Quelle Nummer 440

Rubrik 25 : ANTHROPOLOGIE   Unterrubrik 25.00 : ANTHROPOLOGIE

GRUNDRISS
HUBERT WALTER
GRUNDRISS DER ANTHROPOLOGIE
MIT 117 ABBILDUNGEN
AUS DER SERIE MODERNE BIOLOGIE
BLV VERLAGSGESELLSCHAFT MBH, MUENCHEN 1970, S.29-


001  Genetik des Menschen. Das genetische
002  Material. Die Entwicklung eines Menschen beginnt mit der
003  Befruchtung, also mit der Verschmelzung von Samenzelle
004  und Eizelle zur sog. Zygote. Diese entwickelt
005  sich durch fortgesetzte Teilung und Differenzierung im Verlauf der
006  pränatalen Ontogenese zum geburtsreifen Neonatus, der in der
007  Regel 280 Tage nach der Befruchtung geboren wird. Allerdings
008  kommen nicht alle Zygoten zur Geburt, sondern ca. 30 %
009  sterben vorher ab und werden ausgestoßen, dabei mehr männliche als
010  weibliche Früchte. Abb. 12 zeigt die zeitliche Gliederung der
011  pränatalen Fruchtentwicklung, der Kyematogenese. Mit
012  der Geburt ist die Entwicklung eines Menschen jedoch noch längst
013  nicht abgeschlossen, sondern diese hält auch postnatal noch an,
014  intensiv bis zum Erreichen des Erwachsenenalters, also etwa um das
015  21.Lebensjahr. Aber auch dann ist das Entwicklungsgeschehen
016  noch nicht völlig beendet, denn wie wir heute wissen, ist das
017  Erwachsenenalter keineswegs als völlig " stationäre Phase "
018  anzusehen. Wir werden in Kapitel 5 darauf näher eingehen.
019  Dieses Entwicklungsgeschehen basiert zunächst auf endogenen
020  Faktoren, die Samenzelle und Eizelle mitbringen und die
021  vom Moment der Befruchtung an aktiv werden. Diese Faktoren sind
022  die Gene (= Erbanlagen), die auf den Chromosomen
023  lokalisiert sind. Ob auch im Zytoplasma der Eizelle liegende
024  Faktoren in das Entwicklungsgeschehen eingreifen (plasmatische
025  Vererbung), ist beim Menschen zumindest nicht erwiesen. Die
026  Zahl der Chromosomen in den menschlichen Körperzellen beträgt
027  normalerweise 2 n (math.Op.) 46 (diploider Chromosomensatz), die sich
028  aus 22 Autosomenpaaren und 1 Geschlechtschromosomenpaar
029  (X, Y) zusammensetzen. Die Anwesenheit von zwei X-
030  Chromosomen in der Zygote bedingt weibliches Geschlecht, die
031  Kombination XY männliches. Der normale weibliche Karyotyp
032  lautet demnach 44 (math.Op.) XX, der normale männliche 44 (math.Op.) XY.
033  Allerdings bleibt diese Zahl von 46 Chromosomen in den
034  Körperzellen nicht das ganze Leben hindurch konstant, sondern mit
035  zunehmendem Alter ist ein Anwachsen von sog. aneuploiden
036  Zellen festzustellen, von Zellen also, die von der Norm
037  abweichende Chromosomenzahlen aufweisen. Meistens reduziert sich
038  die Chromosomenzahl. Bei Frauen tritt diese Reduktion in der
039  Regel nach dem 45.Lebensjahr ein und scheint mit der Abnahme
040  der sexuellen Aktivität in Zusammenhang zu stehen. Eine
041  altersabhängige Zunahme aneuploider Zellen ist auch im männlichen
042  Geschlecht beobachtet worden. Aufgrund von Größe und Form
043  können die Chromosomen in bestimmte Gruppen geordnet werden, was
044  u. a. für das Identifizieren überzähliger bzw.
045  fehlender Chromosomen von Wichtigkeit ist. Abb. 13 zeigt einen
046  normalen menschlichen Chromosomensatz, Abb. 14 die
047  verschiedenen Chromosomentypen. Die Gruppeneinteilung nach
048  Größe und Form geht aus Tab. 3 hervor. (Abb.) Da die
049  Chromosomenzahl normalerweise in allen menschlichen Körperzellen
050  die gleiche ist, muß es einen Mechanismus geben, der es
051  ermöglicht, daß bei den fortgesetzten Zellteilungen (Mitosen)
052  im Verlauf des Entwicklungsgeschehens diese Zahl konstant bleibt.
