Quelle Nummer 384

Rubrik 12 : BILDENDE   Unterrubrik 12.01 : PRESSE

FAZ-FEUILLETON
FREITAG, 18.12.1970, NR.293, S. 13 (SCHAUSPIELE)


001  Mariechen auf dem Stein. Wolfgang Hildesheimers
002  " Mary Stuart " in Düsseldorf. Geschichte, sagt Hildesheimer,
003  sei absurd; wer möchte ihm da widersprechen. Nur zeigt sich,
004  sowohl in seinem neuen Stück, das bei seiner Uraufführung im
005  Düsseldorfer Kleinen Haus einen Achtungserfolg errang, wie in
006  seinem erläuternden Essay (abgedruckt in F. A. Z. vom
007  12.12.1970), daß ihr mit dieser Kategorie nicht
008  hinreichend beizukommen ist. Sie gibt sich tiefsinnig und umfassend,
009  ist aber das Gegenteil von beidem, jedenfalls ungeeignet,
010  Erkenntnis zu fördern. An ihr ist Hildesheimer freilich -
011  soweit es " Geschichte " angeht - nichts gelegen, denn wir
012  sollten " uns entschließen, der Geschichte nicht zu glauben und
013  daher nichts aus ihr zu lernen ". Warum? Weil " über die
014  Französische Revolution hinaus und hinein ins Zeitalter des
015  Absolutismus (...) dichter Nebel in der Seelenlandschaft " der der
016  Agierenden herrsche. Als ob die behauptete Unbeantwortbarkeit der
017  Frage " nach dem Innenleben einer historischen Figur " der
018  entscheidende Ansatzpunkt wäre, Geschichte für die Nachwelt
019  transparent zu machen. Indessen, wir haben es nicht mit dem
020  Geschichtsfatalisten Hildesheimer zu tun, sondern mit dem
021  Stückeschreiber, der sich über seine Theorien schon dadurch
022  souverän hinwegsetzt, daß er eine " historische Szene " schrieb,
023  die, ganz im Gegensatz zu seiner eigenen Behauptung, weder ohne
024  Deutungen und spezifisch Hildesheimerische Interpretationen
025  auszukommen vermag noch ohne Vorstellungskraft. Hildesheimer
026  beschreibt die letzten zwei Stunden im Leben der Mary Stuart;
027  er demontiert eine historische Gestalt gerade dadurch, daß er vor
028  den Augen und Ohren der Zuschauer deren historisches Image
029  indirekt (und karikiert) durch psychologisch deutbare
030  Reaktionsweisen und Rückerinnerungen wieder herstellt. Auch sein
031  " historisches Stück " - und er hielt sich weitgehend an die
032  bezeugten Fakten - kommt weder aus ohne die Legende Mary Stuart,
033  die das Faktische mittlerweile überlagert, noch - ohne
034  Hildesheimer und seine Denkweise selbst. Die Behauptung, dieses
035  Stück sei der Versuch, ein " absurdes Geschehen auf die Bühne
036  zu verlagern, das, so unwahrscheinlich es auch sei, stattgefunden
037  haben muß ", bleibt leer, weil ihr das entscheidende
038  Wort " so " fehlt. Hildesheimer schrieb mithin kein Stück,
039  das das Publikum, wie von ihm erhofft, dazu einladen könnte,
040  Geschichte " objektiv und wertfrei zu betrachten ". Er schrieb
041  ein Hildesheimersches Stück. Dagegen ist freilich nichts zu
042  sagen. Die Arena-Bühne, eingerichtet von Kasimir Wisniak,
043  zeigt mit historisierender Akrible den Hinrichtungssaal in
044  Schloß Fortheringhay, dunkel in der Tönung; Baldachine links
045  und rechts über den Zuschauerreihen. Im Hintergrund, auf einer
046  Estrade, der Richtblock, auf dem Mary beim Aufgehen des
047  Vorhanges sitzt, nachlässig gekleidet, in frommer Pose, die
048  Hände inbrünstig zum Gebet gegeneinandergehalten: ein gotisches
049  Gemälde. Die Spielfläche vorn liegt etwas unterhalb des
050  Niveaus der Zuschauerreihen - ein glücklicher Einfall. Mit
051  einer Laterne in der Hand tritt suchend der Henker auf, den Dom
052  de Beern mit bestechender Nüchternheit und einer Sachlichkeit
053  spielt, die ihre eigene Würde besitzt: der Tod als
