Quelle Nummer 223
Rubrik 05 : KULTUR Unterrubrik 05.02 : SCHULBUCH
SANDWICH-UNIVERSITAET
JENS LITTEN
DIE SANDWICH-UNIVERSITAET ODER DIE HOCHSCHULE FUER
JEDERMANN
HOFFMANN UND CAMPE VERLAG HAMBURG 1971, S. 9-18
001 Universitätsreform: Die Situation und die Folgen.
002 Permanente Reform und kein Ende. Vorschläge zur
003 Gutachtens des Studienausschusses für Hochschulreform im
004 November 1948 in Unzahl gegeben. Die meisten seitdem
005 veröffentlichten Publikationen waren und sind Variationen zu dem
006 Thema " Die Universität ist im Kern gesund " oder aber " Die
007 Universität ist unheilbar krank ". Eigentümlich ist allerdings
008 allen Reformanstößen, daß sie die Mauern der Universität
009 nicht zu überwinden vermögen. Auch jene, die sich von der
010 Hochschuldidaktik, der Einbeziehung der Probleme der Berufswelt
011 in Schule und Hochschule, Neuerungen versprechen, behandeln
012 ihren Gegenstand seltsam abstrakt, als - überspizt formuliert
013 - einen der Wissenschaft abträglichen Stoff, der in der
014 Reflexion in seiner Abträglichkeit durchschaut und zu dessen
015 Veränderung aufgerufen wird. In moderner Terminologie heißt das:
016 Wir müssen ständig den gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß
017 im Auge behalten! Im Grunde genommen stellen aber alle diese
018 Forderungen - und die Diskussion um die Gesamthochschule, so
019 wie sie hier referiert werden soll, bildet einen vorläufigen
020 Höhepunkt - nichts anderes dar als den Rechtfertigungsversuch
021 der Universität als dem Ort nicht so sehr der Wissenschaft als
022 vielmehr der Einheit von Forschung und Lehre, die im vorliegenden
023 Entwurf zu einem Hochschulrahmengesetz noch um das Moment des
024 Studiums erweitert wurde. Was man vermißt, ist eine verbindliche
025 und zugleich operable Definition des Bildungsbegriffs, unter
026 dessen Zeichen chancengleichheit hergestellt werden soll, und eine
027 Antwort auf die Frage, ob nicht statt der Universität die
028 Multiversität die angemessene Bildungsinstitution für
029 lebenslang Lernende sein wird. Die Antworten, die im Rahmen der
030 Überlegungen zu einer Sandwich-Universität, dem
031 terminal of learning, gegeben werden, dürfen auch nur
032 vorläufig verstanden werden. Ob sich ein solches Konzept
033 durchsetzen wird, ist von vielen, in erster Linie politischen
034 Umständen abhängig, die zur Zeit gar nicht abzuschätzen sind.
035 Zu befürchten ist allerdings, daß sich die gewünschte
036 Integration nur sehr allmählich erreichen lassen wird - einmal,
037 weil die Hochschullehrer auf die Reorganisation nur unzureichend
038 vorbereitet sind, zum anderen, weil die gesellschaftlichen und
039 individuellen Bedürfnisse, die diese Konstruktion notwendig
040 erscheinen lassen, noch nicht deutlich genug artikuliert worden sind,
041 um auf eine breite Resonanz heute schon hoffen zu können.
042 Sicherlich werden sich die quantitativen Aspekte - sprich: das
043 Kapazitätsproblem - verbessern, kaum aber endgültig lösen
044 lassen. Eine Lösung der qualitativen Aspekte - sprich:
045 Revision der klassischen Universitätsidee - steht aber erst dann
046 ins Haus, wenn die Diskussion unbefangener, d. h. befreit
047 vom Gewicht widerstreitender Ideologien, geführt werden kann,
048 und diese Bereinigung der Standpunkte ist der wohl am schwersten
049 wiegende Akt im Rahmen der Selbstbefreiung der Universität von
050 ihren angestammten Hypotheken. So bleibt nur festzustellen, daß
051 die Gesamthochschule, so wie sie nach den Vorstellungen des
052 Ministers für Bildung und Wissenschaft in Zukunft realisiert
053 werden soll, ein Fortschritt ist, jedoch ein Schritt nach vorn in
054 das noch relativ unbekannte Land " Bildung im Ausgang des 20.
