Quelle Nummer 378
Rubrik 33 : BELLETRISTIK Unterrubrik 33.03 : HISTORISCHE
DIE GEHEIMEN BERATER
HANS BAUMANN
DIMITRI UND DIE FALSCHEN ZAREN
EHRENWIRTH VERLAG MUENCHEN 1970, S. 60-
001 Die geheimen Berater. " Von dieser Niederlage wird
002 sich Godunow nicht mehr erholen ", posaunte Mnischek aus. Viele
003 stimmten ihm zu, sogar der König. Die Gesandtschaft aus dem
004 Kreml, die so siegessicher aufgetreten war, hatte kläglich das
005 Feld geräumt. Im Schreiber Grischa hinterließ das einen
006 Stachel. Es setzte ihm zu, daß es Russen waren, die sich
007 lächerlich gemacht hatten. " Du scheinst den Abzug dieser
008 Helden zu bedauern ", sagte Dimitri. " Sie haben sich schlecht
009 geschlagen ", sagte Grischa. " Je schlechter, desto besser
010 für unsere Sache ", meinte Dimitri. " In ihnen hat sich
011 Godunow lächerlich gemacht. " " Nicht nur er, ganz Rußland ",
012 widersprach Grischa, " in den Augen vieler Polen. Sie
013 sehen ohnehin auf uns Russen herab. " Dimitri verbesserte ihn:
014 " Nur auf gewisse Russen. Dabei sind sie im Recht. Verdienen
015 diese beiden Bojaren Kleschin und Wylusgin etwa nicht, daß man
016 sie verachtet? Ist dieser Metropolit nicht ein erbärmliches
017 Werkzeug! Zu allem wird er sich bereit erklären, wenn er sich
018 einen Vorteil davon versprechen kann. Sind nicht die meisten
019 geistlichen Würdenträger so - bis auf wenige, die in Klöstern
020 leben und sich von der Welt zurückgezogen haben? Du weißt, was
021 unser Volk von seinen Popen hält. Die meisten können weder
022 lesen noch schreiben, sie betrinken sich und fluchen, und damit die
023 Heiligen es nicht sehen sollen, wie sie " s in den Fastenzeiten
024 treiben, kehren sie die Ikonen mit dem Gesicht zur Wand, ehe sie
025 sich zum Prassen niedersetzen. Ist es nicht Brauch bei ihnen, an
026 bestimmten Tagen Vögel aus Käfigen freizulassen und zu behaupten,
027 so würden sie ihre Sünden los! Sie finden nichts dabei,
028 sogar Sterbende zu betrügen, mit Kreuzen aufeinander loszugehen
029 und sich damit zu verprügeln, für Geld auch Ziegen und junge
030 Hunde zu taufen und einander den Verdienst abzujagen, wo es immer
031 angeht! Wolfsrachen und Popenaugen - nimmersatte Höhlen, so
032 wird gesagt, mit Recht! Ist nicht der Patriarch von Moskau der
033 käuflichste von allen Popen? " Grischa erwiderte nichts. Er
034 kannte die Popen, er kannte Hiob. " Und solche ", fügte
035 Dimitri mit Schärfe an, " fühlen sich im Alleinbesitz des
036 rechten Glaubens. Wer sich beim Beten nicht der Formeln bedient,
037 die sie gebrauchen, den verdammen sie. Alle andern halten sie
038 für schlecht, nur weil sie anders sind. Dabei kommt nur selten
039 ein Russe in ein fremdes Land, um selber zu sehen, wie die andern
040 leben. Soll das immer so bleiben? Was in meiner Macht steht,
041 werde ich tun, um das zu ändern. " Leidenschaftlich sagte
042 Dimitri: " Ich bin ein Russe wie du, ich hänge an meinem
043 Volk wie alle Russen. Aber nicht die lieben ihr Volk am meisten,
044 die es über andere Völker stellen, ohne diese Völker zu
045 kennen. Nicht der tut seinem Volk den größten Dienst, der
046 seine Fehler leugnet, sondern der bereit ist, dagegen anzugehen.
047 Ich bin Schuiski dankbar, daß er mich auf dem Wilden Feld
048 versteckt hat. Dort habe ich die Besten meines Volkes getroffen.
