Quelle Nummer 350

Rubrik 07 : POLITIK   Unterrubrik 07.11 : TAGESPOLITIK

DER SPIEGEL
NR. 37, 25.JG., 6.9.1971, S. 21- (RUBRIK "DEUTSCH-
LAND")


001  " Da greift der Bahr in die Wunden ". Nachdem
002  das Berlin-Abkommen - mit 24 Stunden Verspätung -
003  unterzeichnet ist, muß Brandts Chefunterhändler Egon Bahr nun
004  der DDR Zugeständnisse beim Transitverkehr von und nach Berlin
005  abhandeln. Die Bonner rechnen mit dem Abschluß der
006  innerdeutschen Gespräche bis zum Ende des Jahres. Danach soll
007  die DDR-Aufwertung in Raten beginnen. Zuvor aber muß Ost
008  -Berlin auf die Anwendung eigener Gesetze verzichten.
009  Den Auftrag gab ihm das Kabinett, seine Weisung hatte
010  Egon Bahr sich selbst gegeben. Vage formulierte die
011  Bundesregierung am letzten Freitag die Richtlinie für die
012  Verhandlungen Bahrs mit seinem DDR-Kollegen Michael Kohl:
013  Die Einzelheiten der Zufahrtsregelung von und nach West-
014  Berlin seien " zügig " festzulegen. Wie er das machen will,
015  hatte der erfahrene Ost-Unterhändler sich lange zuvor
016  ausgedacht: seinen Partner Kohl mit Samthandschuhen anfassen.
017  Ein Kanzlerberater erläuterte die weiche Welle des
018  Staatssekretärs: " Bahr will ihn immer streicheln und ihm sagen:
019  Das ist doch alles gar nicht so schwer für euch. " In einem
020  hindernisreichen Endspurt hatten die vier Botschafter Kenneth
021  Rush (USA), Pjotr Abrassimow (Sowjet-Union), Roger
022  Jackling (Großbritannien) und Jean Sauvagnargues (Frankreich)
023  am Freitagmorgen die Voraussetzung für die Bahr/Kohl-
024  Runde erfüllt. Weil deutsche Sprach' schwere Sprach' ist,
025  hatten zuletzt 252 Journalisten aus West und Ost, das
026  Fernsehpublikum in Europa und USA, das Berliner
027  Abgeordnetenhaus, das Bonner Bundeskabinett und der zur Rede an
028  die Nation bereite Kanzler Willy Brandt vierundzwanzig Stunden
029  auf das erlösende Wort warten müssen. Doch dann, um 12.57
030  Uhr, besiegelten die Vier mit 48 Unterschriften unter zwölf
031  Dokumente das Ende der Dauerkrise um die alte Reichshauptstadt.
032  Gestärkt vom Konsens der vier ehemaligen Kriegsgegner, nimmt
033  Bahr an diesem Montag die Verhandlungen über den deutschen Teil
034  der Vereinbarung auf. Rücksicht auf das DDR-Image scheint
035  ihm dabei dringend geboten. Denn die prestige-empfindlichen
036  Ost-Berliner haben schon durch das alliierte Abkommen
037  Abstriche an ihrer Souveränität - wie die Einschränkung der
038  alleinigen Zuständigkeit für den zivilen Zugang von der
039  Bundesrepublik nach West-Berlin - hinnehmen müssen. Nun
040  soll die DDR bei den innerdeutschen Verhandlungen weitere
041  Zugeständnisse machen. Von den Ost-Berlinern wird erwartet,
042  daß sie bei Mißbrauch der Transitrechte auf die Anwendung
043  ihrer eigenen Gesetze verzichten. Die alliierte Vereinbarung
044  schreibt vor: DDR-Grenzer sollen nur dann Durchreisende
045  kontrollieren und festnehmen können, wenn " hinreichende
046  Verdachtsgründe bestehen, daß ein Mißbrauch der Transitwege
047  für Zwecke beabsichtigt ist, die nicht mit der direkten
048  Durchreise von und nach den Westsektoren Berlins in Zusammenhang
049  stehen und die den allgemein üblichen Vorschriften bezüglich der
050  öffentlichen Ordnung zuwiderlaufen ". Was aber nun ein
051  Mißbrauch ist und wie er geahndet werden kann, das darf die DDR
052  nicht allein entscheiden. Nach Vierer-Vorschrift muß das
053  " zwischen den zuständigen deutschen Behörden vereinbart werden ".
