Quelle Nummer 355
Rubrik 09 : WIRTSCHAFT Unterrubrik 09.12 : WOCHENZEITUNGEN
DER SPIEGEL
26.10.1970, NR.44, 24.JG.,
S. 57-58, S. 93-94, S. 109- (WIRTSCHAFT)
001 INDUSTRIE. KARTELL-
002 NOVELLE. Klingt ganz gut. Sollte die
003 Marktwirtschaft mit dem Problem der Kontrolle wirtschaftlicher
004 Macht nicht fertig werden ", so Wolfgang Kartte,
005 Ministerialrat im Bundeswirtschaftsministerium, " wird sie fallen.
006 " Am Donnerstag vorletzter Woche legte Kartte dem
007 Wirtschaftsausschuß des Bundestages einen erneut überarbeiteten
008 Entwurft der seit langem anhängigen Kartell-Novelle vor.
009 Danach soll das Bundeskartellamt berechtigt sein, Fusionen von
010 Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Mark Jahresumsatz
011 künftig zu unterbinden. Seit drei Jahren kämpft CDU-
012 Mitglied Kartte, Kartellrechtsexperte des Ministeriums, für
013 seinen sozialdemokratischen Minister um die Reform der bestehenden
014 Wettbewerbsgesetze, und die Alarmmeldungen des Bundeskartellamtes
015 unterstreichen die Dringlichkeit seiner Forderungen. Die
016 Konzentrationswelle in der westdeutschen Wirtschaft schlug sich
017 noch 1966 mit 43 Fusionen in der Statistik nieder. 1967 und 1968
018 aber wurden dem Bundeskartellamt in Berlin bereits jeweils 65
019 Zusammenschlüsse gemeldet. Im vergangenen Jahr gar signalisierte
020 die Industrie 168 Firmenfusionen, und in den ersten acht Monaten
021 dieses Jahres registrierte das Kartellamt eine Flut von 200
022 Konzentrationsfällen - bis zum Spätsommer mehr als dreimal
023 soviel wie im gesamten Jahr 1968. Als 1966 das Bonner
024 Wirtschaftsministerium erstmalig von einem SPD-Politiker
025 besetzt wurde, faßte Christdemokrat Kartte Tritt für die
026 Reform. Im Herbst 1968 formulierte er für Schiller eine
027 Novelle zum seit 13 Jahren bestehenden " Gesetz gegen
028 Wettbewerbsbeschränkungen " (GWB), dessen Kern das Verbot
029 von Preisbindungen sein sollte. Im Kiesinger-Kabinett der
030 Großen Koalition jedoch wurde die Vorlage gestoppt. Das 1957
031 verabschiedete Kartellgesetz verbietet zwar grundsätzlich
032 Absprachen, die gemeinsame Preise und Absatzbedingungen regeln,
033 die Kontrolle von Firmenzusammenschlüssen aber ist nicht geregelt. "
034 Für den Ökonomen ", mokierte sich
035 Wirtschaftswissenschaftler Erhard Kantzenbach, " ist diese
036 unterschiedliche Behandlung kurios. " Denn: Kartellabsprachen
037 sind weit weniger wettbewerbsgefährlich als ständige Fusionen zu
038 Marktmonopolen. Allein in den letzten Monaten schlossen sich
039 beispielsweise zusammen: die beiden Röhrengiganten Thyssen und
040 Mannesmann zum größten Röhrenfabrikanten Europas; die beiden
041 deutschen Groß-Reedereien Hapag und Lloyd zum neuen
042 Schiffahrtstrust; die Hüttenkombinate Saltzgitter und Peine zu
043 einem Stahlriesen in Niedersachsen. Die BASF übernahm in
044 diesem Jahr die Kontrolle über fast 90 Prozent des deutschen
045 Kali-Marktes. Ministerialbürokrat Kartte (" Ich bin nur
046 ein kleiner Experte ") ließ deshalb nach der Kabinetts-
047 Niederlage vom Verbot der Preisbindung ab und konzentrierte sich
048 in einem zweiten Entwurf einer Kartell-Novelle auf die
049 Fusionskontrolle. Nach zahlreichen Hearings im vergangenen Jahr
050 mit Wissenschaftlern, Wirtschaftsbossen und Verbandsvertretern
051 legte er schließlich der neuen sozialliberalen Regierung am 26.
