Quelle Nummer 288
Rubrik 11 : LITERATUR Unterrubrik 11.02 : POETIK
DRAMA
HANS CHRISTOPH ANGERMEYER
ZUSCHAUER IM DRAMA (BRECHT DUERRENMATT HANDKE)
ATHENAEUM VERLAG FRANKFURT/M. 1971, S. 78
001 Prinzipielle Faßbarkeit des Zuschauers. Zur
002 eingehenderen Untersuchung einer möglichen Funktion des
003 Zuschauers muß man klären, wie er literaturwissenschaftlich
004 faßbar gemacht werden kann. Es ist nochmals aufs deutlichste
005 darauf hinzuweisen, daß es sich hier nicht um eine psychologische
006 Fixierung des Zuschauers handeln kann, ohne damit die Schwere
007 dieser Problematik verkennen zu wollen. Ausgehend von poetischen
008 und poetologischen Texten soll versucht werden, einen rein
009 dramentheoretisch lokalisierten Zuschauer, ein Aufnahmesubjekt
010 gegenüber dem Aussagesubjekt, anzusetzen. Wenn man eine
011 Funktion dieses Zuschauers im Drama nachweisen will, kann man im
012 umfassenden Sinne von einer existentiellen Notwendigkeit des
013 Zuschauers für den Autor, d. h. auch das Kunstwerk,
014 ausgehen. Alle ernstzunehmenden Theorien drücken sich in diesem
015 Punkte ziemlich ähnlich aus. Somit soll also kein Subjekt
016 " Besucher ", sondern ein primär außerliterarischer Raum in
017 seinem sehr engen Verhältnis zum rein literarischen Textbereich
018 untersucht werden. Die Frage nach der Funktion des Zuschauers,
019 die sich als dramatisches Strukturmoment manifestieren müßte,
020 drängt sich gerade für das moderne Drama auf. Dazu reicht aber
021 die in der Dramentheorie und allgemeinen Ästhetik immer angesetzte
022 Notwendigkeit der dramaturgischen Realisation nicht aus.
023 So forderte zwar Schiller: " Aber das tragische Dichterwerk
024 wird erst durch die theatralische Vorstellung zu einem Ganzen ",
025 doch ist die hier vorhandene " Funktion " des Zuschauers eine nur
026 passive, also eine Scheinfunktion, weit entfernt von einer
027 strukturellen. Gemeinsam der bei Schiller vertretenen
028 psychologischen Auffassung ist dem dramentheoretischen Ansatz von
029 Zuschauer aber die prinzipielle Antinomie von Kollektiv
030 und Individuum. Diese Frage ist eng verknüpft mit einem
031 ähnlichen Phänomen innerhalb der Bühnenebene, des poetischen
032 Textes. Trennt man in der Textebene zwischen den " Individuen "
033 mit ihrer Aussage und den " Kollektiven " mit ihrer Aussage,
034 ist eine jeweils verschiedene Situation für das Aufnahmesubjekt
035 gegeben. Die Individualaussage auf der Bühne hat einen primären
036 Richtungsfaktor auf eine Individualaufnahme. Dagegen kann aus dem
037 Chor als einer vorgeblich objektiven, mehrheitlichen Aussageweise
038 heraus eine primär kollektive Aufnahme erstrebt werden. Ziel ist
039 eine Solidarisierung des Einzelzuschauers mit einem Kollektiv von
040 Bühne und Gesamtpublikum, wenngleich auch hier eine Summe von
041 Individuen die Ausgangsposition bildet. Von Seiten des Autors
042 will eine Reduzierung auf ein Zuschauerkollektiv erreicht werden.
