Quelle Nummer 283

Rubrik 02 : RELIGION   Unterrubrik 02.24 : PRAKTISCHE

RELIGION UND FAMILIE
JOSEF BUCHMANN/HANS-DIETER BRAUN
GOTT IM ALLTAG DER FAMILIE
HOHENECK-VERLAG GMBH, HAMM/WESTFALEN 1971, S. 102-


001  Peter geht nicht mehr zur Kirche. " Was soll ich nur
002  tun? Peter, unser Ältester, besucht seit einem Vierteljahr
003  keinen Gottesdienst mehr. Ich habe ihm gute Worte gegeben, ich
004  habe mit ihm geschimpft, ich habe ihm gesagt, er solle sich
005  schämen, wo er doch früher ein so eifriger Meßdiener gewesen ist.
006  Nichts hilft! Seine einzige Antwort ist, er möchte endlich
007  seine Ruhe haben. Er sei kein kleines Kind mehr und wüßte
008  selber was er zu tun hätte. Bitte, geben Sie mir einen Rat!
009  Man kann doch nicht untätig zusehen, wie er seinen Glauben
010  verliert ". Der Seelsorger, dem eine besorgte Mutter mit diesen
011  Worten ihren gegenwärtig größten Kummer offenbart ist in einiger
012  Verlegenheit. Die Frau hat ihn aufgesucht, weil er in ihren
013  Augen ein Fachmann ist für religiöse Probleme, ähnlich wie ein
014  Arzt Fachmann ist für die Gebrechen des Leibes. Sie erwartet
015  von ihm eine präzise Anleitung, gewissermaßen einen sicheren Tip,
016  wie die gestörte Ordnung möglichst rasch wiederherzustellen sei.
017  Einen solchen Tip gibt es in diesem Fall aber nicht. Was
018  würde er auch nützen? Zwar wäre die Mutter beruhigt, wenn es
019  durch eine psychologische List gelänge, ihren Sohn wieder
020  regelmäßig in die Kirche zu bringen. Aber der Sohn? Wären
021  seine Probleme damit behoben und aus der Welt geschafft?
022  Zusammen mit der Mutter beginnt der Seelsorger nachzudenken:
023  Ein junger Mensch kann mit Kirchgang und Liturgie nichts mehr
024  anfangen. Ist das nicht zunächst eine Herausforderung an uns
025  Erwachsene, daß wir uns selbst einmal die Frage vorlegen:
026  Warum gehe ich als guter Katholik jeden Sonntag zur hl. Messe?
027  Warum bleibe ich nicht einfach weg, wie so viele andere? Wir
028  sagen vielleicht: Ich bin es so gewohnt. Ein Sonntag ohne
029  Messe ist für mich kein richtiger Sonntag. Das ist für einen
030  Katholiken einfach selbstverständlich. Wird uns der Sohn diese
031  Antwort abnehmen? Er ist in einem Alter, wo er besonders
032  nachdrücklich spürt und erlebt, daß man als reifer Mensch sein
033  Leben und Denken selbst zu gestalten und zu verantworten hat. Er
034  meint, daß er nun lange genug hingenommen hat, was ihm die
035  Erwachsenen vorgesagt und vorgeschrieben haben, und fragt jetzt
036  nach dem Sinn der äußeren Formen, in die wir ihn hineinerzogen
037  haben. Haben wir selber diesen Sinn genügend durchschaut? Sind
038  nicht viele von uns in ihrer Einstellung zum Religiösen wie
039  Kinder geblieben, die unkritisch weiterpflegen, was ihnen frühere
040  Autoritäten beigebracht haben? Wir brauchen uns nicht zu wundern,
041  wenn diese Haltung bei der jungen Generation weder Beifall noch
042  Nachahmung findet, sondern eher den Wunsch provoziert, nicht so
043  katholisch sein zu wollen wie die Eltern. Ein junger Mensch will
044  nicht mehr zur Kirche gehen. Vielleicht hat er erfahren müssen,
045  daß treue Erfüllung der Sonntagspflicht und christliche
046  Nächstenliebe nicht immer beisammenwohnen, und so ist in ihm der
047  Eindruck entstanden: Für die meisten ist die Teilnahme am
048  Gottesdienst ein frommer Selbstbetrug. Wenn sie als Christen
049  wirklich gefordert werden, versagen sie, sind sie oft brutaler und
