Quelle Nummer 300

Rubrik 06 : RECHT   Unterrubrik 06.13 : INLAENDISCHES

STRAFVOLLZUG
JUERGEN BAUMANN
DIE STRAFVOLLZUGSREFORM AUS DER SICHT DES ALTERNATIV-
ENTWURFS DER STRAFRECHTSLEHRER
IN: DIE STRAFVOLLZUGSREFORM, EINE KRITISCHE BESTANDS
AUFNAHME, HERAUSGEGEBEN VON ARTHUR KAUFMANN
VERLAG C.F. MUELLER, KARLSRUHE 1971, S. 21-


001  Die Strafvollzugsreform aus der Sicht des Alternativ-
002  Entwurfs der Strafrechtslehrer. Der Strafvollzug und
003  das Strafgesetz. Der Stand der Arbeiten und Fehler
004  Als 1871 das Reichsstrafgesetzbuch, übrigens das zweite
005  deutsche Reichsstrafgesetzbuch, seine Wirksamkeit zu entfalten
006  begann, bestanden schon Bestrebungen, ein entsprechendes
007  Reichsstrafvollzugsgesetz zu schaffen. Seit 1870, also seit über
008  100 Jahren, warten wir auf das Gesetz, welches näher bestimmen
009  sollte, in welcher Form die im Strafgesetz enthaltenen Strafen
010  und sonstigen Rechtsfolgen zu vollziehen sind. Immer wieder ist
011  die große Konzeption eines Vollzugsgesetzes gescheitert, zumeist
012  aus finanziellen Erwägungen. Ein Strafgesetz oder eine
013  Änderung des Strafgesetzes kostet kein oder nur sehr wenig Geld
014  - ein modernes Strafvollzugsgesetz, welches einen wirklich
015  effektiven und resozialisierenden Vollzug sicherstellen will,
016  dagegen sehr viel. Immer wieder behalf man sich auf dem Gebiete
017  des Strafvollzuges mit Notlösungen. Nur einige wenige
018  Regelungen waren in das StGB eingestellt worden. Im übrigen
019  aber ging man den Weg der Verwaltungsanordnungen und
020  Rechtsverordnungen. Besonders wichtig war die " Verordnung über
021  den Vollzug von Freiheitsstrafen und von Maßregeln der Sicherung
022  und Besserung, die mit Freiheitsentzug verbunden sind " vom 14.
023  5.1934, die an die Stelle der Ländervereinbarung von 1923
024  trat. Diese Verordnung wurde später abgelöst durch die
025  Strafvollzugsordnung vom 22.7.1940 und, nach einem
026  Intermezzo einiger Ländersonderregelungen, durch die Dienst
027  ordnungen und Vollzugsordnungen der Länder vom 1.12.
028  1961. Nach dieser von allen Ländern vereinbarten und mit gleichem
029  Wortlaut erlassenen Vollzugsordnung richtet sich (von einigen
030  wenigen Änderungen abgesehen) noch heute der Strafvollzug. Auch
031  in der Strafrechtsreformarbeit der Bundesrepublik stand die Reform
032  des materiellen Strafrechts im Vordergrund. Die Große
033  Strafrechtskommission, die von 1954 bis 1959 am Werke war, hatte
034  die Vollzugsproblemtik ausgeklammert. Dementsprechend enthielten
035  die Entwürfe von 1956, 1958, 1959 und 1960 auch keine näheren
036  Vollzugsvorschriften. Im Regierungsentwurf von 1960 und 1962
037  heißt es in der Begründung ausdrücklich: " Schließlich soll
038  der Entwurf zu einem Strafvollzugsgesetz die Folgerungen aus dem
039  kriminalpolitischen Programm des Entwurfs zum Strafgesetzbuch
040  ziehen. Erst im Vollzug wird die Strafe Wirklichkeit. Hier
041  kann und muß sich die Reform des Strafrechts im besonderen Maße
042  bewähren. Erst durch ein Bundesgesetz über den Vollzug der
043  Strafen und der Maßregeln der Besserung und Sicherung, das die
044  Rechtseinheit auch in diesem Bereich auf gesetzliche Grundlagen
045  stellt und den Forderungen der Gegenwart Rechnung trägt, kann
046  das Werk der Strafrechtsreform zum Abschluß gebracht werden.