055 Jahrhunderts '. Die Ausgangslage.
056 Bedarfsstatistik und Fehlplanung 1 Die Ausgangslage der
057 vorliegenden Untersuchung wird durch die quantitativen und
058 qualitativen Gesichtspunkte bestimmt, die heute in der
059 Bundesrepublik Deutschland Schlagworte wie "Bildungskatastrophe
060 " und " Hochschulkrise " rechtfertigen sollen. Dabei muß
061 festgehalten werden, daß die bisher vorgelegten Modelle und
062 Prognosen für den Hochschulbereich insgesamt nur Detailcharakter
063 haben oder aber in quantitativer Hinsicht unzureichend sind. So
064 stellen Widmaier, Jerman und Reichhold in ihren Analysen zum
065 Hochschulgesamtbereich zu Recht fest: " Die bisherige
066 Hochschulstatistik (...) ist eine reine Bestandsstatistik, die uns
067 keinerlei Anhaltspunkte quantitativer Art über den Studienverlauf
068 vermittelt. Die Durchführung einer " flow analysis ", wie sie
069 im anglo-amerikanischen Sprachbereich üblich ist und uns
070 Informationen liefert, die für die Beurteilung der Ausbildungs
071 kapazität und Forschungskapazität der Hochschulen sowie
072 für die Planung neuer Hochschulen eine entscheidende Rolle
073 spielen, ist so unmöglich. Es ist daher wenig erstaunlich, daß
074 die Auseinandersetzungen um die Reform der Hochschule lebhaft,
075 die Deutung des Bildes aber unsicher und die Vorschläge zur
076 Lösung des " Massenproblems " oft eher phantasie - als
077 gehaltvoll sind. " Zu welch groben Fehlschätzungen dieser
078 Mangel an gesicherten und durch Fakten und Zahlen belegten
079 Grundlagen führen kann, illustrieren folgende Zahlen:
080 Jahrelang ist die Entwicklung der Abiturientenzahlen und der
081 daraus resultierenden Zuwachsrate von Studienanfängern an
082 Wissenschaftlichen Hochschulen von allen verantwortlichen
083 bildungspolitischen Gremien unterschätzt worden. Während im
084 Wintersemester 1968/69 bereits 304 000 Studenten
085 (einschließlich Ausländer) an den Wissenschaftlichen Hochschulen
086 eingeschrieben waren, schätzte 1960 der Wissenschaftsrat die Zahl
087 für 1970 auf 232 000 (ohne Ausländer). In seinen Empfehlungen
088 aus dem Jahr 1964 prognostizierte der Wissenschaftsrat für 1970
089 dann sogar nur noch 218 000 Studenten. Dagegen ging das
090 Bundesinnenministerium in einer Studie von der nahezu realistischen
091 Zahl von 300 000 immatrikulierten Studenten aus. Allerdings hatte
092 diese Schätzung für die Hochschulplanung keinerlei Bedeutung.
093 In den sechsziger Jahren ist die gesamte Hochschulplanung von
094 falschen Zahlen ausgegangen. So schätzte der Wissenschaftsrat
095 1964 die Zahl der Studenten für das Jahr 1980 auf 378 000. In
096 seinen neusten Empfehlungen geht der Wissenschaftsrat nun von einer
097 Zahl von nahezu 1,2 Millionen Studenten im Jahr 1980 aus und
098 übertrifft damit noch die Prognosen seines ehemaligen Präsidenten
099 und jetzigen Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, Hans
100 Leussink, der immerhin eine Million Studenten für das Jahr 1980
101 prognostiziert. Zur Politik des numerus clausus. Die
102 tatsächliche Entwicklung der Zahl von Studienanfängern an
103 wissenschaftlichen Hochschulen ist allerdings immer wieder durch
104 Restriktionsmaßnahmen korregiert worden. So wurden aufgrund von
105 numerus-clausus-bestimmung im Sommersemester 1969 abgewiesen:
106 23 Prozent aller Antragsteller in Tiermedizin 66
107 Prozent aller Antragsteller in Humanmedizin 80 Prozent aller
108 Antragsteller in Zahnmedizin Zulassungsbeschränkungen bestehen
109 darüber hinaus (Stand Wintersemester 1969/70): an
110 allen Hochschulen in Medizin (Humanmedizin 23, Zahnmedizin 18,
111 Tiermedizin 4) an fast allen Hochschulen in Pharmazie (15)
112 und Psychologie (13) an vielen Hochschulen in
113 Naturwissenschaft (Biologie 18, Chemie 18, Geowissenschaften 7,
114 Physik 11, Mathematik 7) an einigen Hochschulen in
115 technischen Wissenschaften (Architektur 7, Elektrotechnik 5)
116 an einzelnen Hochschulen in den Rechtswissenschaften,
117 Sozialwissenschaften und Geisteswissenschaften. Unter
118 diesen Umständen kann keine Rede von der Lösung des sogenannten
119 Massenproblems (d. h. des kapazitätsübersteigenden
120 Zugangsverlangens zu den Hochschulen) sein. In der ersten ihrer
121 siebzehn Thesen zur Analyse und Prognose der Institutionen des
122 Hochschulgesamtplanes von Baden-Württemberg kommen daher
123 Widmaier u. a. zu dem Schluß: " Die bisherige Zunahme
124 der Zahl der Studierenden an Wissenschaftlichen Hochschulen
125 erscheint als zentrales Problem der Hochschulpolitik. Dabei ist
126 ein Teil der Entwicklung " inflationären " Tendenzen
127 vergleichbar. " Verweildauer und Studiendauer.
