Quelle Nummer 403

Rubrik 10 : SPRACHE   Unterrubrik 10.01 : LEHRBUECHER

FRANZOESISCHER SPRACHHUMOR
WILLY MESSMER
FRANZOESISCHER SPRACHHUMOR
FERD. DUEMMLERS VERLAG, BONN 1970, S. 28-


001  Es gibt sehr unterschiedliche Nasen. Un nez camus
002  oder camard, eine plattgedrückte Stumpfnase, paßt
003  ebensowenig zu einem ebenmäßigen Gesicht wie un nez pointu,
004  eine Spitznase, wogegen un nez retrouss‚, eine
005  Stupsnase, vor allem der jungen Damen manchmal ganz gut zu
006  Gesicht steht, vorausgesetzt, sie ist nicht so hochgestülpt,
007  daß es in die Nasenlöcher (les narines) regnet. Le
008  nez aquilin, die kühn geschwungene Adlernase, und le nez
009  romain, die ähnlich geformte Römernase, verleihen dem
010  Gesicht einen aristrokatischen Zug, während le nez busque
011  1, die Hakennase oder Sattelnase, ein mehr
012  raubvogelartiges Aussehen bewirkt. Wer mit einer nez comme une
013  betterave oder comme une pomme de terre, einer Rüben
014  nase oder Kartoffelnase,gesegnet ist, braucht für den
015  Spott nicht zu sorgen. Während die eben erwähnten Nasenformen
016  angeboren sind, ist z. B. die Säufernase dem Menschen
017  nicht von Natur aus verliehen, sondern er hat sie vielmehr durch
018  eigenes Zutun bekommen. Köstlich sind die französischen
019  Entsprechungen für Schnapsnase. Weil der dem Alkohol ergebene
020  Trunkenbold seine Nase wie eine Pflanze begießt, und zwar
021  jedesmal, wenn er zu tief ins Glas guckt, bekommt er mit der Zeit
022  eine blühende Nase, un nez fleuri, er wird zum Herrn mit
023  der Schnapsnase, le monsieur au nez fleuri. Aber nicht
024  nur zum Blühen bringen die geistigen Getränke die Nase; diese
025  wird sogar zum Leuchten und Blühen gebracht und zur nez
026  enlumin‚ (von lat. lumen, Licht, Leuchte)
027  aufgewertet. (Abb.) Le nez fleuri wird in einem weniger
028  fortgeschrittenen Zustand auch nez bourgeonnant genannt, d.h.
029  Knospen treibende Nase, von le bourgeon, die
030  Knospe. Es versteht sich fast von selbst, daß die Nase -
031  ähnlich wie bei uns - für allerhand Redensarten herhalten muß.
032  So klagt zum Beispiel ein Soldat, den der chien de quartier,
033  der Kasernenhund oder Spieß, im Soldatenjargon auch le
034  juteux, der " Saftige ", genannt, nicht riechen kann:
035  le juteux m'a dans le nez, er hat mich in der Nase. Er
036  könnte auch ohne weiteres sagen: il ne peut pas me sentir,
037  er kann mich nicht riechen, was immer noch mit der Nase zu tun
038  hat. Aber auf diese kommt es nicht unbedingt an, denn il ne
039  peut pas me voir hat genau denselben Sinn. Und wenn es sich um
040  eine besonders starke Abneigung handelt, dann heißt es: il
041  ne peut pas me voir en peinture, d. h., er kann mich so
042  wenig leiden, daß er mich nicht einmal gemalt oder porträtiert
043  sehen kann. Und wenn es möglich wäre, würde der ungerecht
044  Behandelte, … qui la moutarde monte au nez, dem also
045  ganz allmählich der Senf in die Nase steigt, d. h., der
046  die Wut kriegt, dem Kompaniegewaltigen zu Leibe rücken, und die
047  beiden würden sich dann in den Haaren liegen: ils se
048  mangeraient (oder noch kräftiger ils se boufferaient)