047  Aber es liegt in der Natur der Sache, daß es zugleich ihr
048  Schlußstein sein muß und der Reform des sachlichen Rechts nicht
049  vorausgehen darf. " Diese Stelle der amtlichen Begründung zeigt
050  deutlich, was falsch gesehen und daher auch falsch gemacht wurde:
051  Statt von Tätertypen und ihren Taten auszugehen, für sie
052  zunächst die wirksamste Reaktion festzustellen und sodann diese
053  (erfolgversprechenden) Reaktionen in ein System zu bringen, hat
054  man den genau umgekehrten Weg beschritten. Man hat zuerst ein
055  System von Rechtsfolgen entwickelt, ohne Blick auf die
056  Vollzugswirklichkeit und auf die soziale Nützlichkeit dieser
057  Rechtsfolgen im Einzelfalle. Immer wieder habe ich auf diesen
058  Fehler aufmerksam zu machen versucht, aber leider vergebens. Erst
059  wollte man das materielle Recht reformieren, dann sollte der
060  Vollzug (also der Blick auf die Wirklichkeit und
061  Realisierbarkeit) daran kommen! Erst 1967 wurde von der
062  Bundesregierung die Vollzugskommission eingesetzt, um nun, mitten
063  im Gange der Reform des materiellen Rechts, Grundlagen des
064  Vollzuges zu erarbeiten. Diese Vollzugsarbeiten wären sogar zu
065  spät gekommen, wenn die Reform des materiellen Strafrechts
066  fristgemäß und wie ursprünglich geplant gelungen wäre. Immerhin
067  haben die Arbeiten der Vollzugskommission zusammen mit dem
068  Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer zum AT des StGB
069  noch einigen Einfluß auf die Reformarbeiten im Sonderausschuß
070  des Bundestages für die Strafrechtsreform nehmen können. Aber
071  viel zu viel war schon von Grund auf falsch angelegt. Und deshalb
072  ist es wohl richtig, wenn sowohl der AE als auch Hans
073  Schultz die beiden Strafrechtsreformgesetze von 1969 als
074  Versuch der Vereinbarung von Unvereinbarem bezeichnen, bzw *vp
075  als ein Mosaik, welches man zusammengefügt hat, indem man den E
076  1962 und den AE als " Steinbrüche " benutzte. Gleichwohl wird
077  am 1.10.1973 ein neuer Allgemeiner Teil des StGB in
078  Kraft treten und zwar in der Fassung des 2.
079  Strafrechtsreformgesetzes. Der Bundesgesetzgeber hofft bis zu
080  diesem Zeitpunkt noch einige Partien des Besonderen Teils
081  reformieren zu können sowie das Vollzugsgesetz fertigzustellen.
082  Gelänge das, so träte am 1.10.1973 ein neuer AT des
083  StGB zusammen mit einem Vollzugsgesetz (dem ersten deutschen
084  Vollzugsgesetz!) in Kraft. Strafgesetz und
085  Vollzugsgesetz. Dieses gemeinsame Inkrafttreten des neuen
086  Rechtsfolgenkatalogs des StGB zusammen mit den entsprechenden
087  Vollzugsvorschriften ist an sich zu begrüßen. Aber es bleiben
088  zwei Dinge zu bemängeln: daß sich das neue Vollzugsgesetz nach
089  dem Strafgesetz richten muß und nicht umgekehrt (dazu bereits oben
090  1) und ferner, daß eine stärkere Verzahnung zwischen
091  Strafgesetz und Vollzugsgesetz fehlt. Zum letzten Punkt bedarf
092  es noch einiger Hinweise. Frühere deutsche Strafgesetzentwürfe
093  hatten sehr viel mehr Vollzugsvorschriften als das StGB von 1871,
094  das geltende Recht und auch das am 1.10.1973 in Kraft
095  tretende 2.StrRG. Das begann schon beim Vorentwurf von 1909.
096  Ausgeprägte Vollzugsvorschriften enthielt der Gegenentwurf der
097  Strafrechtslehrer von 1911. Auch der Kommissionsentwurf von 1913
098  und der Entwurf von 1919 enthalten eingehendere
099  Vollzugsvorschriften. Gewiß wurde auch damals schon betont, daß
100  die Vorschriften im StGB ein besonderes Vollzugsgesetz
101  keineswegs entbehrlich machten. Auch spielte bei der Einstellung
102  derartiger Vorschriften in das StGB ein Rolle, daß man
103  wenigstens die Grundzüge des Vollzugs gesetzlich regeln wollte
104  (ein Vollzugsgesetz aber so bald nicht zu erwarten war).
