Quelle Nummer 231

Rubrik 13 : GESCHICHTE   Unterrubrik 13.03 : TEILGEBIETE

KIRCHENGESCHICHTE
AUGUST SCHUCHERT/ HEINZ SCHUETTE
DIE KIRCHE IN GESCHICHTE UND GEGENWART
THOMAS-VERLAG, KEMPEN-NIEDERRHEIN 1970, S. 161-


001  Die Friesenmission. Anfänge einer
002  Kirchenorganisation unter Willibrord. Die nördlichen Nachbarn
003  der Franken waren die Friesen. Dieser niederdeutsche Stamm saß
004  an der Nordseeküste und landeinwärts zwischen Weser und Schelde.
005  Schon zu Beginn des 7.Jahrhunderts stand der südliche Teil
006  von Friesland unter fränkischer Herrschaft. Durch den
007  Wanderbischof Amandus aus Aquitanien (*tc 657) sind damals die
008  ersten Versuche unternommen worden, den Friesen das Evangelium zu
009  predigen. Auch von Köln aus wurde die Friesenmission in Angriff
010  genommen. König Dagobert 1.war es, der den Bischof
011  Kunibert von Köln (*tc um 663) in die Gegend von Utrecht
012  beorderte und zur Missionspredigt verpflichtete. Von Süden her
013  versuchte Eligius, Bischof von Noyon, das Evangelium unter den
014  Friesen zu verkünden. Die Erfolge waren jedoch nicht von Dauer,
015  zumal mit dem Tode des letzten tatkräftigen Merowingerkönigs
016  Dagobert 1.(*tc 639) die Schwäche des fränkischen Reiches
017  sich auch schädigend für den Bestand des Christentums bei den
018  Friesen auswirkte. Viele christliche Kirchen wurden wieder
019  zerstört, und das Heidentum gewann von neuem Einfluß. Erst
020  durch den aus England und von seinem Sitz vertriebenen Bischof
021  Wilfrid von York kam wieder Leben in die Friesenmission. Auf
022  seinem Weg nach Rom blieb Wilfrid 678 ein Jahr lang in Friesland;