049  le nez, d. h., sie würden so eng aneinander geraten,
050  daß sie sich gegenseitig die Nase auffräßen; - natürlich
051  nicht aus Liebe. Aber in Liebe werden am Jüngsten Tag die
052  berühmten Liebespaare der Weltgeschichte beisammen sein, und zwar
053  nez … nez, Nase an Nase, was noch inniger ist als
054  nur tˆte … tˆte, unter anderen auch
055  Antonius und die schöne Kleopatra, - so singt es uns auf jeden
056  Fall die Saeur Sourire in einem ihrer chansons.
057  Von dem nez … nez der Liebespaare abgesehen, enthält
058  dieser Ausdruck sehr oft einen Überraschungseffekt: je me
059  suis trouv‚ tout d'un coup nez … nez avec lui, ich bin
060  ihm plötzlich " Nase an Nase " begegnet, was immer unerwartet
061  ist und angenehm oder unangenehm sein kann, je nachdem. Je me
062  suis cass‚ le nez bedeutet weniger: ich habe mir die Nase
063  zerschlagen, als vielmehr: ich habe Pech gehabt, oder ich habe
064  jemand zu Hause nicht angetroffen,ich habe verschlossene Türen
065  vorgefunden, wörtlich: ich habe mir die Nase (an der
066  verschlossenen Türe) angeschlagen. Das ist natürlich bei weitem
067  nicht so schlimm, wie wenn ich sagen muß: je me suis casse
068  1 la gueule, ich habe mir die " Schnauze " angeschlagen,
069  ich bin auf das Maul gefallen, oder wenn mir einer sogar Riech
070  werkzeuge und Eßwerkzeuge bearbeitet, so daß ich
071  eingestehen muß - und in diesem Fall stehen einem im
072  Französischen einige ganz kernige Wendungen zur Verfügung:
073  on m'a cass‚ la figure, und stärker noch: on m'a
074  cass‚ la gueule, man hat mir die Fresse zerschlagen, oder
075  die burschikose Redensart: on m'a abŒm‚ le portrait,
076  man hat mir die Visage " zertöppert ". Casser la
077  figure und casser la gueule haben im allgemeinen keine
078  lebensgefährlichen Folgen. Anders ist es bei casser sa pipe
079  (wörtlich: seine Pfeife zerbrechen), weil das soviel
080  bedeutet wie " ins Gras beißen ". Diese Bedeutung
081  erklärt sich vielleicht daraus, daß in den Schießbuden der
082  Jahrmärkte und Rummelplätze auf tönerne Pfeifen geschossen wird.
083  Das Substantiv casse-pipe ist das Argotwort für
084  Krieg und Schießhalle. Eine Verwechslung der Nase
085  mit den Hinterbacken kommt einem schweren Irrtum gleich: il
086  prend son nez pour ses fesses, er hält seine Nase für sein
087  Hinterteil, d. h., er irrt schwer, er bifindet sich auf dem
088  Holzweg. Und weil es vom Holzweg zur Enttäuschung und von da
089  zum langen Gesicht nur ein Schritt ist, deshalb dürfen jetzt die
090  entsprechenden locutions nicht fehelen. So wie jemand
091  " ein langes Gesicht macht ", wenn er enttäuscht ist, so macht der
092  Ärger auch die Nase lang und spitz. Deshalb die französischen
093  Wendungen für " ein langes Gesicht machen ": allonger le
094  nez, avoir le nez long, faire un nez long. Mit der Nase
095  haben noch die folgenden zwei Wendungen zu tun: Cela se voit
096  comme le nez au milieu du visage, das sieht man wie die Nase
097  mitten im Gesicht, das läßt sich nicht verbergen; und
098  schließlich sagt man von einem, der höher hinaus will, als er
099  dazu in der Lage ist: il veut ‚ternuer plus haut que son
100  nez, wörtlich: er will höher niesen als seine Nase. Zu
101  nez gehört un morveux, zur Nase gehört die
102  Rotznase. Und wem la morve oder les humeurs tombent du
103  nez, doit se moucher, der soll sie gefälligst schneuzen. Das
104  Wort mouchard bedeutet nicht etwa " Schneuzer ", hat
105  also nichts mit se moucher und le mouchoir
106  (Taschentuch) zu tun, sondern ist von la mouche, die
107  Fliege, abgeleitet und bedeutet Spion oder Polizeispitzel
108  (espion oder d‚nonciateur). Für
109  mouchoir heißt es in der Pariser Volkssprache manchmal auch
110  tire-sauce oder tire-jus (vgl. tire
111  -bouchon, Korkzieher). Von der Nase ist es nicht weit
