Quelle Nummer 285

Rubrik 26 : MEDIZIN   Unterrubrik 26.02 : FACHWISSENSCHAFTLICH

ORTHOPAEDIE
HORST COTTA
ORTHOPAEDIE FUER DIE PRAXIS
J.F. LEHMANNS VERLAG MUENCHEN 1971, S. 107-


001  Diagnose und Therapie des lumbalen Bandscheibenschadens.
002  Eine außerordentlich große Patientengruppe sucht den Arzt
003  wegen Rückenschmerzen oder in die Extremitäten ausstrahlenden
004  Schmerzen unterschiedlichster Lokalisation, Ausbreitung und
005  Intensität auf. 60 % aller Rentenanträge werden wegen
006  Wirbelsäulenbeschwerden gestellt, davon 85 % wegen Schäden
007  im Bereich des Bewegungssegmentes. Seit den grundlegenden
008  Untersuchungen Schmorls ist es gesichert, daß diese
009  Beschwerdekomplexe ihre Ursache in einem Bandscheibenschaden haben
010  können. Die Kenntnis dieser Möglichkeit erlaubt eine gezieltere
011  Diagnostik und Therapie. Die Auswirkung eines
012  Bandscheibenschadens kann nur verstanden werden, wenn die
013  Anatomie der Wirbelsäule, ihrer Bänder und Muskeln bekannt
014  ist. Die Wirbelkörper werden ab C 2 caudalwärts durch die
015  Zwischenwirbelscheiben getrennt. Während ventral, im statischen
016  Anteil der Wirbelsäule, benachbarte Wirbel also durch die
017  Bandscheibe in mittelbarem Kontakt stehen, kommen sie im hinteren
018  dynamischen Anteil der Wirbelsäule im Bereich der
019  Wirbelbogengelenke in unmittelbaren Kontakt. Die im gesunden
020  Zustand prallelastische Zwischenwirbelscheibe ist bestrebt,
021  die Wirbel auseinanderzudrängen. Die Fixierung der Wirbel
022  gegeneinander wird durch Muskulatur und Bänder erreicht.
