Quelle Nummer 419

Rubrik 10 : SPRACHE   Unterrubrik 10.02 : SPRACHWISSENSCHAFT

LINGUISTIK (WEISSGERBER)
LEO WEISGERBER
MUSS DIE LINGUISTIK DIE SPRACHWISSENSCHAFT BE-
KAEMPFEN?, S. 58-
IN: LINGUISTISCHE BERICHT 9, VIEWEG VERLAG BRAUN-
SCHWEIG 1970


001  Muß die LINGUISTIK die
002  SPRACHWISSENSCHAFT bekämpfen? Ein Jahr
003  " Linguistischer Berichte " liegt nunmehr vor. Die Hefte 1-6
004  entfalten ein Forschungsprogramm, das bei aller Eigenwilligkeit im
005  einzelnen wohl doch als ein Ganzes genommen werden kann, sowohl in
006  dem, was es einbezieht, wie in dem, was es draußen läßt. Vor
007  allem kann man daraus entnehmen, als was Linguistik sich selbst
008  versteht. Halten wir zunächst fest, daß hinter diesen Arbeiten
009  ein beachtlicher Anstoß wirksam ist: begrüßenswert in dem
010  Nachdruck, mit dem sprachliche Fragen aufgenommen und vorgestellt
011  werden, beneidenswert in dem Optimismus, mit dem sie die
012  gegenwärtige Lage des Universitätsunterrichts für einen so
013  wichtigen Gegenstand auszuwerten sucht, erfrischend in dem
014  Draufgängertum, mit dem die meisten der mitarbeitenden
015  " Studenten, Assistenten und Professoren " das Wort ergreifen zu
016  einem der ältesten Problemkreise menschlichen Nachdenkens. Aber
017  hier müssen wir wohl schon mit dem Lobe einhalten. Nicht nur weil
018  jede Lichtseite auch ihre Schattenseite hat, sondern vor allem,
019  weil allzu oft ein Anspruch durchschimmert, im schöpferischen
020  Jahre Null der Sprachforschung zu stehen. Es kann nur im
021  Interesse der " Linguistischen Berichte " selbst liegen, auch
022  von Anfang an auf die Kontinuität als unentbehrliche Grundlage
023  wissenschaftlicher Arbeit hinzuweisen und die notwendige
024  Einseitigkeit eines Voranstürmens in die Vielseitigkeit einer
025  dauerhaften Entwicklung einzufügen. So sollten auch aus den
026  Erfahrungen der Vorarbeiter, die nach dem ersten Weltkrieg mit
027  gewiß nicht minderen Plänen, Hoffnungen, Arbeitszielen ans
028  Werk gingen, zum mindesten die gegenwärtig bleiben, von denen
029  auch das Gelingen der gegenwärtigen Anstrengungen mit abhängt.
