Quelle Nummer 290

Rubrik 11 : LITERATUR   Unterrubrik 11.02 : POETIK

TRIVIALLITERATUR (IN DER DDR)
HANS FRIEDERICH FOLTIN
DIE UNTERHALTUNGSLITERATUR DER DDR
HERAUSGEGEBEN VOM MITTELDEUTSCHEN KULTURRAT E.V.BONN
KAMMWEGVERLAG TROISDORF 1970, S. 3-


001  Die Unterhaltungsliteratur der DDR. Während die
002  anspruchsvollere Literatur der DDR wenigstens einem Teil des
003  westdeutschen Publikums - durch zahlreiche Kritiken in Zeitungen
004  und Zeitschriften und durch die Aufnahme der wichtigsten Werke in
005  das Programm westdeutscher Verlage - bekannt ist, liegt die dort
006  erschiene Unterhaltungsliteratur noch völlig im Dunkel vager
007  Vermutungen. Gebildete Literaturkonsumenten in der
008  Bundesrepublik nehmen oft nur mit Erstaunen zur Kenntnis, daß es
009  auch " drüben " eine große Zahl von Kriminalromanen,
010  Abenteuerromanen, Kriegsromanen, utopischen
011  und Liebesromanen gibt, die in erster Linie der Unterhaltung,
012  Spannung, Entspannung und Erheiterung ihrer Leser dienen.
013  Leider herrscht in der westdeutschen Literaturwissenschaft und
014  Kritik ebenfalls Unkenntnis über diesen Gegenstand. Diese
015  erklärt sich vor allem aus dem bei uns immer noch ziemlich starken
016  Mißtrauen gegenüber jeglicher Literatur, die nichts
017  Wesentliches zur Erhellung der menschlichen Existenz oder zur
018  Erweiterung der dichterischen Ausdrucksmittel beiträgt und die -
019  wegen allzu deutlicher Spekulation auf gewisse primitive
020  Bedürfnisse des Publikums - nur minderen Rang beanspruchen darf.
021  Die Literaturwissenschaftler der DDR beschäftigen sich zwar
022  ab und zu mit der " westdeutschen " Unterhaltungsliteratur
023  und Trivialliteratur und weisen auf deren Minderwertigkeit und
024  soziale Schädlichkeit hin, überlassen die theoretische
025  Auseinandersetzung über die eigene Unterhaltungsliteratur jedoch
026  den Autoren, Verlagslektoren und Kulturfunktionären. Da also
027  Vorarbeiten kaum vorhanden sind, erscheint es sinnvoll, hier einen
028  ersten, informativen Überblick über die mitteldeutsche
029  Unterhaltungsliteratur zu geben. Zu diesem Zweck werde ich
030  zunächst die einschlägigen theoretischen Äußerungen von DDR
031  -Autoren, DDR-Lektoren usw. behandeln (und
032  mit entsprechenden Theorien der Nationalsozialisten vergleichen);
033  dann folgt - anhand der Auswertung von mehr als zwanzig
034  mitteldeutschen Unterhaltungsromanen und Unterhaltungs
035  erzählungen - eine Analyse der wichtigsten inhaltlichen und
036  stilistischen Merkmale dieser Belletristik. Die für diese
037  Übersicht ausgewählten Romane sind in der Zeit von 1952 bis 1966
038  publiziert worden. Ich habe mich bemüht, möglichst alle
039  thematischen Gruppen, Autoren unterschiedlichen Ranges sowie die
040  wichtigsten Verlage zu berücksichtigen, beanspruche jedoch nicht,
041  daß meine Auswahl repräsentativ sei. Abschließend soll
042  grundsätzlich das Verhältnis von Unterhaltungsliteratur und
043  Ideologie sowie speziell die politische Wirkung der
044  Unterhaltungsliteratur in der DDR erörtert werden. Die
045  theoretische Einstellung der SED zur Unterhaltungsliteratur
046  deckte sich zunächst weitgehend mit derjenigen der
047  Nationalsozialisten, die am ausführlichsten durch Peter von
048  Werder in seiner " kulturpolitischen Untersuchung ":
049  " Literatur im Bann der Verstädterung " dargelegt worden ist.