023  Ventral ist das Ligamentum longitudinale commune ventrale
024  zu nennen, das sich an den Wirbelkörpern fest anheftet, an der
025  Bandscheibe jedoch nur locker fixiert ist. An der Rückseite der
026  Wirbelkörper zieht das Ligamentum longitudinale dorsale,
027  das einen festen Kontakt zum Randleistenanulus mit fächerförmiger
028  Erweiterung zeigt und nur geringen Kontakt zum Wirbelkörper hat.
029  Das Ligamentum flavum verbindet die Wirbelbögen
030  miteinander und gewinnt in seinen seitlichen Anteilen Beziehung zum
031  Zwischenwirbelloch. Es sind weiter der Kapsel-
032  Bandapparat der Wirbelbogengelenke und die Ligamenta inter
033  spinalia und supraspinalia zu nennen. Die auf
034  die Wirbelsäule einwirkende Muskulatur ermöglicht die fein
035  abgestufte und sinnvoll koordinierte Bewegung der Wirbelsäule in
036  ihrer Gesamtheit. Die Reihe der Wirbelbögen bildet ein
037  Rohr, in dem sich das Rückenmark befindet. Die
038  peripheren Nerven verlassen den Wirbelkanal durch die Foramina
039  intervertebralia, kurze Kanäle, die den Wirbelkanal mit der
040  Regio paravertebralis verbinden und in denen sich, in Fett und
041  Bindegewebe eingebettet, Spinalnerven, Arterien und
042  Venengeflechte befinden. Die Foramina werden cranial und
043  caudal von den Incisurae vertebralis inferioris et superioris
044  gebildet, dorsal werden sie von den Gelenkfortsätzen
045  umfaßt, dorsolateral vom Lingamentum flavum erreicht und
046  ventromedial haben sie Beziehung zu den beiden Wirbelkörpern
047  und der sie verbindenden Zwischenwirbelscheibe. Die
048  Lage der Spinalganglien in den Foramina intervertebralia
049  wird von Stellung, Weite und Länge der Zwischenwirbellöcher,
050  die sich in den verschiedenen Abschnitten der Wirbelsäule ändern
051  und vom Ascensus medullae bestimmt. Dies ist für die mögliche
052  Irritation der Nerven durch Bandscheibenvorfälle von Bedeutung.
053  Im Bereich der Halswirbelsäule liegen die Spinalnerven zentral,
054  im Bereich der Brustwirbelsäule, stärker noch im
055  Bereich der Lendenwirbelsäule jedoch liegen die steil absteigenden
056  Wurzeln in der oberen Ausbuchtung der Zwischenwirbellöcher.
057  Eine anatomische Besonderheit ergibt sich im Bereich der
058  Halswirbelsäule durch die sogenannten Processus uncinati. Die
059  craniale Fläche der Halswirbelkörper ist sattelförmig und zeigt
060  nach lateral die genannten Prozessus. Durch diese seitliche
061  Überhöhung des Wirbelkörpers kommt die Bandscheibe nicht in so
062  ausgedehnte Beziehung zum Foramen intervertebrale wie dies im
063  Bereich der abhängigen Wirbelsäulenpartien der Fall ist. Es
064  ergibt sich dadurch aber andererseits beim Auftreten einer
065  Uncovertebralarthrose mit Randzackenbildungen die Möglichkeit zur
066  Irritation der Nervenwurzeln oder aber der Arteria vertebralis.
067  Im Bereich der Lendenwirbelsäule ist von Bedeutung, daß die
068  Foramina intervertebralia in ihrer Weite nach caudal abnehmen,
069  während sich das Kaliber der durchtretenden Lumbalnerven umgekehrt
070  verhält, d. h. sie nehmen von cranial nach caudal an
071  Stärke zu. Die Stellung der Wirbelbogengelenke wechselt von
072  einer nahezu frontalen im Bereich der Halswirbelsäule bis zu einer
073  nahezu sagittalen Einstellung im Bereich der Lendenwirbelsäule.
074  Die entsprechend der möglichen Bewegung unterschiedlich weite
075  Gelenkkapsel ist außerordentlich gut mit sensiblen Fasern versorgt.
076  Vergleichbar dem Kniegelenk werden Menisci gefunden. Die
077  Zwischenwirbelscheibe besteht aus einem geringgradig exzentrisch,
078  und zwar nach dorsal gelegenen Nucleus pulposus, der ein
079  Überbleibsel der Cauda dorsalis darstellt und dem Anulus
080  fibrosus, der sich mit seinem Randleistenanteil fest an den
081  benachbarten Wirbelkörpern verankert. In der Embryonalzeit und
082  beim Kleinkind ist eine Gefäßversorgung der Bandscheibe von
083  dorsal und dorso-lateral nachweisbar, die jedoch sehr früh
084  verschwindet. An die Stelle der obliterierten Gefäße tritt
085  Narbengewebe. So ist also die Zwischenwirbelscheibe sehr bald auf
086  die Ernährung und den Abtransport von Stoffwechselschlacken durch
087  Diffusion angewiesen. Der Nucleus pulposus liegt im Zentrum des
088  Bewegungssegmentes, das heißt, etwa in der Mitte einer
089  Verbindungslinie zwischen vorderer Wirbelkörperkante und
090  Wirbelbogengelenk. Er enthält in einer gelartigen Grundmasse
091  vereinzelt kollagene Fasern und Zellgruppen, die am ehesten als
092  Knorpelzellen angesprochen werden können. Der Wassergehalt
093  der Zwischenwirbelscheibe ist beim Neugeborenen mit 88 % sehr
094  hoch und sinkt im Laufe des Lebens bis auf Werte um 70 % ab.