030  Jede Strömung steht vor der Notwendigkeit, sich zu rechtfertigen,
031  und ist damit natürlicherweise gezwungen, sich abzuheben
032  gegenüber anderen Ansätzen, insbesondere den gleichzeitigen oder
033  unmittelbar vorausgehenden. In dieser Lage sieht sich auch die
034  Linguistik und ihre Selbstzeugnisse müssen in den Zielsetzungen,
035  im pro und contra der Argumente, in der Einschätzung der
036  Ergebnisse, erkennen lassen, worin sie ihren Eigenwert
037  beschlossen sieht und weshalb sie den Nachdruck in einer oft nur ihr
038  durchschaubaren Weise verteilt. Faßt man die programmatischen
039  Äußerungen dieser Folge zusammen, so ist offensichtlich, daß
040  es sich um die Propagierung einer Methode handelt, einer Methode
041  mit Ansprüchen auf eine Wissenschaft, auf die Organisation des
042  wissenschaftlichen Betriebes und auf den Studienaufbau der
043  Hochschüler. Da das Vorhaben mit der ganzen Überzeugtheit des
044  " Richtigen " vorgebracht wird, kann es nicht ausbleiben, daß
045  andere " Richtigkeiten " auf den Plan gerufen werden und daß die
046  an sich begrüßenswerten Auseinandersetzungen schließlich auf
047  Überzeugungskämpfe hinauslaufen. Man muß alles tun, um solche
048  Situationen zu bändigen. Gut wäre es, wenn man von Anfang an
049  ein einigermaßen übersichtliches Bild von dem hätte, was
050  Linguistik ist und will. Aber das ist wohl zuviel verlangt.
051  Linguistik fühlt sich mehr als Disziplin im Werden, die sich als
052  Sammelbecken für " moderne " Strömungen anbietet.
053  Festzustehen scheint dreierlei: im Grunde möchte sie sich noch
054  als Teil der Sprachwissenschaft auffassen (HARTMANN V);