128 Betrachtet man in Anlehnung an Widmaier die Zunahme der Zahl der
129 Studierenden an Wissenschaftlichen Hochschulen als eine Funktion
130 der Neuzugänge an Wissenschaftlichen Hochschulen
131 Erhöhung der Mindesstudiendauer Erhöhung der effektiven
132 Studiendauer Strukturverschiebungen von kürzeren
133 Studiengänge zu Studienrichtungen längerer Dauer und der
134 Zunahme der Verweildauer an Hochschulen so fällt zunächst auf,
135 daß die Zunahme der Zahl der Studierenden nicht etwa primär auf
136 die Zunahme der Ersteinschreibungen zurückzuführen ist, sondern
137 vielmehr auf die Veränderungen der Verweildauer an den
138 Hochschulen. Weil eine Gesamtstatistik für sämtliche
139 Wissenschaftlichen Hochschulen im Bereich der Bundesrepublik
140 Deutschland fehlt, muß hier auf die Zahlen für das Land Baden
141 -Württemberg zurückgegriffen werden. Der
142 Repräsentationswert dieser Zahlen ergibt sich aus einem Vergleich
143 der Expansion der Studentenzahlen im Bundesdurchschnitt zu der des
144 Landes Baden-Württemberg. So betrug der absolute Anteil
145 der Studierenden in Baden-Württemberg 22 507 Studierende von
146 114 709 im Bundesgebiet (Stand Wintersemester 1953/54) und
147 48 636 von 262 630 (Stand Wintersemester 1966/67). Das
148 bedeutet eine Abnahme des prozentualen Anteils von 19,62
149 Prozent (Stand Wintersemester 1953/54) auf 18,52
150 Prozent. Wird nun der absolute Zuwachs der Studentenzahlen im
151 Bundesdurchschnitt gleich 100 gesetzt, so ergibt sich für das
152 Wintersemester 1966/67 für Baden-Württemberg ein
153 Länderkoeffizient von 92,8. Unter diesen Umständen ist
154 festzustellen, daß die Expansion der Zahl der Studenten an
155 Wissenschaftlichen Hochschulen in Baden-Württemberg sich
156 unterdurchschnittlich entwickelt hat. Die relative
157 Wachstumsposition verweist das Land im Bundesdurchschnitt auf den
158 sechsten Platz. Haben die für Baden-Würrtemberg
159 ermittelten Zahlen auch keine quantitative Verbindlichkeit für das
160 gesamte Bundesgebiet, lassen sich aus ihnen doch qualitativ
161 repräsentative Phänomene ableiten. Denn: " Ein
162 umfassender Indikator für die über die Neuzugänge
163 hinausgehende Zunahme der Studierenden ist die Verweildauer
164 der Studenten an der Universität. Sie umfaßt die Zeit,
165 während der ein Student durchschnittlich an der Hochschule
166 verweilt, gleichgültig, ob er die Hochschule mit oder ohne
167 Examen verläßt. Sie beträgt für die Studenten im Durchscnitt
168 5,4 und für die Studentinnen 4,4 Jahre. Ein
169 begrenzter Indikator, der sich nur auf die erfolgreichen
170 Absolventen bezieht, kann in seiner zeitlichen Entwicklung
171 herangezogen werden. Die mittlere Studiendauer stieg
172 zwischen 1959 und 1965 von etwa 9 (männliche Studierende) bzw.