095  Durch den zunächst hohen Wassergehalt des Nucleus pulposus
096  - aber auch des Anulus fibrosus - zeigt die Bandscheibe einen
097  erheblichen Innendruck, der sie in die Lage versetzt, die beiden
098  angrenzenden Wirbelkörper auseinanderzudrängen und auf das
099  Bewegungssegment einwirkende Kräfte federnd abzufangen. Die
100  intakte, turgeszente Zwischenwirbelscheibe schützt also einerseits
101  die Wirbelkörper vor überschießenden Belastungen und erreicht
102  andererseits durch Aufrechterhaltung der Höhe des
103  Zwischenwirbelraumes die nahezu gleichbleibende Weite des
104  Zwischenwirbelloches und die regelrechte Stellung der
105  Wirbelbogengelenke. Die besondere Ernährungssituation und die
106  hohe statische und funktionelle Beanspruchung bedingen, daß das
107  Zwischenwirbelscheibengewebe frühzeitig ausgedehnten
108  Veränderungen im Sinne katabiotischer Umwandlung unterliegt.
109  Junghanns ist auf Grund umfangreicher Untersuchungen der
110  Meinung, daß es jenseits des 30.Lebensjahres kaum mehr eine
111  Wirbelsäule gibt, bei der alle Zwischenwirbelscheiben
112  unverändert sind. Für die noch zu besprechenden Veränderungen
113  werden außer den obengenannten Faktoren Anlagefehler der
114  Wirbelsäule, Wachstumsstörungen, Störungen des intermediären
115  Stoffwechsels, wie z. B. Alkaptonurie, weiter Hypoxämie
116  (Büchner), hyperergische Reaktionen (Fudalla)
117  und Störungen des Hyaluronidase-Hyaluron-
118  Gleichgewichtes (Bercovici-Paraschevesco) genannt.
119  Daß Traumata bei einer Wirbelluxation oder einer
120  Wirbelkörperfraktur mit Bandscheibenbeteiligung sowie
121  Entzündungen einen Bandscheibenschaden bedingen können, ist
122  selbstverständlich. Junghanns stellt chronische
123  Überlastungsschäden unterschiedlichster Art in den Vordergrund.
124  In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sind die
125  Bandscheibenveränderungen in der Kontinua eines
126  schicksalsmäßigen Ablaufes zu sehen. Was auch immer die Ursache
127  sein mag, es kommt zu biochemischen Veränderungen im
128  Bereich der Bandscheibe, zum Verschleiß des Gewebsaufbaues
129  und damit verbunden zum Wasserverlust. Der
130  Wasserverlust seinerseits bedingt eine Verminderung des
131  Spannungsdruckes, d. h. die Bandscheibe verliert
132  allmählich ihre Fähigkeit, wie ein prallelastisches Puffersystem
133  zu wirken. Nachemson fand bei mäßigen
134  Verschleißerscheinungen eine Minderung des Spannungsdruckes um 30 %.
135  Ein Schnitt durch eine bereits veränderte
136  Zwischenwirbelscheibe zeigt gelbe bis graue Verfärbung des
137  Gewebes und die unterschiedlich stark ausgeprägte Erweiterung des
138  zwiebelschalenartigen Höhlensystems des Gallertkernes. Es bilden
139  sich Spalten aus, die in den Faserring ausstrahlen können. Die
140  mikroskopische und makroskopische Zerstörung des
141  Bandscheibengefüges kann Nucleus pulposus und Anulus fibrosus
142  einzeln oder beide gemeinsam betreffen. Bei den oft nach dorsal und
143  dorso-lateral gerichteten Spalten scheint die schon erwähnte
144  Rückbildung embryonaler Blutgefäße an dieser Stelle eine Rolle
145  zu spielen, indem die nach Rückbildung der Gefäße verbleibenden
146  Narben einen Locus minoris resistentiae darstellen. Die
147  geschilderten pathologisch-anatomischen Veränderungen werden
148  als Chondrose bezeichnet. Ist sie entsprechend stark
149  ausgebildet, so kann sie im Röntgenbild an der Höhenminderung
150  des Zwischenwirbelraumes, evtl. auch an der Retrolisthese des
151  cranial benachbarten Wirbels und auf Funktionsaufnahmen an der
152  vermehrten pathologischen Beweglichkeit im Bewegungssegment erkannt
153  werden. Schreiten die regressiven Veränderungen weiter fort, so
154  werden auf die Wirbelsäule einwirkende Kräfte immer mehr
155  ungedämpft die Wirbelkörper treffen. Die knorpeligen Deck
156  platten und Endplatten degenerieren, und der subchondrale
157  Knochen versucht sich der neuen Belastung durch Sklerosierung
158  anzugleichen. Zu diesem Zeitpunkt wölbt sich der
159  Randleistenanulus oft deutlich über die Wirbelkörperkante vor,
160  während das Bandscheibengewebe im Innern häufig in zahlreichen
161  Sequestern vorliegt. Das Röntgenbild zeigt neben den