052 Januar dieses Jahres " eine vorläufige Übersicht " (Kartte)
053 über notwendige Änderungen des bestehenden Kartellgesetzes vor,
054 die sodann am 20.März mit Schillers Zustimmung als
055 Referentenentwurf publiziert wurde. Kartte lockerte zwar die
056 Bestimmungen für Kartellabsprachen bei sogenannten Bagatell-
057 Kartellen, " wenn dadurch die Erzeugung und die
058 Marktverhältnisse (...) nicht wesentlich beeinflußt werden ", in
059 den neu gefaßten Paragraphen 24 der Novelle aber schrieb er
060 erstmals eine vorbeugende Fusionskontrolle hinein. Danach sollte
061 das Wirtschaftsministerium gegen Fusionen einschreiten, wenn "
062 durch den Zusammenschluß eine marktbeherrschende Stellung
063 ensteht " oder ein beteiligtes Unternehmen 10000
064 Arbeitnehmer beschäftigt oder jährlich eine Milliarde Mark
065 umsetzt und außerdem durch Fusion bei jeder beliebigen
066 Ware oder Dienstleistung 40 Prozent Marktanteil erreicht werden.
067 Ferner erweiterte Kartte im Paragraphen 22 die
068 Mißbrauchsaufsicht des Kartellamtes über marktbeherrschende
069 Firmen: Als marktbeherrschend gelten " auch mehrere Unternehmen,
070 wenn drei zusammen einen Marktanteil von mindestens 60 Prozent
071 haben oder sechs zusammen einen Marktanteil von mindestens 80
072 Prozent haben ". In diesem Fall soll eine Gesellschaft als
073 marktbeherrschend gelten, selbst wenn sie nur 13,3 Prozent
074 Anteil am Branchen-Umsatz hat. Kaum war der Entwurf in der
075 Öffentlichkeit, setzte das Bombardement der Wirtschaftsvertreter
076 gegen die Kartte-Reform ein. Bruno Pilz,
077 Präsidialmitglied des Wirtschaftsverbandes der Eisen, Blech und
078 Metall verarbeitetenden Industrie, gab die Horror-Losung aus,
079 das Papier lasse den Unternehmen nur noch die Möglichkeit "
080 durch Konkursantrag selbständig in die Grube zu fahren ". Fritz
081 Dietz, Präsident des Großhandelsverbandes und
082 Außenhandelsverbandes, wetterte: " Ich als Unternehmer
083 möchte es einfach nicht hinnehmen, daß ein Bürokrat mit an
084 meinem Schreibtisch sitzt und meine unternehmerische Entscheidungen
085 mitbewertet. " Im April stellte sich Schiller mit seinem
086 Kartell-Referenten Kartte in einem Hearing erneut der Kritik
087 der Verbände. Während die Verbraucherverbände, der Deutsche
088 Gewerkschaftsbund und auch die Arbeitsgemeinschaft selbständiger
089 Unternehmer (ASU) die Novelle positiv beurteilten, hämmerten
090 Industrieverbände und Wirtschaftsverbände weiterhin
091 gegen die geplante Gesetzesänderung - vor allem " die Gruppe
092 der ewig Rückschauenden um Fritz Berg ", wie selbst die "
093 Frankfurter Allgemeine " bemerkte. Flick-Gesellschafter und
094 CSU-Bundestagsabgeordneter Wolfgang Pohle bezeichnete das
095 Papier als " realitätsfern ". Rolf Rodenstock, Vorsitzender
096 des Deutschen Industrieinstituts, sprach von " Dirigismus ";
097 und Arno Sölter, Wettbewerbssprecher des BDI, gar sah das
098 gesamte Wirtschaftssystem gefährdet: Die Novelle führe
099 automatisch " von der sozialen Marktwirtschaft in die
100 sozialistische Marxwirtschaft ". Selbst die Freidemokraten
101 bekamen Angst vor ihren eigenen Versprechungen. In ihrem
102 Nürnberger Wahlprogramm vom vergangenen Jahr, im
103 Koalitionsabkommen mit der SPD und ein drittes Mal im
104 Jahreswirtschaftsbericht 1970 hatten sie vorbeugende
105 Fusionskontrollen und verschärfte Mißbrauchsaufsicht zugesichert.
106 Jetzt aber machten sich die verantwortlichen Wirtschaftspolitiker
107 der FDP die Unheilsrufe der Wirtschaftsverbände zu eigen.
