Quelle Nummer 426

Rubrik 03 : PHILOSOPHIE   Unterrubrik 03.00 : PHILOSOPHIE

NATURPHILOSOPHIE
WALTER V. DEL-NEGRO
KONVERGENZEN IN DER GEGENWARTSPHILOSOPHIE UND DIE
MODERNE PHYSIK
DUNCKER UND HUMBLOT BERLIN 1970, S. 135-


001  Die kritisch-realistische Lösung und ihre heutige
002  Verbreitung. Der kritische Realismus wurde u.a. von
003  E. v. Hartmann, O. Külpe, F. Brentano, C.
004  Stumpf, E. Becher, A. Messer, M. Schlick (in
005  seiner Frühzeit) B. Russell (in seiner Spätzeit),
006  N. Hartmann, G. Jacoby, R.W. Sellars,
007  Drake, Santayana und vielen anderen Philosophen des späten
008  19.und des 20.Jahrhunderts vertreten. Er wird im
009  allgemeinen als eine Richtung der Erkenntnistheorie bezeichnet.G.
010  Jacoby hat jedoch in seiner " Allgemeinen
011  Ontologie der Wirklichkeit " (1.Band 1925, 2.Band 1955)
012  gezeigt, daß es auch mit rein ontologischen Mitteln möglich ist,
013  den kritischen Realismus zu begründen. Da dies in besonders
014  konziser und systematischer Form geschehen ist, sollen die
015  Grundgedanken dieser Ontologie - die im Gegensatz zur Ontologie
016  Heideggers nicht eine außerwissenschaftliche Lehre vom
017  Sein, sondern eine wissenschaftliche Lehre vom Seienden darstellt
018  - kurz zusammengefaßt werden. Der Hauptgedanke der Ontologie
019  Jacobys ist die Unterscheidung der Immanenzontologie und
020  der Transzendenzontologie. Mit Immanenzontologie ist diejenige
021  Form der Ontologie gemeint, die von den im Bewußtsein
022  vorliegenden Beständen ausgeht und diese für die einzige
023  Wirklichkeit hält, was aber nicht im Sinne des Phänomenalismus,
024  sondern in dem des naiven Realismus zu verstehen ist. Dieser
025  schreibt nämlich den Dingen, die uns in der Außenwahrnehmung
026  gegeben sind, eine Existenz auch unabhängig vom Bewußtsein zu,
027  um dadurch die Kontinuität zu wahren; es gibt also für die
028  Immanenzontologie eine Außenwirklichkeit, die zwar wesenhaft aus
029  den Beständen der äußeren Wahrnehmung (mit Ausnahme der
030  geträumten und halluzinierten) aufgebaut ist, aber auch außerhalb
031  des Bewußtseins in derselben Weise existieren soll. Der Tisch,
032  den ich vor mir sehe, existiert danach in derselben Weise weiter,
033  wenn ich die Augen schließe oder wenn Dunkelheit mich hindert,
034  ihn zu sehen. Von dieser " Außenwirklichkeit " wird die reine
035  Bewußtseinswirklichkeit, also die Welt der introspektiv erlebten
036  Vorgänge des inneren Wahrnehmungsbereiches geschieden. In
037  ausführlichen Analysen zeigte nun Jacoby auf, daß diese
038  Immanenzontologie zu inneren Widersprüchen führe. In den
039  Wahrnehmungen der " Außendinge " sind bereits Deutungen
040  enthalten, also sind sie nicht bewußtseinsunabhängig, was die
041  reinliche Trennung von Außenwirklichkeit und
042  Bewußtseinswirklichkeit innerhalb der Immanenzontologie schon
043  illusorisch macht. Ferner gehören zur Bewußtseinswirklichkeit
044  nicht nur Vorstellungen, Urteile, Willensakte, sondern auch die
045  Empfindungdaten wir Farben, Töne usw.. Jacoby spricht hier
046  von " Überschneidungsbeständen ". Die Tatsachen der
047  Außenwahrnehmung gehören sowohl zur Außenwirklichkeit als auch
048  zur Bewußtseinswirklichkeit. Nicht zu den
049  Überschneidungsbeständen gehören auf der einen Seite Träume,
050  Halluzinationen, Vorstellungen, Urteile, Willensakte, die der
051  Bewußtseinswirklichkeit allein zuzurechnen sind, auf der anderen
052  Seite diejenigen Wahrnehmungsdinge, die man gerade nicht wahrnimmt,
053  weil sie außerhalb der Reichweite unserer Sinnesorgane liegen;