050  Gestatten Sie mir bitte hierzu einen Exkurs, da die sich
051  ergebenden Übereinstimmungen eine typische Haltung autoritärer
052  Regimes gegenüber der Belletristik erkennen lassen. Der
053  Nationalsozialist von Werder sieht in der gesamten
054  Unterhaltungsliteratur - mit Ausnahme der Heimatromane, die er
055  wegen ihrer Verwandtschaft mit der Blutliteratur und
056  Bodenliteratur offenbar nicht dazurechnet - etwas für die
057  Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie Schädliches.
058  Am technisch-utopischen Roman mißfällt ihm einerseits die
059  weitgehende Entseelung oder gar Entmenschlichung, andererseits die
060  Verniedlichung des naturwissenschaftlichen Denkens, am
061  Detektivroman der englischen Schule die Verdrängung der
062  Gefühlswerte zugunsten einer übersteigerten, lebensfremden
063  Rationalität; der amerikanische Detektivroman sei geradezu
064  " barbarisch " und wegen seiner " nicht mehr zu überbietenden
065  Kälte der Beziehung zwischen den Menschen " weit von deutscher
066  Kulturgesinnung und Sozialgesinnung entfernt, die
067  " Unterhaltungs "romane, die " Fortsetzungs "
068  romane und die " Groschenromane " schließlich - von Werder
069  vermag nicht, diese Begriffe sauber gegeneinander abzugrenzen -
070  seien wegen der darin dominierenden Abenteuerelemente,
071  Sexualelemente, Kitschelemente und
072  Luxuselemente verwerflich. Die beiden folgenden Zitate zeigen
073  besonders eindringlich die Begründung von Werders für seine
074  ablehnende Haltung: " Das eigene Leben muß dem einfältigen
075  Gemüt gegenüber der künstlich zusammengedrängten, äußerliche
076  Erlebnisse und Glücksmöglichkeiten überbetonenden Handlung des
077  Romans als geradezu ärmlich erscheinen ". " Der Groschenroman
078  ist, um ein Bild zu gebrauchen, keineswegs eine Blume auf dem
079  Felde, die dort als harmloses Unkraut neben der Dichtung wächst.
080  Vielmehr enthält er in Wahrheit ein schleichendes Gift, das
081  jedes Lebensgefühl zu zersetzen droht, indem es die Phantasie als
082  den Quell aller Gesundheitskeime für eine organische Einstellung
083  zu Natur und Welt, Leben und Gemeinschaft, Liebe und Sitte
084  verdirbt ". Diese Einstellung zur unterhaltenden Literatur, die
085  sich übrigens leicht bis in die Aufklärung und weiter
086  zurückverfolgen läßt, veranlaßte die Nationalsozialisten zum
087  Verbot der meisten Erscheinungsformen der minderwertigen Literatur,
088  also der Kolportageromane, der Reihenromane und vieler
089  Unterhaltungsromane in Buchform; die Produktion mancher Verlage
090  wurde durch die Papierbewirtschaftung lahmgelegt, prominente
091  Trivialschriftsteller wie Friede Birkner, eine Tochter der
092  berüchtigten Hedwig Courths-Mahler, und Fritz Mardicke,
093  der Herausgeber der Serie " Kelter-Romane ", erhielten
094  schließlich Schreibverbot und wurden als " Volksschädlinge "
095  sogar zeitweise eingesperrt. Die nationalsozialistische
096  Kulturpolitik war jedoch auf diesem Felde keineswegs konsequent.
097  Die Werke Karl Mays etwa, die Hitler seinen Generälen als
098  Lektüre empfohlen hatte, durften weiterhin gedruckt werden und
099  erreichten gerade durch das Verbot der Konkurrenz relativ hohe
100  Auflagen. Außerdem waren z. B. die oben erwähnten
101  " Kelter-Romane " erst 1938 ins Leben gerufen worden,
102  augenscheinlich unter Duldung der zuständigen Behörden. Manche
103  Kulturfunktionäre glaubten offenbar, dem Unterhaltungsbedürfnis
104  des Volkes Rechnung tragen und so gewissermaßen Ventile für die
105  hier und dort aufkeimende Unzufriedenheit mit dem Regime schaffen
106  zu sollen. Als Ideal schwebte allerdings bereits Goebbels
107  und seinen Mitarbeitern die Möglichkeit vor, die Befriedigung
108  des allgemeinen Unterhaltungsbedürfnisses mit der Propagierung der
109  NS-Ideologie zu koppeln. Sie setzten mehrmals dazu an, etwa
110  mit den für Jugendliche bestimmten Heftserien " Kriegsbücherei "
111  und " Erlebnisbücherei " oder mit der Reihe " Tatsachen-
112  Romane ", in der " Skandalaffären der Geschichte in
113  einseitiger Schwarz-Weiß-Darstellung mit wohldosierten
114  antisemitischen und antireligiösen Affekten " behandelt wurden,
115  konnten aber ihre Ziele auf dem Gebiet der Unterhaltungsliteratur
116  nicht so gut realisieren wie etwa in der Filmproduktion. Das
117  Lesepublikum machte nicht mit, die tendenziösen Serien
118  scheiterten, und aus Zorn darüber vernichtete die Gestapo 1941
119  dann fast alle unpolitischen und somit unerwünschten Romanserien.
