Quelle Nummer 206

Rubrik 11 : LITERATUR   Unterrubrik 11.03 : DIDAKTIK

LITERATURUNTERRICHT
ALBRECHT WEBER
ERZIEHUNG ZUR UND DURCH LITERATUR
IN: A.C.BAUMGAERTNER/M. DAHRENDORF:
WOZU LITERATUR IN DER SCHULE? BEITRAEGE ZUM LITE-
RARISCHEN UNTERRICHT
GEORG WESTERMANN, BRAUNSCHWEIG 1970, S. 105-112


001  Erziehung zur und durch Literatur. Der
002  Literaturunterricht, scheint mir, liegt im argen. Und nicht nur
003  in der Hauptschule oder allgemeiner: auf der Sekundarstufe. Als
004  meine Meinung, also die eines einzelnen, wäre dies eine
005  belanglose Hypothese. Die bisherige didaktische Diskussion
006  scheint ihr auch zu widersprechen. Vieles lesen und hören wir
007  über literarische Erziehung - ich sage besser: Erziehung zur
008  und durch Literatur, weil das Adjektiv ungenau, vielleicht falsch
009  gebraucht sein dürfte; denn nicht die Erziehung ist literarisch,
010  hat den Charakter des Literarischen, sondern sie geschieht im
011  Bereich der Literatur. Literatur ist Mittel, Erziehung Ziel,
012  und umgekehrt: Erziehung Mittel und Literatur Ziel. Wie
013  moderne Poetik läßt sich auch Literaturdidaktik
014  nur dialektisch formulieren. Hermann Helmers gebraucht in
015  seiner " Didaktik der deutschen Sprache " als Unterbegriffe der
016  " literarischen Bildung " die Termini " lyrische, epische,
017  dramatische Bildung ". Dem Wortsinne nach wäre jemand, der
018  solche erfahren hat, lyrisch usw. gebildet, seine Bildung
019  lyrisch, episch oder dramatisch. Helmers aber faßt keineswegs das
020  Lyrische als didaktische Grundgestimmtheit auf, wozu jene Termini
021  verleiten können. Problematisch ist auch das Wort Bildung.
022  Durch Publizistik verbraucht, wirkt der Begriff, Prägung der
023  Klassik, heute entleert, zerredet, schillernd, ein Schlag-
024  Wort, kaum noch mit wissenschaftlicher Prägnanz verwendbar,
025  schwierig für die Didaktik, die auf den Begriff, auch von der
026  Geschichte her, angewiesen scheint. Im Schlag-Wort
027  verflacht der Inhalt gegenüber dem, was der Begriff vorgibt, zu
028  einem Quasi-Besitz von Chancen, einem gesicherten Zustand.
029  Bildung aber ist Prozeß des Bildens, Arbeit an sich zur
030  Anverwandlung von Welt, ist wissensmäßige und wissende geistig
031  -sittliche Geformtheit, nie fertig, nur durch Übersteigen des
032  je Erreichten zu behaupten. Wir in der Schule jedoch unterrichten;
033  wir wissen Erziehung als größeren Zusammenhang, in den unser
034  Literaturunterricht sich einfügt. Aber wissen wir das überhaupt?
035  Fangen wir nicht stets bei Oberbegriffen an, um dann verwundert
036  festzustellen, wie wenig konkret bleibt, vorhanden ist, umgesetzt
037  wird? Das Reden von Bildung lebt von Krediten auf höchste
038  Kapitalien, wovon es wenige kleine Scheine je einlöst. Daß
039  Bildung zum Schlagwort wurde, enthüllt nur die grundlegende
040  Unsicherheit über sie. Ähnliches gilt, in geringerem Maße,
041  von der Diskussion um die " literarische Erziehung ". Dessen
042  sollten sich die Diskutanten bewußt sein, auch dessen, daß dabei
043  das Problem isoliert wird und man meist an Folgen kuriert, anstatt
044  Ursachen zu diagnostizieren. Der Pädagoge hat es mit Folgen zu
045  tun. Aber er setzt auch Anfänge, ist Ursache, verursacht
046  Folgen. Er verwandelt geradezu Folgen in Ursachen. Und so
047  begegnet uns jene kritisierte Selbstsicherheit: der gute
048  Pädagoge macht Unmögliches möglich, eben weil er Anfänge
049  leistet; er löst etwa Paul Celans " Sprachgitter " mit einem
050  vierten Schuljahr. Folge und Ursache, Zustand und
051  Zunkunftsentwurf, Wirklichkeit und Idee sind auch Paradoxe der
052  Pädagogik, die hemmen und lähmen, wenn sie sich nicht
053  dialektisch bewegen. Sprechen wir von Literaturunterricht, den
054  die Schule leistet, jedenfalls leisten könnte und sollte.