054  sie gehören also nur der Außenwirklichkeit an. Die
055  Überschneidungsbestände zeigen aber besonders deutlich, daß
056  immanenzontologisch gesehen Außenwirklichkeit und
057  Bewußtseinswirklichkeit nicht zu trennen sind. Der von mir
058  wahrgenommene Tisch ist als Komplex von Empfindungen und
059  hinzugefügten Deutungen Teil der Bewußtseinswirklichkeit, soll
060  aber gleichzeitig wirklicher Tisch der Außenwelt sein. Daraus
061  ergeben sich Schwierigkeiten: Die Wahrnehmung variiert mit dem
062  Standpunkt, mit der Beleuchtung, mit Verschiebungen der
063  Aufmerksamkeit und der Deutung. Welcher wahrgenommene Tisch ist
064  also der wirkliche Tisch? Offenbar kann die Identität
065  des wahrgenommenen Gegenstandes als solchen mit dem Gegenstand der
066  Außenwelt, von dem die Reize ausgehen, nicht zutreffen.
067  Weitere Schwierigkeiten ergeben sich aus der Tatsache des
068  Fremdbewußtseins. Dieses kann weder zur Außenwirklichkeit
069  gerechnet werden (da es aus dieser ja nur erschlossen werden kann)
070  noch zur eigenen Bewußtseinswirklichkeit. Es gibt keine
071  Überschneidung zwischen eigener und fremder
072  Bewußtseinswirklichkeit. " Derselbe " Tisch, den zwei
073  verschiedene Personen sehen, ist schon wegen des verschiedenen
074  Standpunktes verschieden. Man wird also immanenzontologisch mit
075  dem Fremdbewußtsein nicht fertig. Trotzdem ist kein naiver
076  Realist gleichzeitig Solipsist. Daß die Annahme, die
077  " Überschneidungsbestände ", also die Gegenstände meiner
078  Außenwahrnehmung, seien gleichzeitig die bewußtseinsunabhängig
079  existierenden Gegenstände, verfehlt sein muß, wird nach
080  Jacoby auch durch das Zustandekommen der Wahrnehmung deutlich:
081  nach immanenzontologischer Ansicht wären die
082  Wahrnehmungsgegenstände, so wie wir sie wahrnehmen, zugleich die
083  durch physikalische und physiologische Prozesse vermittelte Ursache
084  der Wahrnehmung eben dieser Gegenstände. Das psychophysische
085  Problem setzt aber, so betont Jacoby, materiale Verschiedenheit
086  zwischen wahrgenommenen und außenwirklichen Beständen voraus,
087  weil diese ja sonst nicht der Vermittlung durch die zwischen Objekt
088  und Wahrnehmung zwischengeschaltete Kette der physikalischen und
089  physiologischen Reizleitung bedürften. Das psychophysische
090  Problem ist also auf dem Boden der Immanenzontologie unlösbar.
091  Alle diese Schwierigkeiten und inneren Widersprüche verschwinden,
092  wenn man den immanenzontologischen Standpunkt aufgibt, daß die
093  im Bewußtsein gegebenen " Überschneidungsbestände "
094  gleichzeitig die bewußtseinsunabhängigen Gegenstände seien und
095  als solche von anderen Personen wahrgenommen werden können. Das
096  naturgesetzliche Verhalten der Überschneidungsbestände, das zu
097  dieser verfehlten Identifizierung geführt hat, rechtfertigt nur
098  die Annahme ihrer kausalen Bedingtheit durch die Außenwelt,
099  nicht die Identifizierung mit dieser. Die Gegenstände der
100  äußeren Wahrnehmung sind, richtig betrachtet, keine
101  Überschneidungsbestände, sie gehören ontologisch nur zur
102  Bewußtseinswirklichkeit. Eben dies rechtfertigt die Bezeichnung
103  Immanenzontologie: was innerhalb des Bewußtseins auftritt, kann
104  nicht gleichzeitig außerbewußte Realität sein, gehört eben
105  ausschließlich zu dem, was Feigl " the Mental " nennt.
106  Dies gilt von den Gegenständen der Außenwahrnehmung genau so wie
107  von denen der Innenwahrnehmung (zur Bewußtseinswirklichkeit
108  gehört also durchaus auch Räumliches, ebenso wie bei Feigl).