108 FDP-Innenminister Genscher schrieb einen Brief an seinen
109 Kollegen Schiller: Es sei unerläßlich, eine neue " Linie zu
110 finden, die von der Koalition getragen wird ". Kartte setzte
111 sich zur Wehr: " Woran krankt denn unser System? Es krankt
112 an der Akkumulation von immer mehr Verfügungsmacht in den Händen
113 von immer weniger Unternehmen. " Angesichts der Widerstände
114 selbst in der Regierungskoalition ging er allerdings noch einmal in
115 Klausur. Am Donnerstag vorletzter Woche legte er dem
116 Wirtschaftsausschuß des Bundestages in Berlin seinen
117 überarbeiteten Entwurf vor. Kartte beschränkte seine präventive
118 Fusionskontrolle ausschließlich auf die Umsatz-Milliardäre:
119 Jene Unternehmen dagegen, die " durch den Zusammenschluß
120 eine marktbeherrschende Stellung " erreichen würden, aber
121 jährlich weniger als eine Milliarde Mark umsetzen, wurden
122 ausgespart. Um die Bedenken der Industrie gegen die
123 sozialdemokratisch gelenkte Ministerialbehörde zu tilgen, soll
124 laut Kartte nunmehr der Präsident des Bundeskartellamtes,
125 Eberhard Günther, und nicht mehr Wirtschaftsminister Karl
126 Schiller die Fusionsgenehmigung erteilen oder versagen. Ob die
127 überarbeitete Novelle allerdings eine Chance hat, von der FDP
128 akzeptiert zu werden und als Kabinettsvorlage endlich zum Beschluß
129 zu kommen, steht immer noch dahin. In dieser Woche wollen die
130 Experten der Freidemokraten das neue Kartte-Papier beraten.
131 Werner Mertes, Vorsitzender des FDP-Arbeitskreises
132 Wirtschaft, ist skeptisch: " Das klingt alles ganz gut; aber
133 ich muß da noch vorsichtig sein. " Für den 3.November haben
134 sich die FDP-Wirtschaftspolitiker bei Karl Schiller
135 angemeldet, um über " das wettbewerbspolitische Leitbild
136 " (Mertes) des Referenten-Entwurfs erneut zu diskutieren.
137 Fünf Tage später werden die Ergebnisse der Landtagswahlen in
138 Hessen ohnehin darüber entscheiden, ob der Kartell-Novelle
139 von den Freidemokraten überhaupt noch zugestimmt werden kann.
140 Kartte über die Dringlichkeit seines Entwurfs: " Die
141 Kontrolle wirtschaftlicher Macht ist heute ebenso bedeutend wie die
142 Vermögensbildung oder die Mitbestimmung. Leute wie Herrn Pohle
143 von der CSU werden wir allerdings nie Überzeugen können.