055  Erziehung zur und durch Literatur wäre seine Absicht. Aber
056  solche Erziehung geschieht oder wird versäumt und verdorben, wie
057  man will, auch außerhalb der Schule, durch private Lektüre in
058  der Freizeit, durch die erdrückende Macht heutiger Publizistik,
059  vor allem der Magie des Fernsehens, der gegenüber die Schule nur
060  die Chance der Stetigkeit hat. In Fluten publizistischer
061  " Bildungs '-Potpourries kann Schule immer nur Schulen bedeuten:
062  Systematisieren, Auf-den-Grund-Gehen, Dauer-
063  Geben, weniger Stoffangebot als Erkennen von Gesetzen. Jenes
064  Überangebot macht Schule heute erst eigentlich not-wendig.
065  Literaturerziehung ist also mehr als Literaturunterricht. Jeder
066  Literaturunterricht hat Literaturerziehung im Auge: den
067  literarischen Raum außerhalb der Schule - von Jugendbuch und
068  Jugendzeitschrift bis zum Buchmarkt und zur Tagespublizistik.
069  Literaturunterricht ist darauf bezogen, jedoch nicht
070  ausschließlich, setzt sich damit auseinander, legt Grund,
071  systematisiert, erklärt. Aber er unterhält nicht, wie jene,
072  darf eben nicht das Unverbindliche belassen, weder an Kenntnissen
073  noch an Erkenntnis. Erlebnisse, wenngleich legitim gegenüber
074  Literatur, kann er vielleicht provozieren, aber nicht methodisch
075  auslösen, also nicht systematisieren. Er braucht sie nicht zu
076  leugnen, aber er kann sie nicht planen. Das Umgehen mit sich und
077  seinem Erlebnis, das vielleicht Antrieb zu weiterem Lesen oder
078  Gestalten werden kann, gehört eben zur Freiheit, die Literatur
079  auftut, zu ihren Imponderabilien. Erlebnis und Freiheit lassen
080  sich nicht organisieren, nur vorbereiten. Literaturunterricht
081  bescheidet sich: Er vermittelt die Phänomene gesteigerter
082  Sprache, zeigt, erklärt, hellt auf, schult an Strukturen,
083  aber er verfügt über die Folgen nicht, kann diese nur ahnen,
084  wünschen, andeuten, anlegen. Das Beste, Eigentliche,
085  Wesentliche, wie man gerne sagt, muß er aussparen und
086  verschweigen; denn andernfalls ist es schon nicht mehr das Beste,
087  Eigentliche, Wesentliche, das nur als Einverwandlung ins Eigene
088  wirklich wird. Wir handeln von Sprachzuständen, die wir fassen
089  und faßbar machen können. Wir unterrichten konkret und Konkretes.
