Da Farbfotos als Produkt einer
110  zwar hochgezüchteten, aber dennoch seelenlosen Technik nur den
111  jeweiligen Zustand der Oberflächenfarben in Abhängigkeit von der
112  herrschenden Beleuchtung wiederzugeben vermögen, fällt es bei
113  ihrer Betrachtung manchmal schwer, sie - so wie sie sind - zu
114  einer anderen Tageszeit für " wahr " zu nehmen. Die Funktion
115  des Wahrnehmens geht eben über den reinen Sehvorgang um ein
116  Beträchtliches hinaus; und um ihm einigermaßen gerecht zu werden,
117  gibt es die Farbfilm-Marken in zwei Typen: Tageslicht
118  *tkFilme und Kunstlicht-Filme. Sie
119  werden mit den Buchstaben T (math.Op.) Tageslicht *bzw. K (math.Op.)
120  Kunstlicht nach dem Buchstaben C (math.Op.) Color gekennzeichnet.
121  Ihnen entsprechen die ausländischen (englischen) Bezeichnungen
122  D (math.Op.) Daylight und T (math.Op.) Tungsten. Wir merken uns folgende
123  Typenbezeichnungen: CN (math.Op.) Negativfilm für Tageslicht
124  und für Kunstlicht CT (math.Op.) Umkehrfilm für Tageslicht CK (math.Op.)
125  Umkehrfilm für Kunstlicht In derselben Reihenfolge gibt es
126  sinngemäß die englischen Typenbezeichnungen: N, RD (R (math.Op.)
127  reversal, d. h. Umkehr-) und RT. Auf die Frage:
128  " Wozu Kunstlicht-Filme und wozu Tageslicht-
129  Filme? " gleich die Antwort, die aus dem Vorhergesagten über
130  die Sehgewohnheit folgert: Soll etwas so aussehen, wie man es
131  bei Tageslicht wahrzunehmen gewohnt ist, obwohl es bei Kunstlicht
132  aufgenommen wird, muß in jedem Fall K-Film verwendet werden,
133  dessen Farbwiedergabevermögen so abgestimmt ist, daß das gelbe
134  Lampenlicht weiß kommt. Nähme man für das gleiche
135  Motiv T-Film, würde der gelbe Schein der Kunstlichtquellen
136  allen Gegenständen und ihren Oberflächen seine gelbe Strahlung
137  hinzufügen, und selbst das vorgenannte weiße Papier müßte gelb
138  erscheinen. Es würde daher unnatürlich " wahrgenommen " bzw.
139  empfunden werden. Kunstlichtfilme sind in ihrem Farben-
140  Wiedergabevermögen also so abgestimmt, daß sie bei Kunstlicht
141  die Farben ebenso wiedergeben, als wäre die Aufnahme bei
142  Tageslicht erfolgt. Auf Tageslichtfilm würde die gleiche
143  Aufnahme ein Übermaß an Gelbfärbung - herrührend vom gelben
144  Lampenlicht - zeigen, und dafür gibt es einen Ausdruck, er
145  heißt: " Gelbstich ". Wir prägen uns somit ein: T-
146  Filme für Tageslicht und K-Filme für
147  Kunstlicht! N-Filme, das sind Negativfilme, können
148  sowohl bei Tageslicht wie bei Kunstlicht verwendet werden, weil
149  die Farbabstimmung durch entsprechende Filter nachträglich beim
150  Vergrößern vorgenommen wird. DIE AUSNAHMEN.
151  Vor einer dunklen Straßenkulisse, die sich abendlich vor einem
152  graublauen Himmel abhebt, strahlen die ersten Lichter der
153  Straßenbeleuchtung auf. Eine kurze Überlegung führt zu
154  Tageslichtfilm, obwohl das Kunstlicht bereits überwiegt;
155  denn gerade darum, weil es überwiegt, ist es überzeugend
156  darzustellen. Und diese Überlegenheit wirkt sich gerade in den
157  gelben Lampen aus. Nur auf Tageslichtfilm kommen sie
158  gelb und erscheinen wie künstliches Licht. Auf K-Film
159  würden die Lampen weiß kommen und damit ihren Stimmungs
160  -Charakter verlieren. Es kommt also jeweils darauf an, ob der
161  Betrachter im Bild wahrnehmen soll, zu welcher Tageszeit
162  oder Nachtzeit es aufgenommen wurde. DIE
163  EMPFINDLICHKEIT DER FARBFILME. Auf
164  allen Packungen steht: Zu belichten wie ein Film von
165  so oder soviel DIN. Wie ist das zu verstehen? Warum ist
166  die Empfindlichkeit nur im Vergleich angegeben und nicht direkt?
