Quelle Nummer 340

Rubrik 05 : KULTUR   Unterrubrik 05.01 : SCHULWESEN

GROSSER HESSENPLAN
GROSSER HESSENPLAN, SCHULENTWICKLUNGSPLAN 1,
HERAUSGEGEBEN VOM HESSISCHEN KULTUSMINISTER,
WIESBADEN 1970, S. 14-


001  Sekundarstufe 1. Hessen hat mit der Zusammenfassung
002  zahlreicher Einzelschulen in Mittelpunktschulen die Voraussetzung
003  für die Bildung größerer Hauptschulsysteme und die Entwicklung
004  einer Vielzahl verbundener Hauptschulen und Realschulen
005  geschaffen. Um Chancengleichheit und Förderung bisher
006  benachteiligter Gruppen zu ermöglichen, hat das Land bereits 1955
007  /1956 mit einem ersten Versuch der pädagogischen,
008  organisatorischen und räumlichen Zusammenführung der getrennten
009  Schulsysteme im Schuldorf Bergstraße begonnen. Während für
010  das 5.und 6.Schuljahr der gemeinsame Unterricht im Kern
011  unterricht und differenzierten Kursunterricht als
012  Förderstufe eingerichtet wurde, blieben in den folgenden
013  Jahrgangsstufen die Schulzweige Hauptschule, Realschule,
014  Gymnasium und Berufsschule erhalten. Mit der stetigen Ausweitung
015  der Förderstufenversuche in den folgenden Jahren (1955/1956 1
016  Förderstufen 1960/1961 7Förderstufen 1965
017  /1966 37Förderstufen 1969/1970 129 Förderstufen
018  mit jetzt 34569 Schülern) entstanden wie im Schuldorf
019  Bergstraße " Gesamtschulen ", in denen zunächst neben der
020  gemeinsamen Unterbringung in einem Schulzentrum verschiedene
021  Formen der Zusammenarbeit bis zu gemeinsamen Wahlkursen für alle
022  Schüler erprobt wurden. Damit wurde die Veränderung unseres
023  Schulwesens in der Sekundarstufe 1 zu horizontal gegliederten
024  Strukturen vorbereitet. Nachdem die Förderstufe den Beweis
025  erbracht hatte, daß sie den traditionellen Formen des Übergangs
026  am Ende des 4.Schuljahres überlegen war und erste Erfahrungen
027  mit Gesamtschulen vorlagen, konnte das Schulverwaltungsgesetz vom
028  30.5.1969 die generelle Einführung der Förderstufe
029  vorsehen, sofern die persönlichen, sächlichen und
030  schulorganisatorischen Voraussetzungen vorliegen (9). Diesem
031  ersten Schritt zur Horizontalisierung folgt - sofern es die
032  örtlichen Verhältnisse zulassen und die notwendige Mindestgröße
033  von etwa 200 Schülern pro Jahrgang erreicht wird - die
034  Errichtung von Gesamtschulen. Vollintegrierte Gesamtschulen
035  bezeichnen die weitere Entwicklung, wobei - wie in den Klassen 5
036  und 6 der Förderstufe - auch in den Klassen 7 bis 10 von Beginn
037  an auf die Schulformen verzichtet wird. Eine ausgearbeitete
038  regionale Zielplanung muß die stufenweise Verwirklichung der
039  Schulreform sichern. Die Schulentwicklungspläne geben eine
040  zuverlässige Grundorientierung und bestimmen die zukünftigen
041  Schulstandorte. Mittelpunktschulen stehen hierbei für zentrale
042  Mittelpunktgrundschulen und für Gesamtschulen zur Verfügung.
