Quelle Nummer 346
Rubrik 07 : POLITIK Unterrubrik 07.11 : TAGESPOLITIK
DAS PARLAMENT
BONN, 27.2.1971, 21.JG.,NR.9, S.1-
001 Vom Bundestag verabschiedet: Der 100-Milliarden-
002 Etat 1971. Harte Kritik der Opposition/
003 Bundesregierung will ihr Programm fortsetzen. Nach
004 sechstätiger Debatte verabschiedete der Bundestag am 12.
005 Februar den Bundeshaushaltsplan für das Jahr 1971 in Höhe von
006 100,1 Milliarden DM. Von 424 Abgeordneten stimmten 221 der
007 Regierungskoalition mit Ja, 202 der Opposition mit Nein, eine
008 Stimme war ungültig. Bei der dritten Beratung kam es zu einem
009 heftigen Rededuell zwischen dem CSU-Vorsitzenden Franz
010 Josef Strauß und Bundeskanzler Willy Brandt. Hart prallten
011 die Meinungen über die Finanzpolitik und
012 Wirtschaftspolitik der Bundesregierung aufeinander. Strauß
013 zeichnete ein düsteres Bild der künftigen wirtschaftlichen
014 Entwicklung und sagte für 1974 im Etat eine Deckungslücke von 17
015 bis 18 Milliarden DM voraus, wenn die Regierung nicht gewaltige
016 Abstriche mache. Die Geldwertstabilität sei gegenwärtig ernster
017 gefährdet als irgendwann zwischen 1949 und 1969. Bundeskanzler
018 Brandt wies diese Behauptung energisch zurück und hielt dem CSU
019 -Vorsitzenden vor, Schwarzmalerei zu betreiben, durch die
020 Unsicherheit und Mißtrauen in der Wirtschaft und im Volk
021 verbreitet würden. Er unterstrich den festen Willen der
022 Bundesregierung, die begonnenen Reformen entschlossen fortzusetzen.
023 Auch in der Beurteilung der Ostpolitik zeigten sich wieder die
024 harten Gegensätze zwischen Regierung und Opposition. Zu
025 weiteren scharfen Kontroversen führte eine Auseinandersetzung
026 über die politische Richtung der sozial-liberalen Koalition
027 und der Oppositionsparteien. Beide Seiten warnten davor, sich
028 gegenseitig rechtsradikale oder linksradikale Tendenzen
029 vorzuwerfen. Die fünfstündige Debatte mit teilweise massiven
030 Wortgefechten wird nachstehend in Auszügen wiedergegeben.
031 CDU/CSU: Wohin führt die Finanzpolitik?.
032 Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten
033 Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des
034 Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1971 (Haushaltsgesetz
035 1971) Zusammenstellung der Beschlüsse des Bundestages in zweiter
036 Beratung Strauß, (CDU/CSU): Herr
037 Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In
038 Publizistik und Wissenschaft der letzten Zeit wird mit immer
039 besorgteren Tönen vor einer Polarisation der politischen Kräfte
040 oder, auf deutsch, vor einem haßerfüllten Gegeneinander der
041 politischen Kräfte in der Bundesrepublik gewarnt. Es war ein
042 Kollege meiner Fraktion, der Kollege Riedel, der vor einigen
043 Tagen bei einer Jugendveranstaltung das Wort von den " Barrieren
044 des Hasses im Deutschen Bundestag " gebraucht hat. Es geht mir
045 hier nicht um Rechthaberei wie zwischen Kindern, wer den Krug
046 zerbrochen habe; aber es geht doch um einige ganz bestimmte
047 Tatbestände, erstens - und ich sage das ohne Aufregung, ohne
048 Polemik und ohne Leidenschaft - um die wachsende Unfähigkeit
049 der politischen Spitze in der Koalition, sachlich scharfe Kritik
050 zu ertragen, und um die wütenden Ausfälle dagegen. Wenn ich an
051 die Opposition der fünfziger und sechsziger Jahre denke - nun,
052 ich habe ein gutes Gedächtnis. Es geht zweitens um die in der