090  Literaturunterricht ist am Ziel, wenn er am Literaturgegenstand
091  ist, am Text. Und doch: Der erzieht rückwirkend oder wirkt
092  erziehend zurück - Literatur ist Ziel der Erziehung, aber auch
093  Weg zur Erziehung; Erziehung ist Ziel der Literatur, aber
094  auch Weg zur Literatur. Literaturdidaktik existiert als
095  Dialektik von Gestalt und Wirkung gesteigerter Sprache. Die
096  These, der Literaturunterricht läge im argen, besagt nicht,
097  daß er früher etwa nicht im argen gelegen habe. Sie meint auch
098  nicht den Abstand, manchmal die Kluft, zwischen Idee und
099  Wirklichkeit, zwischen theoretischer Didaktik und schulpraktischer
100  Verwirklichung, jenen höchst relativen Befund der Ferne zwischen
101  Gesolltem oder wenigstens Gewolltem, ja selbst Möglichem und dem
102  Verwirklichten. Sie spricht den Zustand der grundsätzlichen
103  Ungeklärtheit an. Nun kann Klarheit möglicherweise gar nicht
104  aus dem Gegenstand kommen, insofern Literatur und Unterricht
105  Folgen und Ausfluß von Kulturzuständen sind. Aber das
106  Unreflektierte, die geringe Bewußtheit des Tuns als
107  Literaturunterricht halten ihn im argen. Das Problembewußtsein
108  allein gewährt indes noch keineswegs ein praktikables Modell; es
109  konturiert jedoch zusehends die Positionen und hebt Bereiche und
110  Lösungsmöglichkeiten ab. Ohne Schwierigkeiten, ganz klar und
111  nicht im argen liegend scheint der Literaturunterricht nur dort, wo
112  er Zielsetzung und Auftrag von außerhalb der Literatur und der
113  Pädagogik erhält, also ideologisch festgelegt, ja manipuliert
114  ist. In einem Vortrag über " Der Anteil des Didaktischen an
115  Forschung und Lehre der philologisch-histologischen
116  Wissenschaften " hat Hans Glinz gezeigt, daß " Sprache keine
117  feste, metaphysische, von ihren Trägern unabhängige Größe ist,
118  sondern sie bleibt nur lebendig durch Übermittlung an immer neue
119  Teilhaber - eine Einsicht in die Übermittlungsprozesse ist also
120  gleichermaßen erforderlich ". In der Sprache, damit auch in der
121  Wissenschaft von der Sprache, ist " das Didaktische von
122  Anfang an beteiligt ". " Linguistisches,
123  Literaturwissenschaftliches und Sprachdidaktisches bilden also,
124  mindestens in ihrem Kernbereich, eine nicht auseinanderzulösende
125  Einheit ". Weil Sprache Kommunikation ist, deswegen ist
126  Didaktik der Sprache immanent, jeglicher Sprache - und
127  Literatur ist Sprache, möglicherweise potenzierte. Sie will
128  mitteilen und wirken, und sei es nur auf das andere Ich des
129  Sprechers. Selbst der Monolog hat noch ein verdeckt Dialogisches.
130  Nicht nur der Wissenschaft von der Sprache, auch der
131  Literaturwissenschaft gehören die historischen, normativen,
132  didaktischen, linguistischen Komponenten zu, wobei die
133  Reihenfolge des Nennens keine Rangfolge bedeutet. Es sind
134  Ansätze und Perspektiven auf die Sprache als das mit sich selbst
135  Identische. Sie wird nur anders befragt. Am konkreten Fall der
136  Erschließung des Einzelwerkes, in der Interpretation, wirken
137  idealiter Linguistik, Poetik, Literaturgeschichte und Didaktik
138  jeweils in einer dem Fall angemessenen Kombination und
139  Akzentuierung zusammen. Ich nenne Literatursoziologie nicht
140  gesondert; denn jede Komponente besitzt wieder ihren eigenen
141  soziologischen Aspekt, besonders Literaturgeschichte und
142  Literaturdidaktik. Als jene " Kernzone " (Glinz) der
143  Philologie wird die Interpretation des Textes im Mittelpunkt des
144  Literaturunterrichts der Schule bleiben müssen, Interpretation
145  im weitesten Sinne als Anwendung und Übung der Methoden von
146  Erschließung, Einordnung und Wertung am begrenzten Text, als
147  Entfaltung der Methoden ab radice. Die Beherrschung ihrer
148  Methoden gehört nach wie vor zum unverzichtbaren Rüstzeug des
149  Lehrers. In jeder Wissenschaft wirken Forschung und Lehre
150  zusammen. Selbst der " reine " Forscher lehrt, wenn er
151  veröffentlicht. Jede Wissenschaft vermittelt, ist didaktisch als
152  Weitergabe. Nur der Geschmack des Didaktischen scheint indes
153  fade und schal. Einmal belastet das penetrant Belehrende
154  spätmittelalterlicher oder aufklärerischer (etwa Gellerts) "
155  didaktischer " Literatur den Begriff, dann versuchte Seidler die
156  publikumszugewandte Haltung der Literatur als didaktische Gattung
157  zu definieren, was ruttkowski die " artistische Gattung " nannte.