043  Auch die Gebäude der Gymnasien können genutzt werden, wenn die
044  Entwicklung der Sekundarstufe 2 den Bau neuer erweiterter
045  Studienstufen erfordert. Im Kernunterricht, der in heterogenen
046  Gruppen erteilt wird, sollen die Schüler nicht nur lernen,
047  sondern auch erfahren, daß Verschiedenheit der Begabung und der
048  sozialen Herkunft nicht die Möglichkeiten und den Wert eines
049  Menschen, seine Fremdeinschätzung und
050  Selbsteinschätzung bestimmen dürfen. Strukturen, die einzelne
051  Schichten benachteiligen, sollen abgebaut und soziale Integration
052  gefördert werden. Zentraler Fachbereich des Kernunterrichts ist
053  die Gesellschaftslehre. Sie verbindet die herkömmlichen Fächer
054  Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde, da die in diesen Fächern
055  vermittelten Inhalte in der Realität enger verschränkt sind, als
056  dies die drei Schulfächer einzeln zu zeigen vermochten.
057  Wichtigste Unterrichtsform in diesem Fachbereich ist das Projekt,
058  das auf Situationen ausgerichtet ist, auf die die Lernenden
059  vorbereitet werden. Ein Projekt gibt Aktionsfelder frei, die die
060  Schüler in eigener Initiative selbsttätig und arbeitsteilig
061  erkunden und analysieren. In weiteren integrierten
062  Unterrichtsveranstaltungen werden - neben den Naturwissenschaften
063  im 7.Schuljahr - auch solche Aspekte des Deutschunterrichts
064  vermittelt, die in herkömmlichen Schulformen zu sehr auf
065  Erwartungen und Vorgaben bestimmter Schichten ausgerichtet werden.
066  Das gilt vor allem für den Bereich " Sprachförderung und
067  Literatur ". Eine flexible Organisierung von Lernprozessen soll
068  individuelle Begabungen und Fähigkeiten soweit irgend möglich
069  entfalten. Im derzeitigen Stadium der Entwicklung wird in der
070  Regel versucht, diesen Anspruch durch Unterricht in relativ
071  homogenen Gruppen in Fachleistungskursen einzulösen. Ein
072  Schüler kann also beispielsweise im Englischunterricht den A-
073  Kurs, in Mathematik dagegen den C-Kurs besuchen.
074  Beobachtungen an Gesamtschulen, die ihre Arbeit bereits
075  aufgenommen haben, aber auch zahlreiche internationale
076  Untersuchungen zeigen, daß gegen ein starres Nebeneinander von
077  Kernunterricht und Fachleistungskursen Einwände zu erheben sind.
078  Integration und Differenzierung muß auch für Kernunterricht und
079  Kurse selber gelten. Andernfalls erscheinen die Leistungskurse
080  vielen Schülern, Lehrern und Eltern als Weiterführung der
081  Dreigliedrigkeit des bestehenden Schulsystems. Deutsch,
082  Mathematik und Sprachen müssen deshalb in bestimmten
083  Unterrichtsphasen - etwa zur Erarbeitung einer für alle
084  Schüler verbindlichen Grundlage - in heterogenen Gruppen
085  unterrichtet werden. Ein Versuch im Englischunterricht, vom
086  Institut für Fremdsprachenforschung Marburg entwickelt und