054  Die DDR muß deshalb einen detaillierten Mißbrauchs
055  katalog und Strafkatalog mit der Bundesregierung aushandeln.
056  Warum die Verhandlungen gerade über diesen Punkt " sehr, sehr
057  schwierig " (Bahr) sein werden, erläuterte ein Ostexperte des
058  Kanzleramts: " Die DDR wird natürlich sagen, das gibt's
059  doch auf der ganzen Welt nicht, was ihr hier verlangt. Wir
060  bestimmen doch hier, wir können nur nach unseren Gesetzen vorgehen. "
061  Und: " Da greift Bahr jedesmal in die Wunden der DDR. "
062  Aber die DDR kann auch kaum auskneifen. Eher wird die nach
063  Ulbrichts Abgang verstärkte Abhängigkeit von der Sowjet-
064  Union die DDR - nach Meinung von Bonner Ostfachleuten -
065  dazu veranlassen, den Bonner Partner als Störenfried und sich
066  selber als verhandlungswillig darzustellen. Die Möglichkeit, die
067  Verhandlungen mit unterschiedlichen Interpretationen des in
068  englisch, russisch und französisch abgefaßten Vertragstextes zu
069  verschleppen, war der DDR rechtzeitig genommen worden. Auf
070  Betreiben Bahrs gaben die vier Mächte den beiden deutschen
071  Unterhändlern einen offiziellen deutschen Vertragstext an die
072  Hand. Bereits am 19.Juli hatten die drei Westbotschafter
073  ihrem sowjetischen Kollegen den Entwurf einer deutschen
074  Übersetzung des damals in wesentlichen Teilen schon
075  fertiggestellten Abkommens übergeben und erklärt, sie hielten es
076  für zweckmäßig, daß sich die Viererrunde über einen
077  verbindlichen deutschen Text einig werde. Doch die ehemaligen
078  Kriegsalliierten ließen sich Zeit. Ein Bonner Staatssekretär:
079  " Das lag an der Besatzer-Mentalität, die bei den ganzen
080  Verhandlungen immer wieder anklang, nach dem Motto: Wir sind
081  hier unter uns, und die Deutschen interessieren uns nicht so sehr. "
082  Erst als die Experten einen Tag vor der für Donnerstag 13
083  Uhr terminierten Unterzeichnung die aus dem russischen Text
084  gefertigte DDR-Fassung und den vom Bonner AA aus dem
085  Englischen übersetzten Text miteinander verglichen, entdeckten
086  sie mehr als achtzig Abweichungen. Die meisten ließen sich rasch
087  beseitigen. Zum Zeitpunkt der vereinbarten Vertragsunterzeichnung
088  waren aber noch drei schwierige Punkte übriggeblieben, über die
089  sich die vier Botschafter erst am Freitagvormittag, anderthalb
090  Stunden vor dem neuen Unterschriftstermin, einig wurden. Die
091  Vier Großen erhielten gesamtdeutsche Redaktionshilfe. Mehrmals
092  fuhren die AA-Beamten Günter van Well und Hans-Otto
093  Bräutigam durch die Mauer, um im Ost-Berliner
094  Außenministerium mit DDR-Kollegen, darunter dem Leiter
095  der 6.Europäischen Abteilung, Karl Seidel, gemeinsame
096  deutsche Formulierungen abzusprechen und den Experten der vier
097  Mächte zu übermitteln. Das Ergebnis der Sechsergemeinschaft:
098  Im deutschen Vertragstext heißt es jetzt " Transitverkehr "
099  zwischen Bundesrepublik und West-Berlin - nicht " Transit "
100  (DDR-Vorschlag), wie für den Verkehr zwischen zwei
101  Staaten über das Territorium eines dritten international üblich,
102  aber auch nicht harmlos " Durchgangsverkehr " (Bonner Vorschlag).