049 Sie werden Rußland ändern. Hier im Westen sah ich vieles, was
050 es bei uns nicht zu sehen gibt. Hier ging ich bei Männern in die
051 Schule, die in Rußland keinen Zutritt haben. " Während der
052 Wochen in Krakau lernte Grischa diese Männer kennen. Es waren
053 die Patres, die Dimitri ausgebildet hatten. Er wurde häufig von
054 ihnen besucht, und er ging zu ihnen, oft auch in der Nacht. Auf
055 solchen Gängen nahm er Grischa nicht mit. Die Patres traten
056 anders ald die Pane auf. Was sie zu sagen hatten, brachten sie
057 ruhig vor, und Dimitri hörte ihnen aufmerksam zu. Jeder Einwand
058 wurde abgewogen. Niemals fiel ein verächtliches Wort, wenn über
059 Rußland gesprochen wurde, über das sich die Pane sehr oft
060 abfällig äußerten. Die Patres sprachen russisch. Sie hatten
061 Gesandtschaften nach Moskau begleitet und nicht nur mit Bojaren
062 und Metropoliten gesprochen, sondern auch mit Leuten aus dem Volk.
063 Sie liebten die Russen, das war unverkennbar. Einer von ihnen
064 war Pater Sawitzki. Mit ihm war Dimitri befreundet. Sawitzki
065 hatte jahrelang am Dnjepr gelebt. Er hatte nicht gepredigt,
066 sondern das Leben der Kosaken geteilt. Er wußte, wie diese
067 Ausgestoßenen dachten, und setzte große Hoffnungen in sie. "
068 Dort am Dnjepr, am Donez und am Don ", sagte Sawitzki, "
069 haben Fürsten und Bojaren nichts zu sagen. Überkommene
070 Vorrechte gelten dort nicht. Die dort leben, sind frei, und sie
071 lieben ihre Freiheit. Auf dem Wilden Feld wächst ein neues
072 Rußland. " Grischa verstand, daß Dimitri auf solche Männer
073 hörte. " Sie hielten mich versteckt ", sagte Dimitri, " vier
074 Jahre lang. Bei ihnen war ich sicher, auch als überall davon
075 geredet wurde, ich sei dem Anschlag Godunows entkommen. Die
076 Patres wußten, wer ich war. " Mnischek, der jeden Schritt
077 Dimitris überwachte, war unbesorgt, wenn Dimitri zu den Patres
078 ging und oft erst mitten in der Nacht zurückkam. Einige Male
079 besuchte Dimitri auch den Grafen Rangoni. Er rühmte die
080 Überlegenheit und Toleranz des Legaten. " Graf Rangoni hat
081 mir die Brüder Butschinski empfohlen, obgleich sie Protestanten
082 sind. Unvorstellbar, daß ein Metropolit einen Mann empfehlen
083 könnte, der in seinen Augen ein Ketzer ist! " Dimitri
084 verhehlte nicht, daß er in den Patres seine besten Bundesgenossen
085 sah. Dennoch hatte Grischa das Gefühl, als verheimliche
086 Dimitri etwas vor ihm, das mit diesen Männern zusammenhing.
087 Die polnischen Pane. Die Pane, die für Dimitri eintraten,
088 wollten für ihn ein Heer aufstellen und mit dem Zarensohn nach
089 Moskau ziehen. Für ihre Dienste sollte er sie mit Rubeln
090 abfinden - und mit russischer Erde. Sie hatten schon immer mit
091 begehrlichen Blicken das große Nachbarland im Osten betrachtet,
092 und oft waren sie mit Waffen dort eingedrungen. Nun bot sich ihnen
093 eine Gelegenheit, vielversprechend wie keine zuvor. Die Pane
094 sahen die Sache so: Wir haben einen verfolgten Zarensohn bei uns
095 aufgenommen und verhelfen ihm zu seinem Recht. Dafür soll er
096 bezahlen. Ihre Ansprüche erhoben sie bereits, als die
097 Aufstellung des Heeres beraten wurde. Sie verlangten ganze
098 Städte samt zugehörigem Land, samt Dörfern, Wäldern,
099 Äckern und Weiden. Noch ehe ein Soldat für Dimitri
100 bereitstand, gab es zwischen einzelnen Panen hitzige Gefechte um
101 den Besitz solcher Bojaren, die ihren Reichtum Godunow
102 verdankten. Sie sollten wieder zu Habenichtsen werden. Die Pane
103 taten so, als sei nichts weiter nötig, als mit Dimitri die
104 Grenze zu überschreiten und sich zu nehmen, wonach ihnen der Sinn
105 stand. Bei ihren Zusammenkünften traten sie so schamlos auf,
106 daß Grischa immer wieder erwartete, Dimitri werde aufstehen und
107 sie zum Teufel jagen. Er tat es nicht. Bei diesem Treiben
108 stellte der großmächtige Pan Mnischek alle andern in den
109 Schatten. Seine Frechheit wirkte entwaffnend. Jeder wußte,
110 daß der Woiwode von Sandomir mehr Gläubiger hatte als ein
111 Hofhund Flöhe; streng genommen gehörte ihm nicht ein Baum in
112 seinen Wäldern, nicht ein Stein von seinem Stadthaus. Nur weil
113 er Pan war und der König über ihn seine Hand hielt, saß er
114 nicht im Gefängnis. Dieser Mnischek hatte die Stirn zu sagen: "
115 Sollte der Emporkömmling Godunow es wagen, unsern Vormarsch
116 aufzuhalten, so wird es ihm wie seiner Gesandtschaft ergehen. Man
117 kennt seine Heerführer: ehrgeizige Tölpel, die mehr
118 aufeinander als auf den Gegner losschlagen, da Boris jede
119 Kommandostelle zweimal besetzt. Man kennt seine Soldaten:
120 halbverhungerte Kerle, die überlaufen, wenn ihnen jemand mit
121 einem Stück Brot winkt. Pan Mnischek ist im Bilde, er hat
122 sich vergewissert. Er wird den Feldzug so vorbereiten, daß er
123 wie ein Gewitter abrollt, bei dem die Blitze gezielt fallen werden
124 - dort, wo sie Boris am schwersten treffen! " Es waren immer
125 die gleichen Pane, die im Stadthaus Mnischeks zusammenkamen.