144 " HANDEL. US-Importe. Fußtritte für
145 Esel. Es wird endlich Zeit ", zürnt Gero Zschimmer,
146 Inhaber der Berliner Firma Unilab Electronics, " daß die
147 großen amerikanischen Unternehmen ihre Wildwest-Manieren
148 ablegen. " Und Erich Sommer, Frankfurter Importeur von
149 Elektronik-Artikeln, bedauert: " Wenn auch nur ein
150 Amerikaner bei der Stange geblieben wäre, wären wir längst
151 Millionäre und sonnten uns jetzt in der Südsee. " Die beiden
152 Elektronik-Experten, die auf die Einfuhr und den Vertrieb
153 von Halbleitern - winzigen Bauteilchen für Computer, Raketen
154 und Automaten - spezialisiert sind, fühlen sich von US-
155 Lieferanten um Millionenumsätze und Millionen gewinne
156 geprellt. Denn amerikanische Elektronik-Konzerne boxten in
157 den vergangenen Jahren ihre deutschen Import-Vertreter stest
158 nach dem gleichen Schema aus dem Geschäft: Hatten die
159 Importeure erst einmal unter beträchtlichen Kosten den deutschen
160 Markt für ihre Vertragspartner erschlossen, führten die US-
161 Produzenten den nun profitabel werdenden Deutschland-Vertrieb
162 in eigener Regie weiter. So ließ die kalifornische Elektronik
163 -Firma Signetics ihre Halbleiter zunächst durch Zschimmers
164 Unilab in des deutschen Markt einschleusen. Als der Importeur
165 jedoch nach zweijährigen Werbe BZN Mühen und Marketing
166 -Mühen die ersten drei Großaufträge (über insgesamt zehn
167 Millionen Mark) hereinholen konnte, kündigten die Kalifornier
168 den Vertretungsvertrag. Obgleich noch vertraglich dazu
169 verpflichtet, wickelten die Signetics-Manager auch die bereits
170 placierten Aufträge nicht mehr über Unilab ab. Zwar weigerten
171 sich die Elektro-Konzerne AEG-Telefunken und Siemens,
172 die Zschimmer als Kunden geworben hatte, ihre Halbleiter von der
173 US-Gesellschaft direkt zu beziehen. Doch als Zschimmer -
174 vom Signetics-Nachschub abgeschnitten - seine Kunden nicht
175 mehr beliefern konnte, schlossen die deutschen Firmen schließlich
176 doch mit Signetics direkt ab. Zschimmer, um Provisionen in
177 Höhe von etwa einer Million Mark geprellt, sah sich endgültig
178 aus dem Geschäft gedrängt. " Ich habe ", gesteht er, " vor
179 ohnmächtiger Wut geheult. " Auch Importeur Sommer erfuhr
180 gleich dreimal hintereinander, daß " mit den großen
181 amerikanischen Firmen nicht gut Kirschen essen ist ". Denn
182 sobald er seinen jeweiligen Vertragspartnern in Übersee einen
183 Umsatz von rund einer Million Dollar (Sommer: " Die magische
184 Schwelle ") vorweisen konnte und ihnen damit signalisierte, wie
185 lohnend das Deutschland-Geschäft sei, brachen die US-
186 Unternehmen die Zusammenarbeit ab. " Dann kam " illustrierte
187 Sommer die Taktik der Amerikaner, " der Fußtritt für den
188 Esel, der das Mehl zur Mühle geschleppt hat. " Zwar bot der
189 Elektronik-Konzern Fairchild nach dreijähriger Kooperation
190 seinem Deutschland-Vertreter noch den Posten eines
191 freiberuflichen Beraters an. Doch für 20 000 Mark Jahresgehalt
192 sollte Sommer vier Tage in der Woche für Fairchild arbeiten und
193 den Amerikanern seine Kundenkartei überlassen. Mit dem nächsten
194 US-Partner, der Elektronik Firma Motorola, hatte der
195 Frankfurter Unternehmer noch weniger Glück. Obwohl er von den
196 Amerikanern den üblichen Exklusiv-Vertrag für den Vertrieb
197 der Motorola-Produkte erhielt, errichteten diese schon bald
198 ein Verkaufs-Büro in Wiesbaden und versuchten, ein eigenes
199 Vertriebsnetz in Deutschland aufzubauen. Motorola-
200 Verkaufsdirektor Prenusil warb gar Sommers Verkaufsleiter Erich
201 Fischer ab und lieferte hinter dem Rücken des Importeurs an
202 deutsche Kunden direkt. Motorola lehnte es darüber hinaus ab,
203 einen Transistoauftrag für einen großen deutschen Elektro-
204 Konzern über seinen Import-Vertreter zu liefern. Sommer
205 kündigte fristlos. Auch Sommers letzter Versuch, mit einer
206 großen US-Elektronik-Firma ins Geschäft zu kommen,
207 scheiterte bald. Nach der ersten Umsatz-Million Sommers
208 verzeichtete National Semiconductors auf die weitere Aufbauarbeit
209 ihres deutschen Vertreters. Doch nicht nur deutsche Importeure
210 zahlten bei der Zusammenarbeit mit aggressiven US-Konzernen
211 Lehrgeld: Für die Pariser Firma Scaib, die den Vertrieb der
212 Motorola-Produkte in Frankreich übernommen hatte, wirkte die
213 abrupte Kündigung des Vertrags fast tödlich. Nur knapp
214 entgingen die Franzosen dem Konkurs. Sommer, durch die
215 geschäftlichen Rückschlage gewitzt, verrät eine
216 " Standardregel " für den Umgang mit amerikanischen Firmen:
217 " Erreicht man einen zu hohen Umsatz, fliegt man raus; setzt man
218 zu wenig ab, fliegt man ebenso raus. " " NIEMAND
219 HAT HYSTERISCH REAGIERT ".
220 SPIEGEL-Interview mit dem Sprecher der Stahlindustrie,
221 Mannesmann-Generaldirektor *dr. Egon Overbeck.
222 Die Stahlkonzerne an Rhein und Ruhr drosseln gegenwärtig, von
223 einer Auftragsflaute überrascht, ihre Produktion und streichen
224 die Überstunden. Denn der Stahlhandel räumt aus Angst vor
225 einer neuen Rezession und sinkenden Preisen seine Lager und ordert
226 weniger. Mannesmann wird vorsorglich bis Jahresende zwei von vier
227 Hochöfen in Huckingen stillegen und sein bislang an Thyssen
228 verpachtetes Siemens-Martin-Werk Mülheim ganz schließen.
229 SPIEGEL: Herr Dr. Overbeck, die deutschen
230 Stahlwerke spüren als erster Industriezweig Anzeichen einer
231 Flaute. Die Hütten an Rhein und Ruhr erreichten im September
232 ein Auftragstief wie im Rezessionsjahr 1966. Ihr Kollege Brandi
233 vom Thyssen-Konzern beschwor sogar unlängst das Bild einer
234 Talfahrt im Ausmaß der Niagara-Fälle. Sehen Sie hier das
235 Signal für eine neue Rezession? OVERBECK:
236 Zweifelsfrei ist der Auftragseingang ähnlich niedrig wie im
237 Herbst 1966. Das ist nicht nur eine Normalisierung, das geht
238 darüber hinaus. SPIEGEL: Also tatsächlich Anzeichen
239 für eine neue Rezession? OVERBECK: Ich binn dennoch
240 nicht der Auffassung, daß wir schon Anzeichen einer beginnenden
241 und nachhaltigen Rezession sehen sollten. Sie wissen, ein
242 gewisses Auf und Ab gehört bei uns zur Regel. Immerhin
243 summieren sich heute eine Reihe von negativen Faktoren.
244 SPIEGEL: Sie meinen, daß der absteigende
245 Konjunkturzyklus im Inland zur Zeit mit einem Abschwung auch im
246 Ausland zusammenfällt? OVERBECK: Richtig,
247 gegenwärtig treffen ein Rückgang der Inlands-Nachfrage und
248 eine Abschwächung auf den Auslandsmärkten aufeinander. Das
249 zusammen bewirkt die Umkehr im Stahl-Auftragseingang seit
250 Juni/Juli dieses Jahres. SPIEGEL: Aber Ihre
251 Abnehmer haben die Produktion bislang noch nicht gedrosselt.
252 OVERBECK: Nein, erstaunlicherweise haben wir im Inland
253 nach wie vor einen gleichbleibenden Stahlbedarf der Industrie.
254 Aber seit sich weltweit die Nachfrage nach Stahl etwas vermindert
255 hat, arbeiten die inländischen Verbraucher erst einmal ihre
256 hochgelaufenen Bestände ab, und der Handel räumt die Läger.
257 Aus dieser Ecke kommt ein gewisser Marktdruck, den ich noch nicht
258 für kritisch halte, und der so lange eine temporäre Erscheinung
259 ist, wie der Stahlverbrauch hoch bleibt. SPIEGEL:
260 Immerhin gilt die Stahlindustrie stets als Vorreiter bei einer
261 allgemeinen Konjunkturflaute. Könnte das nicht auch auf die
262 gegenwärtige Situation zutreffen? Was geschieht, wenn auch die
263 übrige Industrie drosseln muß? OVERBECK: Dann werden
264 wir unsere Produktion noch stärker einschränken müssen.