053  Das geschieht durch Längsteilung der einzelnen Chromosomen in der
054  Mutterzelle (in der sog. Metaphase) und gleichmäßige
055  Verteilung des so entstandenen neuen Satzes auf die Tochterzelle
056  (in der Anaphase) und so fort. Jede Tochterzelle besitzt in der
057  Regel somit das gleiche genetische Material wie die Mutterzelle.
058  Wir haben oben festgestellt, daß die Chromosomenzahl beim
059  Menschen normalerweise 2 n (math.Op.) 46 beträgt. Damit sich diese Zahl
060  nun aber nicht von Generation zu Generation verdoppelt, ist
061  anzunehmen, daß bei der Ausreifung von Samenzellen und
062  Eizellen eine Reduktion der Chromosomenzahl auf die
063  Hälfte stattfindet. In der Tat machen die Keimzellen eine
064  derartige Reduktionsteilung (Meiose) durch, so daß die zur
065  Befruchtung gelangenden Keimzellen jeweils nur einen halben
066  Chromosomensatz (Haploid) besitzen, der sich in der Zygote zum
067  Diploid vereinigt. Dabei ist zu beachten, daß weibliche
068  Individuen Keimzellen mit je 22 Autosomen und einem X-
069  Chromosom bilden, männliche Individuen Keimzellen mit ebenfalls
070  22 Autosomen, aber entweder einem X-Chromosom oder
071  einem Y-Chromosom. Diese Diffenzierung der männlichen
072  Keimzellen läßt erwarten, daß 50 % der Zygoten die
073  Geschlechtschromosomenkonstellation XX haben, also weiblich sind,
074  50 % dagegen XY, also männlich. In der Regel werden
075  jedoch mehr Knaben als Mädchen geboren (106:100), was
076  darauf hinweist, daß - aus noch nicht völlig geklärten
077  Gründen - mehr Y-haltige als X-haltige Spermien zur
078  Befruchtung kommen. Nach Schätzungen von v.
079  PFAUNDLER beträgt das Geschlechtsverhältnis bei der
080  Befruchtung sogar 146 (Abb.):100 (Abb.). Das männliche Geschlecht
081  unterliegt also einer hohen vorgeburtlichen Sterblichkeit. V.
082  PFAUNDLER gibt an, daß von den weiblichen Embryonen und
083  Feten bis zum 8.Schwangerschaftsmonat nur etwa 7 % der
084  ursprünglich angelegten Früchte absterben, von den männlichen
085  dagegen 32 %. Nach neueren Untersuchungen ist bekannt, daß
086  von den beiden X-Chromosomen im weiblichen Geschlecht offenbar
087  nur eines genetisch aktiv ist, das andere wird etwa 16-18 Tage
088  nach der Befruchtung inaktiviert, wobei diese Inaktivierung die
089  vom Vater und die von der Mutter stammenden X-Chromosomen
090  rein zufallsmäßig erfaßt (LYON-Effekt). Die
091  inaktivierten X-Chromosomen werden zum sog.
092  Geschlechtschromatin umgebildet, das sich in den Zellkernen
093  (BARR-Körperchen) oder als trommelschlegelartige
094  Anhängsel (Drumsticks) an den Kernen der weißen
095  Blutkörperchen nachweisen läßt. Da das X-Chromosom beim
096  Mann nicht inaktiviert wird, sind Männer normalerweise
097  geschlechtschromatin-negativ. Für die normale Entwicklung des
098  Geschlechts mit all seinen körperlichen und geistig-seelischen
099  Kennzeichen ist die Art der Chromosomenkonstellation
100  verantwortlich: normale weibliche Entwicklung setzt die
101  Konstellation XX voraus, normale männliche die Konstellation
102  XY. Nun sind aber in den letzten Jahren eine Reihe von Fällen
103  bekanntgeworden, bei denen Abweichungen von dieser Norm beobachtet
104  werden konnten. Die wichtigsten und häufigsten von ihnen sind in
105  Tab. 4 zusammengefaßt. (Abb.) Das ULLRICH-TURNER
106  -Syndrom ist durch folgende Merkmale charakterisiert:
107  Weibliche äußere Genitalien, Kleinwuchs, Breithals,
108  tiefstehende Ohren, typischer Gesichtsausdruck, breiter,
109  schildförmiger Thorax, weit auseinanderstehende Brustwarzen,
110  unterentwickelte Brüste, kleiner Uterus und fibröse Stränge
111  anstelle der Ovarien; der Karyotyp lautet 44 (math.Op.) X0. Die