158  Die Scheu vor dem Didaktischen als legitimer Komponente der
159  Literatur verrät nur die unreflektierte Unsicherheit gegenüber
160  der Literatur als gesellschaftlichem, kommunikativem Phänomen,
161  das Sprache nun einmal ist, die Ungeprüftheit der
162  Voraussetzungen. Literaturwissenschaft - auch
163  Literaturgeschichte als Auswahl und Interpretation als Erklärung
164  - ist bereits als solche Didaktik. Jede Veröffentlichung setzt
165  lehrend um; der Universitätslehrer unterscheidet sich darin nur
166  gradweise und in der Weite des Forums vom Lehrer der verschiedenen
167  Schultypen, dessen Öffentlichkeit, auf die er einwirkt, im
168  allgemeinen die ihm anvertraute Klasse ist. Auf das Verhältnis
169  konstituierter Institutionen angewendet, folgt, daß eine Trennu
170  in Fakultäten usw. von der Sache wie vom Ausbildungsziel her
171  unangemessen, ja widersinnig ist; denn selbst Theater
172  wissenschaft und Zeitungswissenschaft (allgemein Publizistik)
173  sind eminent didaktische Studien. Wie es am Einzelfall unmöglich
174  scheint, daß in Arbeitsteilung ein Historiker das Literaturwerk
175  ortet, ein Poetologe es als Formbestand nach Gattung bestimmt,
176  ein Linguist die Sprachstruktur röntgt und ein Didaktiker die
177  Bildungswerte mißt, so unmöglich scheint es, sogenannte
178  Fachwissenschaft und sogenannte Fachdidaktik voneinander zu
179  scheiden. Denn jede Seite ist in der anderen immer schon enthalten:
180  Literatur als Fach ist schon Didaktik, und Literaturdidaktik
181  ist immer Fach. Unmöglich scheint es, anzunehmen, der reine
182  Germanist trage das " Fachliche " vor (und prüfe es auch),
183  der Didaktiker wende es dann in einem Zweiten Arbeitsgang nur an.
184  Solches Umsetzen eines vorgegebenen, als erschlossen übernommenen
185  Gegenstandes kann nicht einmal für die praktische Didaktik der
186  Erlernung der Unterrichtsmethodik in der Schule gelten. Die
187  Theorie wird dagegen in unheilvoller Weise gespalten: Weder in
188  Personen noch in Institutionen darf man trennen, was aus dem
189  Wesen der Sprache als zusammengehörig folgt. Bereits im Orten,
190  Auswählen und Erschließen von Literatur wirkt ein didaktischer
191  Aspekt. Bei den verschiedenen Richtungen handelt es sich um
192  Akzente innerhalb des Phänomens Literaturwissenschaft, um
193  Schwerpunkte der Forschung und der Lehre. Schließlich wirkt
194  Didaktik als die kommunikationsbezogene und praxisbezogene
195  Komponente auch als Korrektiv auf die anderen Zweige der
196  Literaturwissenschaft zurück. Manchmal zeigt sich ein Fehler
197  erst im letzten Glied in der Anwendung. So hat der Mediziner
198  oder der Techniker stets die Praxis im Auge. Nicht daß
199  letztlich das Schulkind die Forschung bestimmte. Aber das
200  Problem der Umsetzbarkeit der erforschten Literatur, ihrer
201  Bildungsbedeutsamkeit und Bildungs wirksamkeit erscheint
202  auf der anderen Seite als das der Wirkungsgeschichte der Literatur
203  selbst, deren Mächtigkeit von der gestalteten Kraft abhängt,
204  die als sprachliche immer zugleich eine didaktische ist, die
205  abhängt auch von den praktischen Didaktikern, Kritikern der
206  Publizistik und vor allem Lehrern der Schulen, die der Literatur
207  oder einem bestimmten Stück oder Typus Literatur zum Durchbruch
208  und zu Dauer der Geltung verhelfen, es durchsetzen in einer und
209  für eine bestimmte Zeit. Die Literatur, wie die Sicht des
210  Literarhistorikers oder die Durchsicht des Interpreten, leben von
211  der Kleinarbeit des praktischen Didaktikers, der erschließt,
212  vermittelt, ausbildet, das Feld vorbereitet. Man verachtet indes
213  seit je allzuleicht gerade den, auf dessen Schultern man steht.