053 Sache blödsinnige Verteufelung der 20 Jahre " CDU/CSU
054 -Herrschaft ", wie es heißt, als einer Periode der großen
055 Versäumnisse in der Innenpolitik und des Stillstandes in der
056 Außenpolitik. Das ist doch demagogische Phraseologie. Aber der
057 Grad dieser Verteufelung der 20 Jahre CDU/CSU hat doch
058 erheblich zur Radikalisierung des innenpolitischen Klimas und zur
059 Zerstörung des Augenmaßes für das Mögliche in unserem Land
060 beigetragen. Ein dritter Tatbestand ist die verschwenderische
061 Verwendung des Begriffs " Reform " auch für
062 Selbstverständlichkeiten, wobei die Nichterfüllung zu Unrecht
063 erweckter Hoffnungen dann der Opposition in die Schuhe geschoben
064 wird. Viertens nenne ich den geradezu glaubenskämpferischen
065 Fanatismus des Eintretens für eine in den Denkansätzen leider
066 falsche, unter mehrdeutigen Auslegungen leidende, aber fast in den
067 Rang einer Heilslehre der Welt erhobene neue Ostpolitik, die mit
068 trügerischen Formulierungen wie " den Frieden sicherer machen "
069 aufgeputzt wird, als ob die Frage " Krieg oder Frieden " von
070 der Durchsetzung dieser Ostpolitik, von ihrem Erfolg oder
071 Mißerfolg abhängen würde. Man sollte sich doch darüber im
072 klaren sein, daß die Formel " Krieg oder Frieden " im
073 Zusammenhang mit dieser Ostpolitik ein Schlagwort ist, das
074 schließlich auf die Sowjetpropaganda zurückgeht, die es bewußt
075 in Umlauf gesetzt hat. Zwischen schleichender und trabender
076 Inflation. Der Herr Bundeskanzler hat in der
077 Wirtschaftsdebatte eine Behauptung aufgestellt, die durch
078 Wiederholung auch nicht richtiger wird - und ich bitte Sie,
079 Herr Bundeskanzler, das wirklich einmal zu glauben -, nämlich
080 die, die Opposition habe im Lande immer von Inflation im Sinne
081 eines Währungszerfalls wie nach den beiden Weltkriegen gesprochen.
082 Das stimmt doch nicht! Ich habe doch hier in meiner Rede am 24.
083 September ganz klar - wie in unzähligen Wahlversammlungen im
084 Herbst letzten Jahres - erklärt, daß das, was sich nach den
085 beiden Weltkriegen zugetragen hat - die galoppierende Inflation
086 -, doch ein Thema ist, das nur - entschuldigen Sie das harte
087 Wort - unter Idioten zur Diskussion stehen könnte. Das,
088 worüber wir uns unterhalten, ist die Frage der schleichenden oder
089 trabenden Inflation. Das ist das Wirtschaftsthema und
090 Finanzthema der Jahre 1970 und 1971 und wahrscheinlich leider auch
091 noch weiterer Jahre. Herr Bundeskanzler, wenn Sie die
092 Verwendung des Begriffs Inflation so radikal ablehnen, dann
093 erinnern Sie sich doch daran, daß im Zusammenhang mit der
094 Haushaltspolitik Erhards Ihr heutiger Wirtschaftsminister die
095 damalige Ausgabenpolitik, die maßvoller war als die heutige, als
096 eine Inflationsquelle erster Ordnung und Ihr heutiger
097 Finanzminister die gleiche Ausgabenpolitik als einen stärksten
098 Inflationsherd bezeichnet hat. Die Legitimität der Verwendung
099 von Begriffen kann doch nicht jeweils nach politischen Parteien
100 unterschiedlich gewertet werden. Ich habe in meiner Rede am 24.
101 September letzten Jahres noch eine Reihe weiterer Beispiele für
102 die Krisenhysterie gebracht, die man damals im Jahre 1965/1966
103 betrieben hat: Schnell das Geld ausgeben, bevor es seinen Wert
104 verloren hat usw.. Ich komme darauf jetzt nicht mehr zurück.