043 Die Analyse der Funktionsweise des Chores in Brechts Die
044 Maßnahme zeigte, daß mit diesem engeren Verhältnis nicht
045 auch ein weniger abhängiges erzielt wurde. Im Falle der
046 Individualaussage liegt in erster Linie das herkömmliche Prinzip
047 des Doppelgängers auf der Bühne vor, wobei aber keine
048 Vorerlebnisse und Kenntnisse des Zuschauers vom Autor erwartet
049 werden. Zum Aufbau des Werkes gehören " keinerlei
050 Eigenschaften, Erlebnisse bzw. psychische Zustände des
051 Lesers ". Hochhuth erhebt die Entscheidung der Frage nach
052 Individuum und Kollektiv, die in ihrer Bedeutung über das
053 Aufnahmesubjekt hinausweist auf den Stückgehalt selbst, gleichsam
054 zur Existenzfrage des Theaters: Das Theater wäre am Ende,
055 wenn es je zugäbe, daß der Mensch in der Masse kein
056 Individuum mehr sei.[ (...) ]Ein Drama, das den Menschen
057 als Individuum achtet, braucht über diese Achtung hinaus kein
058 weiteres " Engagement ". Diese Problematik gewinnt eminent
059 an Bedeutung durch die angestrebte Wirkungsweise des epischen
060 Theaters. Hierzu sei folgendes ausführliche Zitat Walter
061 Benjamins gegeben: Bleibt aber die Ästhetik des Theaters
062 nicht mehr im Hintergrunde, wird ihr Forum das Publikum und ihr
063 Maßstab nicht Nervenwirkung auf Einzelne sondern Organisation
064 einer Hörermasse, so hat die Kritik in ihrer jetzigen Gestalt
065 nichts mehr vor dieser Masse voraus sondern bleibt weiter hinter ihr
066 zurück. In dem Augenblick, da die Masse in Debatten, in
067 verantwortlichen Entschließungen, in Versuchen begründeter
068 Stellungnahme sich differenziert, in dem Augenblick, da die
069 falsche, verschleiernde Totalität " Publikum " sich zu
070 zersetzen beginnt, um in ihrem Schoß den Parteiungen Raum zu
071 geben, welche den wirklichen Verhältnissen entsprechen - in
072 diesem Augenblick stößt der Kritik das doppelte Mißgeschick zu,
073 ihren Agentencharakter aufgedeckt und zugleich außer Kurs
074 geraten zu sehen.[ (...) ]Mit diesem Verhalten des Publikums
075 kommen " Neuerungen " zur Geltung, die jedes andere Denken als
076 das in der Gesellschaft realisierbare ausschließen. Diese
077 Theorie von Publikum und Publikumsaktivität enthält eine sehr
078 illusionistische Erwartung von Wirkungsmöglichkeiten des
079 epischen Theaters. Es wird ein Publikum konstruiert, das eine
080 eigentümliche Zwischenstellung einnimmt zwischen Realität und
081 reiner Utopie, wenngleich, wie die praktizierten Methoden zeigen,
082 das Ergebnis mehr auf Seiten der Utopie anzusetzen sein wird.
083 Wie noch ausführlicher zu zeigen ist, handelt es sich in der
084 Theorie des epischen Theaters im Gegensatz zum eigenen Anspruch
085 eben doch nicht um ein dramentheoretisch variabel gefaßtes Publikum,
086 sondern um einen konstruierten Zuschauer, der psychologisch
087 behandelt werden kann und soll. Zahlreiche Versuche nicht nur des
088 epischen, sondern des modernen Dramas überhaupt lassen sich so im
089 großen und ganzen auf die Feststellung Lessings zurückführen:
090 " mögen wir in gemeinem Leben glauben, was wir wollen; im
091 Theater müssen wir glauben, was er will ". Die Folge einer
092 solchen Zuschauertheorie ist eine unkontrollierte Spaltung des
093 Publikums. Diese Erscheinung hat Eric Bentley für das moderne
094 Drama generalisiert: Das moderne Publikum ist in sich
095 gespalten.[ (...) ]Die Forderung nach einem Drama, das sich
096 an ein feindliches oder gespaltenes Publikum wendet, ist ein
097 modernes Phänomen. Der Weg, wie diese Spaltung als
098 positive Struktureigenschaft nutzbargemacht werden könnte bleibt
099 allerdings bei ihm unklar. Ein einseitiger, d. h. auch
100 literarisch nicht befriedigender Versuch ist der der aktuellen
101 Politisierung und Dokumentation. Eine unkontrollierte Spaltung
102 des Publikums, d. h. eine nicht funktionsbedingte und so
103 nicht textimmanent steuerbare, läßt das Aufnahmesubjekt der
104 Aussage entgleiten. Im folgenden soll nun an Hand einiger
105 Beispiele der modernen Dramatik eine mögliche strukturelle
106 Funktion der Komponente Zuschauer im Drama auf dem
107 Hinntergrund der bisher gewonnenen Erkenntnisse untersucht werden.
108 Identifikation und episches Theater. Zugedacht ist das
109 epische Theater in jedem Fall genausogut den Spielenden wie den
110 Zuschauern. Das Lehrstück hebt sich als Sonderfall im
111 wesentlichen dadurch heraus, daß es durch besondere Armut des
112 Apparates die Auswechselung des Publikums mit den Akteuren, der
113 Akteure mit dem Publikum vereinfacht und nahelegt. Diese für
114 das epische Theater grundsätzliche Behauptung Benjamins, daß
115 der Zuschauer mit dem Spieler, d. h. der " Figur ",
116 ausgewechselt werden könne, bedarf einer genaueren Analyse.
117 Wörtlich genommen ist sie in jedem Fall unrealistisch.
118 Vorausgreifend auf Handkes Publikumsbeschimpfung kann auf
119 ein hier wichtiges Moment hingewiesen werden: das Fehlen eines
120 jeden Requisites. Die hiermit erstrebte größtmögliche Einheit
121 von Bühne und Zuschauerraum wird durch einheitliches Licht im
122 Gesamtraum " Theater " bis zur höchst möglichen Grenze
123 verstärkt. Trotzdem muß man von einer einseitigen Aktivität
124 innerhalb dieser neuartigen " Einheit von Ort, Zeit und
125 Handlung " sprechen. Diese Einseitigkeit der anregenden
126 Aktivität durch das Aussagesubjekt gegenüber dem Aufnahmesubjekt
127 muß man entgegen andersartigen Bestrebungen innerhalb des modernen
128 Dramas als verbindlich anerkennen. Dennoch bedarf diese
129 Passivität des Zuschauers einer deutlichen Differenzierung.
130 In der Entstehungsphase des Dramas im mythisch-religiösen
131 Dienst-Spiel konnte man am ehesten noch von einer Art
132 " passiver Aktivität sprechen. Doch schon schnell schlug diese in
133 reine Passivität um auf Grund des wachsenden artifiziellen
134 Charakters des Aussagesubjekts, der bis in die Moderne dominierte.
135 Da nun wurde der Versuch unternommen, diese Barriere wieder
136 einzureißen und zu einer " kritischen " Beteiligung -
137 wenngleich immer noch äußerlich passiv - zu gelangen. Diese
138 Versuche stießen erwartungsgemäß auf starke Schwierigkeiten,
139 deren Bedingungen größtenteils darin zu finden sind, daß das
140 Publikum eine Identifikation beansprucht: " In
141 Wirklichkeit aber sind wir alle abgerichtet, die Haltungen, die
142 in diesen Stücken vorgeführt werden, als teilbar zu empfinden
143 ". Gerade gegen solche Phänomene setzt Brecht sein Episches
144 Theater, um zu zeigen, daß Verhältnisse so wie sie sind,
145 nicht sein müssen. Statt die Illusion aufs höchste zu
146 verfeinern, hat er sie mit allen Mitteln verhindert. Und statt
147 einen erklärbaren, aber unabhänderlichen Vorgang darzustellen,
148 hat er die Zufälligkeit des tatsächlich Geschehenen hervorgehoben
149 und hat angedeutet, daß und wie es auch anders hätte kommen
150 können. Diese Darstellung Henels entspricht der Theorie des
151 jungen Brecht, die aber später gerade im Hinblick auf die
152 Illusion revidiert werden wird. Gerade beim jungen Brecht spielt
153 der Versuch einer Auswechselbarkeit von Spieler und Zuschauer
154 eine große Rolle. Im " Lehrtheater " kann ja nur deshalb der
155 traditionelle Zuschauer wegfallen, weil der Spieler in
156 Wirklichkeit gleichzeitig Zuschauer ist. Doch diese Form des
157 reinen Lehrtheaters erwies sich rasch als zu beschränkt und konnte
158 nicht zu einer allgemeinen Dramaturgie der Veränderung wesentlich
159 beitragen. So mußte eine andere Ebene für einen Bezug, der auf
160 Auswechselbarkeit zielt, gesucht werden. Einen Hinweis gibt
161 wieder Walter Benjamin: Jeder Zuschauer wird Mitspieler
162 werden können. Und in der Tat ist es leichter, den " Lehrer
163 " zu spielen als den " Helden ". Schon die Bezeichnung
164 Mitspieler enthält eine interessante Einschränkung von
165 auswechseln. Die Mit-Spielersituation wird funktional
166 wichtig für die Unterscheidung von " Held " und " Lehrer ".
