Quelle Nummer 277

Rubrik 05 : KULTUR   Unterrubrik 05.03 : SCHULBUCH

SCHULE UND GESELLSCHAFT
EUGEN LEMBERG/ADAM BAUER/ROSEMARIE KLAUS-ROEDER
SCHULE UND GESELLSCHAFT
NYMPHENBURGER VERLAGSHANDLUNG, COPYRIGHT:
WISSENSCHAFTLICHE BUCHGESELLSCHAFT DARMSTADT 1971
S. 27-


001  Zur Soziologie des Schülers. Einleitung.
002  Zwar werden in zahlreichen Veröffentlichungen die
003  Schülerprobleme unter soziologischen wie psychologischen Aspekten
004  der Kindheit und Jugend oder als Frage der Sozialisation bzw.
005  Sozialisierung (durch Elternhaus und Schule) behandelt, eine
006  systematische soziologische Analyse der Rolle und Stellung des
007  Schülers gibt es unseres Wissens bislang jedoch noch nicht. Nun
008  kann es nicht die Absicht einer zusammenfassenden Darstellung
009  soziologischer Schüleruntersuchungen sein, eine solche Analyse zu
010  liefern. Dennoch wird man sagen können, daß eine spezielle
011  Soziologie des Schülers auf Grund der Vielschichtigkeit der
012  Problemlage im Überschneidungsbereich von Kindersoziologie,
013  Jugendsoziologie, Familiensoziologie,
014  Schulsoziologie, Erziehungssoziologie und
015  Sozialisationssoziologie zu lokalisieren wäre. Die folgenden
016  Ausführungen sind hauptsächlich auf die Probleme der Schüler in
017  allgemeinbildenden Schulen abgestellt. Die soziologische Analyse
018  der Situation anderer Schülergruppen wird hier wegen des für die
019  speziellen Verhältnisses von Berufstätigkeit und Schulbesuch
020  ausgeklammert, obwohl zu einzelnen Kategorien, so z. B.
021  zum Fernschüler, zum Berufsschüler, zum berufstätigen
022  Jugendlichen bzw. zur jungen Arbeiterin, bereits eine z.T.
023  umfassende Reihe von Veröffentlichungen vorliegt, die im
024  einzelnen jedoch häufig von einer schülersoziologischen
025  Problemstellung abweichende Ziele verfolgen. Die Heterogenität
026  des unter dem Schülerbegriff gefaßten Personenkreises wirft
027  erhebliche Definitionsprobleme auf. Diese werden besonders
028  offenkundig, wenn neben den - laut Gr. Brockhaus - " mit
029  einem Lehrer zur Gemeinschaft der Schule gehörigen Personen "
030  diejenigen berücksichtigt werden, die sich als Privat
031  schüler, Fernschüler und dergleichen in anderer Form -
032  wiederum laut Gr. Brockhaus - irgendwie " die Gesamtheit
033  aller Unterrichtsmaßnahmen und Unterrichts einrichtungen "
034  zunutze machen. Auch eine, nach Beschränkung auf einen enger
035  gefaßten Problemkreis, versuchsweise gegebene Definition des
036  Schülers als eines, " für den die Schule als Institution den
037  wichtigsten Teil seiner Zeit und seiner psychischen Kräfte
038  absorbiert und für den sie als Raum den wichtigsten Ort seiner
039  sozialen Zuordnung und seiner sozialen Selbstbehauptung darstellt ",
040  muß sich ihrer Selektivität und Vorläufigkeit bewußt sein.
041  Einige allgemeine Merkmale der Schülerrolle erscheinen jedoch
042  geeignet, die heute noch überwiegend vorfindbare Lage der
043  Schüler zu charakterisieren: Der Schüler ist Angehöriger
044  eines besonderen sozialen Systems, der Schule. Diese
045  Mitgliedschaft beruht überwiegend auf Zwang, zunächst in Form
046  eines rechtlichen Zwangs (Schulpflicht), sodann - bei
047  weiterführendem Schulbesuch - in Form sozialer Zwänge
048  (Abhängigkeit vom Elternhaus, Schulabschlüssen u. dgl.).
049  auf die Formulierung der Sozialisationsziele bzw.