105  Gleichwohl scheint mir die damalige Tendenz auch unabhängig vor
106  derartigen Überlegungen richtig gewesen zu sein. Grundzüge
107  des Vollzuges gehören nicht erst in ein Vollzugsgesetz,
108  sondern bereits in das Strafgesetz. Es geht einfach nicht an,
109  daß viele hundert Paragraphen die Rechtsvoraussetzungen der
110  strafrechtlichen Reaktion umschreiben, die strafrechtliche
111  Reaktion selbst aber ohne nähere Umschreibung und
112  Inhaltsbestimmung gelassen wird. Da heißt es dann schlicht im
113  Gesetz: wird mit Zuchthaus, Gefängnis, oder heute mit
114  Freiheitsstrafe bestraft, ohne daß näher angegeben würde, wie
115  im Grundsätzlichen (nicht im Detail!) diese Rechtsfolge
116  auszugestalten ist. Der Richter, der die Strafe verhängt, die
117  Vollzugsvorschriften aber oft nur sehr unzulänglich kennt, musß
118  bereits im Strafgesetzbuch genau erfahren, was er verhängt.
119  Nur so kann sichergestellt werden, daß er sich bei jeder
120  einzelnen Strafzumessung Rechenschaft über die
121  Leistungsfähigkeit der von ihm angeordneten Maßnahmen ablegt,
122  daß er nicht eine für ihn leere Formel, sondern eine ganz
123  konkrete und von ihm präzise eingesetzte Rechtsfolge zumißt. Von
124  diesen Grundsätzen ausgehend, hat der AE der Strafrechtslehrer
125  in seinen 37 ff. Richtlinien des Strafvollzuges normiert,
126  die wenigstens grob die Zielrichtung, den Zweck und die
127  Hauptgrundsätze des Vollzuges umreißen, freilich auch wieder
128  einer näheren Konkretisierung durch ein Strafvollzugsgesetz
129  bedürfen. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß diese
130  Vorschriften den Schutz des Art. 103 Abs. 2 GG erhalten,
131  also rückwirkender Verschlechterung durch den einfachen
132  Gesetzgeber entzogen sind. Leider hat der Sonderausschuß und hat
133  das 2.StrRG diese Konzeption des AE nicht übernommen.
134  Man wollte eine klare Trennung der Gesetze, wobei (und weil)
135  man nicht sah, wie sehr beide Gesetze miteinander verzahnt sein
136  müssen. In ganz besonderer Weise gilt das, was über die
137  Verbindung beider Gesetze gesagt ist, naturgemäß für den
138  Zweck von Strafrecht und Strafvollzug. Die Große
139  Strafrechtskommission hatte einmal einen 2 a über den Zweck der
140  Strafe formuliert, für den Fall, daß eine Vorschrift über den
141  Zweck der Strafe in das StGB eingestellt werden sollte. Man
142  hat dann in den späteren Entwürfen davon abgesehen, den Zweck
143  der Strafe zu formulieren. Auch der Schuldgrundsatz, der
144  ursprünglich als 2 des StGB vorgesehen war, ist in eine
145  spätere Vorschrift verdrängt und dabei verwässert worden. Im E
146  1962 wird, bei der Begründung des ebenfalls herausgenommenen 2
147  zum Schuldgrundsatz, vornehmlich auf die Schwierigkeiten in der
148  Revision hingewiesen. Man hatte offenbar das Bedenken, daß eine
149  zu genaue Festlegung dieser Grundfragen dazu führen würde, daß
150  zahlreiche Revisionen auf die Verletzung dieser Grundsätze
151  gestützt werden könnten (als ob solche Revisionen nicht
152  erfreulich wären!). Im 2.Schriftlichen Bericht des
153  Sonderausschusses heißt es zur Begründung des 2.StrRG
154  wörtlich: " Er hat davon abgesehen, nach dem Vorbild des 2
155  AE die Zwecke der Strafen und Maßregeln im Strafgesetzbuch zu
156  umschreiben. Den Ausschußmitgliedern erschien die gesetzliche
157  Festlegung derartiger Grundsätze problematisch, zumal sich die
158  ihnen zugrundeliegenden Anschauungen im Laufe der Entwicklung
159  ändern könnten. " Dagegen fand sich und findet sich bislang in
160  Nr. 57 der Dienstordnung und Vollzugsordnung von 1961
161  eine geradezu katastrophale Formulierung der Vollzugszwecke, die
162  zuerst den Schutz der Allgemeinheit nennt, entsprechend dem
163  " Schutz des Volkes ", den 48 der VollzO von 1940 an die erste
164  Stelle gerückt hatte. - Hier soll im Vollzugsgesetz demnächst
165  ein Wandel eintreten. 3 des Vorläufigen Entwurfs des
166  Vollzugsgesetzes lautet: " Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll
167  der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung
168  ein Leben ohne Straftaten zu führen (Behandlungsziel). "