054  ebenbürtiger Partner einer todessehnsüchtigen Königin. Der
055  Henker wird begleitet von seinem stummen Helfer, der den Karren
056  mit den Utensilien zieht. Ihm, dem Scharfrichter, gehören die
057  ersten Worte: " Kalt hier, wie? Wo ist man hier? Ich habe
058  vergessen, wie das hier heißt. " Damit will Hildesheimer
059  offenbar die Ubiquität des dramatischen Vorgangs andeuten, ihn
060  als Modell kenntlich machen, was später durch eine Einbeziehung
061  der Zuschauer unterstrichen wird. Zunächst macht sich Mary mit
062  dem Partner ihrer letzten Stunde vertraut. Sie staunt über
063  dessen Kenntnis katholischer Gebete; sie ist versessen darauf,
064  das Richtbeil zu berühren; sie läßt ihn teilhaben an ihren
065  Erinnerungen an glücklichere Zeiten, kehrt die Königin vor ihm
066  heraus. Eine hektische Geschäftigkeit überkommt sie, mit
067  Ausläufen ins Grotesk-Markabre, das sie lachen macht. Der
068  Henker schätzt sie ab: wie steht es mit der Härte des
069  Wirbelknochens, wie mit der Haltbarkeit der Haare? Er
070  entwickelt im Gegenzug ein respektgebietendes Bild seines
071  Berufsstandes; die Gleichheit vor dem Tode. Eine trotz ihrer
072  Langatmigkeit fesselnde Introduktion, von der etwas
073  Alpentraumhaftes ausgeht. Möglicherweise mehr, als es
074  Hildesheimer lieb ist, denn unüberhörbar sind einige
075  Zwischenbemerkungen, die der Düsterkeit der Szenerie offenbar
076  eine grausig-ironische Märchenphantastik entgegensetzen sollen.
077  " Mariechen saß auf einem Stein ", sagt der Henker einmal.
078  Nebengleis des Skurrilen als Erinnerung an den Hildesheimer
079  früherer Stücke. Bald belebt sich die Szene mit den dienstbaren
080  Geistern der Königin: Zofen, Diener, der Sekretär, der
081  Arzt, der Apotheker. Die Königin wird hergerichtet für ihr
082  große Stunde. Auf der Chaise perc‚e, das Unterkleid zur
083  Verrichtung der Bedürfnisse zurückgeschlagen, diktiert sie
084  letzte Briefe, die nicht geschrieben werden, läßt sie sich
085  schminken, sieht in den Spiegel, läßt taumelnd zwischen
086  hochfahrendem Stolz und verzweifelter Demut das Zeremoniell des
087  Ankleidens an sich geschehen. Sie erhält Beruhigungspillen und
088  Getränke, die sie wieder aufputschen; allmählich vollzieht sich
089  der Wandel vom Subjekt zum Objekt. Bald ist sie nicht mehr, die
090  sie war. Die Dienerschaft rauft sich um ihre letzte Habe, den
091  Schmuck. Die Kassette wird nach und nach geplündert; obszöne
092  Szenen und Rüpelszenen entwickeln sich zur Hauptsache der
093  Handlung. Wenn die Ständer mit dem Festgewand und der Perücke
094  hereingetragen werden, der wächserne Mary-Kopf darunter, wie
095  aus dem Kabinett der Madame Tussaud, ist die Königin Mary
096  selbst schon zu einer Puppe ihres eigenen Lebens geworden. In all
097  diesen Phasen entwickelt Maria Becker eine unheimliche Präsenz
098  und Wandelbarkeit. Ihre Stimme wechselt von selbstsicherer
099  Festigkeit bis zu hysterischen Schwingungen; sie bricht in
100  exaltiertes Lachen aus und ist dann plötzlich von unantastbarer
101  Würde. Ihr Todesantlitz wird verzerrt sichtbar wie das Gemälde,
102  geschaffen für die Ahnengalerie. Sie ist häßlich klein, und
103  sie ist schön, sie wankt auf ihren kranken Beinen und zwingt sie
104  wieder in ihren Willen. Distanz und Überwältigung sind
105  gleichermaßen in der Körperhaltung und im sprachlichen Ausdruck
106  vorhanden. Nur hin und wieder setzt sie ihre Mittel zu forciert
107  ein, wirkt sie ein wenig utriert. Was wäre Hildesheimers Stück
108  ohne eine so bedeutende Protagonistin? Unleugbar enthält es