055  linguistische Qualitäten erwachsen aus Methoden und
056  Zielsetzungen (ebd.), wobei als besonders förderlich
057  erscheinen ein sichtbarer Einschlag naturwissenschaftlich
058  " exakter " Methoden und die Patenschaft einer der amerikanischen
059  Linguistiken, die das Vorrecht verleiht, sich von " altmodischen "
060  " Sprachforschern " als Linguist zu distanzieren. Nun mag
061  man das zu den Äußerlichkeiten rechnen, die man nicht ernster
062  nehmen soll, als sie sind. Wesentlich ist, was dahinter an
063  Anspruch und Leistung steht. Am erwünschtesten wäre es, wenn
064  man sich in der Position des Entdeckers eines noch unbebauten
065  Forschungsgebietes und vor allem des Verfechters von Aufgaben
066  sehen könnte, die trotz ihrer großen Tragweite bisher nicht
067  beachtet wurden. Das wäre einfach, wenn es nicht schon seit
068  geraumer Zeit so etwas wie eine Sprachwissenschaft gäbe. Mit
069  dieser müßte man sich also im Grunde messen. Da aber die
070  Linguistik wenig Neigung zeigt, sich unter die Entwicklungsformen
071  der Sprachwissenschaft einzugliedern, und doch unverhohlen am
072  liebsten deren Platz einnehmen würde, so machen sich -
073  vielleicht anfangs gar nicht so geplant - zwei Tendenzen bemerkbar,
074  die schließlich Zweifel am wissenschaftlichen Ernst oder an der
075  unentbehrlichen Weitsicht dieser Schule hervorrufen: die Neigung
076  zur Verabsolutierung der eigenen Position und die Unbedenklichkeit
077  im Herabstufen vorgefundener Leistungen. Da beides
078  lebensgefährlich für die aufstrebende Disziplin wäre, so müssen
079  Thesen und Ergebnisse der Linguistik kurz daraufhin gesichtet
080  werden. Am großzügigsten verfährt wohl H. WEINRICH,
081  wenn er aus eigener Machtvollkommenheit eine allgemeine
082  Linguistik an die Stelle der allgemeinen
083  Sprachwissenschaft setzt. Man könnte darin eine " bloße "
084  Umbenennung sehen, wenn nicht die Ausführungsvorschriften zeigten,
085  daß es nicht nur darum geht, die Sprachwissenschaft in
086  eine Linguistik zu verfremden, sondern tatsächlich einen
087  mit dem Phänomen Sprache gegebenen Forschungsbereich so
088  einzuschränken, daß es besser ist, nicht mehr von einer
089  Sprachwissenschaft zu reden. Das setzt ein damit, daß mit F.
090  de SAUSSURES Aufwertung der Sprachbeschreibung eine
091  neue strukturale Linguistik notwendig geworden sei, die " sich als
092  Teil einer allgemeinen Zeichentheorie (Semiotik) versteht und
093  sich vor allem fragt, wie die sprachlichen Zeichensysteme
094  funktionieren " (70). Da die theoretischen Grundlagen eines
095  solchen Strukturalismus für alle Sprachen gleichartig sind, hat
096  sich die Erforschung der Einzelsprachen aufzuspalten in eine
097  übergreifende allgemeine Sprachtheorie und deren Anwendung auf die
098  konkrete Einzelsprache. Eine so gewonnene allgemeine Linguistik
099  soll sich dann entfalten zu einer " semiotischen Anthropologie ",
100  die darüber Auskunft geben soll, wie der Mensch sich mit dem
101  " Zeichensystem seiner Sprache (...) in der Welt orientiert ". Was
102  H. WEINRICH hier im Auge hat, ist alles schön und
103  recht. Aber daß aus den Notwendigkeiten einer ausreichenden
104  Sprachbeschreibung in solchen Schritten eine allgemeine Linguistik
105  entstehen sollte, die den Platz einer allgemeinen
106  Sprachwissenschaft einnehmen könnte, ist eine reine
107  Selbsttäuschung, oder man muß eben Sprachwissenschaft reduzieren
108  auf eine Theorie der Grammatik, und das wäre ein unangemessenes
109  Ende. Es ist kennzeichnend, wie eine solche Schmalspurlinguistik
110  Hand in Hand geht mit einem Unverständnis für die Kernaufgaben
111  der allgemeinen Sprachwissenschaft, das oft an Abwertung und
112  Herabsetzung grenzt. H. WEINRICH wird bei aller
113  berechtigten Hochschätzung F. de SAUSSURES sicher
114  nicht behaupten wollen, daß der Cours de linguistique g‚n‚rale
115  ein Anfang war. Und wenn er schon aus der Aufgabe einer
116  wissenschaftlichen Sprachbeschreibung das treibende Motiv einer
117  allgemeinen Linguistik ableitet, so wäre zum mindesten auch ein
118  Hinweis angebracht, daß es noch andere, ältere, weiterreichende
119  Schichten allgemeiner Sprachwissenschaft gibt. Und daß etwa
120  gleichzeitig mit der stärkeren Wirksamkeit F. de
121  SAUSSURES eine Renaissance der Grundgedanken des
122  Begründers der allgemeinen Sprachwissenschaft, Wilhelm von
123  HUMBOLDTS einsetzt. Geschichtliche Tatsache ist
124  jedenfalls, daß die Begründung des ersten Nachkriegslehrstuhls
125  für allgemeine Sprachwissenschaft in Bonn, (dessen Vorbild die
126  Einrichtung eigenständiger Forschungsstellen für allgemeine
127  Sprachwissenschaft in Köln und Münster erleichterte), erreicht
128  wurde dank der Überzeugungskraft, die von den wiedererweckten
129  Grundanschauungen HUMBOLDTS über das Sprachstudium
130  ausging. Nun kommen gerade aus " linguistischen " Kreisen manche
131  Einwände, die unverkennbar auf eine Herabsetzung dieser
132  sprachwissenschaftlichen Bemühungen hinauslaufen. Einer, der
133  besonderen Anklang zu finden scheint, erhebt Anklage, daß die
134  idealistische Sprachphilosophie schuld daran sei, daß die deutsche
135  Sprachforschung den an F. de SAUSSURE anschließenden
136  Strukturalismus nicht genug beachtet und dadurch den Anschluß an
137  den internationalen Trend verpaßt habe. Insbesondere habe das
138  Verlegen des Nachdrucks auf die geistige Seite der Sprache dem
139  Ausbau der Phonologie und der exakten, formalisierenden Methoden
140  im Wege gestanden. Ein solcher Vorwurf hört sich heute fast
141  erheiternd an, nachdem eine ganze Reihe der formalisierenden
142  Linguistiken mit hineingezogen ist in das Fiasko des Wettlaufs der
143  Übersetzungsmaschinen. Denn dabei wurde offenbar, wie hilflos
144  die überzüchteten Formanalysen trotz allen logistischen und
145  mathematisierenden Stützen den Problemen der Konstitution und der
146  Aufbaugesetze der Sprachinhalte gegenüberstehen. Wenn heute auf
147  weiten Umwegen ein Anschluß an die Semantik gesucht wird, so
148  sollte man wenigstens eingestehen, daß nach dem Ende des ersten
149  Weltkrieges das Mühen um die geistige Seite der Sprache eine
150  mindestens ebenso notwendige und berechtigte Entwicklungsrichtung
151  der allgemeinen Sprachwissenschaft war wie die dem Zentrum der
152  Sprache ferner stehenden Gestaltfragen von Phonologie und
153  Formanalyse. Wie bescheiden der Ausschnitt aus der allgemeinen
154  Sprachwissenschaft ist, den die Linguistik verabsolutieren möchte,
155  zeigt sich deutlich, wenn wir den Vorstellungen nachgehen, unter
156  denen die Linguistik sich im Rahmen der Wissenschaften sieht.