023  viele Tausende soll er damals getauft haben. Aber zu einer
024  kirchlichen Organisation kam es nicht. Die ständige Bedrohung
025  der Freiheit der heidnischen Friesen durch die katholischen
026  Franken bewirkte auch eine innere Opposition gegen die römische
027  Kirche. Mit der Ankunft des angelsächsischen Missionars
028  Willibrord wandelte sich die Lage auf dem friesischen Missionsfeld.
029  Willibrord war 658 als Sohn eines in Northumberland ansässigen
030  Sachsen namens Wilgils geboren. Der Vater war ein asketischer
031  Mann, der an der Mündung des Humber ein kleines, dem Apostel
032  Andreas geweihtes Oratorium erbaute und dort als Einsiedler sein
033  Leben beschloß. Aus dieser Gründung entwickelte sich durch
034  königliche Schenkungen ein Kloster, an dessen Spitze später
035  Alkuin, der theologische Berater Karls des Großen, stand.
036  Wilgils war bemüht, seinen Sohn Willobrord im gleichen
037  religiösen Geist zu erziehen. Darum übergab er den Knaben dem
038  Kloster Ripon bei York zur weiteren Ausbildung. Der Geist des
039  Klosters formte den jungen Willibrord für immer, ja ließ ihn
040  darüber hinauswachsen; denn als Zwanzigjähriger verließ
041  Willibrord Ripon und begab sich in ein Kloster nach Irland,
042  dessen strengere Disziplin seiner religiösen Auffassung gemäßer
043  schien. Zwölf Jahre verbrachte Willibrord dort; aber auch die
044  strenge Klosterzucht in Irland genügte ihm nicht. Die
045  " Heimatlosigkeit um Gottes Willen ", die viele irische Mönche
046  beseelte und als Wanderprediger aufs Festland getrieben hatte,
047  erfaßte auch ihn. Sein Ordensoberer sandte ihn mit elf
048  Gefährten nach Friesland, wo die Missionare im Jahre 690 an der
049  Rheinmündung landeten. Damals war der südliche Teil von
050  Friesland wieder unter fränkischer Macht. Unter den freien
051  Friesen konnte Willibrord auf keinen Erfolg hoffen. Darum war er
052  entschlossen, im fränkischen Gebiet der Friesen mit seiner
053  Predigt zu beginnen. Zunächst suchte Willibrort den mächtigen
054  fränkischen Hausmeier Pippin von Heristal auf, um dessen
055  Einverständnis zu gewinnen. Der Plan des angelsächsischen
056  Mönchs war Pippin sehr erwünscht; denn jeder Erfolg des
057  Christentums sicherte auch den Bestand der fränkischen Herrschaft.
058  Willibrord wollte sein Werk auch nicht ohne Rom durchführen.
059  Er begab sich daher im Jahre 690, seinem Herzenswunsch folgend,
060  zu Papst Sergius 1.(687-701). Mit der Vollmacht zur
061  Missionspredigt kehrte Willibrord nach Friesland zurück. Der
062  Erfolg seiner Predigt und derjenigen seiner Gefährten war
063  außerordentlich groß. Schon im Jahre 693 mußten die Missionare
064  daran denken, einen Bischof aus ihrer Mitte weihen zu lassen, um
065  eine feste kirchliche Organisation zu schaffen. Der Erwählte
066  hieß Suitbert; er wurde in England von Bischof Wilfrid geweiht.
067  Pippin erkannte den neuen Bischof jedoch nicht an, weil die
068  Bischofsernennung ohne seine Zustimmung erfolgt war. Daraufhin
069  verließ Suitbert das fränkische Gebiet. Da jedoch die
070  Organisation des friesischen Missionslandes auch im Interesse der
071  Franken immer dringender wurde, bestimmte Pippin Willibrord zum
072  Bischofskandidaten. Mit Pippins Zustimmung reiste Willibrord
073  nach Rom, wo ihn Papst Sergius am 22.November 695 zum
074  Bischof weihte. Man erwartete von ihm die Gründung einer
075  firesischen Kirchenprovinz. Noch im Winter kehrte Willibrord
076  über die Alpen zurück und erhielt seinen Bischofssitz in Utrecht.
077  Die Christianisierung im fränkischen Friesland wurde in den
078  folgenden Jahren durchgeführt. Friesen, die sich bekehrt hatten,
079  empfingen von Pippin Landbesitz. Kirchen und Klöster
080  erstanden als Stützpunkte des Christentums überall im Lande.
