Quelle Nummer 298

Rubrik 06 : RECHT   Unterrubrik 06.22 : AUSLAENDISCHES

RECHTSVERGLEICH BEZ. HAFTUNG
ULRICH-CHRISTOPH ZACHERT
GEFAEHRDUNGSHAFTUNG UND HAFTUNG AUS VERMUTETEM VER-
SCHULDEN IM DEUTSCHEN UND FRANZOESISCHEN RECHT
ARBEITEN ZUR RECHTSVERGLEICHUNG BAND 49
ALFRED METZNER VERLAG FRANKFURT BERLIN 1971, S. 44-


001  2 Gefährdungshaftung und Haftung aus vermutetem
002  Verschulden in der Rechtsprechung. A Die Haftung der
003  Bahn nach deutschem Recht. Grundsätzliche
004  Stellungnahme der Rechtsprechung. In älteren Entscheidungen
005  vertrat das Reichsgericht teilweise die Auffassung, 1 RHG,
006  der als Haftungsgrundlage der Bahn für die zu erörtenden
007  Fallgruppen in Betracht kommt, stelle nicht Ausdruck einer reinen
008  Gefährdungshaftung dar. Vielmehr liege dieser Bestimmung der
009  Begriff einer allgemeinen Schuldvermutung zugrunde, was besonders
010  in der Zulassung des Einwands höherer Gewalt deutlich werde.
011  Diese Meinung blieb jedoch in der Rechtsprechung vereinzelt.
012  Demgegenüber setzte sich die Auffassung durch, 1 RHG beruhe
013  auf dem Gefährdungsprinzip. So betonte das Reichsgericht schon
014  in früheren Entscheidungen, in der Regelung des 1 RHG komme
015  der Gedanke zum Tragen, der spezifischen Gefährlichkeit des
016  Eisenbahnbetriebes müsse eine gegenüber allgemeinem Recht
017  gesteigerte Haftbarkeit des Unternehmers entsprechen. Den Grund
018  der Haftung sieht die Rechtsprechung demzufolge in den durch die
019  Bewegung der Wagen auf den Schienen, der Schwere, der
020  Schnelligkeit der Züge und der Eile des Bahnbetriebes generell
021  auftretenden Gefahren. Die Verantwortlichkeit des
022  Beförderungsunternehmens sei auch dann begründet, wenn der
023  Betrieb ordnungsgemäß geführt werde und nachweislich kein
024  Verschulden, sondern ein Zufall den Schaden hervorgerufen habe.
025  Haftungsausschlußgründe: Grundprinzipien. Die
026  Haftung des Beförderungsunternehmers entfällt, wenn der Schaden
027  entweder nicht beim Betriebe der Bahn entstanden ist oder der
028  Gesichtspunkt höherer Gewalt bzw. der des Selbstverschuldens
029  des Geschädigten als Entlastungsgrund eingreift. Dabei sind
030  lediglich die beiden letzteren Merkmale als
031  Haftungsausschlußgründe vom Gesetz normiert, während der
032  Begriff " beim Betrieb " ein konstitutives Element der Haftung
033  nach 1 RHG darstellt. Um die Voraussetzungen des
034  Betriebskriteriums zu klären, sind zwei Arten von
035  Betriebsunfällen zu unterscheiden: Bei Unfällen, die mit der
036  Beförderungstätigkeit in unmittelbarem näherem örtlichem und
037  zeitlichem Zusammenhang stehen, besteht die Haftpflicht der Bahn,
038  ohne daß der Geschädigte die Ursächlichkeit einer besonderen
039  Gefahr des Eisenbahnbetriebes nachzuweisen hat. Die zweite
040  Gruppe von Betriebsunfällen ist auf Tätigkeiten zurückzuführen,
041  die die Beförderung lediglich vorbereiten oder abschließen.
042  Hier hängt die Haftung davon ab, daß der Unfall neben dem
043  örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einer dem
044  Eisenbahnbetrieb eigentümlichen Gefahr in Verbindung steht
045  (sogenannter innerer Zusammenhang). Das Merkmal der höheren
046  Gewalt liegt nach nunmehr gefestigter Rechtsprechung dann vor,
047  wenn einerseits ein betriebsfremdes von außen durch elementare
048  Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführtes
049  Ereignis den Schaden verursacht. Zum anderen muß die
050  Schadensursache wegen ihrer Außergewöhnlichkeit nach menschlichem
051  Ermessen unvorhersehbar und ferner durch die größte Sorgfalt mit
052  zumutbaren Mitteln nicht abwendbar sein. Endlich schließt das
053  Selbstverschulden des Verletzten aufgrund der Abwägung nach
054  254 BGB die Haftung der Bahn regelmäßig ganz aus, wenn die
055  Betriebsgefahr nur eine gewöhnliche ist, und hinter dem schweren
056  Verschulden des Verletzten völlig zurücktritt. Die
057  Rechtsprechungskasuistik wird zeigen, wie weit die
058  Verantwortlichkeit der Bahn aufgrund der Gefährdungshaftung des
059  1 RHG im Einzelfall reicht.