087  betreut, wird an einigen Gesamtschulen mit guten Ergebnissen
088  durchgeführt. Eine Unterrichtseinheit beginnt stets in
089  heterogenen Gruppen. Schneller lernende Schüler werden später
090  in Gruppen eingewiesen, die sich intensiver mit dem Stoff
091  beschäftigen, Langsam lernende verweilen länger in der
092  Ausgangsgruppe, und Schüler mit besonderen Lernschwächen werden
093  in Fördergruppen zusammengefaßt. Die die Gesamtschulversuche
094  begleitenden Expertengruppen haben für die Fächer Deutsch und
095  Mathematik ähnliche Modelle konzipiert. Um Festlegungen auf
096  bestimmte Leistungsgruppen zu vermeiden und individuelle
097  Fähigkeiten und Schwächen stärker berücksichtigen zu können,
098  ohne daß der Aspekt der sozialen Verbindlichkeit allen Lernens
099  vernachlässigt wird, bleibt die Gruppenzusammensetzung in diesem
100  System beweglich. Im Fachbereich Gesellschaftslehre wird der
101  Unterricht in heterogenen Gruppen kombiniert mit einem Angebot von
102  Eignungskursen und Interessenkursen, um auch in diesem
103  Bereich individuelle Begabungsvoraussetzungen gezielter entwickeln
104  zu können. Damit eine wissenschaftsorientierte Grundbildung für
105  alle gesichert wird, erfolgt der Unterricht in der Gesamtschule
106  zunehmend innerhalb fächerübergreifender Bereiche wie
107  Gesellschaftslehre, Naturwissenschaften, Sprachen, ästhetische
108  Bildung und Polytechnik. Vor allem der Polytechnik, die für
109  alle Schüler verpflichtend sein soll, wird besondere
110  Aufmerksamkeit gewidmet. Dabei handelt es sich in der
111  Sekundarstufe 1 nicht um eine Berufsgrundbildung, sondern um eine
112  zeitgemäße Allgemeinbildung, die auch die Bildungsinhalte der
113  Technik, der Wirtschaft und des Sozialbereichs vermitteln muß.
114  Zunächst muß die polytechnische Bildung in Fachbereichen und im
115  Wahlpflichtbereich erfolgen: Die ökonomischen, politischen und
116  sozialen Aspekte werden in die Gesellschaftslehre einbezogen; die
117  technologischen Aspekte werden dem naturwissenschaftlich-
118  technischen Bereich zugeordnet. Fachspezifische Inhalte der
119  polytechnischen Bildung, die nicht sinnvoll in die beiden Bereiche
120  einbezogen werden können, sollen entweder in einem eigenen Bereich
121  oder im Wahlpflichtbereich als Alternative zur 2.Fremdsprache
122  angeboten werden. Das beschriebene Unterrichtssystem, das in den
123  Klassen 9 und 10 auch im verbindlichen Unterricht den Schülern
124  Neigungskurse und Interessenkurse in immer größerer
125  Zahl zur freien Wahl anbietet, sieht darüber hinaus verschiedene
126  Fördermaßnahmen vor. Unter den Förderkursen nehmen vor allem
127  die Sprachförderkurse eine besonders wichtige Stellung ein, da
128  sie dazu dienen, schichtenspezifische Sprachsperren abzubauen.
129  Therapiekurse helfen Verhaltensgestörten, und Aufbaukurse
130  und Trainingskurse bauen vorübergehende Lernschwächen ab.