112  Häufigkeit dieses Syndroms wird mit einem Fall auf etwa 5000
113  weibliche Geburten angegeben. Beim KLINEFELTER-
114  Syndrom sind die äußeren Genitalien zwar männlich, die Hoden
115  jedoch sehr klein und die Körperbehaarung spärlich. Die
116  Patienten neigen zur Ausbildung ungewöhnlich langer Extremitäten;
117  die Häufigkeit wird mit 1:4-600 angegeben. Der
118  Karyotyp lautet 44 (math.Op.) XXY. Die Ursache dieser und anderer
119  Aberrationen der Geschlechtschromosomen ist in Störungen
120  während der Meiose zu sehen, durch die keine gleichmäßige
121  Verteilung der Chromosomen auf die Tochterzellen stattfindet,
122  sondern manche Zellen zwei homologe Chromosomen enthalten, andere
123  keines. Man nennt derartige Verteilungsfehler non-
124  disjunctions; sie kommen auch bei Autosomen vor. Abb. 20
125  gibt einige solcher non-disjunctions von Geschlechtschromosomen
126  schematisch wieder. Gemeinsam ist allen diesen
127  Chromosomenaberrationen, die hier nicht im einzelnen abgehandelt
128  werden können: Störungen in der intellektuellen Entwicklung,
129  in der Mehrzahl auch Störungen in der Entwicklung der
130  Sexualorgane und herabgesetzte bis fehlende Fertilität. Das
131  Vorhandensein von mehr als zwei X-Chromosomen führt also ganz
132  allgemein zu einer Beeinträchtigung der physischen und psychischen
133  Entwicklung, die nicht selten auch die Ursache von sozialen
134  Anpassungsschwierigkeiten und damit von Konfliktsituationen ist.
135  Das gilt insbesondere auch für das XYY-Syndrom,
136  das offenbar in besonders hohem Maße zu sozialem Fehlverhalten
137  führt. Männer mit dieser Chromosomenkonstellation sind in der
138  Regel durch gesteigerte Aggressivität charakterisiert, die sich
139  nach MERGEN[ 1968 ]bereits früh in kriminellen
140  Aggressionsdelikten (Raub, Mord) entlädt. Möglicherweise
141  enthält das Y-Chromosom genetische Informationen für die
142  Ausbildung spezifisch männlicher Verhaltensweisen, die bei
143  Vorhandensein in doppelter Dosis (beim XYY-Syndrom) zu
144  sozialem Konfliktverhalten prädisponieren. Hingewiesen sei in
145  diesem Zusammenhang auch auf Beobachtungen von Bishop über
146  erblich bedingte Variationen in der Länge des X-Chromosoms
147  sowie auf die anthropologisch interessante Tatsache, daß die Y
148  -Chromosomen von japanischen Männern im Durchschnitt
149  signifikant länger sind als diejenigen von Negern und Weißen
150  (COHEN). Vermehrungen (Trisomie) bzw.
151  Verminderungen (Monosomie) sind auch von Autosomen bekannt,
152  und zwar von solchen der Gruppen D-G. Trisomien dieser
153  Autosomen führen ebenfalls zu schweren Störungen der
154  körperlichen und geistig-seelischen Entwicklung der hiervon
155  betroffenen Individuen, deren Lebenserwartung überdies stark
156  herabgesetzt ist. Die bekannteste und häufigste dieser Trisomien
157  ist die Trisomie 21, die das sog. LANGDON-DOWN
158  -Syndrom (Mongolismus) verursacht. Trisomien großer
159  Chromosomen (Gruppen A-C) sind bisher nicht bekanntgeworden.
160  Man nimmt an, daß diese soviel genetisches Material enthalten,
161  daß eine Überdosierung bereits in frühesten Entwicklungsstadien
162  tödliche Auswirkungen hat. Neben den hier kurz beschriebenen
163  Chromosomenaberrationen sind eine Reihe von weiteren
164  Chromosomenanomalien entdeckt worden, etwa Polyploidien
165  (Vermehrung des ganzen Chromosomensatzes), Mosaikbildungen
166  (Zellen mit unterschiedlichen Karyotypen),
167  Translokationen (Verschmelzung verschiedener Chromosomen, z.B.
168  der Chromosomen 15 und 21) und Deletionen
169  (Stückverluste), wie sie beim Chromosom 5 beobachtet werden
170  konnten. Auch diese Anomalien bedingen vielfach schwere
171  körperliche und geistige Entwicklungsstörungen und frühen Tod.