167  Die Antwort ist einfach und einleuchtend: Jede korrekte Aussage
168  über Lichtempfindlichkeit bezieht sich auf die Schwärzung des
169  Silbers in der Filmschicht. Farbfilm besitzt im Endeffekt aber
170  kein Silber mehr; denn er weist nur Farbstoffe auf, und
171  somit wird die Empfindlichkeitsangabe im Hinblick auf die
172  Schwärzung hinfällig, sie kann deshalb nur vergleichsweise
173  angegeben werden. In jedem Fall bezieht sich die
174  Empfindlichkeitsangabe auf Motive mittlerer Helligkeit.
175  DER KONSTRASTUMFANG. Eine Kombination von
176  Weiß, Gelb und Rosa ist bedeutend heller als ein Zusammenwirken
177  von Weiß, Grün und Dunkelblau. Der Kontrast der
178  Farben ist im ersten Fall geringer als im zweiten. Die
179  durchschnittliche Angabe der Empfindlichkeit eines Farbfilmes muß
180  sich daher auf den Kontrastumfang - in der Mitte der beiden -
181  als Norm beschränken. Bei der Belichtungsmessung ist die
182  abgelesene Verschlußzeit bzw. Blende im erstgenannten Fall des
183  geringeren Kontrastumfanges ebenso zu verringern, wie sie
184  im zweiten Fall des größeren Kontrastumfanges größer
185  angesetzt werden muß, wenn auch die dunklen Farben noch als
186  Farbe in Erscheinung treten sollen. MOTIVE
187  MITTLERER HELLIGKEIT. Das sind die normalen
188  und meist vorkommenden Fälle bei Farbaufnahmen von Motiven in
189  gleichmäßiger, kontrastarmer Beleuchtung, und für sie gilt die
190  Anzeige des Belichtungsmessers ohne jede Korrektur. Und solche
191  Motive ohne zu große Helligkeitskontraste werden in der
192  Farbwiedergabe kaum je enttäuschen. Kontraste der Farben
193  sind damit keineswegs gemeint. Eine dominierende Farbe kommt erst
194  zu rechter Leuchtkraft, wenn in ihrer Umgebung auf geringerer
195  Fläche ihre Kontrastfarbe (Komplementär-) farbe
196  aufscheint. Die Farbhelligkeit jedoch entscheidet. Es
197  dürfte kaum gelingen - außer unter Anwendung besonderer Tricks
198  -, einen Mann in mitternachtsblauem Frack so aufzunehmen, daß
199  Gesichtsfarbe, weißer Kragen und der Frack selbst alle Details
200  in gleicher Weise zeigen. Entweder kommt der Frack
201  wirklich blauschwarz, mit sichtbaren, schwarzen Schatten in den
202  Falten, wobei Gesicht und Kragen " ausgefressen " in den
203  Lichtern sind (wie man sagt), d. h. weißen, detaillosen
204  Gipsformen ähneln, oder der Teint kommt richtig farbig
205  nebst dem weißen Schlips heraus, während der Frack eine form
206  lose und detaillose, violettbraune Silhouette zeigt.
207  Dieses Beispiel soll erklären, was mit großen Kontrasten
208  gemeint ist und was der Farbfilm im allgemeinen nicht wiederzugeben
209  vermag - außer in besonderem Glücksfall -, und wenn ein Bild
210  dieser Art einmal zufällig gelingt, so ist das eben Glück, von
211  dem sich jedoch ähnliche Fälle für die Zukunft nicht mit
212  Sicherheit ableiten lassen. Zum allgemeinen Kontrast zwischen
213  Dunkel und Hell gesellt sich noch die unterschiedliche
214  Empfindlichkeit der Filme für verschiedene Farben gleichen
215  Sättigungsgrades. Sie hängt von der panchromatischen
216  Sensibilisierung ab. Im allgemeinen sind Filme für warme Farben
217  empfänglicher als für kalte. Sie reagieren auf Gelb, Orange
218  und Rot intensiver als auf Blau, Grün oder Braun. Daß sie
219  für Grün am unempfindlichsten sind, ist schon daraus zu ersehen,
220  daß sie - wenn schon nicht bei völliger Dunkelheit -
221  höchstens bei dunkelgrüner Laborbeleuchtung entwickelt werden.