060  Haftungsausschlußgründe: Einzelfälle. Unfälle
061  während der Fahrt. Kommen Reisende durch gewöhnliche,
062  mit dem Bahnbetrieb notwendig verbundene Erschütterungen zu Fall,
063  so vermag sich der Betriebsunternehmer regelmäßig auf
064  haftungsbefreiendes Selbstverschulden des Verletzten zu berufen.
065  Kennzeichnend sind insoweit die Ausführungen des Reichsgerichts
066  vom 2.2.1914: Wer die Eisenbahn besteigt, um darin
067  eine Fahrt zurückzulegen, weiß und hat sich bewußt zu sein,
068  daß er infolge der Vorwärtsbewegung des Zuges Erschütterungen,
069  Rucken und dergl. ausgesetzt ist, die beim Aufstehen, Gehen
070  und sonstigen Bewegungen im Wagen den Reisenden ins Schwanken und
071  zu Fall bringen und so Unfälle veranlassen können. Dem hat der
072  Reisende Rechnung zu tragen, sich im besonderen während der
073  Fahrt mit der erforderlichen Vorsicht zu bewegen und dabei
074  festzuhalten. Das gilt unzweifelhaft ebensowohl vom Verkehr in den
075  Wagenabteilungen wie in den dazugehörigen Aborten. In diesem
076  Sinne entlastet das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung vom 2.
077  12.1924 die Eisenbahn von der Verantwortlichkeit nach 1
078  RHG anläßlich eines Unfalls eines Reisenden, der sich in
079  gefährlicher und ungesicherter Stellung auf der Plattform einer
080  Straßenbahn befand und in einer Kurve aus dem Wagen stürzte.
081  Das wesentliche Schuldmoment erblickt das Gericht darin, daß der
082  Kläger die Möglichkeit, weiter in den Wagen hineinzutreten,
083  nicht ausgenutzt bzw. keine durch Festhalten gesicherte Stellung
084  eingenommen hat. Das Maß der vom Fahrgast zu beobachtenden
085  Achtsamkeit hängt indes wesentlich von den Umständen des
086  Einzelfalles ab, so daß sich in sachlich der oben dargestellten
087  Entscheidung ähnlichen Beispielen eine Aufteilung des Schadens
088  gerechtfertigt sein kann. Eine (teilweise) Entlastung der Bahn
089  findet jedoch nur bei üblichen Erschütterungen statt: Mit
090  ungewöhnlich starken Stößen beim Bahnbetrieb braucht der
091  Reisende nicht zu rechnen. Die Bahn ist in derartigen Fällen
092  selbst dann gemäß 1 RHG zu vollem Schadensausgleich
093  verpflichtet, wenn ein Dritter die außergewöhnliche
094  Erschütterung, z. B. starkes Bremsen im Stadtverkehr,
095  verschuldet hat: RG 13.5.1912: Eine Straßenbahn
096  war mit einem plötzlich die Richtung wechselnden und mit voller
097  Geschwindigkeit daherkommenden KFZ. zusammengestoßen.
098  Höhere Gewalt liegt dem Reichsgericht zufolge nicht vor: Zwar
099  habe es sich um ein von außen einwirkendes Ereignis gehandelt, das
100  mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln bei Aufrechterhaltung
101  eines seinem Zweck entsprechenden Betriebs nicht abgewendet werden
102  konnte. Da aber Zusammenstöße im Großstadtverkehr häufig
103  vorkämen, seien diese unvermeidlich mit dem Betriebe der
104  Straßenbahn verbunden. Es fehle daher an einem
105  außergewöhnlichen, elementaren Ereignis. Dementsprechend
106  hat das OLG Stuttgart in einem Urteil vom 26.1.1954 die
107  Verantwortlichkeit der Bahn mangels höherer Gewalt
108  aufrechterhalten, als eine Person durch plötzliches Bremsen einer
109  Straßenbahn wegen eines in die Fahrbahn laufenden Hundes gegen
110  eine Eisenstange des Wagens fiel. Die zahlreichen
111  Entscheidungen, denen als Sachverhalt der Sturz von Reisenden
112  durch sich öffnende Wagentüren zugrunde liegt, befreien die Bahn
113  regelmäßig nicht aus den Gesichtspunkten höherer Gewalt oder des
114  Selbstverschuldens des Verletzten. Gegenüber den auf diese Art
115  verunglückten Kindern haftet die Bahn nach 1 RHG ohne
116  Entlastungsmöglichkeit, wenn das Türschloß sich nicht in
117  tadellosem Zustand befand und schon einem leichten Druck nachgab.