157  Als wir uns nach dem ersten Weltkrieg ein Bild von dem Standort
158  der Sprachwissenschaften zu machen suchten, war eine der
159  Grunderfahrungen der Gegensatz, der zwischen der tatsächlichen
160  Bedeutung der Sprache im Menschenleben und ihrer
161  wissenschaftlichen Ausschöpfung bestand. Das war damals der
162  Anstoß zur Wiederaufnahme der allgemeinen Sprachwissenschaft.
163  In den beiden Etappen der zeitgemäßen Erforschung der inneren
164  Sprachform (seit PORZIG 1923) und der Suche nach der
165  " Stellung der Sprache im Aufbau der Gesamtkultur " (1932),
166  mühte sie sich, den Weg zu einer vollgültigen Sprachwissenschaft,
167  in ihren vielfältigen Zusammenhängen mit Wissenschaft und
168  Leben, zu bahnen. Als sich nach 1945 die Wissenschaft wieder
169  frei entfalten konnte, war es unmittelbar möglich, diese Gedanken
170  in die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion zu bringen,
171  und niemand wird den Aufschwung leugnen wollen, den das
172  Bewußtsein von der Bedeutung des sprachlichen Einschlags im
173  menschlichen Leben erfuhr. Und es zeigte sich auch, daß damit
174  eine geeignete Plattform für die Erforschung der einzelnen
175  Sprachen gegeben war. Das, was die Aufgabe der allgemeinen
176  Sprachwissenschaft ist, war sachgemäß vorbereitet: die
177  " Prinzipienlehre " für die konkrete Erforschung der einzelnen
178  Sprachen; die unentbehrliche Verbindung zu den philosophischen,
179  soziologischen und psychologischen Grunddisziplinen; die
180  methodische und sachliche Zusammenarbeit mit den anderen
181  Wissenschaften vom menschlichen Geistesleben; die Auswertung der
182  erarbeiteten Erkenntnisse an den wichtigsten Stellen von
183  Sprachpsychologie, Sprachpädagogik, Sprachheilkunde, der
184  Nachweis der sprachlichen Wirkungen im öffentlichen Leben usw..
185  Will jemand leugnen, daß hier die Zentralaufgaben der
186  allgemeinen Sprachwissenschaft vorliegen? Aber der Linguistik
187  scheint vieles davon nicht zu gefallen. Nicht nur in sachlichen und
188  methodischen Einzelheiten (darüber läßt sich jederzeit reden und
189  streiten) oder auch in terminologischen Fragen (obwohl sich immer
190  deutlicher zeigt, daß etwa P. HARTMANN mit seiner
191  geforderten " Entmythologisierung " den Teufel durch Beelzebub
192  austreiben wollte). Das Wesentliche ist, daß die Linguistik
193  ein legitimes Kind der inzwischen längst überholten meaning
194  -freien Sprachforschung ist und nun mit den amerikanischen
195  Vorbildern auf die Suche nach einem Ersatz für den
196  ausgeklammerten " Geist " gehen muß. Über die
197  wissenschaftsgeschichtliche Stellung der Linguistik müßte man ein
198  ganzes Buch schreiben. Für ihren Ertrag angesichts der Aufgabe
199  der allgemeinen Sprachwissenschaft, das Phänomen Sprache im
200  Bewußtsein der Wissenschaft und der Öffentlichkeit zu halten,
201  ist wohl doch ihre eigene Formulierung des Großzieles
202  charakteristisch: auf dem Wege eines möglichst alles
203  formalisierenden Strukturalismus in eine allgemeine Zeichenlehre
204  einzugehen, deren Anteil an einer " semiotischen Anthropologie "
205  weniger durch die Eigengesetze der Sprache, als durch die
206  logistischen und mathematisierenden Einschläge bestimmt sein wird.