173 10 (weibliche Studierende) auf knapp 12 (m) bzw. 10,5
174 (w) Semester. " Die Verlängerung von Verweildauer
175 und Studiendauer ist vor allem auf die Anhebung der
176 Mindesstudiendauer in einzelnen starkbesetzten Fächern, die
177 mangelnde Studienorganisation (das Fehlen von Zwischenprüfungen
178 und Studienberatung), die zahlenmäßige Verschlechterung des
179 Verhätnisses Studierende/Dozenten, strukturelle
180 Verschiebungen in der Fächerbelegung zugunsten von Fächern mit
181 längerer Studiendauer und auf dem Abbruch des Studiums erst bei
182 hoher Semesterzahl zurückzuführen. Allerdings sagen Verweil
183 dauer Studiendauer nichts über die Inanspruchnahme der
184 Hochschuleinrichtungen, von Räumen, Gebäuden und
185 Dozententätigkeit aus, die in den einzelnen Disziplinen sehr
186 unterschiedlich ist. Diese Frage verweist zurück auf das Problem
187 des rationellen Studienaufbaus, der Kleingruppenarbeit etc..
188 Soziale Privilegierung und Selektion 1. So ist trotz "
189 Expansion der dauer und Studiendauer ist trotz " "
190 Expansion der Zugänge an Wissenschaftlichen Hochschulen (...) der
191 Hochschulbesuch noch immer ein soziales Privileg ". Zwar
192 enthält im Unterschied zum Grundgesetz und anderen
193 Länderverfassungen die Verfassung des Landes Baden-
194 Württemberg die Einschränkung: " Jeder junge Mensch hat ohne
195 Rucksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf
196 eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung ",
197 doch ist selbst diese auf ein nicht definiertes Begabungskriterium
198 abgestellte Einschränkung eine nur theoretische, den Begabten
199 privilegierende. " Was wir tatsächlich vorfinden, ist das
200 Privileg sozial Privilegierter, d. h. die
201 Perpetuierung sozialer Privilegien uber verschiedene Generationen
202 hinweg. Hochschulbildung ist eben nur " Bürgerrecht ".
203 " Diese Anspielung auf Dahrendorf macht deutlich, daß der durch
204 die akademische Ausbildung garantierte Verteilungsmechanismus
205 sozialer Chancen immer noch nahezu ausschließlich auf Studierende
206 bürgerliche Herkunft beschränkt bleibt. Selbst eine auf einen
207 problematischen Begabungsbegriff zurückgreifende Legitimation des
208 Zugangs zu weiterführenden Schulen bzw. zum tertiären
209 Bildungssektor bleibt also unter den herrschenden gesellschafts
210 politischen und damit bildungspolitischen Voraussetzungen blanke
211 Theorie. Zu Recht werden wir daraufaufmeksam gemacht, daß die
212 landesverfassungsmäßig gewollte Chancengleichheit " in letzter
213 Konsequenz nur für gleich Begabte zu einer Gleichheit der
214 Einkommen " führt. Dagegen könnte die Gespaltenheit von hoher
215 Begabung/hohem Einkommen gegenüber niedriger Begabung/
216 niedrigem Einkommen sich bei extensiver Auslegung der
217 Chancengleichheit unter Begabungsvoraussetzung verschärft
218 verschärfen. So lange etwa die Funktion der Schule als
219 begabungsfördernde oder begabungsfeststellende Institution nicht
220 geklärt ist, so lange darüber hinaus ein verbindlicher
221 Begabungsbegriff (der über die zur Zeit noch üblichen vollkommen
222 willkürlichen Interpretationen hinausführt) nicht auszumachen ist,
223 solange muß ein Begabungsprivileg als mindestens ebenso
224 fragwürdig erscheinen wie das feststehende soziale Privileg.