050  Lernziele und Lernmethoden, mit denen er in der Schule
051  konfrontiert wird, hat der Schüler bis heute praktisch keinen
052  Einfluß (Fremdbestimmung). Von seiten der Eltern wird
053  erwartet, daß er sich den Normen und Zielen der Schule anpaßt,
054  da sonst die Erreichung sozialer Ziele (Positionen) in Frage
055  gestellt wäre. Damit wird das Augenmerk auf einen zentralen
056  Aspekt des Schülerdaseins gelenkt, auf die Tatsache nämlich,
057  daß er in diesem Prozeß der Erziehung bzw. Sozialisation
058  primär eine Adressatenrolle spielt - auch nach den
059  meisten der zur Zeit geltenden Bildungspläne. In dieser Rolle
060  sieht er sich mit den Erwartungen und Anforderungen von mehreren
061  Bezugsgruppen konfrontiert: mit den Rollenerwartungen, die die
062  Gesellschaft an ihn als Kind, Jugendlichen und Heranwachsenden
063  sowie in seiner Rolle als Schüler heranträgt; mit den
064  Rollenerwartungen der Schule als Institution; mit den
065  Rollenerwartungen der Lehrer (auf der Schulklassenebene); mit
066  den elterlichen Rollenerwartungen, welche im Verlauf des
067  Sozialisationsprozesses durch Internalisierung z. T. zu
068  seiner eigenen Bedürfnisstruktur geworden sind; und mit den
069  Rollenerwartungen seiner Mitschüler, mit denen er in
070  altershomogenen Gruppenvereinigungen in der Schule zusammenlebt.
071  Hinzu kommt das sich in der Persönlichkeit des Kindes,
072  Jugendlichen und Heranwachsenden entwickelnde Bedürfnis nach
073  Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung. Es liegt auf der Hand,
074  daß sich schon auf Grund der mitunter erheblich voneinander
075  abweichenden Rollenerwartungen Rollenkonflikte ergeben dürften;
076  erst recht ist jedoch mit Konflikten dort zu rechnen, wo der
077  Schüler in der Beschränkung auf seine unmündige Rolle an der
078  Entfaltung dieser Bedürfnisse behindert wird. Die Situation der
079  Schüler wird insbesondere dadurch problemgeladen, daß die
080  Erwachsenendefinitionen der Schülerrolle auch über die
081  Freiheitsgrade bestimmen, indem die Erwachsenengesellschaft durch
082  Gebrauch legalisierter Sanktionen für die Einhaltung von Werten
083  und Normen sorgt, die sie - wiederum gemäß ihrer eigenen
084  Definitionen von Kultur - für tradierungswürdig und
085  tradierungs notwendig hält. Kinder und Jugendliche
086  in der Gesellschaft. Wir haben es bei Schülern vornehmlich mit
087  Kindern und Jugendlichen zu tun. Es ist wohl unzweifelhaft, daß
088  Rolle und Status des Schülers in hohem Maße positiv mit seiner
089  Rolle und seinem Status als Kind und Jugendlicher in der
090  umfassenderen Gesellschaft korrelieren. Man könnte die Hypothese
091  formulieren, daß in den (Schule-) Lehrer-Schüler-
092  Beziehungen weitgehend die gleichen Prinzipien gelten und
093  Mechanismen wirken wie in den allgemeineren Erwachsenen-Kind
094  *tkBeziehungen bzw. Erwachsenen-Jugendlichen-
095  Beziehungen. Dieses Verhältnis wird in erster Linie entlang der
096  Dimensionen " Lebensalter " und " Geschlecht " aufgebaut und
097  geregelt. Die Bedeutung dieses Sachverhaltes für den Prozeß
098  der Sozialisation, worunter - allgemein - die " Übertragung
099  von Verhaltensdispositionen durch Sozialisatoren auf Sozialisanden "
100  zu verstehen ist, sowie für den Vorgang der Enkulturation und
101  Personalisation sieht H. Fend darin, daß " die kulturellen
102  Definitionen der Rollen nach Alter, Altersbeziehungen und
103  Geschlecht den sozio-kulturellen Grundplan für das Werden der
104  Persönlichkeit bilden ". Die in allen Gesellschaften
105  anzutreffende Unterscheidung von Altersstufen erfüllt
106  hauptsächlich zwei gesellschaftliche Junktionen: sie
107  ermöglicht und erleichtert altersspezifische Identitätsbildungen
108  und sie dient der Erstellung relativ eindeutiger Kategorien
109  für altersspezifische Rollenzuweisungen. Für diese
110  altersspezifischen Rollenerwartungen sind typusartige Vorstellungen
111  vom " Wesen " der Lebensalter charakteristisch, wobei als
112  typische Merkmale der Kindheit z. B. Kleinheit,
113  Hilflosigkeit und Liebenswürdigkeit angesehen werden; typisch
114  für Jugendliche ist hingegen das Vorstellungsbild von " Sturm