050  selbstsüchtiger als Ungläubige und Atheisten. Zu diesen
051  " Frommen " will ich nicht gehören. Der junge Mensch will echt
052  sein. Und auf religiösem Gebiet, wo es doch um Gott, um die
053  höchsten Werte überhaupt geht, verlangt er das Echte mit
054  besonderer Radikalität. Wir sprachen eben von der unechten
055  Frömmigkeit mancher Katholiken, die ihn abstößt. Es ist hier
056  aber noch etwas anderes zu bedenken: Auch die Liturgie, die in
057  der Kirche vollzogen wird, ist nicht ohne weiteres geeignet, auf
058  einen jungen Menschen anziehend zu wirken. Die Sprache der
059  Lesungen und Orationen, die feierlichen Gewänder des Priesters,
060  die äußeren Zeremonien der gottesdienstlichen Handlung und
061  manchmal auch der Stil der Predigten - sind sie nicht eher
062  Zeugen einer großen und fremden Vergangenheit als Ausdruck
063  unserer heutigen Art, über Gott und mit ihm zu sprechen? Es
064  ist richtig, wenn wir dagegen sagen: Man kann das Christentum
065  nicht von seiner Geschichte trennen; die Offenbarung ist nun
066  einmal vor 2. 000 Jahren ergangen und hat sich im Laufe der
067  Jahrhunderte in bestimmte Formen ausgestaltet. Das hat man
068  einfach hinzunehmen. Wir dürfen aber bei diesem Argument nicht
069  übersehen, daß es für einen jungen Menschen ungleich schwerer
070  ist als für uns Erwachsene, den Wert des geschichtlich
071  Gewordenen zu erfassen und anzuerkennen. Der junge Mensch lebt
072  auf die Zukunft hin, er liebt Neuheit und Überraschung. Eine
073  Kirche, die sich vorwiegend in Formen der Vergangenheit darstellt,
074  findet nicht seine spontane Sympathie. Der Seelsorger bricht
075  seine Überlegungen ab. Die Mutter hat begriffen, daß das so
076  einfach erscheinende " Ich will nicht mehr " ihres Sohnes in
077  Wirklichkeit alles andere als einfach ist. Zwar kann ihr der
078  Seelsorger nicht sagen, was es im einzelnen für Ursachen sind,
079  die den Sohn in seine jetzige Haltung hineingeführt haben, aber
080  daß es keine schlechten Beweggründe sein müssen, daß sogar
081  Ehrlichkeit, daß Suche nach Echtheit dahinterstecken kann, das
082  ist ein großer Trost für sie. Wie soll sie sich in Zukunft
083  verhalten? - Es hat keinen Sinn, den Sohn zum äußeren
084  Vollzug einer religiösen Handlung zu drängen, die er nicht
085  innerlich mitvollziehen kann. Man sollte also darauf verzichten,
086  ihn mit ständigen Mahnungen und Aufmunterungen zu attackieren.
087  Wenn man mit ihm über das Problem des sonntäglichen
088  Kirchenbesuches spricht, dann sollte man es überlegt und ruhig tun.
089  Er muß spüren, daß man seine Schwierigkeiten ernst nimmt und
090  ehrlich auf seine Gründe eingeht. Diese Gründe gehören meist
091  weniger dem Bereich des Verstandes und Wissens an, sie beziehen
092  sich vielmehr auf das Gefühl und das Erleben. Der junge Mensch
093  kann durchaus wissen, was in der Messe geschieht, daß es
094  etwas Großes, Heiliges und Wertvolles ist, aber er erlebt
095  diesen Wert nicht, beim Gedanken an den Gottesdienst bleibt
096  sein Gefühl kalt. Den gewußten Wert zu einem erlebten zu machen
097  - darauf käme alles an. Worte allein dürften dafür nicht
098  ausreichen. Sie können Verständnis erschließen für
099  Historisches, sie können die überscharfe jugendliche Kritik an
100  allem, was nicht ganz echt ist, zurechtrücken. Wesentlich
101  wirksamer aber wird der Wert von Liturgie und Kult durch Menschen
102  vermittelt, die in Gesinnung und Verhalten konsequente Christen