081  Unter den freien Friesen, d. h. im nicht fränkisch
082  besetzten Gebiet, versuchte Willibrord vergebens, den Samen des
083  Christentums auszustreuen. Darum trieb ihn sein Missionseifer
084  über die Friesen hinaus zu den Dänen und nach Helgoland. Aber
085  auch hier ergab sich kein dauernder Erfolg. Schließich gründete
086  er im Jahre 706 westlich von Trier das Kloster Echternach in der
087  Absicht, mit dieser Gründung im fränkischen Hinterland einen
088  besonders starken Stützpunkt für die friesische Organisation der
089  Kirche zu schaffen; denn auch die christliche Zukunft Frieslands
090  bereitete ihm trotz aller Erfolge Sorgen. Echternach aber dünkte
091  ihm durch seine Lage im fränkischen Raum bei einem politischen
092  Umschwung nicht gefährdet. Wie richtig Willibrord gesehen hatte,
093  zeigte sich beim Tod Pippins im Jahre 714, als die
094  Unterworfenen Friesen sofort wieder von den Franken abfielen.
095  Für die Kirche in Friesland hatte eine schwere Stunde geschlagen.
096  Überall wurden die christlichen Priester verjagt, die Kirchen
097  zerstört; der Götzendienst aber wurde wieder eingeführt. Die
098  ganze Tätigkeit Willibrords war lahmgelegt. Er residierte als
099  Abt im Kloster Echternach. Der Plan einer friesischen
100  Kirchenprovinz war in dieser Katastrophe untergegangen. Als Karl
101  Martell den friesischen Besitz zurückerobert hatte und auch der
102  neue König der Friesen, Aldgild, friedlicher gesinnt war konnte
103  Willibrord im friesischen Raum seine Tätigkeit wieder aufnehmen
104  und nach Utrecht zurückkehren. Er vollendete die
105  Christianisierung des fränkischen Frieslandes, wobei ihn Karl
106  Martell wesentlich unterstützte. Die freien Friesen allerdings
107  blieben heidnisch. In jenen Zeiten fand sich als Helfer aus der
108  angelsächsischen Heimat der Mönsch Winfrid ein, der spätere
109  große Bonifatius. Allerdings verließ er bereits nach einem Jahr
110  Willibrord und kehrte nach England zurück. Da es zu keiner
111  friesischen Kirchenprovinz gekommen war, suchte Willibrord die
112  Lösung in der Bestellung eines Chorbischofs, also eines
113  " Landbischofs ", der ihm zur Seite stehen sollte. Willibrord
114  hatte dieses Amt Winfrid aus der angelsächsischen Heimat
115  zugedacht, der zum zweiten Male, von Rom kommend, bei ihm
116  eintraf. Winfrid weigerte sich jedoch, das Amt anzunehmen,
117  obwohl er zunächst in Friesland verblieb. Für dauernd hielt es
118  Winfrid jedoch nicht bei den Friesen, andere Aufträge harrten
119  seiner. Vermutlich war es Winfrid-Bonifatius darum zu tun
120  gewesen, in die Missionsmethode des greisen und erfahrenen
121  Willibrord Einblick zu gewinnen. Am 7.November starb
122  Willibrord im Kloster Echternach, wo er auch seine letzte
123  Ruhestätte fand. Der große Missionar Bonifatius.
124  Bei den Hessen und Thüringern Nach vielen Überlegungen
125  im Gebet in der Klosterkirche der Benediktinerabtei Nhutszell
126  wurde es dem Mönch Winfrid zur Gewißheit, daß er für die
127  Germanenmission berufen war. Da faßte er den unerschütterlichen
128  Entschluß, trotz des ersten Mißerfolges bei der Friesenmission
129  und trotz der Wahl zum Abt, die ihm bevorstand, seiner inneren
130  Stimme und dem Ruf von außen her zu folgen. Der Herr rief ihn
131  in die Mission auf das Festland, und er gehorchte. In diesem
132  Glaubensgehorsam wollte er wie Willibrord zuerst nach Rom gehen,
133  um vom Papst die apostolische Sendung in ein Missionsgebiet zu
134  erhalten. Alsdann konnte es keinen Zweifel mehr für ihn geben,
135  was Gott von ihm wollte. Der Mönch Winfrid war damals etwa 45
136  Jahre alt; er war weder ein Romantiker noch ein Phantast. Er
137  sah seine Zukunft ohne jedes Pathos als eine harte Wirklichkeit.
138  Winfrid wurde um 673 in einer vornehmen Familie in England geboren.
139  Seine Jugend verlebte er bereits im Kloster. Er erwarb sich
140  bedeutende Bibelkenntnisse und war bewandert in den Werken der
141  Kirchenväter. Darum wurde er mit der Leitung der Klosterschule
142  betraut. Auch außerhalb seines Klosters war man auf den
143  hochbegabten Mönch aufmerksam geworden, so daß man ihm von seiten
144  einiger Äbte eine kirchenpolitische Aufgabe beim Metropoliten von
145  Canterbury anvertraute, die Winfrid zur Zufriedenheit löste.
146  Außerdem war er eifrig in der Seelsorge als Prediger tätig.
147  Mit der angelsächsischen Heimat ist Winfrid-Bonifatius auch
148  später immer aufs engste verbunden geblieben. Im Jahre 718
149  schiffte sich Winfrid mit einem Empfehlungsschreiben seines
150  Bischofs Daniel an Papst Gregor 2.(715-731) von London
151  aus nach Rom ein. Länger als ein halbes Jahr blieb er dort.