118  Neuerdings scheint darüber hinaus das OLG München in einem
119  Urteil vom 9.7.1957 in derartigen Fällen generell von
120  einer Verantwortlichkeit der Bahn auszugehen, wenn es ausführt:
121  Da es an einem von außerhalb des Betriebes einwirkenden,
122  schädigenden Ereignis (hier Sturz eines Kindes aus einer
123  Schiebetür) fehlte, ist das Vorliegen höherer Gewalt zu
124  verneinen. Erwachsenen gegenüber vermag die Bahn dagegen
125  unter der Voraussetzung des einwandfreien Funktionierens des
126  Türmechanismus ein schweres Selbstverschulden (grobe
127  Fahrlässigkeit) als haftungsentlastend entgegenzuhalten:
128  RG 19.1.1944: Betätigung des Türdrückers eines
129  Personenwagens während der Fahrt und dadurch verursachter
130  tödlicher Sturz eines Fahrgastes auf den Bahnkörper. OLG
131  Stuttgart 8.12.1938 und OLG Neustadt 10.10.1960:
132  Sturz eines Reisenden auf die Bahngleise infolge der
133  Verwechslung von Aborttür und Wagentür. Dagegen bleibt bei
134  Mitwirkung eines Versagens der mechanischen Verrichtungen am
135  Schadenserfolg eine Berufung des Betriebsunternehmers auf ein
136  Selbstverschulden des Verletzten allgemein ohne Erfolg: RG
137  5.1.1943: (...) Deshalb erfordert die dem Reisenden
138  obliegende Pflicht, im Verkehr auf die eigene Sicherheit bedacht
139  zu sein, nur, daß er sich, bevor er während der Fahrt an eine
140  Wagentür herantritt, davon überzeugt, daß der Türgriff nach
141  oben zeigt, also auf " geschlossen " steht, dagegen nicht, daß
142  er jede Anlehnung an die Tür in der Erwägung unterläßt, daß
143  trotz aller Sicherungen doch die Tür möglicherweise einmal
144  aufspringen könnte. Zudem wird die oben dargestellte
145  Möglichkeit der Haftungsbefreiung gegenüber dem Geschädigten
146  dadurch in starkem Maße relativiert, daß in den Fällen der
147  Unklarheit des Unfallhergangs eine Entlastung der Bahn allgemein
148  ausgeschlossen ist. Dabei sind die Anforderungen hinsichtlich des
149  vom Betriebsunternehmer zu erbringenden Beweises der
150  Schadensherbeiführung durch ein Selbstverschulden des Verletzten
151  außerordentlich streng: Die bloße Möglichkeit eines
152  anderen Unfallherganges reicht zur Entlastung der Bahn nicht aus.
153  Vielmehr muß sie die hohe Wahrscheinlichkeit dartun und
154  beweisen, aus der sich ergibt, daß ausschließlich das
155  Verschulden des Verletzten den Schadenserfolg verursacht hat.
156  Charakteristisch für die Weite der Haftung der Bahn in
157  derartigen Beispielen sind die Ausführungen des Hanseatischen
158  Oberlandesgerichts vom 30.10.1940: Außer der
159  Annahme, daß L. (der Kläger) gleichviel aus welchem
160  Grunde und unter welchen Umständen selbst die Tür geöffnet hat,
161  bleibt immer die Möglichkeit bestehen, daß sie nicht ordentlich
162  geschlossen gewesen und L. infolgedessen herausgefallen ist.
163  Diese letzte Möglichkeit des mangelhaften Verschlusses kann durch
164  die von der Beklagten angebotene Vernehmung des diensttuenden
165  Beamten nicht ausgeschlossen werden. Denn der Beamte, von dem
166  nicht behauptet wird, daß er sämtliche Türen selbst geschlossen
167  habe, könnte nur bekunden, daß er trotz aufmerksamer Beobachtung
168  keine unverschlossene Tür bemerkt habe. Damit ist dem Hans.