103  In zwei weiteren Punkten behalfen sich die Formulierer mit
104  einem Trick. Um Auslegungsstreitigkeiten zu verhindern, fügten
105  sie den " Bindungen " West-Berlins an den Bund und der
106  Feststellung, daß die Halbstadt " kein Bestandteil " der
107  Bundesrepublik sei, erläuternde Begriffe in Klammern hinzu.
108  Nach dieser Einigung kann der innerdeutsche Teil des Berlin-
109  Abkommens, so hofft die Bundesregierung, spätestens bis Ende
110  des Jahres ausgehandelt werden. Egon Bahr will mit seinem DDR
111  -Pendant Michael Kohl jeweils mehrere Tage hintereinander
112  konferieren. Die Bonner Ostexperten rechnen damit, daß Bahr
113  über den Berlin-Zugang hinaus mit Staatssekretär Kohl
114  gleichzeitig ein allgemeines Verkehrsabkommen zwischen der
115  Bundesrepublik und der DDR vorantreiben kann. Diese
116  Verkehrsverhandlungen sollen nach dem Bonner Konzept zu einem
117  allgemeinen Entspannungsdialog überleiten, an dessen Ende ein
118  Generalvertrag mit innerdeutschen Erleichterungen und der
119  gleichzeitigen Aufnahme beider deutscher Staaten in die Uno stehen
120  soll. An den Fortschritten des Entspannungsdialogs will Bonn die
121  ratenweise internationale Aufwertung der DDR koppeln. Erste
122  Station auf diesem Wege soll zum Jahreswechsel die Beteiligung
123  Ost-Berlins an der multilateralen Vorbereitung einer
124  Konferenz für die Sicherheit Europas sein. Nächste Station:
125  Bonn will sich nicht mehr dagegen sperren, daß die Ostdeutschen
126  gleichberechtigt an der für Sommer nächsten Jahres nach
127  Stockholm einberufenen Uno-Konferenz über Umweltschutz
128  teilnehmen. HAUSHALT. Sehr happy.
129  Entgegen allen Prophezeiungen ist es Wirtschaftsminister
130  und Finanzminister Schiller mit Unterstützung des Bundeskanzlers
131  gelungen, den Haushalt 1972 stabilitätskonform zu halten und eine
132  Kabinettskrise abzuwenden. Selbstbewußt beschied
133  Finanzminister Karl Schiller einen der aufdringlichsten
134  Bittsteller im Gerangel um den Bundesetat für das nächste Jahr:
135  " Erinnern Sie sich nicht mehr daran, warum Alex Möller
136  zurückgetreten ist? " Viele erinnerten sich daran. Sie
137  gestanden Schiller in der entscheidenden Sitzung des
138  Finanzkabinetts letzte Woche zu, was sie seinem Vorgänger
139  Möller im Frühjahr verweigert hatten: einen
140  stabilitätsgerechten Haushalt 1972. Mit tatkräftiger
141  Unterstützung des Kanzlers strich Schiller die Etat-
142  Forderungen seiner Kollegen von etwa 115 auf knapp 107 Milliarden
143  Mark zusammen und drückte damit die Steigerungsrate des Haushalts
144  auf rund acht Prozent, nur wenig mehr als das Sozialprodukt nach
145  Schillers Schätzung 1972 wachsen soll. Pressestaatssekretär
146  Conny Ahlers: " Der Kanzler hat ihm auch eisern geholfen.
147  Schiller ist sehr happy. " Der Grund für seine Happiness:
148  Der Wirtschaftsminister und Finanzminister darf mit
149  diesem konjunkturneutralen Haushalt darauf hoffen, daß der Staat
150  die Preise nicht noch weiter in die Höhe treibt. Und die von
151  Möller für den Herbst geweissagte schwere Kabinettskrise fand
152  - auch ohne gravierende Steuererhöhung - zunächst nicht statt.