169  Muß aber ein derartiger Grundsatz nicht in das Strafgesetz?
170  Dort hatte man geglaubt, auf eine Zweckfestlegung verzichten zu
171  sollen, hier im Vollzugsgesetz wird sie vorgenommen! Ist sie
172  nicht auch für die richterliche Strafzumessung verbindlich? Der
173  AT der Strafrechtslehrer hatte dagegen in 2 den Zweck der
174  Rechtsfolgen des Strafrechts und den Zweck des Strafrechts
175  überhaupt umschrieben: " Strafen und Maßregeln dienen dem
176  Schutz der Rechtsgüter und der Wiedereingliederung des Täters
177  in die Rechtsgemeinschaft. " Für die Einzelstrafzumessung hatte
178  der AE in 59 dem Richter eine ganz konkrete Anweisung gegeben,
179  längst nicht so allgemein und so verfließend wie 13 in der
180  Fassung des 1.StrRG und der gleichlautende 46 in der
181  Fassung des 2.StrRG. Das Ziel des Vollzuges der
182  Freiheitsstrafe hatte der AE in 37 (1) wie folgt normiert:
183  " Ziel des Vollzuges ist es, die Wiedereingliederung des
184  Verurteilten in die Rechtsgemeinschaft zu fördern. " Wie soll
185  nun am 1.10.1973 der Strafrichter verfahren, wenn eine
186  klare Verbindung beider Gesetze nicht besteht, das Strafgesetz
187  sich gescheut hat, den Zweck des Strafrechts und den Zweck des
188  Freiheitsstrafenvollzuges anzugeben - das Vollzugsgesetz das aber
189  tut? Schlimmer noch: Wie verhält sich der in 3 zum
190  Ausdruck gekommene Geist des Vollzugsgesetzes (Resozialisierung)
191  zu der grundsätzlichen Stellungnahme des StGB in 46?
192  Oder sollte der Richter doch nach 46 ein munteres aber falsch
193  verstandenes Schuldstrafrecht praktizieren, ohne den
194  Resozialisierungsakzent des 3 Vollzugsgesetz beachten zu müssen?
195  Strafgesetz und Vollzugsgesetz bilden eine Einheit, die man
196  nicht ohne Gefahr lösen oder ignorieren kann. Wer ein relativ
197  konservatives Strafrecht mit einem fortschrittlichen Vollzugsgesetz
198  verbinden will, muß Schiffbruch erleiden. Der Richter weiß
199  nicht, wie er die Gesetze anwenden soll. Leider wird der
200  Schiffbruch nicht auf dem Rücken des Gesetzgebers, sondern auf
201  dem des Täters und Strafgefangenen ausgetragen. die
202  Vollzugsproblematik allgemein. Das Vollzugsziel.
203  Bei den freiheitsentziehenden Reaktionen des Strafrechts wird das
204  Ziel des Vollzuges im StGB überhaupt nicht, in 3 des
205  Entwurfs des Vollzugsgesetzes mit Resozialisierung bzw.
206  Sozialisierung angegeben. Der AE war sowohl was die Zweckangabe
207  im Strafrecht anlangt mutiger, als auch, was die Formulierung
208  anlangt, vorsichtiger. So haben wir in 37 AE ausdrücklich
209  nur die " Förderung " der Wiedereingliederung als Ziel des
210  Vollzuges genannt. Das deshalb, weil uns klar war, daß in
211  vielen Fällen allein aus Gründen der Generalprävention eine
212  Bestrafung und u. U. auch ein Vollzug erforderlich ist,
213  ohne daß es einer resozialisierenden Einwirkung überhaupt bedürfe.