120  Aber jetzt zurück zur Literaturpolitik der SED. Während in
121  Westdeutschland sofort nach der Währungsreform eine Blütezeit
122  der Unterhaltungsromane und Trivialromane begann,
123  blieben sie in der SBZ noch einige Jahre verboten. Die SED
124  orientierte sich offenbar an der Sowjetunion, die ihren Bürgern
125  ebenfalls die belletristische Ablenkung vom Aufbau des Sozialismus
126  verwehrte; ausgenommen waren dort lediglich Kriegserzählungen,
127  in denen der heldenhafte Kampf des sowjetischen Volkes gegen die
128  Deutschen gefeiert wurde, und technisch-utopische Romane, in
129  denen kommunistische Helden der Bedrohung der Menschheit durch die
130  Imperialisten entgegenwirkten. In der Sowjetunion gibt es bis
131  heute weder Wildwestromane noch Frauenromane
132  oder Heimatromane; Kriminalromane sind dort wie in Polen und der
133  Tschechoslowakei erst nach 1960 in größerem Umfang erschienen.
134  Die DDR jedoch änderte bereits im Jahre 1952 ihre Einstellung
135  zur Unterhaltungsliteratur, d. h. genauer gesagt, zu
136  bestimmten Sparten dieses Kulturbereichs. Speziell für weibliche
137  Leser bestimmte " Frauenromane " blieben weiterhin verboten. In
138  ihrem Aufsatz " Was ist ein Frauenroman "? bestreitet Ruth
139  Römer grundsätzlich die Existenzberechtigung jeglicher speziell
140  auf den Geschmack der Frau abgestimmten Belletristik: " (...) man
141  wende nicht ein, es gäbe einen natürlichen Geschmacksunterschied
142  zwischen Mann und Frau in Kunstdingen. Es gibt ihn nicht. Und
143  wenn es noch einen Unterschied gibt, so ist er anerzogen, ein
144  trauriges Erbteil aus einer Zeit, da die Frauen mit
145  Kunstsurrogaten abgespeist wurden ". Diese Ablehnung wird
146  entscheidend geprägt durch das Bild der heute noch in der
147  Bundesrepublik erscheinenden Leihbuchromanreihen und
148  Heftromanreihen im Stile der Courths-Mahler, die in ihrer
149  einseitigen Ausrichtung auf den individuellen Glücksgewinn der
150  Heldin und in ihrer Verzerrung der sozialen Realität unvereinbar
151  mit dem sozialistischen Weltbild und Menschenbild
152  erscheinen. Neben den Frauenromanen schieden auch die durch ihre
153  Entartung im Dritten Reich belasteten Heimatromane und die zu
154  sehr im kapitalistischen Milieu verankerten Wildwestromane von
155  vornherein aus der Unterhaltungsliteraturproduktion der DDR aus.