153  Vergeblich suchte Verteidigungsminister Helmut Schmidt,
154  Großverbraucher an Schillers Tafel, das Finanzkabinett auf eine
155  Erhöhung von Lohnsteuer und Einkommensteuer um sechs
156  bis sieben Milliarden Mark festzulegen. Die Deutschen, so ihr
157  Verteidiger, hätten durchaus Verständnis für einen
158  Kanzlerappell unter der Devise: " Das Volk muß Opfer bringen. "
159  Vergeblich auch focht der sozialpolitische Chefideologe der
160  Regierung, Staatssekretär im Arbeitsministerium Herbert
161  Ehrenberg, für eine Verlängerung der vierprozentigen
162  Investitionssteuer, der bislang alle industriellen
163  Neuinvestitionen unterliegen. Ehrenberg verlangte, daß die
164  Steuer, die - laut Gesetz - bis 1972 abgebaut werden soll,
165  weiter erhoben wird und 1974 in eine Vermögensabgabe zugunsten der
166  Arbeitnehmer umgewandelt werde. Für die Bundeskasse wären dabei
167  bis 1974 drei Milliarden Mark abgefallen. Vergeblich schließlich
168  forderte Verkehrminister Georg Leber eine Erhöhung der
169  Mineralölsteuer um sechs Pfennig je Liter Benzin - drei
170  Pfennig für den Ausbau seiner Fernstraßen, drei Pfennig für
171  Nahverkehrsinvestitionen der Gemeinden. Schiller dagegen will
172  seinem Kollegen insgesamt nur drei Pfennig zugestehen. Die
173  Mehreinnahmen von knapp einer Milliarde Mark sollen ganz den
174  Gemeinden überlassen werden. Nach den Wünschen des
175  Finanzministers werden nur Tabak (um 13 Prozent) und Branntwein
176  (um 25 Prozent) höher belastet. Die Steuertreiber beschied
177  Schiller: " Ich denke nicht daran, alles zu erhöhen. "
178  Dafür hieb er die Mehrforderungen der Kollegen unerbittlich
179  zusammen - mit Lust am Streichen und Liebe zum Detail. Dem
180  Landwirtschaftsminister Josef Ertl, der ihn um eine Staatshilfe
181  für die bäuerliche Unfallversicherung anging, wies Schiller nach,
182  daß der Kassenbestand der bäuerlichen Genossenschaften voll
183  ausreicht. Verkehrsminister Leber mußte sich vom
184  wohlpräparierten Finanzherrn aus einer eigens angefertigten
185  Tabelle vorlesen lassen, um wieviel höher die Belastung der
186  deutschen Kraftfahrer mit Mineralölsteuer im Vergleich zu anderen
187  Europäern ist. Dem Innenminister Hans-Dietrich Genscher
188  zerschlug der Streicher das Personal-Konzept für das kommende
189  Jahr. Übermäßige Besoldungsverbesserungen und eine
190  beispiellose Beförderungswelle in allen Ressorts hätten, so
191  argumentiert Schiller, schon im laufenden Jahr den Staat 15
192  Prozent mehr gekostet. Von 11098 zusätzlich angeforderten neuen
193  Planstellen billigte Schiller lediglich 484, die verlangten 1427
194  Stellenanhebungen strich er ersatzlos. Am schlimmsten erging es
195  Entwicklungsminister Erhard Eppler, obwohl er seinen Auftritt im
196  Finanzkabinett in insgesamt sechseinhalb Stunden Vorverhandlungen
197  mit Kanzler Brandt, Kanzleramtsminister Ehmke und Schiller
198  vorbereitet hatte. Als einziger mußte er sich statt vom
199  Finanzchef selbst von dem ebenfalls anwensenden Haushaltsdirektor
200  Joachim Hiehle bedienen lassen. Mit Hiehle feilschte der
201  Entwicklungshelfer unter dem mitleidigen Lächeln seiner Kollegen
202  zwei Stunden erfolglos um 20 Millionen Mark, 0,2 Promille
203  des Bundeshaushalts. Das Geld sollte vor allem für die
204  Öffentlichkeitsarbeit Epplers ausgegeben werden. Den einzigen
205  Überraschungscoup landete Deutschland-Minister Egon Franke.
