Quelle Nummer 325
Rubrik 02 : RELIGION Unterrubrik 02.01 : PRESSE
(LESERBRIEFE)
LESER AN DIE "KIRCHENZEITUNG FUER DAS ERZBISTUM
KOELN", NR.42, 16.10.1970, S. 11
LESER AN "DER WEG", "EVANGELISCHES SONNTAGSBLATT
FUER DAS RHEINLAND", NR. 42, 18.10., SEITE 11,
25. JAHRGANG, DUESSELDORF 1970
001 Armut. In Ihrer Ausgabe der K Nummer 39
002 bringen Sie eine Stellungnahme von Herrn Kaplan Terboven zu
003 " Armut in der Kirche ". Zu einem Punkt daraus möchte ich einmal
004 meine Meinung schreiben. Verhängnisvoll für die
005 Glaubwürdigkeit der Kirche in unserer Zeit ist nach meiner
006 Ansicht das geradezu antike Gottesverständnis, das aus einem
007 Satz spricht, den ich nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen
008 kann. Kap. Terboven schreibt: " In Zeiten religiöser
009 Vitalität haben in allen Religionen Menschen das Beste in ihren
010 Kirchen Gott geschenkt! " Bescheidene Frage: Was tut Gott
011 eigentlich mit dem Krempel, der sich in fast zwei Jahrtausenden
012 angesammelt hat? Wobei ich noch hinzufügen möchte, daß ich die
013 Kunstwerke, die in diesem Zusammenhang und in dieser Zeit
014 geschaffen worden sind, ausklammern möchte. Zwar stimmt der Satz
015 an sich, doch muß ich ihn im Zusammenhang mit dem vorher Gesagten
016 (Auszüge aus " Institutio Generalis ") so verstehen, daß
017 Sie, verehrter Herr Kap., es offensichtlich bedauern, wenn
018 der heutige Mensch seiner religiösen Vitalität in anderer, wie
019 ich meine, zeitgerechterer Weise Ausdruck verleiht. Wollen Sie
020 etwa einem Dom Helder Camara religiöse Vitalität absprechen,
021 weil er es ablehnt, auch nur ein goldenes Bischofskreuz zu tragen?
022 Das Beste, was religiös vitale Menschen ihrem Gott zu
023 schenken hätten, wären nicht weitere Anhäufungen architektonisch
024 und künstlerisch wertvoller materieller Strukturen, sondern ein
025 ernsthafteres Bemühen um die Erfüllung des obersten christlichen
026 Gebotes. Die Zeiten, in denen Menschen glaubten, Gott, dem
027 Herrn und Schöpfer aller Dinge, materielle Schätze übereignen
028 zu müssen, sollten endlich vorbei sein! Im übrigen steckte
029 hinter dieser Methode der Gottesverehrung zu allen Zeiten ein
030 hübsches Quantum frommen Selbstbetrugs. Um ehrlich zu bleiben,
031 ich stehe der institutionellen Kirche fern. Trotzdem sollten Sie
032 mich nicht für religiös uninteressiert halten. So werfe ich
033 zeitweise auch einen Blick in Ihr Bistumsblatt. Das Thema
034 " Armut in der Kirche " (K Nummer 37 und 39) erregte
035 mein besonderes Interesse, und gerne würde ich zu den
036 Ausführungen des Herrn Kaplan Terboven (K Nr. 39)
037 einmal meine Meinung äußern. Dabei wird es für mich schon
038 beachtlich sein, wenn Sie einen " Außenstehenden " überhaupt
039 zu Wort kommen lassen. Herr Kap. Terboven gibt zwar zu, die
040 in der Leserzuschrift " Thoma " (K Nr. 37)
041 aufgeworfenen Fragen nicht befriedigend beantworten zu können,
042 versucht dann aber doch das kritisierte Verhalten der genannten
043 Pfarrgremien zu rechtfertigen. Der Satz: " Eine ärmliche
044 Kirche wäre nur dann eine ehrliche Kirche (...) " macht das nur zu