156  Dagegen förderte man hier schon seit 1952 Abenteuerromane
157  und Kriminalromane, Zeitromane und
158  Gesellschaftsromane mittlerer Qualität und seit 1956 auch Kriegs
159  *tkErzählungen und utopische Erzählungen. Die
160  theoretische Auseinandersetzung über die sozialistische
161  Unterhaltungsliteratur hat sich in der DDR entsprechend dieser
162  Entwicklung auf den Kriminalroman und den Abenteuerroman
163  konzentriert. An den Diskussionen, die nicht nur in literarischen
164  und Buchhandelszeitschriften, sondern auch in Tageszeitungen
165  ausgetragen wurden, nahmen neben den Kulturfunktionären zahlreiche
166  Autoren und Verlagslektoren teil. Klaus Walther stellte in der
167  Leipziger Ausgabe des Börsenblattes für den Deutschen
168  Buchhandel folgende Definition der Unterhaltungsliteratur auf:
169  " Die Bedeutung des Begriffs " Unterhaltungsliteratur " hat
170  sich in unserer neuen Literatur grundlegend gewandelt. Wir
171  verstehen darunter keine billige Sensationsliteratur, die eine
172  verlogene Traumwelt vorgaukelt, sondern wir bezeichnen damit eine
173  Literatur, die dem Bedürfnis des Lesers nach leichter
174  Unterhaltung entgegenkommt, die für den Tag geschrieben ist,
175  aber nicht auf die Schilderung der wirklichen gesellschaftlichen
176  Verhältnisse und Probleme verzichtet ". Zu dieser
177  fortschrittlichen Unterhaltungsliteratur gehöre in erster Linie
178  der sozialistische Kriminalroman, der sich natürlich - gemäß
179  der obigen Definition der Massenliteratur - in vielen Punkten
180  vom bürgerlichen Kriminalroman und speziell vom Detektivroman
181  unterscheide. Dieser " bürgerliche " Kriminalroman war ja
182  bereits von den Nationalsozialisten für unbrauchbar befunden worden.
183  Der Bibliotheksdirektor Erich Thier hatte 1940 verkündet:
184  " Der Detektivroman (...) in seiner bisherigen Gestalt ist ein
185  spezifisches Erzeugnis der bürgerlichen Gesellschaft
186  kapitalistischer, westlicher und vor allem angelsächsischer
187  Prägung. Wie er Erzeugnis dieser Gesellschaft ist, so
188  übernimmt er in ihr Wächterfunktion vor ihr eigentümlichen
189  Interessenbereichen ", d. h. er demonstriere, wie Mord
190  und Raub, die das Fundament dieser Gesellschaft angriffen, durch
191  den überlegenen Detektiv aufgeklärt würden. Neben diesem
192  Haupttypus der Detektiverzählung existiere noch der
193  " anarchistische Detektivroman ", der den Zerfall der bürgerlichen
194  Gesellschaft anzeige, und dann natürlich die Kriminalerzählung,
195  die auch höheren literarischen Rang aufweisen und an Schiller,
196  Kleist, die Droste anknüpfen könne. Thier hat damit, obwohl
197  von einer ganz anderen Gesinnung geleitet, einige wesentliche
198  Punkte der sozialistischen Kriminalliteratur-Theorie
199  vorweggenommen: Ernst Kaemmel bezeichnet 1962 den Detektivroman
200  der westlichen Welt ebenfalls als " ein Kind des Kapitalismus ";