222  Für die Aufnahmepraxis ergibt sich also, daß bei gleicher
223  Allgemeinbeleuchtung Motive, die sich vorwiegend aus warmen
224  Farben zusammensetzen, kürzer zu belichten sind als solche, die
225  überwiegend kalte Farben aufweisen. So z. B. sind
226  Laubbäume im Sommer länger zu belichten als im Herbst.
227  LICHT IM RÜCKEN. Wer bisher der geschilderten
228  Problematik der Farben und ihrer fotografischen Wiedergabe gefolgt
229  ist, versteht somit die vielgenannte und empfohlene Regel, die
230  schon in den Frühzeiten der Schwarzweiß-Fotografie empfohlen
231  oder gar gepredigt wurde: " Nimm mit dem Licht
232  - mit der Sonne im Rücken auf! " Auf das
233  Schwarzweiß-Bild trifft diese Regel heute erfahrungsgemäß
234  nicht mehr zu. Bei der Farbenfotografie hat sie aber im Hinblick
235  auf das Vorhergesagte noch Geltung. Bei direkter Bestrahlung
236  durch Licht - gemäß der obigen Regel - gelangen die
237  Oberflächenfarben zu bester Wirkung und stärkster Leuchtkraft.
238  Man hält einen Gegenstand " ins Licht ", um seine Farbe zu
239  erkennen. Im Gegenlicht erscheint sie verschmutzt und ist in ihrem
240  eigenen Körperschatten nicht mehr genau erkennbar; wozu noch
241  kommt, daß sich dem lichtlosen Schatten ein sogenannter
242  Farbstich beigesellt, der nicht wahrgenommen werden
243  kann, weil er durch Sehgewohnheit übersehen wird.
244  FARBSTICHE Alle farbigen Flächen, die nicht von
245  Strahlen der Lichtquelle selbst direkt getroffen werden,
246  unterliegen zusätzlichen Einflüssen. Am häufigsten tritt dieser
247  Fall an klaren Sonnentagen im Sommer um die Mittagszeit ein.
248  Dann gibt es als direkte Lichtquelle die starke, weißgelb
249  strahlende kleine Sonnenscheibe einerseits und als zweite
250  indirekte das schwächere Licht des blauen Firmamentes, das
251  aus überdimensionaler Fläche in alle Partien dort einfällt und
252  sich breitmachen kann, wohin die Sonne durch direkte Einstrahlung
253  nicht mehr reicht. Die verständliche Folge ist Blaustich
254  in den Schatten und Schlagschatten - und Enttäuschung, weil
255  dieser Blaustich bei der Aufnahme nicht zu sehen war. In
256  Wirklichkeit wurde er nur übersehen. Das vom grellen
257  Sonnenlicht geblendete Auge konnte den Farbzustand der
258  Schattenflächen nicht beurteilen - von der Sehgewohnheit
259  gar nicht zu sprechen. Die Tatsache aber wird wie jede andere -
260  scheinbar unsichtbare - vom Film zwar geistlos, aber dafür treu
261  registriert. BLAUSTICH. ist die gefürchtetste
262  Erscheinung in der Farbenfotografie, und das aus dreierlei
263  Gründen: Blau ist nicht nur eine kalte Farbe, sondern auch
264  eine ungemütliche. Sie ist lebensfremd. Es gibt Genußmittel in
265  allen Farben, nur kaum je in Blau; und Tinte ist das Letzte,
266  was man gern trinken wollte. Zur blauen Farbe besteht mithin die
267  geringste menschlich-vitale Beziehung. Nur der Himmel gibt
268  als blaues Etwas eine freudebetonte Stimmung. Mit ihm verbindet
269  sich aber auch die Vorstellung der Ferne, des Unerreichbaren und
270  sogar des Unirdischen. Legt sich Blaustich jedoch über
271  die irdischen Dinge. werden diese zu schemenhaften,
272  unverständlichen Gebilden.

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