207  Eine solche allgemeine Linguistik wird ziemlich spurlos an den
208  Wissenschaften, die es mit sprachlichen Phänomenen zu tun haben,
209  vorübergehen; sie ist auch nur beschränkt brauchbar für die
210  Zuordnung der Sprachwissenschaft zu bestimmten Fachschaften. Auf
211  keinen Fall rechtfertigen die Argumente, die sie aus dieser
212  Einseitigkeit ableitet, das abwertende Urteil, mit dem sie die
213  Bemühungen anderen Ursprungs (nicht zuletzt einer der
214  Gemeinschaftsform der Sprache angemessenen soziologischen
215  Betrachtungsweise) weithin herabsetzt. Ob ein Durchdenken unter
216  dem Gesichtspunkt der Lehrveranstaltungen (im Hinblick auf
217  bestimmte Prüfungsordnungen) die spärlichen Argumente so
218  verstärken kann, daß der Anspruch der Linguistik, das
219  beherrschende Zentrum der philologischen Studien zu sein,
220  überzeugend wird? Erfahrungen aus fünfzig Jahren erbringen
221  Zustimmung und Zweifel. Daß der allgemeinen Sprachwissenschaft
222  im Studium aller philologischen Fächer (und auch darüber hinaus)
223  eine besondere Stellung zukommt, liegt auf der Hand. Die
224  Notwendigkeit, dem Studium einer Sprache eine ausreichende
225  Begründung mitzugeben und dabei das, was alle Sprachen angeht,
226  in der sachgemäßesten, nachhaltigsten und erprobtesten Weise
227  einzubauen, wird von allen Sachkennern anerkannt und durch die
228  Vorschriften der Prüfungsordnungen bestätigt. Solche
229  Notwendigkeiten ohne Eingriffe in die Studienfreiheit
230  durchzusetzen, war früher aus inneren und äußeren Gründen
231  schwieriger als heute. Immerhin hatten nachdrückliche Verstöße
232  (wie die von mir im Auftrage der Indogermanischen Gesellschaft
233  1929 formulierten " Leitsätze zur sprachwissenschaftlichen
234  Ausbildung der Studierenden der Philologie ") soviel Erfolg,
235  wie aus dem reinen Gewicht der inneren Gründe ableitbar war.
236  Auch die Nachkriegszeit bot durchaus beachtliche Möglichkeiten.
237  Die Linguistik neueren Zuschnitts hat eine wesentlich verschiedene
238  Auffassung. Wer das Memorandum " Zur Reform des Studiums der
239  Linguistik und Literaturwissenschaft " (2 70 ff) liest, spürt
240  auch hier etwas von der Geisteshaltung des Jahres Null. Nun
241  haben auch wir seit Jahrzehnten uns genug um sachgemäße Lösungen
242  für die Sprachprobleme, von der Wissenschaftsorganisation bis zum
243  Schulunterricht bemüht, um unter der volltönenden Hülle, die
244  jedem Memorandum zukommt, die Stellen einer erwünschten
245  Begegnung von Forderung und Erfüllung aufzuspüren. Aber wie
246  sind die Aussichten einer auch nur annähernden Realisierung?
247  Ich will nicht auf den Berg von Schwierigkeiten, (angefangen von
248  der Aufsprengung der Philologien, die schließlich nicht nur in
249  zwei Hälften aufteilbare und an andere Schwerpunkte anschließbare
250  Ausschnitte sind) hinweisen, der durch utopische Forderungen
251  nicht abgetragen, sondern höchstens erhöht wird. Es genügt in
252  unserem Zusammenhang, auf die linguistischen Kernpunkte
253  hinzuweisen. Der Plan hängt offenbar an der " Voraussetzung,
254  daß das Studium der Linguistik unter die zentralen Gesichtspunkte
255  der Methodologie und Sprachtheorie gestellt wird " (Thesen zur
256  Linguistik 6, 5 71). Hier ist also die Feststellung unseres
257  Ausgangs, daß die Linguistik sich im Grunde als Methode
258  versteht, bestätigt. Aber welches ist diese Methode, die
259  bestimmend am Anfang jedes Sprachstudiums stehen und sich
260  entsprechend in jedem Schulunterricht auswirken soll? Nach P.
261  HARTMANN sind die Methoden der Linguistik " nicht primär "
262  historisch oder kulturkundlich orientiert, sondern strukturell,
263  " formal ", systematisierend und somit, eventuell, technologisch
264  verwendbar (3 70). Nun weiß jeder, daß diese Methoden der
265  Linguistik noch so im Fluß sind, daß sich in rascher Folge die
266  Entwürfe ablösen. Was gilt noch von den hochgepriesen
267  amerikanischen Linguistiken der fünfziger Jahre? Lohnt es,
268  auch den komputerbezogenen Linguistiken nachzugehen, die auf das
269  utopische Ziel der Übersetzungsmaschinen abgestellt waren? Und
270  die Forsetzungen? Für den Sachverständigen ist es durchaus
271  interessant, mit welcher Akrobatik manche Linguistiken den Geist,
272  der bei ihrer Geburt ausgetrieben wurde, wieder einzufangen
273  suchen. Aber sollen sie als Lehrgegenstände der Linguistik mehr
274  als Tagesdauer erhalten?

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