206  Er suchte um zusätzliche Dotationen nach, da sein Amt die
207  Kosten des innerdeutschen Dialogs Bahr-Kohl zu tragen habe.
208  Schiller nachsichtig: " Das ist ein typischer Fall für eine
209  unabweisbare überplanmäßige Ausgabe. " Unabweisbar und
210  planmäßig verteidigte Oberbefehlshaber Helmut Schmidt seine
211  Milliarden-Forderungen, vor denen Möller schon im Mai
212  kapituliert hatte. Schmidt erbeutete einen Zuschlag von über zehn
213  Prozent. Ein Kabinettsmitglied stöhnte über Schmidts
214  Frontbericht von der finanziellen Lage der Bundeswehr:
215  " Helmut hat das Abendland untergehen lassen. " Doch die
216  Milliarden, die Schmidt als Verteidigungsminister forderte,
217  waren dem von den Jungsozialisten bedrängten Parteirechten optisch
218  zu hoch. Er bat die Kanzlerrunde, doch einen Teil der
219  zusätzlichen Wehr-Milliarden in einem anderen Etat, dem
220  Einzelplan 60 (" Allgemeine Finanzverwaltung ") verstecken zu
221  dürfen. Lediglich Georg Leber verwahrte sich gegen die Schmidt
222  -Tarnung: " Man kann nicht einen Nato-Haushalt machen
223  und einen Juso-Haushalt. Wenn man mehr Geld fordert, dann
224  muß man es auch vertreten. " Und mehr noch: Leber, dem alle
225  Beteiligten zugetraut hatten, er werde wegen seiner Straßenbau
226  -Milliarden das Kabinett notfalls sprengen, nahm Schmidt-
227  Feind Schiller ausdrücklich in Schutz. Obwohl der Streit über
228  die Mineralöl-Pfennige erst während einer dreitägigen
229  Sitzung des Gesamtkabinetts diese Woche ausgetragen werden soll,
230  bescheinigte er dem Finanzminister ausdrücklich, in den
231  Vorbesprechungen zu seinem Verkehrshaushalt noch niemals so gut
232  behandelt worden zu sein. Schillers taktischer und materieller
233  Sieg rückte den Superminister noch näher an seinen Kanzler heran.
234  Seine größte politische Gefahr auf dem Weg nach oben besteht
235  - so ein Kanzlerberater - darin, " daß er den anderen zu
236  mächtig wird. " Industrie-Kontakte.
237  Hervorragende Truppe. In einem vertraulichen
238  Gesprächskreis trafen sich Industriekapitäne und
239  Wirtschaftsbosse mit Abgesandten der Regierungsfraktionen. Die
240  CDU sucht diese Kontakte zu stören. Die schweren Mercedes
241  -Limousinen fuhren bei Einbruch der Dunkelheit in Bonn vor.
242  Gegen 19 Uhr am vergangenen Donnerstag versammelten sich im
243  Innenministerium Industrieherren wie Helfried Krug (Feldmühle),
244  Otto Wolff von Amerongen (Wolff-Gruppe), Hans Moll
245  (MAN) und Friedrich Krämer (Preussag) zu einem ebenso
246  exklusiven wie geheimen Zirkel. Gemeinsam mit führenden
247  Abgeordneten der Koalitionsfraktionen - darunter der
248  parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Karl Wienand, die
249  sozialdemokratischen Wirtschaftssprecher Lenders und Junghans
250  sowie, als Gastgeber, Innenamts-Staatssekretär Wolfram
251  Dorn (FDP) - diskutierte der Kreis über Probleme der
252  Steuerreform. Vier Stunden lang führten die " elf
253  Vorstandsmitglieder oder Generaldirektoren namhafter Unternehmen
254  mit uns Parlamentariern ein großes Grundsatzgespräch " (Dorn).
255  Die Runde ließ sich durch Gegenpropaganda der CDU/CSU
256  -Opposition nicht irritieren. Durch gezielte Agitation hatten
257  christdemokratische Politiker wenige Tage vor dem Treffen den
258  Zirkel zu sprengen gesucht, der sich seit einem halben Jahr
259  bemüht, Mißtrauen und Mißverständnisse zwischen Willy
260  Brandts linksliberaler Regierung und Westdeutschlands
261  konservativer Industrie-Elite abzubauen. Die Idee zu einem
262  informellen Gesprächskrieg mit den Gegnern der Koalition war dem
263  liberalen Dorn Anfang des Jahres gekommen. Der Innenamts-
264  Staatssekretär konsultierte zunächst seinen Partei-
265  Vorsitzenden Walter Scheel, FDP-Vize Hans-Dietrich
266  Genscher und Fraktionschef Wolfgang Mischnick. Das FDP-
267  Quartett kam überein, die Regierungspartner zu befragen, ob die
268  Koalition ein Interesse daran habe, sich gelegentlich mit
269  hochkarätigen Industriellen zu besprechen, um die Gegner des
270  Bündnisses über ihre Ansichten und Pläne auf dem laufenden zu
271  halten. Dorn nahm Kontakt zum parlamentarischen Geschäftsführer
272  der SPD, Karl Wienand, auf. Der Sozialdemokrat fand " die
273  Sache prima ". Sicherheitshalber bat er Chef Wehner um
274  Erlaubnis und wurde beschieden: " Das können wir laufen lassen. "

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