131  Unter Mitwirkung des Schulpsychologen und weiterer fachkundiger
132  Kräfte wird an Gesamtschulen eine Schullaufbahnberatung
133  eingerichtet, die in Zusammenarbeit mit dem Tutor, der die
134  Aufgabe des Klassenlehrers übernimmt, Schülern den ihnen
135  angemessenen Weg durch die Schule bestimmen hilft. Um die
136  Entwicklung der Gesamtschulen in Hessen zu fördern, bereiten
137  örtliche pädagogische Planungsgruppen von Lehrern und anderen
138  Fachleuten die Arbeit in den einzelnen Schulen vor.
139  Expertengruppen von Lehrern der Gesamtschulen und Mitarbeiter der
140  Lehrplanreform vermitteln in Handreichungen und Informationen
141  Vorschläge für die Fortentwicklung der Schulen. Ein besonderes
142  Beratersystem und Veranstaltungen des Hessischen Instituts für
143  Lehrerfortbildung vertiefen diese Arbeit. Sekundarstufe 2.
144  Nach der Strukturskizze des Bildungsrates wird die Sekundarstufe
145  2 als eine differenzierte Einheit begriffen. Alle Bildungspläne
146  einer Stufe sollen nach den gleichen bildungspolitischen Zielen,
147  didaktisch-pädagogischen Gesichtspunkten und organisatorischen
148  Grundsätzen ausgerichtet sein. Entscheidend ist, daß das
149  Denken in Schulformen hinter dem Denken in Bildungsgängen, die
150  auf bestimmte Lernziele gerichtet sind, zurücktritt. Im
151  allgemeinen wird anerkannt, daß eine enge Verbindung beruflicher
152  Schulen mit Studienstufen möglich und wünschenswert ist. Sie
153  ist in Schulversuchen zu erproben, damit die Grundlagen für eine
154  weitere Entwicklung gesichert werden. Bereits jetzt ist bei
155  Neubauten der Sekundarstufe 2 so zu planen, daß die
156  Zielvorstellungen einer gemeinsamen Sekundarstufe 2 verwirklicht
157  werden können. Im Rahmen der beabsichtigten Veränderungen wird
158  der Schulausbildung der Teilzeitschüler besondere Aufmerksamkeit
159  zuzuwenden sein. Es muß versucht werden, den Anteil der
160  Schulausbildung für Teilzeitschüler zu erhöhen. Ein erster
161  Schritt auf diesem Weg kann die Einführung eines
162  Berufsgrundschuljahres sein. Schließlich ist darauf hinzuweisen,
163  daß durch Einbeziehung von Einrichtungen der beruflichen
164  Weiterbildung, von Volkshochschulen und öffentlichen
165  Bibliotheken Schulen der Sekundarstufe 2 zu Bildungszentren
166  ausgebaut werden können, die eine bestmögliche Nutzung der
167  Gebäude und Ausstattungen erlauben. - Studienstufe..
168  Die Reform der Oberstufe der Gymnasien und ihre Entwicklung zu
169  einer Studienstufe zielt darauf ab, die Inhalte und die Verfahren
170  des Unterrichts auf heutige und zukünftige Erfordernisse
171  einzustellen und den Schülern Unterrichtsformen anzubieten, die
172  ihrer Altersstufe und Entwicklungsstufe angemessen sind.
173  Die unterrichtsorganisatorische Neugestaltung ist gekennzeichnet
174  durch die Auflösung der Klassenverbände, an deren Stelle ein
175  Kurssystem bzw. Lehrgangssystem tritt, und die
176  Einteilung in Halbjahre, die die Gliederung in Schuljahre
177  ablöst. Wenn alle Vorteile eines solchen Systems ausgenutzt
178  werden sollen, muß in Verdichtungsgebieten eine Zahl von ca.
179  300 Schülern je Jahrgangsstufe, in den übrigen Teilen des
180  Landes eine Zahl von 150-200 Schülern angestrebt werden.
181  Ein Teil der Zielvorstellungen läßt sich jedoch auch bereits
182  während einer Übergangszeit in kleineren Schulen verwirklichen.