109  schwache, durchhängende Partien, in denen sogar in dieser
110  brillant disponierten Inszenierung von Konrad Swinarski und mit
111  dieser Schauspielerin Langeweile aufkam. Die Sprache ist glatt,
112  gefällig, kultiviert. Aber sie reicht, bei strengem Maßstab,
113  nicht an ihren Gegenstand heran, bestenfalls dann, wenn man ihn
114  nur unter dem Blickwinkel des Absurden sieht. Und sicher sind die
115  Hildesheimerischen Ausflüge ins Brutale und Dramatisch-
116  Bewegte, die in Morden im Hintergrund und in der turbulenten
117  Darstellung von Habgier, Neid und Untreue sich vollziehen,
118  dramaturgisch anfechtbar. Dennoch hat das Stück
119  Überredungskraft, besitzt es schöne und überraschende Partien,
120  zeigt es eine bemerkenswerte Geschlossenheit. Wäre das
121  Düsseldorfer Publikum nicht noch total verschreckt gewesen von
122  Dürrenmatts blutigen " Titus Andronicus " - es hätte,
123  darauf ließe sich wetten, kräftiger applaudiert. Und dies mit
124  Recht. Nochmals Ingolstadt. Marieluise Fleisser, die in
125  Ingolstadt beheimatete Dramatikerin, deren Schauspiel
126  " Pioniere in Ingolstadt " in einer Neubearbeitung kürzlich in
127  München gespielt wurde, erscheint mit ihrem 1926 in Berlin
128  uraufgeführten und seither nicht mehr gespielten Stück
129  " Fegefeuer in Ingolstadt " an den Wuppertaler Bühnen. Die
130  Autorin hat jetzt auch für dieses Werk eine Neufassung
131  fertiggestellt, die unter der Regie von Oberspielleiter Günter
132  Ballhausen im Frühjahr 1971 in Wuppertal zur Erstaufführung
133  kommt. Minna und Habana. Premieren in München:
134  Lessing und enzensberger. Ein klassisches Lustspiel mit einem
135  einfallsreichen Aufgebot von theatralischen Unsitten, eine
136  zeitgemäße Dokumentation unter radikalem Verzicht auf alle
137  theatralischen Wirkungen - zwei Münchner Premieren, Lessing
138  im Cuvilli‚stheater, Enzensberger im Werkraumtheater.
139  " Minna von Barnhelm " halten manche für veraltet, verstaubt,
140  für ein literarhistorisches Relikt, als hätten nicht bereits
141  Reinhardt und seine besten Nachfolger das Stadttheaterklischee
142  fröhlich weggespielt, als sei niemals mit der pseudopatriotischen
143  " Lessing-Legende " aufgeräumt worden. Gewiß, die
144  einstmals überraschenden Charaktere " von spezifisch temporärem
145  Gehalt ", den Goethe bewunderte, haben nicht zuletzt durch viele
146  Kopisten an Frische verloren, der penible Ehrenhandel zwischen
147  den Liebenden hat so etwas wie eine betuliche Patina bekommen -
148  wenn er ehrpusselig vorgebracht wird. Geblieben aber, aktuell
149  geblieben ist die zeitkritische Tendenz, der Hintergrund der
150  preußischen, deutschen, bürgerlichen Misere, der Zweifel an
151  der wohlbegründeten Ordnung des Staates, Lessings durchaus nicht
152  versteckter, obwohl elegant verzierter Affront, der seine
153  hellhörigen Zeitgenossen bestürzte. Kann " Das Soldatenglück "
154  von 1763 in der Epoche der grassierenden Umfunktionierungen noch
155  gespielt werden? Niels - Peter Rudolph versucht es auf
156  realistischer Basis, zeigt einen armseligen Gasthof, einen
157  abgerissenen Major, ein schlampiges Edelfräulein, einen schwer
158  verkommenen Abenteurer - enthüllt die Nachkriegsarmut, die von
159  der Powertee der gesellschaftlichen Zustände kommt. Der Graf
160  von Bruchsal, der den großen, Gerechtigkeit verbürgenden
161  König vertritt, wurde schlankweg gestrichen, da es mit der
162  " Güte " des Monarchen doch wohl nicht so weit her ist, wie die
163  helle Sächsin spöttisch andeutet. " Minna von Barnhelm "
