Quelle Nummer 205

Rubrik 02 : RELIGION   Unterrubrik 02.24 : PRAKTISCHE

PREDIGTEN (WEIHNACHTEN)
HORST NITSCHKE (HRSG.)
WEIHNACHTEN HEUTE GESAGT PREDIGTEN DER GEGENWART
HERAUSGEGEBEN VON HORST NITSCHKE
GUETERSLOHER VERLAGSHAUS GERD MOHN, GUETERSLOH 1970
S. 26-31: HELMUT DEMMER: DAS LIED DER HOFFNUNG,
1. TIMOTHEUS 3, 16
S. 32-33: HANNELORE FRANK: WENN IHR NICHT WERDET WIE
KINDER, MATTHAEUS 18, 3


001  Das Lied der Hoffnung 1.Timotheus 3,16. Wenn
002  ein Vater sein Kind bei der Hand nimmt, dann spürt das Kind
003  zunächst nichts als einen Händedruck. Es weiß aber sofort,
004  daß es beim nächsten Schritt nicht fallen wird. So wird es mutig
005  vorwärts gehen, auch wenn es noch nicht so fest auf den Beinen
006  steht. Besser als das Kind weiß der Vater, was er tut, wenn er
007  ihm seine Hand reicht. Er weiß, wohin er geht. Er kennt den
008  Weg. Die Wirklichkeit, die der Vater vor Augen hat, ist
009  umfassender, als es das Kind ahnen kann. Unser Abschnitt sagt
010  mehr, als wir vermuten. Das ist grundsätzlich nichts Besonderes.
011  Täglich sprechen wir Worte aus, die mehr aussagen, als uns im
012  Augenblick vor Augen steht. Liebe, Treue, Hoffnung (...)
013  Obwohl wir gelernt haben, vorsichtig mit solchen Worten umzugehen,
014  würden wir doch kaum auf die Idee kommen, völlig darauf zu
015  verzichten. Im Gegenteil, sie sind lebensnotwendig; Worte die
016  mehr sagen, als wir im Moment übersehen können; Worte, die
017  uns helfen, den morgigen Tag als einen sinnvollen Tag zu erwarten.