265 SPIEGEL: Heißt das Kurzarbeit und Stillegung von Werken?
266 OVERBECK: Eine Anpassung der Produktion führt nicht
267 automatisch zu Kurzarbeit und zur Entlassung von Mitarbeitern.
268 Wir haben noch andere Ventile. In der Hochkonjunktur mußten wir
269 mit zuviel Überstunden arbeiten; diese Überstunden bauen wir
270 jetzt ab und werden die Mehrarbeit noch weiter einschränken.
271 SPIEGEL: Aber das wird doch niemals ausreichen, wenn -
272 was viele Ihrer Kollegen glauben - die Nachfrage weiter
273 stagniert. OVERBECK: Ich sprach von mehreren Ventilen.
274 Wir können zum Beispiel die Belegschaft dadurch reduzieren, daß
275 wir die natürlichen Abgänge und die Abgänge durch Fluktuation
276 nicht ersetzen. Schließlich haben wir die Möglichkeit,
277 Gastarbeiter-Kontakte nicht zu erneuern, die ja meist nur für
278 ein Jahr geschlossen werden. SPIEGEL: Glauben Sie
279 wirklich, daß Ihre Ventile genügen, um gravierendere
280 Maßnahmen als Abbau von Überstunden und Trennung von
281 Gastarbeitern zu umgehen? OVERBECK: Das ist im
282 Augenblick schwer zu beurteilen, weil es ja eine präzise
283 Voraussage verlangt, wie die Konjunktur bei der Stahlindustrie
284 verlaufen wird. Und Sie haben meinen vorsichtigen Vorbehalt
285 vorhin schon gehört. Sicher ist, daß wir auf einem unter dem
286 Stand des ersten Halbjahres liegenden Produktionsniveau zumindest
287 bis ins Frühjahr, wenn nicht gar bis in den Sommer 1971 hinein
288 beschäftigt sein werden. SPIEGEL: Wie sieht es unter
289 diesen Umständen mit den umfangreichen Investitionsplänen für
290 das kommende Jahr aus? Die deutsche Eisenindustrie und
291 Stahlindustrie wollte immerhin 1971 rund 1,8 Milliarden Mark
292 investieren. OVERBECK: Soweit ich das übersehe, sind
293 bisher noch keine Vorhaben gestrichen worden. Die meisten
294 Unternehmen haben sich aber doch entschließen müssen, ihre
295 geplanten Investitionen wegen der starken Preissteigerungen für
296 Anlagegüter zu strecken. SPIEGEL: Zudem klagt die
297 Stahlindustrie jetzt über höhere Lohnkosten. Sie drosselte
298 schon im Sommer ihre Produktion, gab diese Änderung allerdings
299 erst im Herbst bekannt. Das war doch Politik im Hinblick auf die
300 Tarifverhandlungen. OVERBECK: Nein, nein, nein!
301 Schaun Sie, wir sind je doch ein Industriezweig, der weitgehend
302 transparent ist. Jedermann auf der Straße kann ständig in den
303 laufend veröffentlichten Stahl-Statistiken sehen, wie die
304 Auftragslage bei uns ist. Darüber hinaus - lassen Sie mich das
305 nicht näher ausführen - ist bei uns ein Einblick in die Interna
306 sehr viel weiter möglich als in anderen Industrien. SPIEGEL:
307 Gilt dieser Interna-Einblick auch für die
308 Investitionsplanung? Die Öffentlichkeit hat vielmehr das
309 Gefühl, daß die Stahlwerke ohne jede Abstimmung untereinander
310 gefährliche Überkapazitäten schaffen. OVERBECK: Ich
311 glaube, unsere Wirtschaft lebt vom Wettbewerb. Im Interesse der
312 Versorgung des Marktes mit qualifizierten und preisgünstigen
313 Produkten sollten immer mehrere Konkurrenten dasein. Das
314 verhindert zu weitgehende Abstimmungen.
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