126 Bei der vierten Beratung wurde festgelegt, wie viele Soldaten
127 jeder Pan stellen sollte. Ein Heer von zwölftausend Mann sollte
128 im frühen Herbst durch das südliche Litauen, zu dem auch Kiew
129 gehörte, nach Rußland marschieren und vom Unterlauf des Dnjepr
130 auf Moskau vorrücken. Einer der Pane, Zanotzki, regte an,
131 noch weitere Pane für den Feldzug zu gewinnen. Mnischek fuhr ihn
132 an: " Was braucht Dimitri Zweifler! Er hat uns. An uns
133 werden sich seine Russen ein Beispiel nehmen. " Auch diese
134 Unverfrorenheit nahm Dimitri ruhig hin. Er dankte den Panen für
135 ihre Bereitschaft mit Worten, die glatt in die Ohren gingen.
136 Mitte Mai glaubte Mnischek in Krakau alles vorbereitet. Er
137 kehrte mit Dimitri nach Sandomir zurück. Und dort ging allen,
138 auch dem Schreiber Grischa, mit einem Schlag auf, was den
139 Zarensohn an diesen Menschen band, der so eifrig als sein
140 Wegbereiter auftrat. Pan Mnischek hatte eine Tochter, deren
141 Hand noch zu vergeben war. Sie hieß Marina und war sehr schön.
142 Nun stand sie auf der Schloßtreppe, um ihren Vater und sein
143 Gefolge zu begrüßen. Als sie die Treppe herabkam, bewunderte
144 auch Grischa, der sie noch nie gesehen hatte, ihre blendende
145 Erscheinung. Gleich darauf bemerkte er, mit welchen Blicken
146 Dimitri Marina ansah. Grischa sah Mnischek lächeln. Da löste
147 sich das Rätsel: Dimitri liebte Marina. Die Liebe zur
148 jüngsten Tochter Mnischeks hatte den Zarensohn blind für die
149 Absichten des Woiwoden gemacht. Marina spielte glänzend mit
150 ihrem Vater zusammen. Sie gab sich spröde und nahm Dimitris
151 Geschenke mit einem Lächeln an, das ihn zu neuen Geschenken
152 antrieb. Je mehr du die Katze streichelst, desto höher krümmt
153 sie den Rücken, dachte der Schreiber. Diese Frau würde keiner
154 jemals durchschauen, und wäre sie aus Glas. Der Woiwode wurde
155 beneidet. Wer das Glück hat, dem legt ein Hahn, so sagt man
156 von ihm. Mitte Juni veranstaltete er den Umzug nach Sambor,
157 seinem Lieblingssitz, wo er bis zum Beginn des Feldzugs bleiben
158 wollte. In Sambor wurde zwischen Dimitri und Mnischek ein
159 Vertrag unterzeichnet. Im Vertrag war festgelegt, daß die
160 Panin Marina bereit sei, mit dem Zarensohn Dimitri die Ehe
161 einzugehen, " wenn es dem gütigen Gott gefallen sollte, Dimitri
162 aÜf den Zarenthron zu führen ". Dimitri versprach, Nowgorod
163 und Pleskau samt zugehörigen Ländereien an Marina abzutreten,
164 Smolensk und Sewerien an Mnischek, dazu eine volle Million
165 Rubel, eine Summe, mit der selbst Mnischeks Schulden aus der
166 Welt zu schaffen waren. Noch nie war ein derart einseitiger
167 Vertrag von so großer Tragweite abgeschlossen worden. Der
168 Woiwode von Sandomir konnte sich zufrieden geben. Ende Juni
169 feierte er auf dem Schloß von Sambor ein Fest mit einem Aufwand
170 ohnegleichen. Die Speisen wurden auf goldenen Tellern vorgesetzt.