172  Die geschätzten Häufigkeiten von Chromosomenaberrationen ergeben
173  sich aus Tab. 6. Autosomale Strukturvariationen der
174  verschiedensten Art sind nach PASSARGE[ 1968 ]zu 2-
175  3 % in der Erwachsenenbevölkerung vorhanden.
176  Chromosomenanomalien werden besonders häufig bei Kindern älterer
177  Mütter (über 40 Jahre) beobachtet, woraus sich ergibt, daß
178  in deren Eizellen non-disjunction-Effekte häufiger
179  stattfinden als in denen jüngerer Mütter. Chromosomenanomalien
180  bei Aborten und Fehlgeburten sind aber auch nach Einnahme von
181  oralen Verhütungsmitteln und Rauschgiften (LSD) beobachtet
182  worden. Für Spontanaborte scheinen Chromosomenanomalien eine
183  wichtige Ursache zu sein. Nach PASSARGE[ 1968 ]
184  wiesen 25 % aller Spontanaborte von Embryonen und Feten eine
185  Chromosomenanomalie auf. Alle 46 Chromosomen des Menschen
186  enthalten genetische Informationen, die für die Ausbildung der
187  körperlichen und geistig-seelischen Merkmale und Eigenschaften
188  verantwortlich sind und die nach bestimmten Regeln von einer
189  Generation auf die andere übertragen werden. Diese Informationen
190  haben ihre materielle Basis in den Genen, die linear
191  in den Chromosomen angeordnet sind. Die Zahl der menschlichen
192  Gene wird heute mit 6-7 (math.Op.) (Formel) für den haploiden
193  Chromosomensatz angenommen. Dank der intensiven Forschungen der
194  biochemischen Genetik war es in den letzten Jahren möglich,
195  Struktur und Funktionsweise der Gene weitgehend zu klären. Wenn
196  diese Untersuchungen auch vornehmlich an Mikroorganismen
197  durchgeführt worden sind, so besteht doch kein vernünftiger
198  Zweifel an der Annahme, daß die an diesen Lebewesen gewonnenen
199  Erkenntnisse auch für höhere Organismen und damit auch für den
200  Menschen zutreffen. Die Trägersubstanz der genetischen
201  Information ist die Desoxyribonucleinsäure (DNS),
202  deren Aufbau vor allem von den beiden US-amerikanischen
203  Nobelpreisträgern WATSON und CRICK geklärt werden
204  konnte. Daß diese DNS in der Tat der Träger der genetischen
205  Information ist, konnte durch eine Reihe von Experimenten
206  gesichert werden. Außerdem spricht für die Richtigkeit dieser
207  Annahme, daß die diploiden Körperzellen etwa doppelt soviel
208  DNS enthalten wie die haploiden Keimzellen. Für den Menschen
209  liegen u. a. die folgenden Daten vor: Der DNS-
210  Gehalt von Leberzellen und Nierenzellen beträgt 5,
211  6 (math.Op.) 10- (Formel) g, der von Spermien 2,5 (math.Op.) 10- (Formel) g.
212  Die wichtigsten Bestandteile der DNS sind die Purinbasen
213  Adenin und Guanin, die Pyrimidinbasen Cytosin
214  und Thymin, die Phosphorsäure und der Zucker
215  Desoxyribose. Hinzuweisen ist noch darauf, daß die DNS
216  -Moleküle aus zwei Ketten bestehen, die um eine gemeinsame
217  Achse gewunden sind und so eine Doppelhelix bilden. Die Basen
218  sind dabei durch Wasserstoffbrücken miteinander verbunden. Bei
219  der Teilung der Chromosomen während der Mitose repliziert der
220  DNS-Faden, d. h. die beiden Elternstränge trennen
221  sich reißverschlußartig, wobei an jedem der sich trennenden
222  Stränge die Synthese eines neuen, komplementären Stranges
223  erfolgt. Dieser Prozeß schreitet fort, bis zwei identische
224  Doppelhelices vorliegen, wovon jede einen Elternstrang und einen
225  neusynthetisierten Strang enthält. Die Basenpaare sind im DNS
226  -Molekül in bestimmten Sequenzen angeordnet, wobei aus
227  sterischen Gründen immer nur zwei Basen zusammenpassen. Adenin
228  (A) und Thymin (T) oder Guanin (G) und Cytosin (C). Da
229  sich die verschiedenen DNS-Moleküle nur in der Sequenz
230  dieser Basenpaare voneinander unterscheiden können, lag es nahe,