109  Die Gegenstände der äußeren Wahrnehmung werden aber von einer
110  bewußtseinsunabhängigen Außenwirklichkeit verursacht. Diese
111  ursächliche Beziehung ermöglicht - im Gegensatz zum
112  Agnostizismus Kants - Rückschlüsse auf die
113  Außenwirklichkeit: die " Überschneidungsbestände " stehen,
114  weil von ihr verursacht, in einem Zeichenverhältnis zur
115  Außenwirklichkeit, die freilich selbst nie direkt erfahrbar ist,
116  daher (ebenso wie das Fremdbewußtsein) grundsätzlich zum
117  Bereich der Transzendenzontologie gehört.
118  Transzendenzontologisch gesehen gibt es keine Überschneidung,
119  hier ist Außenwirklichkeit und Bewußtseinswirklichkeit
120  reinlich geschieden. Die gemeinte Außenwirklichkeit ist eine
121  Welt an sich, die durch die Gegenstände der Außenwahrnehmung
122  nur phänomenal repräsentiert wird. Aus biologischen Gründen
123  sind allerdings diese bloßen Erscheinungen mit zwanghaft fiktiven
124  Deutungen verknüpft, wonach sie die Außenwirklichkeit selbst
125  wären. Die psychophysische Relation, die sich in der
126  Wahrnehmungswelt nicht ansetzen läßt, spielt sich in den
127  transzendenzontologischen Bereichen ab. Mit dieser transzendenten
128  Außenwirklichkeit hat es nun nach Jacoby - und das ist
129  für unseren Zusammenhang wieder von besonderer Bedeutung - auch
130  die Physik zu tun. Sie ist ihr " Seinsfeld ". Darüber hat
131  Jacoby auch in einem Vortrag auf dem 2.Internationalen
132  Kongreß der " Union Internationale des Philosophie des
133  Sciences " in Zürich 1954 unter dem Titel " Die Seinsfelder
134  der Einzelwissenschaften " besonders gehandelt: Die
135  Wahrnehmungswelt spiegelt die eigentliche Wirklichkeit; jeder hat
136  seine private Wahrnehmungswelt, allen gemeinsam aber ist die
137  wirkliche. Diese ist das Seinsfeld der Physik, während die
138  Wahrnehmungswelt deren Beobachtungsfeld ist. Physik und
139  Ontologie untersuchen unabhängig voneinander dieselbe Wirklichkeit,
140  Physik als Einzelwissenschaft experimentell und mathematisch,
141  Ontologie als Philosophie begrifflich; beide konvergieren. Die
142  Aufgabe der Physik ist also nach Jacoby nicht nur die
143  Beschreibung der erlebten Empfindungen und ihrer Ergänzung durch
144  eine fiktive Modellwelt. Wenn das ontologisch allein Wirkliche
145  ein Chaos von Empfindungen wäre, könnte eine solche fiktiv
146  hinzugedachte Außenwirklichkeit die darin zwar angedeutete, aber
147  nie vollständig gegebene Gesetzlichkeit nicht garantieren (wieder
148  dasselbe Argument von der Kontinuität und Gesetzmäßigkeit wie
149  bei Schlick 1928 und bei Kraft 1960). Dies
150  vermag nur eine ontologisch vollwertige Außenwirklichkeit, die
151  aber transzendent ist. Da die Wahrnehmungswelt von dieser
152  transzendenten Welt funktional abhängt, sind die gesetzlichen
153  Beziehungen, die in der Wahrnehmungswelt durchschimmern, als
154  Repräsentation analoger Gesetzesbeziehungen in der transzendenten
155  Welt zu deuten. Das ermöglicht deren teilweise Erfassung,
156  natürlich nur durch Zeichenbeziehungen, nicht durch adäquate
157  Abbildung; denn nicht nur die " sekundären ", auch die
158  " primären ", raum-zeitlichen Eigenschaften der
159  Wahrnehmungswelt sind als solche nicht auf die transzendente Welt
160  übertragbar. Jacoby glaubt auch die
161  Bewußtseinswirklichkeit durch einen transzendenten Hintergrund
162  ergänzen zu müssen; die psychischen Akte seien jeweils
163  Stellungnahmen, Verhaltungsweisen, als solche bedürfen sie eines
164  " Trägers ", der uns verborgen ist. In scheinbar
165  materialistischer Diktion führte Jacoby schon 1925 als solchen
166  Träger das Gehirn ein, natürlich nicht das Gehirn als graue
167  Masse, wie es in der Wahrnehmung entgegentreten kann, sondern das
168  transzendente Korrelat dieser sichtbaren und tastbaren
169  Gegebenheit, mit der die Hirnpsychologie umgeht, sozusagen das
170  Gehirn an sich, das zwar eine quasi-raumzeitliche Struktur hat,
171  aber nicht die anschaulich erlebbare. Jacoby denkt an ein der
172  Minkowskiwelt ähnliches vierdimensionales Raumzeit-Kontinuum,
173  in dem sich die Zeit zu den räumlichen Dimensionen ähnlich
174  verhält wie der dreidimensionale Raum zur Fläche und diese zur
175  Linie; diese " Raumzeit " ist für Jacoby - im Gegensatz
176  zum Diamat-nicht Eigenschaft der Materie, sondern die
177  eigentliche Weltsubstanz. Ihr inhärieren im Stufenbereich des
178  Realen zunächst die Energie (als Zustand der lokalen Raumzeit),
179  dieser die Materie (als Zustand der Energie), dieser wieder z.T.