164  etwas situiert wie Planchons " George Dandin ", was die
165  Wirklichkeit des Milieus des Personals, der Atmosphäre betrifft.
166  Doch dazu: " Kortner und die Folgen "; Detailfreude,
167  psychologische Genauigkeit, mimische Fülle in ungebändigter
168  Form. Die Anregungen des bedeutenden Mannes sind bei seinem
169  beflissenen Schüler zum Selbstzweck geworden. Plumpe, humorlose
170  Spielastik überdeckt die zutreffende Konzeption. Spricht
171  Tellheim von einem Fußfall, stürzt er längelang über die
172  eigenen Beine. Gerät Minna in freudige Erregung, setzt sie zur
173  Abkühlung die Teekanne an den Mund. Riccaut stiehlt silberne
174  Löffel und präsentiert den Damen seine mit Spielkarten
175  geschmückte Kehrseite; der Wachtmeister Werner prallt verliebt
176  gegen Türe und Wände; der Diener Just spuckt dem Wirt mitten
177  ins Gesicht. Und so fort. Mätzchen von Barnhelm. Der
178  Tonfall ist, als Gegensatz, vernünftig und natürlich, doch die
179  geistreiche, ironische Diktion wird durch Interjektionen zerrissen.
180  " Die Ehre ist - die Ehre ": Lessing artikuliert mit
181  einem Gedankenstrich, Rudolph mit unartikulierten Lauten.
182  Günther Malzachers Tellheim muß sich mit Migräne und Mißmut
183  begnügen. Barbara Nüsses Minna scheint ihre eigene Zofe zu
184  sein. Dafür gibt Anne-Marie Dermon der Franziska
185  Attitüden der Salondame. Ergebnis: auf die Art ist Lessing
186  in keiner Epoche spielbar. Beim " Verhör von Habana " stellen
187  sich solche Probleme nicht. Hans Magnus Enzensbergers
188  Tonbandverschnitt bietet geringe Regiemöglichkeiten.
189  Folgerichtig verzichtet Ulrich Heising auf Inszenierung. Er
190  gliedert den Text, verfügt, daß wir gleich mitverhört werden,
191  vermauert die Bühne kompakt, legt durchs Parkett von vorn bis
192  hinten mitten über die Sitzreihen einen Laufsteg, den die
193  Mannequins der Kubaner Hearings nach Bedarf betreten und
194  verlassen. Rechts und links von den Zuhörern flanieren die
195  Fragesteller. Die verblüffende Entlarvung kann beginnen und
196  erweisen, daß Besitzbürger gegen Enteignungen sind und ihre
197  üblen Absichten durch idealistische Phrasen zu tarnen pflegen.
198  Das ist alles, und Langeweile breitet sich aus, obwohl sich
199  Romuald Pekny, Traugott Buhre, Wilmut Borell und ihre
200  Partner aus beiden Lagern bemühen, Farbe in das Grau zu bringen.
201  Es sei vorgeschlagen, Lessings kritischer Theaterproduktion
202  wieder das Leben zuzuführen, aus dem sie, gleichfalls laut
203  Goethe, " gegriffen " worden ist - und Enzensbergers
204  mittlerweile arg ächzende Tonbänder dem Archiv des Hörfunks zu
205  überlassen. Dämonen wurden behäbig. Die
206  Erstaufführung von Dürrenmatts " König Johann " in Wien.
207  Warum läßt Dürrenmatt in seinem " König Johann " den Tod
208  des kleinen Arthur Plantagenet hinter der Bühne vor sich gehen?