167 Brecht will den Helden als beherrschendes Individuum abschaffen,
168 ihn zu einem kollektiven Wesen gestalten und ihn so aus der
169 klassischen Isolation herausführen. Hier liegt die Möglichkeit
170 für den Zuschauer, Mitspieler werden zu können. Beim
171 isolierten Helden gibt es nur eine bedingungslose Einfühlung, die
172 in einem passiven Mitgehen, Getragenwerden von der Figur zur
173 absoluten Identifikation für die Zeit des Stückes führt.
174 Damit ist eine aktive geistige Auseinandersetzung innerhalb der
175 Geschehensvorgänge auf der Bühne und ihrer Spielzeit unterbunden.
176 Es gibt nur ein Endergebnis. Durch die Öffnung des Helden
177 ins Kollektive und Austauschbare wird die Isolation und ihre
178 Dominanz im Stück aufgehoben. Die Auseinandersetzung über die
179 Verhaltensweise des " Helden " wird auf der Bühne thematisch,
180 und in diese Auseinandersetzung kann sich der Zuschauer
181 mitdenkend einschalten, er kann intellektuell mit-spielen.
182 Hier liegt der entscheidende Ansatzpunkt für die oben ausführlich
183 behandelte Prozeßstruktur des modernen Dramas. Nun birgt aber
184 gerade das epische Theater die Gefahr, dieses Mitspielen in
185 bestimmender, scheindialektischer Weise autoritär auszunutzen.
186 Auf den ersten Blick mag es paradox erscheinen, daß gerade das
187 epische Theater, das gemäß seiner theoretischen Konzeption die
188 Freiheit des Zuschauers zur Stellungnahme fordert, diesen in
189 seinen Denkmöglichkeiten zu steuern versucht. Man könnte in
190 einzelnen Fällen durchaus von " stationärer Manipulation
191 " sprechen. Die " Freiheit " des Zuschauers wird namentlich
192 betont dadurch, daß die pädagogischen Elemente keineswegs
193 verdunkelt werden sollen: Um ein neues Mißverständnis zu
194 vermeiden: Die Frage soll nicht sein, ob es, im Interesse des
195 Lehrens, besser gewesen wäre, zu verbergen, daß gelehrt werden
196 sollte. Viele, darunter " fortschrittliche " Leute, verlangen
197 tatsächlich diese Kaschierung des Lehrens, wollen auf eine
198 unterirdisch raffiniert intrigante Art belehrt werden, hassen den
199 erhobenen Zeigefinger und wollen es durch die Blume wissen. Schon
200 gesellschaftlich betrachtet gilt das Doktrinäre als unfein.
201 Das epische Theater will also keine manipulierte Aufklärung
202 betreiben. Doch selbst Walter Hinck schreibt dem offenen, d.h.