169  OLG zufolge kein Sachverhalt dargetan, wonach
170  höchstwahrscheinlich wäre, daß sich der Unfall nicht ohne
171  eigenes Verschulden des Getöteten ereignen konnte. Für
172  Schadensfolgen, die durch Einschlafen, Ohnmacht oder
173  Bestürzung der Reisenden hervorgerufen werden, haftet der
174  Betriebsunternehmer ohne Entlastungsmöglichkeit. Teilweise
175  stellen die Entscheidungen darauf ab, derartige Unfälle träten
176  als eine mit dem Bahnbetrieb notwendig verbundene Folge auf, so
177  daß aus diesen Erwägungen keine höhere Gewalt vorliegen könne:
178  RG 4.11.1918: Der Kläger war infolge einer
179  durch einen Traum verursachten Wahnvorstellung aus dem Fenster des
180  Zuges gesprungen. Höhere Gewalt liegt nicht vor, da das
181  schadenbringende Ereignis durch den Betrieb selbst entstanden sei,
182  so daß es auf seine Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit nicht
183  ankomme. Die Wahnvorstellung könne nämlich durch einen Unfall
184  hervorgerufen worden sein, der die Reisenden wenig davor stark
185  durcheinander geschüttelt habe. Ursächlich seien möglicherweise
186  auch die sonstigen Ereignisse der Fahrt gewesen, namentlich der
187  lange Aufenthalt des Klägers im fahrenden Wagen, die Geräusche
188  des Betriebes, die Bewegung des Zuges etc.. Die
189  Rechtsprechung geht jedoch über den Grundsatz der
190  Zusammengehörigkeit zwischen dem traumatischen Zustand und der
191  Schadensfolge als Voraussetzung der Haftung der Bahn hinaus.
192  Auch plötzliche, ohne die Bewegung der Bahn hervorgerufene
193  Ohnmachtsanfälle und sogar der selbstmörderische Sprung eines
194  Geisteskranken aus dem Zug vermögen nicht den Einwand höherer
195  Gewalt zu begründen. Trotz vereinzelter Gegenstimmen in der
196  Lehre ist demnach der Rechtsprechung zufolge eine Einwirkung der
197  Betriebstätigkeit der Bahn auf die körperliche Unzulänglichkeit,
198  Wahnvorstellung etc. nicht erforderlich. Auch für
199  herunterfallende Gepäckstücke haftet die Bahn gemäß 1 RHG
200  schlechthin ohne Entlastungsmöglichkeit. Die Rechtsprechung
201  betont, derartige Unfälle könnten wegen des unmittelbaren
202  Zusammenhangs mit dem Betriebsvorgang grundsätzlich nicht den
203  Einwand höherer Gewalt begründen. RG 28.11.1907:
204  Es wird unentschieden gelassen, ob die Schachtel zunächst
205  ordnungsgemäß hingelegt gewesen ist oder gleich anfangs eine
206  ordnungswidrige Lage gehabt hat, aber angenommen, daß in einem
207  wie dem anderen Falle die mit der Fahrtbewegung des Zuges
208  verbundene Erschütterung der auf den Netzen liegenden
209  Gegenstände es verursacht hat, daß die Schachtel
210  heruntergefallen ist. Von höherer Gewalt kann keine Rede sein,
211  wenn der Unfall in unmittelbarem Zusammenhang mit den
212  regelmäßigen Betriebsvorgängen und Betriebseinrichtungen steht.