045 deutlich. Abgesehen davon, daß ich die dem Satz innewohnende
046 Konsequenz ziemlich haarsträubend finde, weil hier
047 Glaubwürdigkeit durch Komformismus mit der egoistischen
048 Gesellschaft erreicht werden soll, läßt seine Beunruhigung
049 darüber, daß gewisse Aspekte der " Institutio generalis " zu
050 wenig beachtet werden, erkennen, wie leicht der tägliche Umgang
051 mit liturgischen Dingen zu einer gewissen Betriebsblindheit
052 gegenüber den Forderungen des Evangeliums führen kann. Auch die
053 Vorsteher der Gemeinden am Altar werden am Tage des Gerichtes
054 gefragt werden: " Als ich hungrig war, habt Ihr mich gespeist?? "
055 Ob Christus sich dann mit einer Antwort wie dieser
056 zufrieden geben wird?: " Ja doch, Herr, wenn auch nur von
057 dem Überfluß, der uns umgab. Aber beachte bitte, wie sehr ich
058 mich um die Erhaltung der St.-Sowieso-Kirche verdient
059 gemacht habe und wie sorgfältig bei mir die Anweisungen der "
060 Institutio generalis " beachtet wurden! " Sicher darf man sich
061 das Jüngste Gericht so naiv nicht vorstellen. Über die Kritik
062 von Herrn Thoma kann man verschiedener Meinung sein. Wichtig ist,
063 wie Herr Kaplan Terboven sagt, daß die kirchlichen Bauten und
064 die im Gottesdienst verwendeten Geräte würdig und schön sein
065 sollen. Seine Erfahrung, nach der die Gläubigen, die für die
066 Ausstattung ihrer Kirche spenden, auch Missionen und Misereor
067 nicht vernachlässigen, dürfte, von Ausnahmen natürlich
068 abgesehen, stimmen. Nicht verständlich ist mir, welche
069 Argumente Herr Religionslehrer Zimmermann bewegen, zu sagen,
070 der ursprüngliche Hochaltar könnte weiter benutzt werden. Das
071 hat keiner bestritten. Ist es aber im Sinne der Liturgiereform???
072 Zölibat. Man kann gewiß über den Zölibat der
073 Weltpriester unterschiedliche Meinungen haben, obwohl es nach den
074 " Regeln für die kirchliche Gesinnung " aus dem Exerzitienbuch
075 des hl. Ignatius schwer vorstellbar ist, wie eine völlige
076 Ablehnung bei wahrhaft kirchlichem Denken möglich sein soll. Was
077 aber das NT angeht, das Herr Kallen gegen die überaus
078 geistvollen Darlegungen von Frau Görres ins Feld führen zu
079 können meint, so ist Vorsicht geboten: Zu 1. Gewiß waren die
080 Apostel (alle??) im Augenblick der Berufung noch verheiratet.
081 Kann man denn aber Worte wie Lukas 14, 26-33 übersehen?
082 Zu 2. Wir erfahren zwar etwas von der Schwiegermutter Petri,
083 weil sie halt noch lebte. Von Petris Frau erfahren wir nichts.
084 Ob sie noch lebte? Und wenn, wie steht es mit der gen. Lukas
085 -Stelle? Zu 3. Das Pauluswort 1.Tim. 3, 2 ff.
086 besagt nicht allzuviel. Die Umweltsituation legt nahe, daß
087 Paulus " höchstens einmal verheiratet " meint; selbst Martin
088 Dibelius schließt diesen Sinn nicht aus! Das aber würde (mit
089 Luk. 14, 26 ff.) einen ersten Ansatz zur späteren
090 Entwicklung bedeuten. Auch das Wachstum der Kirche lenkt der
091 Geist Gottes! Griechisch-byzantinischer Ritus. Ich
092 gehörte am Sonntagabend (20.9.) mit zu den Besuchern der
093 im griechisch-byzantinischen Ritus gefeierten Eucharistie.