203 stationären epischen Theater, das " prinzip einer den
204 Zuschauer dirigierenden Tätigkeit " zu. Die Interpretation der
205 Chorfunktion in Die Maßnahme machte offenbar, wie (man
206 kann annehmen in weiten Stücken im Gegensatz zum Willen des
207 Autors, woraus seine Abneigung resultieren mag) eine Meinung
208 usurpierend auf den Zuschauer übergreift und übergreifen muß auf
209 Grund struktureller Gegebenheiten. Nur das mehrmalige Lesen oder
210 Betrachten des Stückes ermöglicht die gespaltene Sympathie
211 des Stückeschreibers tatsächlich zu einer wirklichen
212 Entscheidungsfreiheit für den Zuschauer werden zu lassen. Auch
213 wenn Brecht mit mindestens zweimaligem Sehen eines Stückes zum
214 Verständnis rechnet, bleibt der Vorwurf einer einseitigen
215 Steuerung des Denkens in voller Stärke bestehen. Ähnliche
216 Erscheinungen hat Schumacher für Brechts Leben des Galilei
217 gezeigt. Grundmangel dieser Stücke ist, daß für die
218 erstrebte Freiheit des Zuschauers keine Entsprechung innerhalb des
219 Stückes vorliegt. So müssen sie von ihrer Struktur her
220 doktrinär werden und verfehlen somit das didaktische Ziel. Diese
221 Gefahr der Steuerung neben dem ausdrücklichen Wunsch nach
222 gezielter Aufklärung und Freiheit des Denkens wird im
223 theoretischen Bereich besonders deutlich in der vielzitierten
224 Gegenüberstellung Brechts von " dramatischer " und " epischer
225 Form des Theaters ". Hier wird schon vom sprachlichen Ausdruck
226 her das " diktatorische " dieser Theorie manifest. Dieses
227 Schema zeigt mit besonderer Klarheit die damalige Bindung Brechts
228 an psychologische Wirkungsdramaturgie. So spricht er von "
229 erzwingt Entscheidungen[ (...) ]bis zur Erkenntnis getrieben
230 [(...) ]u. a. m.. Der Schluß dabei ist besonders
231 bezeichnend: " Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Denken ".
232 Naturgemäß ist die Ausdrucksweise Brechts in diesem Schema
233 noch besonders hart, berücksichtigt man den Zeitpunkt und die
234 Situation. Es galt, die Unterschiede oder oft nur Nuancierungen
235 zwischen beiden Dramaturgien besonders hervorzuheben. In einer
236 Anmerkung hierzu betont Brecht, daß " nicht absolute
237 Gegensätze, sondern lediglich Akzentverschiebungen " gezeigt
238 würden. Dennoch wird die spezifische Schwäche des epischen
239 Theaters evident: es will einerseits den Zuschauer nicht mit
240 einer durchgezogenen Handlung faszinieren und ihn damit dem
241 unweigerlichen Ablauf der Dinge mehr oder minder fatalistisch
242 aussetzen (es gibt nicht die " höhere Macht " der
243 Antike oder den Zufall Dürrenmatts, auf der anderen
244 Seite will es aber zu konkreten Ergebnissen kommen, den Zuschauer
245 zur Freiheit der Distanz zwingen. Erzwingen aber heißt, den
246 Zuschauer zu manipulieren, wenn kein Raum für die Freiheit der
247 Distanz innerhalb der Dramenstruktur angesetzt wird. Brecht wurde
248 diese Gefahr nur allzu deutlich und in Stücken wie Der gute
249 Mensch von Sezuan oder auch Die heilige Johanna der
250 Schlachthöfe versucht er, eine Gegenbewegung durch bewußte
251 Offenheit zu erreichen. Was in Die Maßnahme noch durch
252 die immanente Zwangsläufigkeit des Stückes unterging, wird am
253 Schluß von Der gute Mensch von Sezuan deutlich
254 ausgesprochen: es muß einen Schluß geben, aber der
255 Zuschauer muß ihn sich selber suchen, d. h., das
256 Stück weist einen Raum für die kritische Distanz und Reflexion
257 an, der nicht identisch ist mit dem literarischen Raum des
258 Stückes. Damit ist die " Aufgabe der Illusion zugunsten der
259 Diskutierbarkeit " konsequent durchgeführt. Denn " Zuschauer
260 sollen nicht erleben, und sie sollen auch nicht bloß nüchtern
261 Fakta konstatieren, sie sollen sozusagen abstimmen ".
Zum Anfang dieser Seite