152  Aus den häufigen Unterredungen mit dem anfangs zurückhaltenden
153  Papst erwuchs ein Vertrauensverhältnis zwischen Gregor und dem
154  angelsächsischen Missionar; denn die römische Kirche war damals
155  ganz italisch-byzantinisch eingestellt, und die Länder
156  nördlich der Alpen, besonders die Germanenstämme in den
157  äußeren Randgebieten, lagen kaum in ihrem Blickfeld. Die
158  Aufmerksamkeit Gregors 2.war vor einigen Jahren schon einmal
159  auf Germanien gelenkt worden, als der Bayernherzog Theodo in Rom
160  erschien und eine kirchliche Ordnung für sein Gebiet erbat. In
161  Winfrid aber begann die germanische Welt den Weg nach Rom erneut
162  und stärker zu suchen. So erteilte Gregor 2.am 15.Mai
163  719 an Winfrid die erbetene Missionsvollmacht. Das Schriftstück
164  sprach den allgemeinen Auftrag zur Glaubenspredigt an die Heiden
165  aus, ohne ein bestimmtes Land zu nennen. Die beigefügte
166  Vorschrift, sich bei den Taufen an das römische Ritual zu halten
167  und bei Schwierigkeiten in Rom anzufragen, mußte Winfrid als
168  selbstverständlich erscheinen. Zugleich empfing er in jenem
169  päpstlichen Schriftstück, wie einst auch Willibrord, einen
170  neuen Namen, und zwar nannte ihn Gregor nach dem heiligen
171  Märtyrer vom Vortag " Bonifatius ". Diesen Namen, der seine
172  enge Verbindung mit der römischen Kirche ausdrücken sollte, hat
173  Winfrid künftig ausschließlich geführt. Im Grunde aber blieb
174  es Bonifatius überlassen, seinen Missionsplan zu entwerfen und
175  sein Wirkungsfeld im Norden zu bestimmen. Bonifatius brach bald
176  von Rom auf. Sein Weg führte ihn durch das Langobardenreich,
177  wo er bei König Luitprand freundliche Aufnahme fand; er ging
178  weiter durch Bayern und von da nach Friesland in die dortige
179  Mission; denn Bonifatius hatte erfahren, daß der gefährliche
180  Friesenherzog Radbod gestorben war. Das letzte Stück dieser
181  Reise legte er auf dem Schiffsweg von Mainz nach Utrecht zurück.
182  Er traf mit Willibrord zusammen, der gleichfalls seine
183  Tätigkeit unter den Friesen wiederaufgenommen hatte, und eine
184  Zeit schöner Missionserfolge begann. Auch die angelsächsische
185  Heimat nahm daran teil und ehrte und ermunterte ihre Missionare mit
186  reichen Geschenken. Willibrord wollte Bonifatius am liebsten an
187  die Friesenmission binden und ihn zum Chorbischof ernennen, wie
188  wir dies bereits oben erfahren haben. Bonifatius jedoch entzog sich
189  dem Antrag unter Berufung auf die Thüringer und Hessen, zu
190  denen er gesandt war. Hessen und Thüringen waren damals
191  fränkisches Randgebiet und zugleich Missionsgebiet.
192  Bonifatius trat von Echternach aus seine Reise dorthin an. Es
193  war das Jahr 721. Sein erstes Ziel galt Amöneburg. Er
194  beabsichtigte, hier mit der Mission zu beginnen. Zunächst galt
195  es, den vom Heidentum überwucherten christlichen Glauben wieder
196  rein zu erwecken, zumal es im Land an jeder geordneten Seelsorge
197  fehlte. Erst einige Jahre später nahm er die eigentliche
198  Heidenmission im Inneren Thüringens auf. Natürlich konnte bei
199  seinen sehr erfolgreichen Bekehrungen auf dieser Reise von einem
200  langen Katechumenat und von Unterrichtung für die Taufe keine
201  Rede sein. Bonifatius mußte sich mit der Massentaufe gegnügen,
202  um dann die weitere Erziehung und Vertiefung später folgen zu
203  lassen. Ein solcher Plan bedurfte aber unbedingt einer
204  organisatorischen Straffung, wenn das Missionswerk als ganzes eine
205  lebendige Kirche schaffen sollte. Darum sandte er 722 einen Boten
206  nach Rom, um seine Auffassung vortragen zu lassen. Der Bote kam
207  zurück mit einer Einladung an Bonifatius, persönlich in Rom zu
208  erscheinen. (Abb.) Noch im gleichen Jahre 722 folgte Bonifatius der
209  Einladung nach Rom, wo er am 30.November feierlich die
210  Bischofsweihe empfing. Dabei legte er das Glaubensbekenntnis ab
211  und leistete dem Papst schriftlich einen Gehorsamseid. Darin
212  wurde die für Bischöfe des alten römischen Reichsgebietes
213  vorgesehene Formel der Treue gegen den byzantinischen Kaiser
214  ausgelassen. Statt dessen verpflichtete sich Bonifatius zur
215  engsten Verbundenheit mit dem Papst in Rom (suburbikarischer
216  Bischofseid), ferner dazu, keine Gemeinschaft mit Bischöfen zu
217  pflegen, die nicht die alten Einrichtungen der heiligen Väter
218  beobachteten. Er erklärte sich bereit, die Mißstände
219  abzuschaffen oder nach Rom zu berichten. Zudem empfing Bonifatius
220  den Text einer altkirchlichen Rechstssammlung gleichsam als
221  Leitfaden für seine Tätigkeit. Bonifatius kannte nun seine
222  Aufgabe. Er hatte den Unterschied zwischen seiner
223  angelsächsischen Kirchenordnung und der fränkischen religiösen
224  ungeordneten Wirklichkeit erkannt. Damit war ihm aber auch die
225  Gegnerschaft der fränkischen Hofbischöfe sicher. Hier lag das
226  Problem; hier war künftig eine große Reform notwendig, die den
227  Missionsauftrag weit übertreffen sollte. Im Frühjahr 723 kehrte
228  Bonifatius als Bischof von seiner zweiten Romfahrt ins
229  Frankenreich zurück. Er begab sich zunächst an den Hof des
230  Hausmeiers Karl Martell. Karl nahm den neuen Bischof, der ohne
231  sein Zutun in Rom für fränkisches Gebiet geweiht worden war, in
232  Schutzgewalt und stellte ihm einen Geleitbrief an alle Bischöfe,
233  Herzöge, Grafen und sonstigen fränkischen Hoheitsträger aus.
234  Damit konnte Bonifatius, soweit die Autorität des Hausmeiers
235  reichte, in befestigten Plätzen und bei hohen und niederen
236  Machthabern auf materielle und moralische Hilfe rechnen; er war
237  der elementaren Sorge um den Lebensunterhalt enthoben. Umgekehrt
238  fügte sich sein missionarischer Auftrag unter den Randvölkern des
239  Frankenlandes gut in das politische Konzept Karl Martells ein.

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