183  Der Unterricht in der Studienstufe wird auf Pflichtbereiche
184  und Wahlbereiche verteilt. Innerhalb dieser Bereiche werden
185  Grundkurse und Leistungskurse mit genau beschriebenen
186  Lernzielen angeboten. Für Grundkurse sind im allgemeinen 2-3
187  Wochenstunden vorzusehen, während für Leistungskurse in der
188  Regel 5-6 Wochenstunden angesetzt werden sollen.
189  Verpflichtende Unterrichtsbereiche sind: der sprachlich-
190  literarisch-musische, der sozialwissenschaftlich-ökonomisch
191  -politische, der mathematische und naturwissenschaftliche und der
192  sportliche Bereich. Dazu tritt Religionslehre. Die
193  Unterrichtsgegenstände der Kurse des Wahlbereichs können
194  grundsätzlich allen Wissenschaftsbereichen entnommen werden. Zu
195  den bereits in den herkömmlichen Fächern vertretenen Gebieten
196  kommen somit neue Bereiche, zu denen etwa Datenverarbeitung,
197  Pädagogik, Psychologie und Statistik gehören. Der
198  Wahlbereich gibt weiterhin den Spielraum, Zeit für praktische
199  Umsetzungen - etwa im Bereich Gestaltung - zu gewinnen.
200  Schließlich kann der Schüler mit Kursen des Wahlbereichs den
201  Unterricht im Pflichtbereich verstärken. Die Gesamtstundenzahl
202  in der Studienstufe ist im allgemeinen gleichmäßig auf die
203  Schulhalbjahre zu verteilen. Es bleibt jedoch dem einzelnen
204  Schüler überlassen, sich während eines Zeitabschnitts auf
205  bestimmte Unterrichtsbereiche zu konzentrieren. Solange die
206  Schüler noch nicht durch den Besuch von integrierten
207  Gesamtschulen in der Sekundarstufe 1 auf die Möglichkeit der
208  Wahl von Kursen ausreichend vorbereitet sind, ist für das erste
209  Halbjahr der Klasse 11 ein Stundenplan vorzugeben, der im
210  bestimmten Umfang die Erprobung der Wahlmöglichkeiten zuläßt.
211  Für den Bereich der Studienstufe sind mindestens 2 und höchstens
212  4 Jahre anzusetzen. Während dieses Zeitraums können Kurse und
213  Prüfungen wiederholt werden. Somit entfallen auch die sonst
214  üblichen Versetzungsbestimmungen. Als Folge dieser Lösung
215  ergibt sich somit die Möglichkeit, das Abitur 2 bereits nach 12
216  Schuljahren abzulegen. Die Studienstufe ist besonders geeignet,
217  Mitbestimmung und damit Selbstbestimmung aller am
218  Unterrichtsprozeß beteiligten Personen zu entwickeln. Der
219  Willensbildung und der Mitwirkung aller Schüler der Studienstufe
220  wird daher auch bei der Unterrichtsgestaltung und Fächerauswahl
221  Raum gegeben. Das Aufgeben der bisherigen
222  Unterrichtsorganisation der Oberstufe der Gymnasien zugunsten
223  dieser neuen Unterrichtsform der Studienstufe läßt eine bessere
224  Motivation der Schüler erwarten. Die neue Reifeprüfungsordnung
225  räumt den Schülern bereits ein hohes Maß an
226  Mitbestimmungsmöglichkeiten ein. Darüber hinaus wird in Zukunft
227  die Entscheidung über den erfolgreichen Besuch der Studienstufe
228  von der Gesamtqualifikation abhängen, die mit Hilfe eines
229  Punktsystems ermittelt wird. In der Gesamtpunktzahl nach
230  Abschluß der Studienstufe sind danach die Halbjahresleistungen in
231  den absolvierten Grundkursen und Leistungskursen sowie
232  die Leistungen im Abitur zu berücksichtigen. Der Abschluß der
233  Studienstufe oder der Abschluß einzelner Fachbereiche kann im
234  übrigen je nach Wahlkombination und Leistungsfähigkeit der
235  Schüler in verschiedenen Zeiträumen erreicht werden. Eine in
236  dieser Weise gestaltete Studienstufe bildet einerseits ein
237  Bindeglied zwischen Schule und Hochschule, ist aber andererseits
238  in ihren Unterrichtszielen so angelegt, daß für den Absolventen
239  der Hochschulbesuch nicht als einziger Weg nach dem Abitur
240  erscheint. Über die Spezialisierung des Unterrichtsangebots
241  hinaus soll sie gleichzeitig Zugang zu beruflicher Tätigkeit
242  ermöglichen. Die Grundsätze der Reform der gymnasialen
243  Studienstufe sind auf die Hessenkollegs und Abendgymnasien
244  entsprechend anzuwenden. Hier gilt es in besonderem Maße, auf
245  den verschiedenen Bildungsstand und die Interessenschwerpunkte
246  Rücksicht zu nehmen. Außerdem muß auch deshalb der
247  Bildungsgang individuell gestaltet werden, weil nur auf diese
248  Weise ein qualifizierter Abschluß trotz verkürzter
249  Schulbesuchsdauer erreicht werden kann. Insgesamt wird die
250  Erneuerung der inneren und äußeren Bedingungen der gymnasialen
251  Oberstufe und ihre Überführung in eine Studienstufe auch als ein
252  Beitrag zur Erhöhung der Bildungsgerechtigkeit zu sehen sein, da
253  durch die zahlreichen Wahlmöglichkeiten und
254  Kombinationsmöglichkeiten einseitig und vielseitig Begabte
255  gleichermaßen gefördert werden können. Berufliche Schulen.