105 Aber heute ist es, was die Geldwertstabilität angeht, ernster,
106 als es zu irgendeinem Zeitpunkt zwischen 1949 und 1969 jemals
107 gewesen ist. Niemand spricht von einer galoppierenden Inflation
108 - ich sage das jetzt noch einmal ausdrücklich - wie nach dem
109 ersten und zweiten Weltkrieg. Aber wir sind durch Fehler und
110 Versäumnisse dieser Regierung in eine Inflation geraten, deren
111 Geschwindigkeit man zwischen schleichend und trabend bezeichnen muß.
112 Es hat doch keinen Sinn, auf das Barometer einzuschlagen, wenn
113 man sich über das Wetter ärgert, und zwar deshalb, weil man
114 gutes Wetter prophezeit und versprochen hat, aber schlechtes
115 eingetreten ist. Haben nicht wir vor übereilten
116 Steuersenkungszusagen gewarnt, die am 1.Januar 1970 bereits in
117 Kraft treten sollten und dann nach den drei Landtagswahlen sang
118 los und klanglos auf unbestimmte Zeit wieder
119 zurückgestellt worden sind? Wir haben, Herr Bundeskanzler -
120 da komme ich auf Ihren Beitrag in der Wirtschaftsdebatte zurück
121 -, dem Stabilisierungsprogramm vom Juli 1970 nicht zugestimmt,
122 aber doch nicht deshalb, weil wir gegen Stabilisierung wären,
123 sondern deshalb, weil dieses Programm in der Form fragwürdig,
124 Im Zeitpunkt zu spät, unwirksam war und wie ein Hohn erscheinen
125 mußte. Es wirkte deshalb wie ein Hohn, weil man zuerst
126 Steuersenkungen versprochen, die Absicht der Steuererhöhung
127 feierlich verneint, den Haushalt der beiden letzten Monate 1969
128 und den Haushalt 1970, mindestens die erste Hälfte, zu einer
129 Inflationsquelle erster Ordnung oder einem stärksten
130 Inflationsherd gemacht hat, womit ich exakt die Terminologie der
131 dafür verantwortlichen Minister hier wiederhole.
132 Preisauftrieb hält noch an. Das letzte Jahr hat uns die
133 Spitze in der Welt bei der Preissteigerungsrat des
134 Bruttosozialprodukts erbracht. Ich wollte es nicht glauben und
135 habe es gestern noch einmal exakt nachgeprüft. Denn die Zunahme
136 der Verbraucherpreise um 3,8 Prozent oder 4 Prozent ist kein
137 zulänglicher Maßstab, das ist nicht das Entscheidende. Hier
138 liegen wir sicherlich nicht an der Spitze, sondern in der unteren
139 Hälfte. Aber das ist nicht der Maßstab. Ich möchte sagen,
140 die Preisreform scheint mir die einzige bisher konsequent
141 durchgeführte " Reform " zu sein, die nachhaltig gelungen ist.
142 Wir haben uns allerdings das Versäumnis zuschulden kommen lassen,
143 diesen " Rekord " 20 Jahre nicht erreicht zu haben. Sonderfall:
144 Korea-Krieg! Es war doch der heutige und damalige
145 Bundeswirtschaftsminister, der im Finanzbereicht 1969 den Begriff
146 " preisstabilität " so beschrieben hat, daß der Unterschied
147 zwischen nominalem und realem Bruttosozialprodukt nicht mehr als 1
148 Prozent betragen dürfte; das sei für ihn der Maßstab der
149 Stabilität. Wenn ich diesen Maßstab eines Mitglieds der
150 heutigen Regierung, dessen Bewußtseinsmaßstäbe sich doch
151 zwischen der letzten Regierung unter einem anderen Kanzler und der
152 heutigen Regierung unter diesem Kanzler nicht verschoben haben
153 können, zugrunde lege, was sagt dann diese Regierung dazu, daß
154 es im Jahre 1970 statt 1 Prozent nachweislich 7,4 Prozent
155 sind? Dabei halten trotz der bekannten
156 Abschwächungserscheinungen die Preisauftriebstendenzen immer noch
157 an. Siehe die Äußerungen Emmingers nach der letzten Sitzung
158 des Zentralbankrats! Sind denn unsere Hinweise irrig oder
159 demagogisch, daß die Zerstörung der Preisniveaustatibität über
160 kurz oder lang nachteilige Folgen für andere Ziele unserer
161 Wirtschaftspolitik wie Wachstum und Vollbeschäftigung haben muß!
162 Ich meine, nicht kurzfristig, aber langfristig. Oder glaubt
163 man, die Einhaltung dieser Ziele durch verstärkten Einsatz
164 inflationär wirkender Mittel sicherstellen zu können?