103  sind, d VPN h VP: die in ihrem Leben eine überzeugende
104  Einheit von Weltdienst, Menschendienst und Gottesdienst
105  anstreben und darstellen. Wenn es unter uns viele solcher Christen
106  gäbe, wenn darüber hinaus von der Kirche noch manches unternommen
107  würde, um in der äußeren Gestaltung der Gottesdienste dem
108  Empfinden des jungen Menschen entgegenzukommen, dann wären
109  sicherlich nicht alle Probleme gelöst, aber etwas geringer würde
110  die Zahl jener Söhne wohl sein, die am Sonntag ihren Eltern
111  Kummer machen. Praktische Probleme der religiösen
112  Kindererziehung in der bekenntnisverschiedenen Ehe. Bildet die
113  religiöse Erziehung der Kinder in jeder Altersstufe an sich schon
114  ein Unterfangen, das reich an Schwierigkeiten und Problematik ist,
115  so ist die religiöse Erziehung in der bekenntnisverschiedenen
116  Ehe gar oft ein Abenteuer. Dieser Ausdruck scheint mir nicht
117  übertrieben angesichts der Schwierigkeiten, die den Eltern von
118  kirchlichen Autoritäten und Religionspädagogen gemacht werden
119  können, noch bevor das Kind geboren ist. Ich setze voraus, daß
120  unser Paar aus zwei gläubigen Christen besteht, denn nur für sie
121  ist die Mischehe überhaupt ein Problem. Wenn der eine oder gar
122  beide Teile nur indifferente " Papierchristen " sind, wird die
123  Form der Eheschließung und die künftige Kindererzienung keine
124  wesentliche Rolle spielen. Die Verpflichtung zur katholischen
125  Kindererziehung kann nun aber gerade bei einem gläubigen
126  Protestanten Gewissenskonflikte hervorrufen. Wie kann er es
127  verantworten, seine Kinder in einer Konfession zu erziehen, die
128  seiner Meinung nach nicht dem entspricht, was er als wahr und
129  richtig empfindet? Über diesen Punkt sollten die künftigen
130  Ehegatten doch in aller Freiheit diskutieren und sich ebenfalls in
131  aller Freiheit auf eine der beiden Möglichkeiten der
132  Kindererziehung einigen können. An diesem Punkt ist es heute
133  sehr wichtig und eigentlich die Pflicht jedes Seelsorgers, die
134  Ehekankidaten auf die in der " Instructio matrimonii sacramentum "
135  vom 18.3.66 erwähnten Dispensmöglichkeit aufmerksam zu
136  machen: Sollte es der protestantische Partner mit seinem
137  Gewissen nicht vereinbaren können, seine Kinder katholisch zu
138  erziehen und einigen sich die Eltern auf eine protestantische
139  Erziehung, so kann auf ein begründetes Gesuch des Seelsorgers,
140  bzw. des zuständigen Diözesanvorstehers an den Heiligen Stuhl,
141  d. h. im konkreten Fall an die Kongragation für die
142  Glaubenslehre, eine Dispens von Mischehehindernis gewährt werden.
143  Die Praxis hat gezeigt, daß diese Dispens in den meisten
144  Fällen gewährt wird, sofern die Begründung seriös und
145  wohlfundiert vorgebracht wird. Wir nehmen nun an, diese erste
146  Hürde sei glücklich bewältigt. Das heißt aber hier nur soviel,
147  daß unser junges Paar sich rein kirchenrechtlich wirklich in
148  Freiheit entscheiden kann, in welcher Konfession es seine Kinder
149  erziehen will. In vielen Fällen wird sehr bald noch eine zweite
150  Hürde zu nehmen sein, nämlich der Druck von Seiten der lieben
151  Verwandten. Die antiautoritäre Entwicklung ist trotz allem noch
152  nicht soweit gediehen, daß nicht die Angehörigen sowohl des
153  katholischen wie des protestantischen Partners versuchen würden,
154  mehr oder weniger massiv den Entschluß des Paares zu beeinflussen.