094 Nicht aus Neugier nahm ich teil, sondern in der bewußten Haltung
095 eines glaubenden Christen, der einmal wieder das geheimnisvolle
096 Wehen des Mysteriums verspüren wollte, das uns in der
097 " lateinischen " Kirche durch die nachkonziliaren Reformen weithin
098 verlorgengegangen ist. Gerd Hagedorns Bericht über die
099 byzantinische Liturgie in Nr. 38, Seite 7 unserer K
100 war für mich nicht nur informierend, sondern entsprach in seiner
101 Grundhaltung auch meiner Meinung. Die Bedeutung der Zeichen
102 sprache und Formensprache werden durch die Klarheit und
103 Tiefe der Gebete unterstrichen. Feiert man diese Liturgie
104 bewußt mit, so wird einem manches in unserer altgewohnten Liturgie
105 durchleutet und gewinnt neue Aussagekraft. Vor kurzem wurde in
106 einer Randgemeinde von Köln eine Schubertmesse gesungen. Zuvor
107 bestieg der Pastor die Kanzel und bat förmlich um Verständnis
108 dafür, daß er im Hinblick auf die gesungenen lateinischen Texte
109 eine lateinische Messe feiern würde. Er tat dies so vollkommen
110 kompromißlos, daß sich unsere Domkirche davor verstecken kann.
111 Der Erfolg der Besucherzahl bewies ihm, daß er sich gar nicht
112 für sein Tun hätte entschuldigen müssen. Und die Besucherzahl
113 am Sonntagabend bei der Messe des Patriarchen Maximos? Man
114 sollte doch nicht glauben, daß der Dom sich nur mit griechischen
115 und jugoslawischen Gastarbeitern gefüllt hätte! Nein, es waren
116 ganz gewiß meist deutsche Katholiken, die sich an dem Reichtum
117 der Ostliturgie erfreuten. Nach diesem Erlebnis frage ich mich:
118 Warum hat das Erzbistum Köln eine so großangelegte Propaganda
119 für Patriarch Maximos gestartet? An 5 verschiedenen Orten
120 zelebrierte der Patriarch und hielt Vorträge. Man könnte die
121 Frage stellen, ob konservative Romkatholiken nicht besser daran
122 täten, sich den Ostkirchen zuzuwenden, weil diese dem
123 theologischen Rationalismus Halt gebieten, weil dort noch keine
124 Entsakralisierung um sich gegriffen hat, weil sich dort noch die
125 Priester verstehen als Ausspender der Gnadengeheimnisse, als
126 Mittler göttlichen Lebens, weil dort noch der Hort altgeglaubter
127 Heilswahrheiten ist, die in ihrem überlieferten geheiligten
128 Formen zurückreichen bis in die Tage der vom hl. Petrus
129 mitbegründeten griechischen Christengemeinde. Warum also noch
130 Rom, das die Einheit der Sprache aufgibt, das den Wirrwarr der
131 theologischen Lehrmeinungen zuläßt? Gewiß rügt man von
132 höchster Stelle einen Halbfaß oder Küng. Doch was soll's?
133 Dafür stiften Hunderte von kleinen Küngs und Halbfaß's Unheil
134 im Religionsunterricht und auf den Sonntagskanzeln und ihnen wagt
135 keiner - auch die kirchliche Behörde nicht - den Mund zu
136 vermieten. Und so möchte ich meinen, steuern wir geradewegs in
137 eine Reformation hinein, die verderbenbringender als die vor 400
138 Jahren ist, weil sie in aufklärerischer Weise das Mysterium des
139 Glaubens preisgibt, und dies im altvertrauten liturgischen Gewand
140 und mit altvertrauten biblischen Worten. Ich meine, die
141 Begegnung mit der Orthodoxie sollte uns nicht nur helfen, unseren
142 Glauben, der doch der gleiche unabänderliche, durch apostolische
143 Tradition bis in unsere Zeit herübergereichte Glaube beider
144 Kirchen ist, besser zu verstehen - nein, diese Begegnung sollte
145 uns auch die Augen öffnen, was in unserer Kirche unter der
146 Oberfläche äußerer Reformen geschieht. Brüsseler Tagung
147 Zu Ihrem Bericht " Spektakuläre Vorfälle in Brüsseler
148 Kirche " in Nr. 39, S. 3 der K vom 25.
149 September 1970 kann ich Ihnen mit einigen Hinweisen dienen, da
150 eine Teilnehmerin dieses Kongresses, eine amerikanische
151 Pastorenfrau, mit der ich seit Jugendtagen befreundet bin - mich
152 besuchte und mir davon berichtete. Es handelt sich bei diesem
153 Kongreß um eine Tagung über " Kirche und Kunst ", die in
154 internationalem und interkonfessionalem Rahmen alle zwei Jahre in
155 einem anderen Land stattfindet. Bei dieser Tagung waren sehr
156 viele katholische Priester anwesend, u. a. auch katholische
157 Theologen von der Universität Löwen. Die Tagung fand in
158 verschiedenen Kirchen statt, darunter in mehreren katholischen
159 Kirchen. Die Vorkommnisse in der kath. Kapuzinerkirche
160 ereigneten sich am letzten Tag (Donnerstag, 10.9.). Man
161 hatte Krüge mit Wein und Schalen mit Brot zusammengetragen.