112  zum Mund, und für ihn hat die französische Umgangssprache ebenso
113  saftige Ausdrücke wie die deutsche. Am gebräuchlichsten sind
114  wohl la gueule - die Schnauze und le bec -
115  der Schnabel. Während das Wort gueule für
116  bouche (des hommes) kein geziemendes Wort ist und casser
117  la gueule … qn., jemandem die Schnauze vollhauen, ein
118  ziemlich derber Ausdruck ist, gilt les gueules cass‚es,
119  was wörtlich " zerschlagene Schnauzen " heißt, seit
120  vielen Jahren als der offizelle Titel des Verbandes jener
121  ehemaligen Frontkämpfer, deren Gesichter durch
122  Kriegsverletzungen verstümmelt worden sind. Les gueules
123  noires, die kohlschwarzen Schnauzen, ist die neuerdings
124  aufgekommene Bezeichnung für les mineurs, die Bergleute,
125  die in Kohlengruben arbeiten und die im Deutschen Kumpel
126  genannt werden. Une bonne gueule ist eine sympathische
127  " Schnauze ", ein gutmütiges Gesicht, dagegen versteht man unter
128  sale gueule das genaue Gegenteil, nämlich eine " eklige
129  Fresse ", die höchst unsympathisch und abstoßend ist. Für
130  sale gueule kann man in ordinärer Ausdrucksweise noch sagen:
131  un d‚gueulasse, ein widerlicher Kerl. D‚
132  gueuler ist das vulgäre Pendant zu dem salonfähigen vomir,
133  sich übergeben. Engueuler qn. heißt jemanden
134  anschnauzen, das Hauptwort dazu ist die engueulade, das
135  oft abgemildert wird zu enguirlandade. Un gueulard
136  ist eine Großschnauze, aber auch die obere Öffnung eines
137  Hochofens, ein Ausdruck, bei dem man an das lat. gula
138  Cerberi, der Höllenschlund, denken kann. Und weil gula
139  bei den Römern neben Schlund, Kehle auch noch Gaumenlust
140  und Schlemmerei bedeutete, ist es verständlich, daß gueulard
141  noch eine weitere Bedeutung, nämlich die von gourmand,
142  Vielfraß annehmen konnte, was nicht mit gourmet,
143  Feinschmecker, verwechselt werden darf. Einen solchen kann man
144  jedoch ohne weiteres une fine gueule nennen. Un
145  gueuleton ist eine gute und reichliche Mahlzeit - un repas
146  copieux - oder auch un banquet, d. h. ein
147  offizielles Festessen, gueuletonner heißt einen
148  Festschmaus halten oder prassen. Im Unterschied zu dem ziemlich
149  handfesten Ausdruck ferme ta gueule, halt deine Schnauze,
150  gehört ferme ton bec, halt deinen Schnabel, mehr der
151  gehobenen Sprache an. un blanc-bec est um jeune homme qui
152  croit savoir tout et ne sait rien - ein junger Mensch, der
153  alles zu wissen glaubt und (in Wirklichkeit) nichts weiß; im
154  Deutschen nennt man diese Sorte von Menschen Grünschnäbel.
155  Il est tomb‚ sur un bec bedeutet: il n'a pas r‚
156  ussi, er hat keinen Erfolg, oder er hat sogar Pech gehabt,
157  wie einer, der auf der Straße geht und beim Gehen mit dem Kopf
158  an einen Laternenpfosten rennt. Eine Straßenlaterne hieß
159  nämlich früher un bec de gaz. An diesem Wort bec de
160  gaz erkennt man, daß nicht nur der Vogel einen Schnabel hat,
161  sondern auch Gegenstände. So spricht man nicht nur von bec de
162  gaz, sondern auch von bec d'un pot, bec d'une casserole
163  usw.. Bei den letztgenannten Wörtern kann man bec
164  nicht mit Schnabel übersetzen, die richtige deutsche
165  Bezeichnung heißt hier Schnaube. Es ist nicht schwer zu erkennen,
166  daß das Wort Schnaube mit Schnauze
167  zusammenhängt, daß aber auch das Wort Schnabel mit
168  hinein spielt. Les dents - die Zähne Von
169  einem, der Unmögliches erreichen möchte, sagt man: il veut
170  prendre la lune avec les dents, er will den Mond mit den
171  Zähnen fassen. Avoir les dents longues heißt lange
172  Zähne haben oder anspruchsvoll sein. Auch in Frankreich scheinen
173  die Honorare der dentistes ziemlich hoch zu sein, weshalb
174  ein Schüler folgendes schrieb: " Une dent cari‚e est
175  une dent qui revient cher " - ein hohler Zahn ist ein Zahn,