165 Gefährlicher Trugschluß! Die Stunde der Wahrheit kommt -
166 in der Finanzpolitik mit unausweichlicher Sicherheit! Wer
167 trägt die Schuld an der Preisentwicklung?. Geradezu
168 unglaublich, Herr Bundeskanzler - aber ich muß leider sagen:
169 sich würdig an frühere Entgleisungen anschließend -, ist das,
170 was Sie laut dpa in Mainz am 6.Februar 1971 gesagt haben. Es
171 heißt in der dpa-Meldung, die ich wörtlich zitieren darf:
172 Heftig wandte sich Brandt gegen Behauptungen, mit dem
173 Regierungsantritt der SPD-FDP-Koalition sei die
174 Wirtschaftsordnung geändert worden und nun der Staat für die
175 Preisentwicklung verantwortlich. " Dem ist nicht so ", rief der
176 Bundeskanzler unter starkem Beifall aus, " im Gegenteil, an den
177 Quellen, an denen die Preise gemacht werden, sitzen die Herren
178 Strauß, Stoltenberg und Kohl. " Herr Bundeskanzler, ich
179 kann Ihnen hier den Vorwurf nicht ersparen, daß das sicherlich in
180 Ihrer Psychose vor den Landtagswahlen Rheinland-Pfalz auf
181 dem Wege eines sehr starken Lapsus linguae zustande gekommene
182 demagogische Äußerungen sind. Aber der Bundeskanzler darf sich
183 auch als Parteivorsitzender aus propagandistischen Gründen der
184 Wahlkampfanheizung nicht auf das Niveau eines volkswirtschaftlichen
185 Hilfsschülers herablassen. Darum darf ich hier noch einige
186 Fragen stellen bzw. Anmerkungen machen. Erstens. Haben Sie
187 damals, in den 20 Jahren Opposition die jeweilige Bundesregierung
188 für die Preisentwicklung verantwortlich gemacht oder nicht?
189 Jetzt sagen Sie bloß, daß Sie damals gesagt haben: " Die
190 Preisentwicklung hat mit der Politik der Bundesregierung
191 überhaupt nichts zu tun. "! Dann muß ich in diesen Jahren in
192 einem Traumtheater gelebt haben, aber nicht im Deutschen
193 Bundestag. Zweitens. Wollten Sie damit sagen, daß vielleicht
194 die Bundesbank, die mit ihrer Bremspolitik lange Zeit von der
195 Bundesregierung alleingelassen worden ist, die Schuld trägt?
196 Was jetzt im Jahreswirtschaftsbereicht als Programm zur
197 Stabilisierung nach der Aufwertung verkauft wird, war doch ein
198 sehr pannenreiches Unternehmen, dessen einzelne Etappen wir hier
199 erlebt haben. Das ist ein Unternehmen, für das man nicht einmal
200 die berühmte Formulierung Karl Valentins anwenden kann:
201 Möchten hätten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht
202 getraut. Drittens. Herr Bundeskanzler, warum beklagt denn der
203 Finanzminister die Mindereinnahmen bei den gewinnabhängigen
204 Steuern, der Einkommensteuer, Körperschaft
205 steuer und Gewerbesteuer in Höhe von insgesamt 6,6
206 Milliarden DM gegenüber der Schätzung für Bund, Länder und
207 Gemeinden? Haben Sie denn darüber nicht nachgedacht? Mir hat
208 einmal der Herr Bundeswirtschaftsminister in seiner karitativen,
209 altruistischen Nächstenliebe an diesem Platz ein Colloquium
210 privatissime et gratis angeboten. Ich glaube, er sollte seinen
211 Bundeskanzler nunmehr in den Genuß dieser Wohltat kommen lassen.
212 Warum denn diese radikale Minderung der Steuereinnahmen, so daß
213 die Einnahmen aus diesen Steuern sogar hinter den Einnahmen des
214 Jahres 1969 zurückbleiben? Warum denn? Doch deshalb, Herr
215 Bundeskanzler, weil die Preiserhöhungen nicht ausreichen, um die
216 Kostenerhöhungen aufzufangen, und weil die Erträge
217 besorgniserregend zurückgegangen sind! Das ist doch der Grund.