225 Hauptmängel der Hochschulstuktur und Hochschul
226 organisation. Die Hauptmängel der jetzigen Hochschulstruktur
227 sind inzwischen Gegenstand einer unübersehbaren " Reformliteratur
228 " geworden. Jenseits aller - teilweise ideologisch inspirierten
229 *th Auseinandersetzungen lassen sich jedoch die gravierendsten
230 Mängel als allgemein anerkannt herausstellen: der Mangel
231 einer verbindlichen Hochschuldidatik das Fehlen transparenter
232 und überschaubarer Studiengänge, weitgehend irrationale
233 Prüfungsverfahren, die den Erkenntnissen der Lernpsychologie
234 nicht standhalten die Orientierung des Studiums an teilweise
235 stark veralteten Berufsbildern, die unkritisch tradiert werden
236 ein noch immer vorherrschender Institutsatomismus, der
237 interdisziplinäre Forschung nur in Ausnahmesituationen zuläßt
238 die Organisationsform der Hochschule als
239 Ordinarienuniversität, d. h. die mangelnde
240 Reformbereitschaft in Fragen der Lehrkörperstruktur. Die
241 Hochschule als Großbetrieb. Daß die Hochschule die Ausmaße
242 eines Großbetriebes der Wissenschaft angenommen hat und eines
243 entsprechenden Managements bedarf, scheint nur zögernd zur
244 Kenntnis genommen zu werden. So kann Georg Picht lakonisch
245 bemerken: " Die Rationalität des akademischen Betriebes und
246 seiner Verwaltungsformen steht weit unterhalb der
247 Rationaliesierungsstufe, die ein durchschnittlicher
248 Industriebetrieb heute für selbstverständlich hält. " Die "
249 Industrialisierung " der Hochschule, " ihre Verwaltung in eine
250 administrative Einheit von zahlreichen Forschungsbetrieben
251 und Ausbildungsbetrieben ", läßt das Festhalten an
252 traditionell verbrieften Privilegien als fragwürdig erscheinen,
253 unabhängig von der gesellschaftlich begründeten Forderung nach "
254 Demokratisierung " der Hochschule. Der "Großbetrieb der
255 wissenschaft ", von dem 1905 bereits Adolf v. Harnack sprach,
256 steht daher in unmittelbarem Widerspruch zu einem Institutsprinzip,
257 das noch aus der Zeit des preußischen Ministerialreferenten
258 Althoff stammt, " in der berufsständische, innerbetriebliche und
259 staatsbürokratische Hierarchie eine neuartige Verbindung eingingen
260 ". Daß auch eine andere als auf den Ordinarius zugeschnittene,
261 im Institutsprinzip verwurzelte Organisationsform der Universität
262 denkbar ist, dafür gibt es zahlreiche ausländische Beispiele.
263 Zu verkennen ist allerdings nicht, daß in den Entwürfen neuer
264 und auch bei den bereits in Kraft getretenen Hochschulgesetzen den
265 Notwendigkeiten einer adäquaten Wissenschaftsorganisation bereits
266 Rechnung getragen worden ist. Auf der Suche nach dem
267 Schuldigen: Zum Verhältnis Staat - Universität. Auf
268 der Suche nach den Schuldigen für das Ausbleiben der
269 Hochschulreform wurde bisher der Schwarze Peter reihum gereicht.
270 Erstmals Helmut Schelsky hat versucht, die Gewichte
271 gleichmäßig auf die an der Universität vertretenen Gruppen,
272 Behörden, Politiker und die interessierte Öffentlichkeit zu
273 verteilen. Der zunehmend Mode gewordenen Hoffnung, die
274 Hochschulreform ließe sich auf dem Gesetzeswege dekretieren -
275 eine Vorstellung, die auch und gerade bei Hochschulgesamtplänen
276 offenbar Pate gestanden hat -, begegnete Schelsky mit dem
277 Hinweis, daß die politische Antwort auf die Hochschulkrise
278 Hochschulgesetze waren und sind. " In (diesen Hochschulgesetzen)
279 zeigt sich aber deutlich, daß die Politiker nach wie vor die
280 Hochschulkrise nur als ein Problem der Binnenreform der
281 Hochschulen betrachten und sich in ihrer Gesetzgebung also schlicht
282 an die Stelle der Autonomie der Hochschulen setzen, dabei aber
283 die eigentlich hochschulpolitischen und
284 gesellschaftspolitischen Dimensionen dieses Problems übersehen.
285 Die vorliegende Hochschulgesetzgebung regelt von Staats wegen, d.h.
286 unter politischen Gesichtspunkten eben die
287 Angelegenheiten der Hochschule, die in deren Verfassungsautonomie
288 und Selbstverwaltung fallen, während sie die hochschulpolitischen
289 Entscheidungen der politischen Führung und die allgemeinen,
290 gesellschaftspolitischen Probleme der Hochschulkrise unbeachtet und
291 unbewältigt läßt. " Schelsky zieht aus der vom ihm skizzierten
292 Entwicklung den Schluß, daß " die Funktionsfähigkeit, d.h.
293 die Verwaltungsfähigkeit, die Planungsfähigkeit und die
294 Innovationsfähigkeit der Hochschulen (...) durch die Annahme der
295 gegenwärtig vorliegenden Entwürfe von Hochschulgesetzen selbst
296 noch gegenüber dem gegenwärtigen Zustand der Hochschulen auf
297 Jahre hinaus vermindert werden (wird). " In dieser skeptischen
298 Einschätzung der Entwicklung des westdeutschen Hochschulwesens
299 befindet sich Schelsky in Übereinstimmung mit der großen
300 Mehrheit der deutschen Bildungspolitiker, die einen Ausweg aus
301 der bekannten und sich ständig verschlimmernden Hochschulmisere nur
302 in einem praktischen Neuentwurf des tertiären Bildungssektors
303 sehen: der Gesamthochschule.
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