214  Man denke an zahlreiche Affekttaten oder
215  Gelegenheitstaten, mit bester Täterprognose, wo jedweder
216  Vollzug die Prognose eigentlich nur verschlechtern könnte.
217  " Bewirken " kann man in derartigen Fällen die Resozialisierung
218  nicht. Man kann allenfalls versuchen, sie durch den Vollzug
219  sowenig wie möglich zu beeinträchtigen. Das ist bei der
220  Formulierung des 3 nicht sehr gut bedacht. Man kann einen
221  ohnehin " fähigen " Menschen (sc. künftig straffrei zu leben)
222  nicht erst fähig (so 3) machen. Nun ist 3 des Entwurfs
223  auch nicht als Ziel des Vollzuges, sondern nur als " Ziel der
224  Behandlung " überschrieben, und man liest in der Begründung den
225  erstaunlichen Satz: " Er muß sich jedoch einer allgemeinen
226  Regelung über das Ziel des Vollzuges enthalten. Eine allgemeine
227  Aussage über den Sinn des Strafvollzuges oder seine Ziele und
228  Zwecke berührt das religiöse und weltanschauliche Verständnis
229  des Betroffenen und der Allgemeinheit über Schuld,
230  Verantwortung und Sühne. Die Auffassungen über die Aufgabe
231  des Staates in diesem Bereich sind geteilt. " Das scheint mir
232  ein Taschenspielertrick zu sein: Ziel der Behandlung ist nicht
233  Ziel des Vollzuges! Was hat die Behandlung denn für einen
234  Sinn? Einen Sinn außerhalb eines Vollzugszieles? Noch
235  ärger ist der Hinweis auf das religiöse und weltanschauliche
236  Verständnis des Betroffenen und der Allgemeinheit. Das
237  Verständnis des Betroffenen soll auch nach der Meinung des AE
238  in keiner Weise tangiert werden. Es geht aber schließlich auch um
239  das Verständnis und das Ziel, welches die Rechtsgemeinschaft mit
240  dem Vollzuge verbindet, und hier ist Klarheit dringend
241  erforderlich. Zumindest Klarheit in dem Sinne, daß
242  weltanschauliche und religiöse Ziele und Verständnisse beim
243  Vollzugsziel keine Rolle zu spielen haben. Wenn alles dies und
244  vielleicht sogar der Inhalt der alten Nr. 57 der DVollzO
245  über diese Hintertür wieder in das Gesetz hineinkommen können,
246  so ist die Angabe des " Behandlungsziels " in 3 des
247  Vollzugsgesetzes gewiß kein Fortschritt.
248  Gesetzmäßigkeit - Individualisierung. Seit der berühmten
249  Rede von Freudenthal 1911 wissen wir: " Im
250  Rechtsverhältnis Staat-Gefangener ist die Rechtsstellung des
251  im Strafvollzug befindlichen Staatsbürgers identisch mit der des
252  nichtkriminellen Staatsbürgers, abzüglich derjenigen Rechte,
253  die durch den Strafvollzug kraft Rechtes in Wegfall kommen. "
254  Eingriffe in diese Rechtsstellung bedürfen gesetzlicher
255  Festlegung. Sie können nicht einfach auf das " besondere
256  Gewaltverhältnis " gestützt werden. Die Auffassung, wie genau
257  derartige Eingriffe gesetzlich festzulegen sind, ist unter dem
258  Eindruck des Grundgesetzes und der Forderung verfassungskonformer
259  Auslegung aller Gesetze zunehmend strenger geworden. Sie hat die
260  früheren Versuche, ein Strafvollzugsgesetz zu konzipieren, nicht
261  in gleicher Weise belastet. Andererseits ist eines klar: gerade
262  dann, wenn der Strafvollzug seine Resozialisierungsaufgabe
263  und Erziehungsaufgabe ernst nehmen soll, darf er nicht aus
264  stumpfer, gleichmäßiger Vollziehung gleicher Regeln bestehen.
265  Jede pädagogische Einwirkung, und der Strafvollzug soll ja
266  kriminalpädagogisch wirksam sein, fordert individuelle
267  Ausgestaltung und ein Eingehen auf die Besonderheiten der
268  Täterpersönlichkeit.

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