162  Zeichen der Chondrose die Verdichtung der bandscheibennahen
163  Knochenstrukturen bei verwaschener Zeichnung der Deckplatten
164  und Endplatten. liegt dieses röntgenologische Bild vor,
165  so spricht man von Osteochondrose. Die entstehende
166  Instabilitas intervertebralis, d. h. die pathologische
167  Lockerung im Bewegungssegment, kann zunächst durch eine voll
168  funktionstüchtige Muskulatur kompensiert werden. Es liegen zu
169  diesem Zeitpunkt zwar pathologisch-anatomisch deutliche
170  Veränderungen vor, die röntgenologisch in der beschriebenen
171  Weise nachweisbar sind, aber sie haben noch nicht zu für den
172  Träger merkbaren Veränderungen im Sinne von Leistungsminderung
173  oder Schmerz geführt. Aus dieser Instabilitas latens
174  (Junghanns) kann aber jederzeit durch einen
175  " Zusatzimpuls ", sei er mechanisch, allergisch, thermisch,
176  toxisch, klimatisch, endokrin oder psychisch eine Dekompensation
177  folgen, d. h. eine für den Patienten fühlbare
178  Leistungsschwäche auftreten. Mechanische Zusatzimpulse
179  werden dabei von dem Patienten, einem verständlichen
180  Kausalitätsbedürfnis folgend, oft als Unfallzusammenhang
181  vorgebracht. Um eine mögliche spätere Begutachtung zu
182  erleichtern, ist deshalb eine exakte Anamnese von entscheidender
183  Bedeutung. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle entwickeln
184  sich die ersten subjektiven Symptome bei Belastungen des
185  täglichen Lebens. Anamnestisch werden Drehungen des Rumpfes,
186  Fahren im Auto auf unebener Straße, Aufrichten aus gebückter
187  Haltung oder eine einseitige unphysiologische Haltung, wie sie oft
188  am Arbeitsplatz vorkommt, genannt. Feuchte Kälte kann über die
189  Irritation von Blutgefäßen und Nerven, aber auch durch direkten
190  Angriff am Muskel zu Verspannungen der paravertebralen Muskulatur
191  führen, so daß das für die Kompensation nötige muskuläre
192  Gleichgewicht gestört wird. Die entstandene, dem Patienten
193  bewußt gewordene Instabilitas intervertebralis wird von
194  Junghanns in drei Gruppen unterteilt. Wir folgen
195  dieser Einteilung, weil sie eine übersichtliche Darstellung der
196  komplexen Vorgänge ermöglicht. Die 1.Gruppe
197  beinhaltet die Veränderungen und Beschwerden in unmittelbarer
198  Nachbarschaft des betroffenen Bewegungssegmentes. In der 2.
199  Gruppe finden sich die auf dem Blutweg oder
200  Nervenweg fortgeleiteten spondylogenen Symptome. In der 3.
201  Gruppe finden sich verselbständigte spondylogene Erkrankungen,
202  die sich aus der 2.Gruppe ergeben. Da bei bestehender
203  Chondrose oder Osteochondrose die Bewegungen im Segment
204  ungedämpft, überschießend und zum Teil unkoordiniert
205  sind, kommt es zur unphysiologischen Beanspruchung des
206  Bandapparates der Wirbelsäule und der Kapsel der
207  Wirbelbogengelenke. Hierdurch können sensible
208  Nervenendigungen erregt werden, es kommt zur Schmerzempfindung,
209  die über den Nervus sinuvertebralis bzw. recurrens geleitet wird.
210  Dem Schmerzereignis folgt über den Ramus dorsalis die
211  verstärkte Innervation der benachbarten Rückenmuskulatur.
212  Klinisch ist ein Hartspann nachweisbar. Damit ist der
213  betroffene Wirbelsäulenbezirk zunächst von weiteren Bewegungen
214  ausgeschlossen. Tritt dieser Vorgang gehäuft auf, so kann es zur
215  Ausbildung von Myogelosen kommen. Der Patient erkennt im
216  allgemeinen sehr schnell die Haltungen und Bewegungen, die zu dem
217  Schmerzereignis führen und versucht, diesen Impulsen auszuweichen.
218  Hierdurch jedoch wird möglicherweise die antagonistische
219  Muskelgruppe überbelastet, so daß sie ebenfalls mit schmerzhaften
220  Verspannungen reagiert. Dieses vertebrale Syndrom ist im
221  Bereich der Halswirbelsäule als Nackensteife, im
222  Bereich der Brustwirbelsäule als Schmerz zwischen den
223  Schulterblättern und im Bereich der Lendenwirbelsäule als
224  Lumbago bekannt. Kommt es sehr plötzlich zu diesen
225  Erscheinungen, so spricht man von akutem Torticollis oder akuter
226  Lumbago. Das plötzliche Schmerzereignis, verbunden mit
227  Bewegungssperre bei Fehlhaltung wird heute
228  allgemein als " Wirbelblockierung " bezeichnet.