209  Es ist das einzige Handlungselement des Shakespeare - Stücks,
210  das bei ihm nicht erweitert und unterbaut wurde, sondern im
211  Gegenteil an Gewicht und Nachdruck verloren hat. Im übrigen
212  läßt sich an seiner stupenden Bearbeitung studieren, wie man
213  historische Lücken ausfüllt, Charaktere zu Ende entwickelt,
214  Vorgänge motiviert, die von dem ursprünglichen Gestalter nur
215  unzureichend dargestellt wurden. Vor allem ergibt ein Vergleich
216  von Vorlage und Variante den genauen Unterschied zwischen einem
217  zweckfreien und einem engagierten Stück. So durchschlagend hat
218  Dürrenmatt an diesem überaus poetischen, aber dramaturgisch
219  schwachen Drama sein Recht des Stärkeren bewiesen, daß selbst
220  Shakespeare-Puristen sich ihm beugen müssen und Lessings
221  Satz, keine fremde Schönheit dürfe es wagen, sich neben eine
222  des Shakespeare zu stellen, außer Kraft gesetzt erscheint. Man
223  mag einwenden: nur weil hier nicht Schönheit, sondern
224  paradigmatische Wahrheit angestrebt wird. Zu solchen
225  Überlegungen gelangte man in Wien, als der " König Johann "
226  unter Vaclav Hudeceks Regie am Volkstheater zur Erstaufführung
227  kam. " Komödiantische Brillanz und politische Brisanz " wollte
228  der Regisseur gleichermaßen zum Ausdruck bringen, mehr noch aber
229  den Witz, der diesem so sarkastischen wie beweiskräftigen Werk
230  zugrunde liegt. Ein Geniestreich schon seine Besetzung der beiden
231  feindlichen Könige Johann und Philipp von Frankreich durch
232  Helmut Qualtinger und Herbert Propst - zwei sinistre
233  Spaßvögel, lächelnde Schurken und behäbige Dämonen von
234  gleichem Schlag, jener vielleicht noch etwas gleicher als dieser,
235  in Hudeceks Inszenierung aber auf Spiegelbild-Ähnlichkeit
236  getrimmt, eine Doppelbekräftigung der soziologischen
237  Horizontaltheorie, wonach die Könige und Feudalherren allerorten
238  so auswechselbar sind wie das einfache Volk. Nicht minder
239  aussichtsreich die Gestaltung des Bastards, bei Dürrenmatt zum
240  Räsonneur und Reformisten geworden, durch den Grazer Herwig
241  Seeböck, der urwüchsige Sinnenfreude mit kühler Ratio zu
242  vereinen versprach. Wie ein Regisseur von Hudeceks Rang ein
243  Ensemble aufrütteln und zu Höchstleistungen anspornen, wie er es
244  in jedem Augenblick des Abends mit Schwung und Frische erfüllen
245  kann, erwies sich hier. Sein Landsmann Milos Ditrich hatte ihm
246  eine überaus brauchbare Bühne gebaut - aus hellem rohen Holz
247  gezimmerte Stühle, Hocker, Tische, die auch als Türme,
248  Tore Galgen verwendbar waren, - die Wienerin Maxi Tschunko
249  köstliche Kostüme aus grobem Webstoff und Netzstoff,
250  Tierfellen, Metallspangen beigestellt. Bei flinkestem Umbau
251  liefen die zwölf Bilder rasch und reibungslos ab, das Tempo hielt
252  zwei Stunden durch, ja beschleunigte sich sogar nach der Pause.
253  Indem Hudecek die äußere Handlung, das ständige Schwanken der
254  beiden Könige zwischen Kampf und Komplicentum, die
255  Liebeshändel, das blutige Geschäft des Krieges, in
256  Gänsefüßchen setzte, nach Struwwelpetermanier verzerrte,
257  erhöhte er ihre Überzeugungskraft. Metzgerschürzen der Krieger,
258  frech mit rotem Lack bespritzt, der zuletzt auch den Leib des
259  ausgepeitschten Bastards und den Bart des an Blutstürzen
260  sterbenden Johann bedeckt, wirkten nicht grausig, sondern
261  possenhaft. Desto eindringlicher die Moral, die sich aus solch
262  sinnlosem Narrenspiel der Gewalten ergab.

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