155  Viele Mischehen würden überhaupt friedlicher verlaufen, wären
156  sie unabhängig von ihrer Verwandschaft. Die Liebe zwischen den
157  Ehegatten vermag manches zu glätten, was die Angehörigen als
158  unüberbrückbares Hindernis betrachten. Diese wurden ja nie der
159  Forderung gegenüber gestellt, ihre Gewißheit auf alleinigen
160  Besitz der Wahrheit in Frage zu stellen. Es braucht Takt und
161  Diplomatie, aber auch Selbstsicherheit und
162  Verantwortungsbewußtsein auf Seiten der Jungen - Diskretion
163  und Verständnis neben dem Fallenlassen jeden Prestigedenkens auf
164  Seiten der Alten. Es ist klar, daß man etwas viel lieber
165  freiwillig tut, als unter Druck und Zwang. Fällt nun der
166  kirchliche Zwang und der verwandtschaftliche Druck dahin, so ist
167  es dann auch durchaus möglich, daß z. B. der
168  protestantische Vater nach reiflicher Überlegung und im
169  Bewußtsein seiner Verantwortung sich dazu entschließt, seine
170  Kinder katholisch, bzw. in der Konfession der Mutter erziehen
171  zu lassen. Wenn er aber um die Möglichkeit des eigenen
172  Entschlusses gebracht wird, ist er nur mit halbem Herzen dabei.
173  Sein künftiges Verhalten der " gegnerischen " Konfession
174  gegenüber wird immer von einem Hauch negativen Affektes überzogen
175  sein. So wird der Wert der Dispensmöglichkeit ausgedehnt, daß
176  der protestantische Teil gegebenenfalls seine Kinder freiwillig
177  katholisch erziehen lassen kann. Prof. Johannes Feiner,
178  Leiter der katholischen Paulus-Akademie in Zürich geht
179  soweit und sagt: " Sollte es einmal dazu kommen, daß die Frage
180  der Konfession der Kinder nicht durch ein allgemeines Gesetz
181  geregelt, sondern der persönlichen Gewissensentscheidung der
182  Ehegatten überantwortet wird, so würde - darüber muß man sich
183  klar sein - die Situation gerade für Christen mit wachem
184  Gewissen und lebendigem Glauben keineswegs bequemer werden, da
185  ihnen niemand die Verantwortung abnehmen kann (...). Keiner der
186  beiden Seelsorger dürfte sich vom bloßen Streben leiten lassen,
187  seiner eigenen Kirche möglichst viele neue Anhänger zu gewinnen;
188  entscheidend dürfte nur sein, in welcher Konfession im
189  konkreten Fall die Kinder zu besseren Christen erzogen werden
190  können (...). Auch der Katholik wird nicht bestreiten, daß es
191  besser ist, wenn die Kinder gute protestantische Christen,
192  anstatt bloße Taufscheinkatholiken werden, wie auch der
193  Protestant das Umgekehrte zugeben wird. Ob die Kinder bei
194  katholischer oder protestantischer Erziehung bessere Christen
195  werden, das hängt, was die menschliche Seite anbelangt, sicher
196  in erster Linie, wenn auch nicht allein, von der Glaubenshaltung
197  der Eltern ab ". Die Ehegatten müssen sich, trotz
198  gegensätzlicher Auffassungen über die Heilsbedeutung ihrer
199  eigenen Konfession und derer des anderen Ehegatten, zu einer
200  bestimmten Form der Kindererziehung entschließen. Sie können
201  die Kinder noch nicht einfach als " Christen " quasi in einer
202  oekumenischen " Superkonfession " erziehen. Im Laufe dieser
203  Erziehung stellt sich an bestimmten Stationen konkret die Frage:
204  katholisch oder protestantisch? Taufe, Religionsunterricht,
205  Firmung bzw. Konfirmation. Da gibt es kein " Zwischendurch ".
206  Dabei soll betont sein, daß die religiöse Kindererziehung
207  in der bekenntnisverschiedenen Ehe nicht grundsätzlich anders
208  anzusehen ist als in der bekenntnisgleichen. Die meisten Probleme
209  stellen sich in jener nur schärfer als in dieser. Aber die
210  konfessionellen Fragen sollten in den Hintergrund treten gegenüber
211  der Erziehung zu einem rechten Christusverhältnis und zum gesunden
212  Gottvertrauen. Mit anderen Worten: Es ist letzten Endes nicht
213  so wesentlich, in welcher Konfession sich die Eltern entschließen,
214  die Kinder zu erziehen, als daß sie es " gut " tun. Dieses
215  " gut " gilt es nun näher zu erläutern. Wenn unsere jungen
216  Eltern ihren Kindern eine erste, natürlich noch völlig
217  unkonfessionelle Glaubensgrundlage schaffen wollen, müssen sie
218  vorerst einmal erkennen, daß der Glaube nicht durch Wissen, vor
219  allem nicht durch Katechismuswissen ermöglicht wird, sondern daß
220  er auf der ersten Erfahrung mit der Geborgenheit, mit einer
221  Instanz beruht, die noch über den Eltern steht, daß er auf der
222  Ahnung der Unselbstverständlichkeit der Welt, der Schöpfung
223  und des Menschen beruht. Diese Erkenntnis ist leider noch nicht
224  überall durchgedrungen. Im Kleinkindesalter wird
225  praktisch der aktivere Partner - ob es nun der protestantische
226  oder der katholische Teil ist, meist wird es die Mutter sein -
227  das Kind einführen in die religiöse Welt, wird mit ihm beten,
228  wird ihm die ersten biblischen Geschichten erzählen und wird es
229  fühlen lassen, daß Kind und Eltern in Gottes Hand geborgen
230  sind. Die Mutter ist dafür naturgemäß eher geeignet, schon
231  weil sie den ganzen Tag mit dem Kind beisammen ist. Sie kann
232  diese Rolle sehr gut übernehmen, auch wenn sie nicht die
233  Konfession hat, in der das Kind später erzogen wird.

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