115  und Drang ". Diese Alterstypen sind vorstellungsmäßig in einer
116  sich gegenseitig bedingenden Form miteinander verknüpft, so daß
117  sie dazu tendieren, gleichsam ein System interagierender Elemente
118  zu bilden: z. B. Kinder haben zu lernen, damit sie die
119  Fähigkeiten der Erwachsenen erwerben. Die altersspezifische
120  Rollendifferenzierung ist ferner gekennzeichnet durch den engen
121  Zusammenhang mit einer relativ klaren Autoritätsdifferenzierung,
122  bei der im allgemeinen die älteren Generationen über die jüngeren
123  Autorität ausüben. Altersstufen werden somit funktional zu
124  Altersklassen. Altersspezifische Rollenzuweisungen werden jedoch
125  interkulturell und zum Teil subkulturell inhaltlich verschieden und
126  unterschiedlich starr gehandhabt. In den hochspezialisierten
127  Industriegesellschaften sind die Abgrenzungen der Altersklassen im
128  allgemeinen weniger eindeutig und weniger institutionalisiert, als
129  dies vergleichsweise bei Naturvölkern oder in weniger
130  differenzierten Kulturen der Fall ist. Kennzeichnend für die
131  modernen Industriegesellschaften ist die Notwendigkeit einer sich
132  zeitlich lang erstreckenden Sozialisationsphase; diese macht die
133  " Institutionalisierung, die differenzierte soziale Regelung von
134  Erziehung " erforderlich. Es kann angenommen werden, daß sich
135  mit der Höhe der " Sozialisationsziele " (d. h. der
136  Lernanforderungen), mit der durch die Instabilität der Normen
137  in dynamischen Gesellschaften bedingten langen
138  " Sozialisationsstrecke " (z. B. Umlernerfordernisse) und
139  mit der Komplexität des " Sozialisationsweges " (vgl.
140  Wechselspiel von familialer und außerfamilialer Sozialisation)
141  für Kinder und Jugendliche besondere Probleme des Hineinwachsens
142  in die Erwachsenengesellschaft ergeben. Erschwerend kommt hinzu
143  das weitgehende Fehlen eines allgemeinverbindlich
144  institutionalisierten Leitbildes des Menschen, ebenso die
145  Tatsache der Gegensätzlichkeit der Rollenmuster von Kindern und
146  Erwachsenen, wobei sich Kindheit und Jugend einerseits und
147  Erwachsenenaltersklassen andererseits quasi in verbandsmäßigen und
148  kulturellen Teilsystemen gegenüberstehen. Kinder und Jugendliche
149  sind nicht nur Objekte familiarer Früherziehung und der späteren
150  institutionalisierten schulischen Erziehung, sondern auch Subjekte,
151  insofern sie auf den Erziehungsprozeß reagierend bzw. in ihm
152  interagierend das Erziehungsfeld und die Erziehungsprozesse mit
153  beeinflussen. Sozialisation ist in weiten Bereichen durch
154  " soziales " Lernen bestimmt, d. h., sie vollzieht sich in
155  einem sozialen Zusammenhang bzw *pv unter der Bedingung der
156  Interaktion mit Partnern. Allerdings spielen Jugendliche und
157  erst recht Kinder im Sozialisationsprozeß kaum jemals die Rolle
158  von gleichberechtigten Partnern, sondern es wird ihnen ein relativ
159  niedriger sozialer Status zugemutet und durch " soziale Kontrolle "
160  (etwa in Form der Ankündigung von Sanktionen, durch eine
161  Reihe von Ersatzbefriedigungen oder durch sekundäre
162  Institutionalisierung von Protestansätzen) aufrechterhalten.
163  Auf der anderen Seite erweist sich die (gelungene) Sozialisation
164  nach wie vor als das effektivste Mittel sozialer Kontrolle, wobei
165  Imitation, Identifikation und Schaffung emotionaler Bindungen
166  die Mechanismen sind, über die sich das soziale Lernen der von
167  der Erwachsenengesellschaft geforderten Verhaltensdispositionen
168  vollzieht. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß es eine
169  Reihe von Sozialisationsmängeln gibt, die zum Teil auf das
170  Konto der im Rollenkonflikt stehenden, an teilweise veralteten
171  Leitbildern und Lehrprogrammen orientierten Schule gehen, zum
172  Teil aber im Elternhaus begründet sind. Bis zu einem gewissen
173  Grade läßt sich die feststellbare soziale Diskriminierung
174  bestimmter Schülergruppen auf Unzulänglichkeiten bei der
175  Ausübung der Sozialisationsfunktion der Schule zurückführen.
176  Zudem kommt es auch über die soziale Plazierungsfunktion
177  und Selektionsfunktion der Schule zu sozialer Diskriminierung.