162 Der Zelebrant (welche Konfession blieb mir unbekannt) warf das
163 Brot in die Menge der Versammelten. Die Idee des fliegenden
164 Brotes bei Musikuntermalung sollte wohl künstlerischer Höhepunkt
165 werden. Auf meine Frage: " Und was geschah, als das Brot auf
166 die Erde fiel? " antwortete meine Freundin, sie hätte davon
167 nichts bemerkt - alles hätte sich würdig vollzogen, wenn nicht
168 " Hippies " gekommen wären, die sich aller Mikrophone
169 bemächtigt hätten, so daß die Veranstalter nicht in der Lage
170 gewesen wären, den Gottesdienst forzusetzen. Soweit das, was
171 ich bisher in Erfahrung bringen konnte. Meine Frage: Wieso
172 werden zu solchen Veranstaltungen kath. Gottesdiensträume
173 bereitgestellt? Wieso nehmen kath. Theologen daran teil?
174 Zeigt dieses Vorkommnis nicht, wohin wir kommen, wenn alte
175 gottesdienstliche Formen verschwinden und kein vollgültiger Ersatz
176 an ihre Stelle tritt? Warum wird Kardinal Suenens erst auf
177 Dinge aufmerksam am Ende eines Kongresses über dessen
178 Zielsetzungen und Arbeitsweisen er sich vorher hätte informieren
179 können? Säule der Bavaria. *th In letzter Ausgabe hat
180 der Teufel, der für Druckfehler haftbar ist, auf Seite 13 -
181 ohne Zweifel sich heimlich grinsend eingenist't. Denn: O,
182 Patrona Bavariae, wozu brauchst du wohl Gäule? Wenn ich die
183 Sache richtig seh', kriegst du 'ne neue Säule!! Der
184 Redaktion einen druckfehlerteufelsfrohen Gruß. Bischöfe
185 berieten in Fulda. In K-Nummer 40 vom 2.