214  Andererseits wäre es töricht und eine falsche Sicht der Didaktik,
215  wollte man sie als Allheilmittel preisen, als das Wesen, an dem
216  die Literaturwissenschaft genesen müßte oder könnte. Im Grunde
217  sind ihre Probleme dieselben; nur daß sie diese in die
218  Perspektive der Kommunikation und der Praxis bringt. Poetik ist
219  eine Destille, die bestimmte Sprachformen unter bestimmten
220  Bedingungen als relative Normen erweist. Literaturgeschichte,
221  die immer bis auf den gestrigen Tag reicht, weil Literatur immer
222  einen vergangenen Sprachzustand festhält, also grundsätzlich "
223  ergon " ist, dessen " en-ergeia " erst als Wirkung durch den
224  Hörer entbunden wird - auch moderne Literatur ist geschichtlich
225  wie jede, wie selbst das eben gesprochene Wort - die
226  Literaturgeschichte gibt den Speicher ab, der die wichtigeren
227  Literaturstücke in relativer Ordnung bewahrt. Das
228  Mißverhältnis zur Geschichte, eine akute Allgemeinerscheinung,
229  unter der besonders Hauptschule und Realschule, bedingt
230  auch vom Alter der Schüler, leiden, aber ebenso bedenklich
231  Gymnasium und Universität, hat teil an der Desorientierung des
232  Literaturunterrichts. Bewußtsein kann nie ein anderes als
233  geschichtliches Bewußtsein sein, seiner Situation und
234  Endlichkeit bewußt, damit auf Begrenzung, Maß und
235  Zusammenhang gerichtet. Verlust des Bewußtseins vom
236  Zusammenhang oder von Zusammenhängen ist gleichbedeutend mit
237  Sinnverlust. Auch gesellschaftliches Bewußtsein ist das von
238  Zusammenhängen; denn Gesellschaftlichkeit selbst ist ein
239  historisches Phänomen, soziologisch nur oft in synchroner statt
240  diachroner Sicht. Ohne literarhistorisches Bewußtsein leistet
241  die Literaturdidaktik an Modellen und Exempeln lediglich ein
242  unzusammenhängendes Mosaik, dessen Plan abhanden kam, soweit
243  ihre Methoden nicht überhaupt selbst noch die Sicht des
244  Einzelwerks auf Szenen verengen: disiecta membra. Zwischen
245  Fall und Zusammenhang, Konkretum und Gesetz, bewegt sich die
246  Dialektik wissenschaftlicher Erkenntnis, und Literardidaktik
247  macht sich zu solcher unfähig, wenn sie sich auf vereinzelte
248  Fälle beschränkt. Sie liefert sich, mangels Vergleichs und
249  Urteils, leicht der Gefahr einer Ideologisierung und der
250  Überschätzung der Gegenwart und ihrer literarischen
251  Hervorbringungen aus, welche etwa heraufzieht, wenn sie für
252  Lesebuchwerke die Texte fast ausschließlich der
253  Gegenwartsliteratur entnimmt. Nicht nur als Speicher, sondern
254  auch ihrerseits als Korrektiv gehört Literaturgeschichte zur
255  Literaturdidaktik.

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