178  Obwohl die moderne Schule bestrebt ist, durch Individualisierung
179  und Rationalisierung den Begabungen und Interessen der Kinder und
180  Jugendlichen soweit als möglich gerecht zu werden, geschieht
181  gegenwärtig die Auswahl (Selektion und Plazierung) keineswegs
182  optimal oder auch nur überwiegend unter Berücksichtigung
183  solcherart rationaler Kriterien. Vielmehr gelangen Kinder und
184  Jugendliche aus Elternhäusern des gehobenen sozio-
185  ökonomischen und sozio-kulturellen Milieurs bzw. Bildungs
186  -Status häufiger in Schulzweige, die für gehobenere
187  gesellschaftliche Positionen ausbilden und - zum Teil auf Grund
188  bloß formeller Regelungen - entsprechende Chancen eröffenen.
189  Zur gleichen Zeit vollzieht sich schulintern über den
190  Bildungskanon und die in den Bildungsplänen enthaltenen
191  Wertsetzungen eine weitere Begünstigung von Kindern und
192  Jugendlichen der gehobenen und vor allem mittleren Schichten:
193  Sowohl der Moralkodex als auch die in den Schulen bevorzugte
194  Sprachform zeigen eine ausgeprägte Mittelschichtenaffinität
195  und Oberschichtenaffinität. Somit sind die Voraussetzungen
196  eines demokratischen Schulsystems, nämlich die freie, unter
197  gleichen Startbedingungen und Arbeitsbedingungen auszutragende
198  Konkurrenz zwischen Kindern und Jugendlichen verschiedener
199  Schichtzugehörigkeit, aber auch verschiedenen Geschlechts, als
200  nicht oder doch in stark eingeschränktem Maße gegeben zu
201  betrachten. Aus der Konkurrenz weitestgehend ausgeschlossen
202  erscheinen berufstätige Jugendliche, auch wenn sie sich als
203  Berufsschüler oder Berufsaufbauschüler und dergleichen noch in
204  einem schulartigen Ausbildungsprozeß befinden. Die von einigen
205  Forschern aufgestellten Thesen über eine " bevorzugte "
206  Pubertät bei Schülern mit weiterführendem Schulbesuch
207  gegenüber einer " benachteiligten " Pubertät bei berufstätigen
208  Jugendlichen verweisen darauf, daß die Tatsache der
209  gleichzeitigen Schichtbedingtheit und Schichtwirkung der
210  schulischen Plazierung diese Unterschiede in der Situation von
211  Schülern und beruftstätigen Jugendlichen wesentlich mitverursacht
212  haben dürfte. Von daher ergibt sich die Notwendigkeit zu
213  Überlegungen, durch welche bildungspolitischen Maßnahmen diesem
214  Zustand wirksam begegnet werden kann. Zu denken wäre wohl in
215  erster Linie an den Ausbau eines kompensatorischen
216  Bildungsangebots: zweite Bildungswege, Fernstudium,
217  Erwachsenenbildung, Einsatz verschiedener Medien und dergleichen.
218  Aber auch der Fragenkomplex der äußeren und inneren
219  Differenzierung, genereller: der äußeren und inneren
220  Schulreform gehört in diesen Zusammenhang. Mit der äußeren
221  organisatorischen Veränderung des Schulsystems wie mit seiner
222  Verbesserung auf dem Weg der inneren Differenzierung als auch
223  über die Revision der Curricula wird stets auch die
224  Lehrerausbildungsfrage thematisch. Darin zeigt sich, daß mit
225  Einzelmaßnahmen oder einseitigen bildungspolitischen Aktionen dem
226  Problem der sozialen Diskriminierung und Ungleichheit der
227  Bildungschancen kaum beizukommen ist. Zweifel - wenn auch
228  konstruktiv gemeinte - an der Effektivität isolierter, nicht
229  genügend reflektierter Schulreformen zur Beseitigung des Zirkels
230  der sozialen Diskriminierung erscheinen daher berechtigt. Hier
231  kann vermutlich nur dadurch Abhilfe geschaffen werden, daß der
232  Staat initiativ wird und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fach