018  Hier beginnt das Geheimnis, von dem unser Predigttext spricht.
019  Es deckt die Tiefen und Höhen unseres Lebens auf und wird damit
020  so anspruchsvoll, daß wir sicher nur einen Teil in diesem
021  Gottesdienst davon verstehen werden. Es kann sein, daß nicht
022  wenige, die kaum noch ein Verhältnis zur biblischen Sprache haben,
023  beim Anhören unseres Textes befremdet sind. Aber so fremd ist
024  uns der Abschnitt auch wieder nicht. Er sagt nämlich genau das
025  mit etwas anderen Worten aus, was wir im Weihnachtslied " O du
026  fröhliche " zu singen pflegen: daß wir einerseits in einer
027  verlorenen Welt leben, daß aber andererseits durch die Geburt
028  Jesu Versöhnung möglich, also Großes und Neues zu erwarten
029  ist. Und das alles für uns! Im Hinblick auf uns aufgedeckt,
030  neu entdeckt von Gott. Ahnen wir, daß hinter dieser umfassenden
031  Geschichte die Hand Gottes nach uns ausgestreckt ist? Damit wir
032  vorwärts gehen können! " Kündlich groß ist das gottselige
033  Geheimnis! " " Offenbart im Fleisch ", so heißt der erste
034  Vers des Liedes, das hier angestimmt wird. Im Fleisch - d.h.
035  doch bei uns, mit uns. Hat also zu tun mit der Hand,
036  die ich freundlich gebe oder zur feindlichen Faust balle. Hat also
037  Wirkung auf meine Zunge, mit der ich fluchen oder trösten kann.
038  Hat etwas zu tun mit unseren Geschäften, die uns den Fortschritt
039  und anderen möglicherweise den Ruin bringen. " Offenbart im
040  Fleisch "; hier sind wir mitten im Geheimnis. Gerade das
041  Leben, um ein anderes Wort für Fleisch zu gebrauchen, birgt das
042  Geheimnis in sich. Das Leben, das für jeden täglich in seiner
043  Vielfältigkeit vor uns liegt: essen, trinken, lieben, hassen,
044  Zeit haben, zu spät kommen, krank sein, Hochzeit machen, alt
045  werden, Mut machen, Angst haben, aufgeben, Verantwortung
046  übernehmen usw.. In diesem Hin und Her leben wir. Als das
047  schwingt mit, wenn wir dieses alte Weihnachtslied anstimmen. Und
048  was hat Gott damit zu tun, oder sagen wir genauer. Was hat die
049  Geburt Jesu damit zu tun? Wir dürfen so fragen, ja wir müssen
050  es immer wieder, wenn wir weiterhin von dem Geheimnis her leben,
051  von dem unser Lied singt. Damals hat man Worte dafür gefunden,
052  und wir werden auch heute dafür welche finden, Worte, die uns
053  Mut machen, die mehr und anderes aussagen, als wir zur Zeit
054  überblicken. Was ist der Mensch? Ob diese Frage sich leichter
055  beantworten läßt als die Frage: Was ist Gott? So hören wir
056  in einem uralten Gebet: " Was ist der Mensch, daß du an ihn
057  denkst, und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst! "
058  Verwunderung darüber, daß überhaupt Gott mit uns in Beziehung
059  gebracht wird. Mit uns, die wir unsere Warenhäuser beleuchten
060  und zur gleichen Zeit mit Leuchtbomben Ziele ausmachen, die wir
061  zerstören wollen. Mit uns, die wir Weihnachten mit dem Gefühl
062  von Gleichgültigkeit und Feierlichkeit, zwischen Protest und
063  Resignation feiern. Was ist der Mensch, daß du an ihn denkst
064  und dich seiner annimmst! Wir können hier schon eine Antwort
065  heraushören: Der Mensch ist würdig, daß an ihn gedacht wird,
066  daß man sich um ihn kümmert. Aber wer oder was ist Gott?
067  Spricht nicht jeder auf seine Weise von Gott, wie jeder auf seine
068  Weise Weihnachten feiert? Nun soll uns aber gerade Weihnachten
069  Gott näherbringen. " Offenbart im Fleisch " - Gott wird
070  Mensch. Wir können gar nicht von Gott sprechen, ohne sofort vom
071  Menschen zu sprechen, und umgekehrt. Gott und Mensch gehören
072  zusammen. Und wer sie auseinanderreißt, verliert beides.
073  Gegensätze, die zusammengehören! Unser Lied, wenn es ein
074  echtes Weihnachtslied ist, singt von Gegensätzen, die
075  zusammengehören. Seit Weihnachten, seit der Geburt Jesu,
076  werden Gegensätze darauf zu überprüfen sein, ob sie nicht
077  überwindbar sind. Wer sagt denn, ob wir nicht zweistimmig singen
078  können, oder sogar vielstimmig in einem Chor. Wohl
079  werden wir immer zu unterscheiden haben. Aber es muß nicht zu
080  solchen Gegensätzen kommen, die zertrennen. Und so singt unser
081  überliefertes Lied von Gegensätzen, die nunmehr zusammengebracht,
082  in Beziehung gebracht werden: Fleisch und Geist, Engel und
083  Heiden, Welt und Herrlichkeit. Die Wirklichkeit, von der wir
084  zu hören bekommen, umfaßt beides, ruft nach Harmonie. Hier nun
085  mit ganzem Herzen mitzusingen, mitzumachen, das kostet
086  Überwindung. Sind wir doch meistens damit beschäftigt, die
087  Dinge einfacher zu sehen, einseitig. Nun sind wir aber nicht mehr
088  Menschen des ersten Jahrhunderts. Wir können nicht mehr unsere