180  das Leben als Zustand der Materie; analog wäre das
181  Bewußtsein Zustand des Lebens, der Geist Zustand des
182  Bewußtseins. Diesen verschiedenen Stufen entsprechen nicht
183  jeweils neue Substanzen. Es gibt also weder eine materielle
184  Substanz noch eine entelechiale Substanz noch eine Seelensubstanz
185  noch eine geistige Substanz. Jacoby hat also sehr konkrete
186  Vorstellungen über die Welt an sich entwickelt. Es ist hier
187  nicht am Platze, dazu kritisch Stellung zu nehmen, es sollte nur
188  gezeigt werden, wie innerhalb des Transzendenzbereiches Physik und
189  Ontologie nach seiner Meinung in getrennten Verfahrensweisen
190  operieren können. Die Verankerung der Physik im Seinsfeld der
191  Transzendenzontologie im Sinne Jacobys übernahm auch G.
192  Hennemann der in einer Reihe von Arbeiten die
193  Realitätsproblematik der Physik, insbesondere der Atom
194  physik und Quantenphysik untersucht hat (" Die philosophische
195  Problematik des physikalischen Wirklichkeitsbegriffes ",
196  Zeitschr. f. philos. Forschung 15 1961 - hier auch
197  Quellenangaben über frühere einschlägige Arbeiten;
198  " Naturwissenschaft und Religion ", Erfahrung und Denken Band 11,
199  1963; " Probleme der physikalischen und religiösen
200  Wirklichkeit ", Erfahrung und Denken, Band 18, 1967).
201  Hennemann betont, daß schon die klassische Physik, sofern
202  sie die physikalische Wirklichkeit seit Galilei als
203  Beziehungsgefüge mathematisch erfaßbarer Erscheinungen verstand,
204  aus der Wirklichkeit nur die zählbare und meßbare
205  Schicht herausgegriffen und dadurch die eigentliche Realität
206  ausgeklammert habe, trotzdem aber überzeugt gewesen sei, damit die
207  objektive Außenwelt zu beschreiben (ohne sich freilich mit dem
208  philosophischen Problem der Realität der Außenwelt zu belasten).
209  Sie sei zwar auf Beobachtungsdaten aufgebaut gewesen, womit aber
210  nicht gesagt sei, daß diese mit der Wirklichkeit identisch sind.