233  vertretern und Interessenvertretern die für die heute
234  bevorzugte Gesellschaftsform wichtigen bildungspolitischen Ziele
235  formuliert. Nach deren Gewichtung, was sicher nur mit Hilfe
236  eines sehr differenzierten Ansatzes durchführbar ist, könnte ein
237  entsprechender Vordringlichkeitskatalog von Maßnahmen entwickelt
238  werden. Die Diskussion sollte in Anbetracht der ohnehin schon
239  länger bestehenden, durch die Numerus-clausus-Problematik
240  nochmals verschärften, ungerechten Bildungssituation nicht noch
241  weiter verschleppt werden. Allerdings sollten solche
242  bildungspolitischen Entscheidungen stets begründet werden durch die
243  Befunde aus wissenschaftlich begleiteten Schulversuchen
244  (Erfolgskontrollen!). Die soziale Stellung des
245  Schülers im Schulsystem. Die Schule hat wesentlich die
246  Funktion der Vorbereitung auf das Erwachsensein. " Die Rollen,
247  die den Schulkindern verschiedener Stufen und Lebensalter
248  institutionell zugeordnet werden, sind ausdrücklich vorbereitender
249  Art, d. h. sie werden nach ihrem Beitrag zu irgendeinem
250  zukünftigen Status bewertet; sie stellen keine eigenen Ziele dar,
251  noch sind sie Manifestationen eines vollen Status oder einer
252  vollen Mitgliedschaft in der Gemeinschaft. " Juristisch ist das
253  Schülerdasein in Form eines Rechtsverhältnisses geregelt.
254  Besondere Pflichten und Rechtsbeschränkungen sind die
255  Kennzeichen dieses Verhältnisses. Als " besonderes
256  Gewaltverhältnis " ist es jedoch deshalb problematisch, weil sich
257  daraus Erschwerungen bei der Verwirklichung von persönlicher
258  Reife und Mündigkeit ergeben könnten, so daß in einem
259  demokratischen Rechtsstaat darauf verzichtet werden sollte.
260  Vertreter eines " konservativ-institutionellen " Standpunkts
261  neigen dazu, dieses Rechtsverhältnis stets im Sinne der
262  Erhaltung ihrer eigenen Position (Status) zu interpretieren und
263  zu handhaben, indem sie Schülerrechte (notfalls) durch
264  Disziplinierung, freilich unter Berufung auf ihre Notwendigkeit
265  im menschlichen Sozialisationsprozeß, einschränken. Die
266  pädagogische Rationalisierung dieser Haltung basiert auf der
267  Argumentation, Freiheit und Verantwortung könnten am besten
268  durch Übernahme von Pflichten und Einübung von (Selbst-)
269  Disziplin erlernt werden. Grundlegende Einsichten, daß zum
270  Beispiel die Motivation zur Mitverantwortung kaum ohne
271  Mitbeteiligung zu erzielen ist, zum anderen aber, daß auf der
272  Grundlage positiver Motivation die Fähigkeit zur Mitsprache den
273  Möglichkeiten nachwächst, bleiben pädagogisch ungenutzt. (Zum
274  Teil liegt dies am Fehlen von Schulversuchsergebnissen, die
275  konservativ denkende Lehrer überzeugen könnten.) Die
276  wissenschaftliche Forschung sollte versuchen, die jeweils
277  altersstufengemäßen Formen einer möglichen Mitbestimmung
278  aufzuzeigen sowie die pädagogischen Bedingungen, unter denen es in
279  späteren Lebensstufen zur Bereitschaft und Fähigkeit ihrer
280  Verwirklichung kommt. Auch der " reformpädagogisch-
281  zwischenmenschliche Ansatz ", der den pädagogischen Bezug unter
282  kategorischer Ausklammerung des Konflikts nach der Devise des
283  " Seid-unerbittlich-nett-zueinander ",
284  vorgegebenermaßen unter besonderer Berücksichtigung des Wesens
285  und der Bedürfnisse des Kindes, geregelt sehen möchte, schafft
286  de facto das Machtverhältnis nicht ab.

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