089  Welt in Stockwerke aufteilen: oben der Himmel, in der Mitte
090  die Erde und unten die Hölle. Das, was uns bedrückt oder
091  erfreut, ist nicht die obere oder untere Welt, sondern vielmehr
092  unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart, in der wir leben, und
093  unsere gemeinsame Zukunft. Wollen wir dem Verfasser unseres alten
094  Liedes nacheifern, wollen wir ein Mut machendes Wort finden,
095  dann wird es heute ein Wort für unsere Vergangenheit, für unsere
096  Gegenwart und fur unsere Zukunft sein. Dabei wird sich
097  möglicherweise folgendes herausstellen: daß wir die
098  Vergangenheit, die für die Älteren noch lebendig ist, auf
099  keinen Fall mehr heraufbeschwören wollen. Es liegt nahe, daß
100  wir einen Teil unserer Angst von daher haben, es könnte sich noch
101  einmal etwas Ähnliches wiederholen, es könnte in der Zukunft
102  etwas ganz Dunkles und Unberechenbares auf uns zukommen. Diese
103  Angst macht es uns unmöglich, heute und hier frei und
104  verantwortlich, und das heißt doch wohl, auch in einem bestimmten
105  Sinn sorglos zu leben. Alles, was wir tun, wird zu einem Kampf,
106  uns nach allen Seiten abzusichern, um uns so eine einigermaßen
107  sichere Zukunft zu garantieren. Dieses Absichern geschieht dann
108  oft so, daß wir uns einseitig verhalten und Gegensätze neu
109  hervorbringen oder erhärten. Das selbstbezogene Denken und
110  Handeln im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich bringt dann
111  tatsächlich die Hölle auf die Erde. Wir können genug
112  Beispiele aufzählen, wo das Leben zur Hölle wird oder schon
113  geworden ist. Wer ein wenig Zeitung liest oder fernsieht, der
114  wird dem zustimmen können. Aber unser Lied singt eine andere
115  Weise. Die Geburt Jesu wird hier so verstanden, daß der
116  Himmel auf die Erde kommt. " Geoffenbart im Fleisch " heißt,
117  daß die Hölle kein Recht mehr auf Zukunft hat. Dann ist mit
118  Weihnachten ein Stück Hoffnung auf die Erde gekommen, die mit
119  Recht von sich sagt: gepredigt den Heiden (uns also), geglaubt
120  in der Welt. Dann ist es falsch, die zukunftsweisenden Worte zu
121  unterdrücken und zu sagen: Mich geht das andere oder der andere
122  nichts an. Ich lebe in den Tag hinein. Dann wird Predigt immer
123  wieder Mut machen, nur nicht auf der Stelle zu treten. Dann wird
124  der Glaube immer die Phantasie aufbringen, alle Einseitigkeiten
125  abzubauen und beispielsweise gegen die Sätze anzugehen: Es war
126  immer so, und es bleibt auch so. Krieg war immer und wird immer
127  sein. Streit war immer zwischen uns, und es wird keine Änderung
128  geben. Der Glaube denkt nicht daran, einen Menschen festzulegen
129  oder Zustände für endgültig zu erklären, denn er weiß, daß
130  auch in der Zukunft die Hand Gottes als neues Angebot
131  ausgestreckt bleibt. Der Glaube hofft, daß das Ziel aller
132  Dinge die Herrlichkeit ist, wie es abschließend im Lied heißt.
133  Sünde ist dann, sich mit der Wirklichkeit, die wir gerade
134  überblicken, abzufinden. Sünde ist, für den anderen und für
135  sich selbst keine Hoffnung mehr zu haben. " Kündlich groß ist
136  das gottselige Geheimnis. " Daß es immer wieder Menschen gibt,
137  die mit dem Mut der Hoffnung in die Zukunft sehen, das gehört zu
138  dem großen Geheimnis, das uns ab und zu Staunen abnötigt. Daß
139  nicht schon längst alles zusammengefallen und zerbrochen ist, das
140  hängt mit dem Geheimnis Gottes zusammen. Sicher, wenn wir an
141  morgen denken, dann kostet es schon wieder ein wenig Überwindung,
142  das sorglos zu tun; vielleicht gibt es einige unter uns, die sich
143  schon vor der Woche nach Weihnachten fürchten. Es kostet
144  Überwindung, mit dem Lied " O du fröhliche " wirklich
145  Alltagsarbeit zu tun. Aber dazu ist es - genau wie unser
146  biblisches Lied - gedichtet worden. Der Weg Jesu, der Weg
147  Gottes in dieser Welt war nichts anderes als Überwindung. Und
148  zwar in der Weise, daß er die Gegensätze an sich selbst ertrug.
149  Sich so hineinwarf, daß er daran scheiterte. Gott scheitert an
150  unserer Unfähigkeit, die Zukunft lebenswert zu gestalten. Und
151  trotzdem gibt es hoffnungsvolle Lieder. Eins von ihnen haben wir
152  gehört: " aufgenommen in die Herrlichkeit ". Gott scheitert
153  zwar an unserem Unglauben, an unserer Phantasielosigkeit, aber er
154  denkt nicht daran, den von uns immer wieder gewollten Gegensatz
155  zwischen Gott und Mensch aufleben zu lassen. Gott will nicht
156  diese Trennung. Gott schafft neue, lebenswichtige, menschliche
157  Beziehungen. Dieses Neue nimmt Gestalt an, wenn nicht nur davon
158  gewußt, sondern immer wieder darauf gehört und danach gelebt wird.