218 Darf ich Sie auch fragen: Was haben Sie als Chef der
219 Regierung mit der Regierungsgesamtautorität getan - also es
220 nicht dem Wirtschaftsminister überlassen -, um sowohl durch
221 rechtzeitige Stabilisierungsmaßnahmen als auch durch Einfluß auf
222 die Tarifpartner eine Kostenexplosion zu verhindern? Das sind
223 die Fragen. Siehe " Die Welt ", Interview mit Herrn
224 Bundesbankpräsident Klasen, der Ihnen doch meines Wissens
225 politisch nicht fern steht. Da hat " Die Welt " ihn gefragt:
226 Sie sprachen nach der Sitzung des Zentralbankrates von tiefer
227 Sorge über die Entwicklung bei Preisen und Löhnen. Hatten
228 Sie aktuellere Zahlen als die jeweils vier Wochen alten, die die
229 Öffentlichkeit kennt? Die Antwort von Herrn Klasen war:
230 Die Zahlen, die wir haben, sind auch nicht viel neuer. Das
231 Aktuelle waren für uns die Ankündigungen von Preiserhöhungen in
232 der Presse, die Zahlen, mit denen einzelne Gewerkschaften ihre
233 Lohnverhandlungen eröffnen. Darauf versuchten wir in der
234 Bundesbank, uns ein Bild der zukünftigen Entwicklung zu machen.
235 Wir gingen durchaus davon aus, daß Ankündigungen und
236 Forderungen nicht immer mit den endgültigen Preis
237 steigerungen und Lohnsteigerungen übereinstimmen. Wenn man
238 aber auf internationalen Tagungen - so ging es uns auf der letzten
239 Tagung der Bank für internationalen Zahlungsausgleich in Basel
240 - Tabellen vorgelegt bekommt, aus denen klar hervorgeht, daß
241 die Bundesrepublik mit ihrer vierzehnprozentigen
242 Lohnkostensteigerung 1970 an der Spitze aller EWG-Länder
243 liegt und wenn man aus den aktuellen Diskussionen den Eindruck
244 gewinnt, daß die Beteiligten das nicht als einmaligen Vorgang
245 ansehen, sondern als Dauerzustand anstreben, dann muß man schon
246 von tiefer Sorge über die wirtschaftliche Entwicklung erfüllt
247 sein. So wörtlich Herr Klasen! Wenn wir dasselbe sagen wie
248 der Bundesbankpräsident - was wir letztes Jahr auch mehrmals
249 getan haben -, dann ist das nicht eine demagogische Opposition,
250 die das Ziel oder das Maß des Erlaubten überschreitet, sondern
251 dann entspringt dies der Pflicht der Opposition als einer
252 institutionalisierten Kritik, auf diese Punkte hinzuweisen. Wenn
253 die Geldwertentwicklung in einem Jahr der CDU/CSU-
254 Herrschaft, wie man immer sagt, so gewesen wäre, wie sie im
255 Jahre 1970 war, dann möchte ich nicht wissen, - - - Nein,
256 die gesamte Geldwertentwicklung. Das Jahr 1966 stimmt nicht,
257 Herr Kirst. Da liegt die Steigerung der Verbraucherpreise bei 3,
258 4 Prozent, aber die der industriellen Erzeugerpreise weit
259 darunter bei 1,7 Prozent, die der Baupreise bei 5 Prozent
260 bis 6 Prozent. Das sind ganz andere Zahlen. Aber ich möchte
261 mich nicht in Dialoge einlassen. Wenn wir jemals diesen Rekord
262 erreicht hätten, ich möchte nicht wissen, welche Reden die
263 Herren Schiller, Möller und andere Vertreter der Opposition
264 hier gehalten hätten. Dann muß ich Sie noch etwas fragen, Herr
265 Bundeskanzler. Die Preissteigerungen betragen im Januar bei
266 Pkws 2 Prozent bis 5 Prozent, bei Möbel und Hausrat 6 Prozent
267 bis 8 Prozent, bei Elektrogeräten 4 Prozent bis 6 Prozent, bei
268 Foto 6 Prozent bis 8 Prozent, bei der Herrenoberbekleidung 8
269 Prozent und beim Walzstahl 4,7 Prozent. Im übrigen haben
270 wir in Nordrhein-Westfalen vom Dezember auf Januar eine
271 Zuwachsrate von 1,3 Prozent in einem Monat. Glauben Sie,
272 daß diese Preiserhöhungen das Ergebnis eines Komplotts zwischen
273 den Unternehmern einerseits und den genannten Oppositionspolitikern
274 Strauß, Stoltenberg und Barzel andererseits sind? Das grenzt
275 doch wirklich an Klassenkampfphraseologie. Sie beklagen sich,
276 daß die Opposition Unruhe und Unsicherheit im Volk und in der
277 Wirtschaft erzeuge. Hier gilt dasselbe, was ich über die
278 Inflationsangst gesagt habe. Verwechseln Sie nicht Ursache und
279 Wirkung! Beschimpfen Sie nicht das Termometer wegen der
280 Temperatur.
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