186 Oktober 1970 ist auf der Seite 2 unter der Überschrift " Die
187 Bischöfe berieten in Fulda " auch über die
188 Ausführungsbestimmungen zum päpstlichen Motu proprio
189 " matrimonia mixta " berichtet worden. In dem Abschnitt über die
190 Form der Eheschließung heißt es dann allerdings:
191 " Gleichzeitig wird ausdrücklich betont, daß eine Trauung auf dem
192 Standesamt oder eine nichtkatholische Trauung das Sakrament der
193 Ehe begründen. Bei diesem Satz ist offensichtlich etwas
194 ausgealssen worden; in der jetzigen Fassung ist der Satz falsch
195 und erregt möglicherweise auch Mißverständnisse, als ob ohne
196 jede Vorbedingung eine Trauung auf dem Standesamt oder eine
197 nichtkatholische kirchliche Trauung für einen katholischen
198 Christen eine gültige Ehe begründen könnte. Auf Seite 3 ist
199 in dem Bericht von Julius Kardinal Döpfner die richtige
200 Darstellung gegeben: " Die Ausführungsbestimmungen der
201 Deutschen Bischofskonferenz sehen vor, daß überall dort, wo
202 sich für die katholische Eheschließungsform ernste
203 Schwierigkeiten ergeben und der Bischof daher von der Formpflicht
204 dispensiert, die Ehepartner vor der Eheschließung verbindlich
205 erklären sollen, ob sie die nichtkatholisch-kirchliche Trauung
206 oder die standesamtliche Eheschließung als ehebegründend
207 betrachten. Bei allen diesen Formen kommt das Sakrament der Ehe
208 zustande. " " Flucht in Geborgenheit ". Der
209 Gemeindebrief, der in Nr. 39 auszugsweise wiedergegeben wird,
210 ist bezeichnend für die ausgemalten Ängste der Christen seit 120
211 Jahren. Die Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft werden wohl "
212 dankbar " hingenommen, ihre Widersprüche im Stil einer
213 Negativ-Theologie als Tabu-Bruch dämonisiert. Kultur
214 ist auf großen Strecken ihrer Geschichte, ein fortgesetzter Tabu
215 -Bruch, eine Versehrung und Verwandlung, daß uns Zuschauern
216 manchmal schwindlig wird. Kriege, Kriminalität, Rufmord und
217 Bordellszenen sind die allbekannten apokalyptischen Rufsignale, es
218 sind die geistlichen Atembeschwerden gegenüber dem Druck der
219 Modernität. Modernität ist das begriffene Heute und nicht die
220 Flucht in die " Geborgenheit " im Rahmen der Selbstbewahrung.
221 Das begreift man in diesem Brief sofort: je versachlichter und
222 unübersichtlicher die Prozesse der modernen Gesellschaft ablaufen
223 um so stärker wird der Ruf nach Geborgenheit. Religion wird so
224 als das unversehrte Leben deklariert - und am Ende steht die
225 Kleinstadt als religiöse Idylle vor uns. Wir sollten nicht
226 Angst produzieren im Namen einer Welt von gestern. " Auch
227 Jesus brach Tabus ". Entgegen dem anonymen (warum?)
228 Verfasser dieses Gemeindebriefes scheint mir folgendes zur
229 Klärung des Begriffs Tabu entscheidend zu sein: Es trifft
230 zwar zu, daß " Tabu " bei den primitiven Kulturen Polynesiens
231 auch etwas Heiliges beinhaltet und daß dort der tabuisierte
232 Gegenstand fraglos über alle Zweifel erhaben ist. In diesem
233 Zusammenhang ist es aber interessant, daß die Tabugewalt in der
234 Hand von Häuptlingen, Königen und Priestern lag, die sich
235 damit die eigenen " profite " sichern wollten, die sie aus
236 Schiffen, Hafenanlagen und Wasserstellen zogen. Damit konnten
237 sie sich zugleich vor dem Zugang der Massen schützen; denn das
238 Tabu ließ sich praktisch auf alle Lebensbereiche anwenden.
239 Falsch ist jedoch die inhaltliche Gleichsetzung von Tabu und
240 Heiligkeit auch für die jüdisch-christliche Vorstellungswelt.
241 Die auch in der Bibel vorkommenden Elemente des Tabukultes
242 stammen aus vorisraelitischem und außerisraelitischem
243 Gedankengut (hierzu gehören die vom Verfasser angeführten
244 Stellen 2.Mose 3,5 und Jesaja 6). Schon im Alten
245 Testament werden die Gesetze und Gebote enttabuisiert, d.h.
246 humanisiert, indem sie auf die jeweilige geschichtliche
247 Situation angewandt wurden. Am radikalsten hat wohl Jesus "
248 Tabu " gebrochen, z. B. als er den Sabbat gerade nicht
249 als Tabu behandelte, sondern humanisierte. Der lediglich
250 negativen, weil ausschließenden Wirkung des außerbiblischen
251 Tabus (Berührungs-Verbot!) steht entgegen das positive
252 Verständnis der in der Bibel gebotenen Heiligkeit Gottes: "
253 Ihr sollt heilig sein; denn ich bin heilig! " 3.Selbst
254 nach Klärung des historischen Sachverhaltes folgen aus ihm
255 keineswegs unmittelbar Handlungsanweisungen für unsere Gegenwart,
256 es sei denn, man wolle sich ungeschichtlicher und unbiblischer
257 Argumentation bedienen, was dem Verfasser allerdings vorzuwerfen
258 ist. Denn kennzeichnend für diese ungeschichtliche Denkart ist
259 der bildhafte Sprachgebrauch (" Trümmerfeld, Verfaulen der
260 bürgerlichen Gesellschaft " usw.), der für nur geringe
261 Einsicht in gegenwärtige Probleme der Gesellschaft spricht: z.B.
262 Reform des Ehescheidungsgesetzes, Gleichberechtigung
263 der Frau, Fragen der Sexualität usw.. Gleiches gilt von
264 den Äußerungen des Verfassers zu Fragen der neueren Theologie.
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