201  in dieser Literaturgattung werde regelmäßig der in einem Mord
202  kulminierende Angriff auf das Privateigentum und somit auf die
203  Grundlage der Gesellschaftsordnung von einem genialen Einzelnen
204  abgewehrt. Kaemmel lehnt ebenso wie vorher Thier die
205  " anarchistische " Spielart, nämlich die Detektivromane der
206  amerikanischen Hard boiled-Schule, ab. Er bemerkt dann aber
207  - im Gegensatz zu Thier -, daß neben die beiden bisher
208  dominierenden bürgerlichen Formen der Kriminalliteratur nunmehr
209  der Detektivroman mit gesellschaftlichem Auftrag gestellt werden
210  müsse, der " unter Verwendung einiger technischer Mittel des
211  klassischen Detektivromans kriminelle Vergehen verschiedenster Art
212  zum Gegenstand nimmt, d. h. rechtswidrige und
213  gesellschaftswidrige Taten in einer literarischen Handlung entdeckt
214  und enthüllt ". Diese etwas blasse Definition Kaemmels bedarf
215  der Ergänzung durch konkretere Angaben, die man einer Fülle von
216  Aufsätzen und dem Buch des prominenten sozialistischen
217  Kriminalschriftstellers Hans Pfeiffer: " Die Mumie im
218  Glassarg. Bemerkungen zur Kriminalliteratur ", entnehmen kann.
219  " Rechtswidrige und gesellschaftswidrige Taten " sind
220  danach sämtliche Akte, die sich gegen die in Mitteldeutschland
221  errichtete sozialistische Gesellschaftsordnung wenden; im
222  sozialistischen Kriminalroman muß also durchaus nicht immer ein
223  Mord die Handlung auslösen - Industriespionage und
224  Industrie sabotage, Abwerbung von Wissenschaftlern,
225  Diebstahl usw. können die gleiche Funktion ausüben. Außer
226  dem Verbrechen soll im DDR-Krimi auch der Detektiv ein
227  anderes Aussehen haben: " An die Stelle des abstrakten
228  bürgerlichen Detektivs und Übermenschen tritt der mitten im
229  Leben der Gesellschaft stehende, mit der Arbeiterklasse und dem
230  Volke verbundene Kriminalist, der in kollektiver Zusammenarbeit
231  mit seinen Genossen das Verbrechen bekämpft. Er bekämpft das
232  Verbrechen nicht, weil der Verbrecher sein persönlicher Feind
233  ist (...) oder weil er Gedankenakrobatik treiben möchte (...) oder aus
234  sportlichem Ehrgeiz (...) Er bekämpft das Verbrechen, weil es
235  antihuman und reaktionär ist, weil er das Leben, das Eigentum,
236  den Frieden, die Gesundheit und das Glück des Volkes schützen
237  helfen will ". Gegenüber der Gestalt des Privatdetektivs
238  herrschte zunächst so großes Mißtrauen, daß sie ganz durch das
239  Kollektiv der Polizeibeamten ersetzt werden sollte. Man hoffte so
240  zu vermeiden, daß sich der einzelne Leser mit dem genialen
241  Detektiv identifizierte und sich mit diesem über die Masse der
242  Durchschnittsmenschen erhob. Die Ächtung des Detektivs, also
243  des Helden, setzte sich jedoch auf die Dauer nicht durch, und
244  1964 forderte der Cheflektor des Verlags " Neues Berlin " von
245  den Kriminalschriftstellern ausdrücklich die Schaffung des
246  " neuen Helden, des vorausschauenden, klugen VP-Offiziers ",
247  der sich trotz mancher Schwächen deutlich vom Kollektiv der
248  übrigen Polizisten abheben und die Leser begeistern sollte. Wie
249  die Einstellung zum Helden scheint sich auch die Einschätzung der
250  sozialen Funktion des Kriminalromans und
251  Abenteuerromans im Laufe der Jahre gewandelt zu haben. Zunächst
252  überwog die Meinung, daß die Autoren konkrete Lehren verbreiten
253  müßten, entweder - wenn ihre Handlungen außerhalb des
254  sozialistischen Bereichs abliefen - durch Aufzeigen der
255  Ungerechtigkeit und Korruption im kapitalistischen System oder -
256  wenn ihre Bücher in der DDR spielten - durch die exakte
257  Demonstration der Ursachen für die dort noch auftretenden
258  Gesetzesverletzungen. Nach Pfeiffer ist der Verfasser des
259  sozialistischen Kriminalromans ein " Arzt gesellschaftlicher
260  Übergangskrankheiten ", nach der noch 1965 vorgetragenen Ansicht
261  von Robert Just soll die Kriminalliteratur dazu beitragen, " die
262  Aufgabe der schrittweisen Verdrängung der Kriminalität aus dem
263  Leben unserer Gesellschaft zu lösen ", indem sie die
264  " Entwicklungswidersprüche " dieser Gesellschaft aufzeige. Daß
265  diese übertriebenen didaktischen Anforderungen gerade die
266  talentierten Kriminalschriftsteller in der DDR eingeengt und
267  unbegabten Doktrinären zur Anerkennung verholfen haben, wird
268  nicht nur bei der Analyse vieler Romane deutlich, sondern auch in
269  folgender selbstkritischer Äußerung: " Mit moralisierenden,
270  didaktischen Traktaten über das Verbrechen ist uns nicht gedient
271  (...) Die Schablonenkrimis der Literatureleven, die auf jedem
272  anderen Gebiet gescheitert sind, (...) locken keine Leser auf den
273  Plan. Mit der strapazierten Fabel, Volkspolizei jagt Agent,
274  den der fortschrittliche Werktätige entdeckt hat, und erwischt ihn ",
275  gemixt mit einer rosa-roten Liebesgeschichte zwischen dem
276  VP-Leutnant und einer Sekretärin und ein wenig
277  Leitartikelbelehrung über die bösen Kapitalisten ist keine
278  Wirkung zu erzielen ". Dieser Kritiker will natürlich
279  keineswegs das tendenziöse Moment völlig verbannen, sondern es
280  nur zugunsten einer spannenden, farbigen Erzählung zurückdrängen.

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