171 Der Wein floß aus silbernen Brunnen. Marina saß an Dimitris
172 Seite, und um Mitternacht gab Mnischek seinen Gästen bekannt,
173 daß er in Dimitri seinen künftigen Schwiegersohn begrüße, in
174 Marina die künftige Zarin Rußlands. Die offizielle Verlobung
175 solle dann gefeiert werden, wenn der Sohn Iwans in Moskau
176 eingezogen sei, die Hochzeit ein halbes Jahr darauf. " Denn
177 große Dinge brauchen ihre Zeit ", schloß der Woiwode seine
178 Rede und hob einen vollen Becher. Alle tranken ihm zu. Marina
179 und Dimitri wurden umjubelt. Ein Vierteljahr war vergangen, seit
180 der Feldzug in Krakau beschlossen worden war. Die Truppen
181 sollten im Juli um Sambor bereitstehen. Bisher hatten sich nur
182 die Pane eingefunden, die sich als Heerführer fühlten. Anfang
183 Juli stellte sich heraus, daß nicht zwölftausend, sondern im
184 Höchstfall dreitausend Soldaten aufzutreiben waren, davon tausend
185 Reiter. Fürst Konstantin trat dafür ein, den Feldzug zu
186 verschieben. Zanotzki schloß sich den Bedenken an. Da erhob
187 sich Mnischek und ereiferte sich: " Was bedeuten einige tausend
188 Mann mehr oder weniger! Entscheidend ist die Stunde. Sie zu
189 versäumen, wäre unverzeihlich. Wir haben Nachrichten, daß man
190 uns erwartet. Es bedarf nur des Funkens, dann wird der Brand
191 ausbrechen, in dem Boris und seine Sippe untergehen wird:
192 " Sein Gesicht stand in Flammen, als er gellend schrie: " Wir
193 werden Feuer legen! " Grischa fragte Dimitri später, auf
194 welche Weise Pan Mnischek denn Feuer legen wolle. " Mnischek
195 ist ein Mann mit Einfällen ", sagte Dimitri. " Er hat
196 Tausende von Flugblättern, in Getreidewagen versteckt, in
197 Rußland eingeschmuggelt. Davon verspricht er sich viel. " "
198 Mehr als von den Soldaten, die er auf die Beine bringt?
199 " fragte der Schreiber in spöttischem Unterton. Da meinte Dimitri: "
200 Wir sind nicht auf Mnischeks Soldaten angewiesen. Ich habe
201 Nachricht, daß viele Hundertschaften vom Dnjepr und Don hierher
202 unterwegs sind. Wir werden an der Spitze von Kosaken in Moskau
203 einziehen ". Das Aufgebot. Die Kosaken kamen. Täglich
204 trafen neue Hundertschaften ein. Sie kamen auf Pferden, denen
205 der weite Weg nicht anzusehen war. Die Waffen über ihren
206 Köpfen schwenkend, so ritten sie ins Lager ein. Auf leichten
207 Wagen führten sie Proviant mit, auch eine Futterreserve für die
208 Pferde. Ein Kosak denkt erst dann an seinen Hunger, wenn sein
209 Pferd zu fressen hat. Diese Kosaken waren rauhe, lärmende
210 Burschen, die gern tranken und spielten. Sie waren Leute, die
211 sich zu helfen wußten, in jeder Lage. Sie verstanden sich darauf,
212 aus Lehm und Feldsteinen, Grasbüscheln und Ästen
213 Behausungen zu bauen. Wer nicht in umliegenden Dörfern
214 unterkommen konnte, errichtete sich eine solche Hütte, falls er
215 sich nicht lieber unter einem Baum niederließ oder einfach den
216 Himmel als Dach nahm, auch für die Nacht. Weil es kaum regnete
217 und der Sommer bis weit in den September hinein anhielt, brauchte
218 keiner zu frieren. Mitte September hatten sich zweitausend
219 Kosaken eingefunden. Ihr Auftauchen bewirkte, daß nun auch
220 Polen kamen, die mit nach Rußland ziehen wollten. Etwa
221 siebenhundert Reiter und ebenso viele Soldaten ohne Pferde
222 versammelten sich im polnischen Lager. die Pane hatten verlegene
223 Gesichter, wenn Dimitri ihre Häufchen musterte. Nur Mnischek
224 blieb bei seinen Prahlereien: " Diese tapferen Polensöhne
225 werden die Kremltore für Dimitri öffnen. Ist auch ihre Zahl
226 nicht groß - ihr Mut ist ohne Grenzen ".
Zum Anfang dieser Seite