213  Wie die oben dargestellte Entscheidung zeigt, wird selbst die
214  falsche Ablage eines Gepäckstücks durch einen Dritten nicht als
215  ausreichend für eine Haftungsbefreiung oder Schadensteilung
216  erachtet. Unfälle, die sich durch das Hinauslehnen von Kopf
217  oder Arm eines Reisenden ereignen, stellen dagegen regelmäßig
218  einen Fall groben Selbstverschuldens des Verletzten dar und
219  befreien deshalb die Bahn von der Verantwortlichkeit nach 1
220  RHG. OLG Köln 3.5.1934: Das Hinausstrecken
221  einer Hand aus dem Fenster eines Zuges ist besonders gefährlich;
222  wer es tut, handelt grob fahrlässig und kann sich auf eine
223  Mitverursachung des Schadens durch die Betriebsgefahr nicht
224  berufen, hat vielmehr den Schaden allein zu tragen. Obwohl
225  die Einzelheiten des Unfallhergangs in diesen Beispielen kaum
226  exakt feststellbar sind, gehen Unklarheiten nicht zu Lasten der
227  Bahn, soweit nicht positiv ein Versagen der Betriebseinrichtungen,
228  wie z. B. das Offenstehen einer Tür eines
229  entgegenkommenden Zuges feststeht. Lediglich letzterenfalls vermag
230  sich die Bahn nicht mit Erfolg auf das Vorliegen höherer Gewalt
231  zu berufen. Verletzungen, die durch zuschlagende (Abteil-)
232  Türen hervorgerufen werden, befreien den Bahnunternehmer zwar
233  nicht aus dem Gesichtspunkt höherer Gewalt, da es sich um
234  betriebseigentümliche und keineswegs außergewöhnliche Umstände
235  handelt. Sie können indes aus dem Gesichtspunkt des
236  Selbstverschuldens des Verletzten haftungsentlastend wirken, wobei
237  eine Abweisung der Klage des Geschädigten oder eine
238  Schadensverteilung völlig von den Umständen des Einzelfalles
239  abhängt. OLG Köln 4.3.1937: Schadenstragung der
240  Bahn zu 3 (math.Op.) 4, wenn sich die 15jährige Klägerin mit der Hand
241  am Türrahmen festhält und die Tür von einem Bahnbeamten
242  zugeschlagen wird. Grundsätzlich entfällt die Haftung der
243  Bahn nicht schon deshalb, weil ein Fahrgast unüberlegt seine
244  Hand in den Türrahmen legt. RG 25.2.1907:
245  Richtig ist dagegen auch, daß in den meisten Fällen der
246  Fahrgast fahrlässig handelt, wenn er seine Hand an dem
247  Türrahmen beläßt, so daß sie bei plötzlichem Zuschlagen der
248  Tür gequetscht zu werden Gefahr läuft. Im vorliegenden Falle
249  aber hat der Fahrgast nach den konkreten Umständen annehmen
250  dürfen, daß in seiner Nähe überhaupt keine andere Person sich
251  aufhalte, welche die Tür zuschlagen könnte. Schlug aber
252  trotzdem von rückwärts plötzlich ein Schaffner die Tür zu und
253  zerquetschte den Daumen des Fahrgastes, so liegt ein
254  entschädigungspflichtiger Eisenbahnunfall vor. Die in der
255  Lehre vieldiskutierten Beispiele der Verletzung von Reisenden
256  infolge von Bahnattentaten und Explosionen führen in der Regel zu
257  einer Haftung der Bahn nach 1 RHG. Lediglich ein
258  vorsätzlicher Mordanschlag entlastet die Bahn aus dem
259  Gesichtspunkt höherer Gewalt. RG 13.11.1924: Die
260  Ehefrau des Klägers wurde von belgischen Soldaten belästigt,
261  die darauf in einem Nebenabteil Platz nahmen und während der
262  Fahrt mit harten Gegenständen gegen die Zwischenwand schlugen.
263  Nach kurzer Zeit fiel aus dem Nebenabteil ein von einem Soldaten
264  abgegebener Schuß. Die Kugel durchschlug die Zwischenwand und
265  prallte neben der Ehefrau des Klägers ab. Furcht und Schrecken
266  veranlaßten sie, die Tür zu öffnen und aus dem fahrenden Zug
267  herauszuspringen, wobei sie Verletzungen erlitt. Höhere Gewalt
268  liegt nach dem Reichsgericht aus folgenden Erwägungen nicht vor:
269  Der Schuß allein habe in der Verletzten Furcht und Schrecken
270  und die Vorstellung hervorgerufen, daß es geboten sei, der bei
271  der naheliegenden Möglichkeit einer Wiederholung vorhandenen
272  Lebensgefahr zu begegnen. Diese Gefahr, wie auch die
273  Möglichkeit, ihr zu entgehen, und die Art und Weise, wie das
274  geschah, erhielten naturgemäß ihre besondere Gestaltung durch die
275  gegebenen Umstände, also auch durch die Enge und Bauart des
276  Abteils und die dem Entweichen durch das Fahren des Zuges
277  entgegenstehenden Hindernisse. Das ändere aber nichts an der
278  entscheidenden Tatsache, daß die gesamte Ursachenreihe lediglich
279  durch den eine höhere Gewalt darstellenden Schuß in Bewegung
280  gesetzt wurde und im Sinne des Gesetzes der Unfall daher durch
281  höhere Gewalt verursacht worden sei. Die vom Reichsgericht
282  hier zur Rechtfertigung der Ablehnung der höheren Gewalt
283  vorgenommene Trennung zwischen auslösendem Ereignis
284  (Pistolenschuß) und dem weiteren Kausalgeschehen (Sprung aus dem
285  Fenster) bis zum Schadenseintritt erscheint wegen des engen
286  Zusammenhangs der einzelnen Tatabschnitte nicht glücklich.

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