159  Paulus sagt: " Und wenn ich weissagen könnte, und
160  wüßte alle Geheimnisse. und alle Erkenntnis und hätte allen
161  Glauben, so daß ich Berge versetzte, und hätte keine Liebe,
162  so wäre ich nichts. " Liebe macht unser Lied zu einem Lied für
163  den Alltag. Liebe ist ein Stück Sorglosigkeit im Hinblick auf
164  meine eigene Zukunft, aber ganz und gar voller Sorge für den,
165  der meine Hilfe braucht. Liebe lebt aus der vollen Wirklichkeit,
166  sonst hätte sie keine Zeit, sich dem anderen zuzuwenden. Liebe
167  geht an der Hand Gottes. Von daher weiß sie, daß die
168  Fehltritte in der Vergangenheit von Gott überholt, vergeben sind.
169  So sorgt sie sich nicht um den morgigen Tag, denn sie weiß,
170  daß sie auch im Scheitern nicht aus der Hand Gottes fallen kann.
171  Jesus Christus heißt die Liebe, und wo sie zu uns kommt und
172  durch uns zu andern, da sind wir mitten im " gottseligen Geheimnis ".
173  Können wir darin bleiben? Ich möchte andersherum fragen:
174  Können wir überhaupt aus dieser Liebe herausfallen? Unser
175  Weihnachtslied will hoch hinaus. Es geht nicht nur um uns. Es
176  geht um die Welt. Es geht um mehr, als wir in den kühnsten
177  Träumen erhoffen können. Ich glaube nicht, daß es anmaßend
178  ist, im Anschluß an dieses umfassende Wort zu sagen: Was kann
179  uns schon passieren, wenn der Himmel die Erde nicht mehr losläßt,
180  wenn Gegenwart und Zukunft von der Hoffnung bestimmt sind.
181  Angst vor dem morgigen Tag? - Wer würde sich nicht immer
182  wieder ängstigen! Aber dagegen gibt es ein großes Wort, ein
183  Lied. Wir haben versucht, ein wenig davon zu verstehen.
184  Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder Matthäus 18,3.
185  Endlich Heiligabend, endlich diese ruhige Stunde! Nach all den
186  turbulenten Tagen und Wochen, nach Päckchenpacken,
187  Kartenschreiben, Einkaufsgängen, Küchenzettelplanen -
188  endlich Heiligabend!, so seufzen die Erwachsenen erleichtert,
189  ein bißchen müde, meistens. Und die Kinder sind vergnügt:
190  Nach all dem Wünschen, Vorbereiten, nach Basteleien,
191  Liedersingen, nach soo langer Zeit des Wartens - endlich
192  Heiligabend! Jetzt brennen die Kerzen zwischen dunklen
193  Tannenzweigen, jetzt kehrt Ruhe ein, man kann es förmlich
194  spüren, jetzt ordnen sich auch die Gedanken. Wir versuchen
195  aufzunehmen und es zu verstehen, was wir hörten aus dem Lukas-
196  Evangelium: die Geschichte von dem Kind der Maria, das
197  unterwegs in einem Stall geboren wurde, und Hirten kamen, um
198  sich's anzusehen. Und Engel sollen dort gewesen sein, die
199  erklärten singend, was die Geburt dieses Kindes bedeute -
200  Freude allem Volk und Friede für die Erde, weil dieses Kind
201  der Heiland sei, der Christus, der Herr. Die Hirten haben's
202  überall herumerzählt, und alle haben sich gewundert. Wir kennen
203  die Geschichte, hören sie seit Kindertagen jedes Jahr, wir
204  wissen, nicht auf Stall und Krippe, Hirten oder Engel kommt es
205  an, es geht um dieses Kind und das, was dann aus ihm geworden ist
206  - den Mann, der Jesus hieß. Wir überlegen, setzen
207  wenigstens mit Überlegen an: Was bedeutet das nun eigentlich?
208  Kann man das glauben, heutzutage? Und was bringt es einem ein,
209  wenn man es glaubt? Und überhaupt - wie macht man das, glauben,
210  wenn man gar nicht glauben kann? Und wäre einem wohler, wenn
211  man's könnte - an Heiligabend und auch sonst? Fragen, nichts
212  als Fragen, und die Gedanken gehen dann im Kreise - und kehren
213  wieder - immer noch einmal. Man müßte ein Kind sein, wie
214  damals, wie früher - Kinder haben es ja leichter. Eigentlich
215  ist das ein Fest vor allem für die Kinder. Wie die sich freuen
216  können! Unsereiner hat das längst verlernt. Man möchte sie
217  geradezu beneiden.

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