256  Das berufliche Schulwesen ist durch ein vielfach gegliedertes
257  System von Teilzeitschulen und Vollzeitschulen
258  gekennzeichnet. Es umfaßt zur Zeit Berufsschulen,
259  Berufsfachschulen, Berufsaufbauschulen, Fachschulen,
260  Berufliche Gymnasien und Fachoberschulen. Die gewandelten
261  gesellschaftlichen Bedingungen erfordern jedoch eine Veränderung
262  der herkömmlichen Strukturen des beruflichen Schulwesens. Die
263  Zugehörigkeit der beruflichen Schulen zur Sekundarstufe 2 und der
264  Grundsatz der Chancengleichheit gebieten, daß in Entsprechung
265  zur Reform der Oberstufe der Gymnasien im Bereich der beruflichen
266  Schulen ebenfalls ein System von Pflichtkursen,
267  Wahlpflichtkursen und Wahlkursen eingeführt wird.
268  Damit wird der Abbau von Sperren zwischen den einzelnen
269  Bildungsgängen des beruflichen Schulwesens ermöglicht. Von
270  besonderer Bedeutung für die weitere Entwicklung der beruflichen
271  Bildung ist der Grundsatz der Bildung nach Stufen, dem eine
272  zeitliche Folge von Grundbildung und Fachbildung als Abschnitte
273  der beruflichen Ausbildung entspricht, an die sich die berufliche
274  Weiterbildung anschließt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
275  die Zahl und die Dauer der einzelnen Stufen nicht für alle
276  Berufsgruppen einheitlich festgelegt werden können. Berufliche
277  Grundbildung hat als Eingangsstufe der beruflichen Ausbildung die
278  Basis für die berufliche Fachbildung und Weiterbildung
279  zu schaffen und den Zugang zu mehreren Berufen innerhalb eines
280  Berufsfeldes zu eröffnen. Deshalb ist es notwendig,
281  Ausbildungsinhalte festzulegen, die bei ähnlichen Tätigkeiten an
282  verschiedenen Arbeitsplätzen vorkommen und als Inhalt
283  entsprechender Basisberufe gelten können, die einem Berufsfeld
284  entsprechen. Überlegungen zur Verbesserung der beruflichen
285  Grundbildung stehen in engem Zusammenhang mit der Einführung
286  eines Berufsgrundschuljahres (Berufsgrundausbildung in der Schule),
287  das die Möglichkeit eröffnet, die erste Stufe der
288  Berufsausbildung vollschulisch durchzuführen. Der Jugendliche
289  soll sich in diesem Fall für ein Berufsfeld entscheiden, so daß
290  die eigentliche Berufswahl auf den Zeitpunkt des Beginns der
291  Fachbildung verschoben wird. Die berufliche Fachbildung vollzieht
292  sich heute im Rahmen des dualen Systems in Betrieben und
293  Berufsschulen. Daneben sind neue Formen der Berufsausbildung im
294  Rahmen des Ausbaus der Sekundarstufe 2 zu entwickeln. Als
295  weitere Stufe der beruflichen Ausbildung muß stärker als bisher
296  die berufliche Weiterbildung beachtet werden.

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