231  anzunehmen, daß in dieser Sequenz der " genetische Code "
232  festgelegt sei. Man weiß heute, daß jeweils drei solcher
233  Basenpaare ein Codon bilden, das eine bestimmte
234  Aminosäure bedingt. Da vier Basen zur Verfügung stehen, aus
235  denen sich (Formel) (math.Op.) 64 Dreierkombinationen ergeben können, wären
236  theoretisch 64 Aminosäuren möglich. Beim Menschen sind nur 20
237  bekannt, so daß entweder Basenkombinationen vorhanden sind, die
238  keine Aminosäuren bedingen, oder - was wahrscheinlicher ist -
239  mehrere Dreiergruppen gleiche Aminosäuren determinieren können
240  (degenerierter Code). Diese Dreiergruppen (= Codons)
241  überlappen sich nicht, d. h. der nächste beginnt jeweils
242  dort, wo der vorige aufhört. Wie wir weiter wissen, kann der
243  genetische Code nur in einer Richtung und von bestimmten
244  Standpunkten aus " gelesen " werden. Man kann sich das
245  schematisch so vorstellen: (Abb.). Findet in einem dieser Codons
246  eine Änderung statt, z. B. durch Ausfall eines oder
247  Einbau eines anderen Basenpaares, wird der Informationsgehalt
248  dieses Codons und damit der des ganzen Codes verändert, statt des
249  Proteins X ein Protein (Formel) gebildet. Derartige Veränderungen
250  in der Struktur der DNS, die durch Chemikalien,
251  Röntgenstrahlen oder Temperaturschocks künstlich ausgelöst
252  werden können, nennt man Mutationen. Mutationen treten
253  aber auch spontan auf, also ohne erkennbaren äußeren
254  Anlaß. Die Schätzung solcher spontanen Mutationsraten, von
255  denen in Tab. 7 einige wiedergegeben sind, ist heute eine der
256  wichtigsten Aufgaben der Humangenetik. Dieser genetische Code
257  besitzt einen hohen Grad von Universalität, d. h. er gilt
258  in gleicher Weise für die Synthese von Proteinen bei den
259  verschiedensten Organismen vom Bakterium bis zum Menschen.
260  NIERENBERG schätzt sein Alter auf 5 (math.Op.) (Formel) Jahre. Da
261  man heute weiß, welche Aminosäuren von welchen Codons aufgebaut
262  werden, war es möglich, ein Aminosäure-Codon-Lexikon
263  zu erstellen. Dieses Lexikon ist auch für den Menschen insofern
264  von Bedeutung, als mit seiner Hilfe erstmals für bestimmte
265  Merkmale des Menschen Aussagen über den genetischen Code
266  möglich sind. Gemeint ist hier das Hämoglobin, der rote
267  Blutfarbstoff, dessen chemische Struktur einschließlich der
268  Aminosäure-Sequenzen in den letzten Jahren aufgedeckt werden
269  konnte (BRAUNITZEr). Vereinfachend läßt sich sagen,
270  daß das normale menschliche Erwachsenen-Hämoglobin, das
271  HbA, einmal aus einer Häm-Komponente besteht, zum anderen
272  aus einer Globulin-Komponente, die aus vier Polypeptidketten
273  zusammengesetzt ist, zwei jeweils identischen *ya-Ketten und
274  zwei *yb-Ketten. Jede dieser Ketten hat eine
275  charakteristische Sequenz von Aminosäuren, die *ya-Ketten je
276  141, die *yb-Ketten je 146. Die Sequenz dieser Aminosäuren
277  ist genetisch festgelegt. Da diese bekannt ist, kann man mit
278  Hilfe des Aminosäuren-Codon-Lexikons Aussagen über
279  Zahl und Art der Codons machen, die die spezifische
280  Polypeptidstruktur des HbA bedingen. Nun sind heute etwa 100 vom
281  HbA abweichende Hämoglobinvarianten bekannt, für die zum
282  großen Teil ebenfalls bereits eine biochemische Strukturanalyse
283  vorliegt. Bei der bekanntesten dieser Varianten, dem sog.
284  Sichelzell-Hämoglobin (HbS), weiß man z. B.,
285  daß in der Position 6 der Yb-Kette die Glutaminsäure durch
286  das Valin ersetzt worden ist. Beim HbI ist in der Position 16
287  der *ya-Kette Lysin durch Glutaminsäure ausgetauscht.

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