211  In den physikalischen Gesetzen sollten Wirklichkeitsstrukturen
212  abgebildet werden, diese Abbildung sei aber nicht mit der
213  Wirklichkeit selbst gleichzusetzen. Eine neue Situation enstand
214  durch die Quantenphysik, weil in ihr die durch das atomare
215  Experiment gewonnene Erkenntnis der Wirklichkeit prinzipiell
216  unvollständig sei; die Elementarteilchen seien nicht mehr im
217  gleichen Sinne wirklich wie die Dinge des alltäglichen Lebens
218  oder der klassischen Physik, die Beobachtungen lassen sich nicht
219  mehr in derselben Weise objektivieren wie in jener, die
220  Eigenschaften, die den Mikroobjekten zugeschrieben werden,
221  können nicht als An-sich-Eigenschaften, sondern (mit
222  W. Büchel) nur als " zugeschriebene " Eigenschaften
223  dieser Objekte aufgefaßt werden. Damit hing die Kopenhagener
224  Deutung zusammen, wonach es nicht mehr möglich sei, den Begriff
225  des Objektes ontologisch ohne Bezugnahme auf das Subjekt der
226  Erkenntnis zu verwenden, ja eine objektiv an sich existierende
227  Wirklichkeit, die der physikalischen Naturbeschreibung
228  zugrundeliege, gar nicht bestehe. Gegen diese Interpretation vor
229  allem der Unschärferelation wendet sich Hennemann mit
230  Entschiedenheit: es sei verkehrt, aus ihr eine idealistische oder
231  korrelativistische Philosophie herleiten zu wollen, die
232  Meßapparate gehören nicht zur Sphäre des Subjektes, sondern
233  mit zu der der objektiven Außenwelt. Die idealistisch-
234  positivistische Kopenhagener Deutung wird von Hennemann zugunsten
235  einer kritisch-realistischen verworfen, wonach auch die
236  quantenphysikalische Naturbeschreibung in gewissem Sinne wirkliche
237  Züge der Natur wiedergebe. Zwar vermöge die An-sich-
238  Eigenschaften nicht direkt zu erfassen, da sie weitgehend auf
239  bildliche Modelle angewiesen sei, die das dahinterstehende Wesen
240  der Mikrowelt nur verzerrt wiedergeben; aber eben die Erkenntnis
241  dieses Sachverhaltes ermögliche es, den komlementären Dualismus
242  von Welle und Korpuskel (in der von Westphal schon lange
243  vorgeshlagenen Weise) zu entschärfen: weder Welle noch
244  Korpuskel sind danach als adäquate Abbildung, sondern nur als
245  zwei verschiedene Beschreibungsweisen einer objektiven Wirklichkeit
246  aufzufassen, die selber weder Welle noch Teilchen ist. Auch die
247  Unschärferelation sei darin begründet, daß man unter den darin
248  verwendeten Begriffen " Ort " und " Impuls " nicht objektive,
249  sondern nur " zuschreibbare " Eigenschaften der
250  mikrophysikalischen Gebilde verstehen dürfe. Die Deutung der
251  Unschärferelation im Sinne einer seinsmäßigen Unbestimmtheit
252  sei verfehlt, es handle sich nur um eine Unbestimmbarkeit. Auf
253  keinen Fall dürfe auf Grund der Komplementarität Welle-
254  Korpuskel und Ort-Impuls der Schluß gezogen werden, daß es
255  die objektive physikalische Wirklichkeit nicht gebe. Ohne die
256  Annahme eines ontologischen Sinnes der Naturerkenntnis wären die
257  Operationen der Physik, auch der modernen, unverständlich.
258  Eine rein phänomenale Physik im Sinne Machs *eh, in der die
259  Naturgesetze nur Strukturen des sinnlich Wahrgenommenen selbst
260  wären, habe es noch nie gegeben. Keine Physik könne endgültig
261  auf die Wirklichkeit verzichten. Der Physiker komme zwar nicht
262  immer an sie heran, aber sie bedinge seine Messungen und hänge
263  nicht von seinem Wissen ab. Gemeint sei von der Physik immer eine
264  von uns unabhängige Wirklichkeit an sich; das qualitative Wesen
265  der Wirklichkeit an sich verschließe sich der Physik,
266  physikalisch feststellbar seien nur die quantitativen Wirkungen.
267  Mit den mathematischen Formulierungen der Physik werden aber
268  formale Bezüge der Welt an sich erfaßt, womit die
269  Wirklichkeitsbezogenheit der Physik gegeben sei. Gerade die
270  zunehmende Unanschaulichkeit der Physik verbürge nach Planck
271  die stärkere Annäherung an die Wirklichkeit. Hennemann
272  schließt seine die Physik betreffenden Ausführungen in den
273  beiden in der Reihe " Erfahrung und Denken " erschienenen
274  Schriften je mit einem leicht gekürzten Zitat aus meinem Aufsatz
275  " Ontologie als Wissenschaft vom Seienden " (Zeitschr.f.
276  philos. Forsch. 11, 1957, S. 574 f.), das ich im
277  vollen Wortlaut hierhersetzen will: " Der Verzicht auf alle
278  anschaulich gegebenen Qualitäten in der Physik (einschließlich
279  der geometrischen) führte dazu, daß als Einziges ein äußerst
280  kompliziertes Geflecht mathematischer Relationen zurückblieb.
281  Das bedeutet m.a.W., daß auch die Physik sich
282  völlig vom Standpunkt der Immanenzontologie zurückzog, daß sie
283  sich vom phänomenal vorliegenden Tatbestand weitgehend entfernte.

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