229  Zuckschwerdt und Mitarbeiter haben sich hiermit intensiv
230  auseinandergesetzt. Pathogenetisch bestehen bei der
231  Wirbelblockierung zwei Möglichkeiten: Einerseits kann sich ein
232  Bandscheibensequester im Zwischenwirbelraum verwerfen und
233  einklemmen, so daß die Rückkehr des Wirbelkörpers in die
234  Ausgangslage nicht möglich ist. Andererseits, und es erscheint
235  wahrscheinlicher, kann es bei der Lockerung im Bewegungssegment
236  durch unkoordinierte Bewegungen zur plötzlichen Einklemmung des
237  Meniskus oder der Kapsel zwischen den Gelenkflächen des
238  Wirbelbogengelenkes kommen. Weitere Bewegungsversuche führen zur
239  Kapselzerrung, damit verbunden zu heftigster Schmerzsensation mit
240  augenblicklicher reflektorischer Verspannung der paravertebralen
241  Muskulatur und zunächst fixierter Fehlhaltung der Wirbelsäule.
242  Der genannte Mechanismus erklärt das oft verblüffende Ansprechen
243  dieses Beschwerdebildes auf chiropraktische Maßnahmen. Gelingt
244  es, die intraarticuläre Verklemmung zu lösen, so fällt der
245  Schmerzreiz weg und die Bewegung wird frei, da sich die einseitige
246  Muskelverspannung zurückbildet. Nach unterschiedlich langer Zeit
247  können allmählich oder plötzlich zu den genannten vertebralen und
248  paravertebralen Symptomen fortgeleitete Beschwerden
249  auftreten. 1.Kann die unphysiologische Beanspruchung des
250  Wirbelbogengelenkes zu Arthrose und Kapselreizung führen, die
251  mit in die Peripherie ausstrahlenden Schmerzen verbunden sein
252  können. Dies wurde durch Punktion der Wirbelbogengelenke
253  erwiesen. 2.Kann das Foramen intervertebrale, bedingt durch
254  das Aneinanderrücken der Wirbel, soweit eingeengt werden, daß
255  ein Druck auf die Nervenwurzel entsteht. 3.Kann es zur
256  Verlagerung von Bandscheibenmaterial aus dem Zwischenwirbelraum
257  heraus kommen, wodurch die Möglichkeit der Rückenmark
258  schädigung und Nervenschädigung gegeben ist. Da die
259  Verlagerung des Bandscheibenmaterials eine häufige und
260  komplikationsreiche Folge der Chondrose darstellt, soll sie
261  ausführlicher dargestellt werden. Die Voraussetzung für eine
262  Verlagerung eines Teiles der Bandscheibe ist der federnde Druck
263  einer gewissen Menge noch unveränderten elastischen Gewebes. So
264  erklärt es sich, daß Bandscheibenvorfälle nicht etwa im hohen
265  Alter, sondern gehäuft zwischen dem 25.und 45.
266  Lebensjahr beobachtet werden, mit einem überwiegenden Befall
267  der beiden unteren Lendenbandscheiben, was sich aus der
268  besonderen statischen und funktionellen Belastung dieser Region
269  ergibt. Ob im Einzelfall Nucleus-pulposus-Anteile oder
270  solche des Anulus fibrosus oder beide gemeinsam prolabieren, kann
271  erst die postoperative histologische Untersuchung zeigen. Aus
272  diesem Grund sollte man nicht vom Nucleus pulposus-Prolaps,
273  sondern vom Bandscheibenvorfall oder Diskusprolaps
274  sprechen. Wohin kann das Gewebe verlagert werden und welches
275  klinische bzw. röntgenologische Bild folgt daraus?. Kommt
276  es zur Verlagerung nach cranial oder caudal, also durch die
277  knorpeligen Abschlußplatten in den Wirbelkörper hinein, so
278  entsteht das typische Bild der Schmorlschen Knorpelknötchen.
279  Dringt das Gewebe nach ventral oder lateral vor, so
280  kommt es durch eine überhöhte Zugbelastung an den Ansatzstellen
281  des Randleistenanulus oder des vorderen Längsbandes zum
282  röntgenologischen Bild der Spondylosis deformans. Wird
283  das Zwischenwirbelscheibengewebe jedoch nach dorsal
284  verlagert, so kann es das Rückenmark durch Druck
285  schädigen und eine der Höhe und Ausdehnung entsprechende
286  neurologische Symptomatik verursachen. Ist der Vorfall nach
287  dorso-lateral gerichtet, so wird er das
288  Zwischenwirbelloch einengen und so den hier liegenden Nerv
289  schädigen. Die bei der Chondrose durch ossäre Einengung der
290  Foramina intervertebralia, Ödembildung im Bereich des hier
291  liegenden lockeren Bindegewebes und Fettgewebes oder auch
292  Wurzelvaricosis oft schon vorhandene relative Raumnot wird so zur
293  absoluten.

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