176  der teuer zu stehen kommt. Anscheinend haben es die Zahnärzte,
177  die sogenannten arracheurs de dents (die Zahnausreißer),
178  mit der Wahrheit nicht allzu genau genommen, als sie in früheren
179  Zeiten auf Messen und Jahrmärkten ihre " zahnärztliche "
180  Kunst anpriesen, sonst würde manhheute nicht sagen: il ment
181  comme un arracheur de dents - er lügt, daß sich die Balken
182  biegen. Das Wort rƒtelier hat die Doppelbedeutung
183  Futterraufe und Gebiß. Einer, der mehr als
184  einen einträglichen Beruf ausübt, mange … deux rƒ
185  teliers - ißt an zwei Futterraufen. Ein Doppelverdienst
186  kann natürlich zeitlich begrenzt sein. Dagegen ist jeder Zahnarzt
187  eine Art von " Dauerdoppelverdiener ", denn il mange
188  toujours … deux rƒteliers. Le cou -
189  der Hals. Sauter au cou de qn. bedeutet nicht:
190  jemandem an den Hals springen, sondern genau das Gegenteil:
191  jemandem um den Hals fallen, wofür man auch sagen kann:
192  se jeter au cou de qn.. Bei uns hat man jemanden
193  auf dem Halse, in Frankreich on a qn. sur le dos
194  oder sur les bras. Den Deutschen hängt eine Sache
195  zum Halse heraus, die Franzosen sagen: nous en avons
196  par-dessus la tˆte, wir haben von der Sache genug
197  " bis über den Kopf hinaus ", - sie (die Franzosen) nehmen
198  beim schnellen Laufen ihre Beine an ihren Hals, ils
199  prennent leurs jambes … leur cou, wir dagegen nehmen sie in
200  die Hand. Der vordere Teil des Halses heißt: la
201  gorge - die Kehle, der Schlund. Rire … gorge
202  d‚ploy‚e, wörtlich mit " entfalteter " Kehle, d.h.
203  aus vollem Halse lachen. La gorge bedeutet auch
204  noch die weibliche Brust, der Busen, daher le soutien-
205  gorge (von soutenir stützen, halten). Elle a
206  mal … la gorge darf keinesfalls übersetzt werden: sie hat
207  Schmerzen am B (...) sondern: sie hat Halsweh. Trotz der
208  " femininen " Bedeutungseinengung von la gorge ist es auch
209  für einen Mann jederzeit möglich, de chanter … la gorge,
210  mit Bruststimme zu singen, de se rengorger et d' ˆ
211  tre rengorg‚, sich zu brüsten und blasiert zu sein. Doch
212  kommen wir jetzt zu dem allgemein üblichen Wort für Brust:
213  La poitrine. Die poitrine kann in eine rechte und in
214  eine linke Brust(hälfte) aufgeteilt werden: le sein droit
215  und le sein gauche. Les seins ist der Busen.
216  Schon im Lateinischen hat sinus neben Busen die
217  Bedeutung Schoß: in sinu est meo, er ist mein
218  Schoßkind. Auch im Französischen muß sein bisweilen
219  mit Schoß übersetzt werden. Kinder setzen sich aber nie
220  sur le sein de leur maman - das wäre furchtbar -,
221  sondern sur leurs genoux. Freude am Wortspiel zeigte jener
222  französische Bischof, der gebeten wurde, die eine nackte
223  Schönheit darstellende Statue vor irgendeiner cole des
224  Beaux-Arts einzuweihen und angesichts des " Evakostüms "
225  der " steinernen Dame " - er war nicht darauf vorbereitet
226  worden - mit folgenden Worten den Initiatoren eine Abfuhr
227  erteilte: " Je b‚nis les statues des saints, mais je
228  ne b‚nis pas les seins des statues " - ich weihe die
229  Statuen der Heiligen, aber ich weihe nicht den B (...) der Statuen.
230  Unter der Brust kommt le ventre - der Bauch.
231  Von ihm heißt es: Ventre affam‚ n'a pas d'oreilles,
232  ausgehungerter Bauch hat keine Ohren. Wer aus Eigensinn
233  nichts essen will, der trotzt mit der Schüssel oder schmollt mit
234  seinem Bauch, il boude contre son ventre. Bouder
235  bedeutet: Trotz und üble Laune zeigen. Es kann ersetzt werden
236  durch das volkssprachliche faire la tˆte (einen Kopf
237  machen) und das stärkere faire la gueule, das dem
238  nordbadisch-kurpfälzischen eine Schnute ziehen
239  entsprechen dürfte.

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