Quelle Nummer 192

Rubrik 02 : RELIGION   Unterrubrik 02.25 : KIRCHENRECHT

KIRCHENGUTSGARANTIEN
THOMAS PIETER WEHDEKING
DIE KIRCHENGUTSGARANTIEN UND DIE BESTIMMUNGEN UEBER
LEISTUNGEN DER OEFFENTLICHEN HAND AN DIE RELIGIONS-
GESELLSCHAFTEN IM VERFASSUNGSRECHT DES BUNDES UND
DER LAENDER
JUS ECCLESIASTICUM BAND 12, CLAUDIUS VERLAG MUENCHEN
1971, S. 1-7 (EINLEITUNG)


001  Einleitung. Wer es heutzutage unternimmt, über ein
002  Thema zu arbeiten, das das " Verhältnis von Staat und Kirchen "
003  berührt, sieht sich einer ungewöhnlich umfangreichen Literatur
004  gegenüber. Auch bei Beschränkung auf das verfassungsrechtlich
005  geregelte Staatskirchenrecht ist der Interpret genötigt, den
006  wissenschaftlichen Erträgnissen eines halben Jahrhunderts Achtung
007  zu zollen. Denn die unveränderte Aufnahme der einschlägigen Art.
008  136 ff. der Weimarer Verfassung von 1919 in das Grundgesetz
009  erfordert einerseits die Auseinandersetzung mit den unter der
010  Geltung der Reichsverfassung hierzu entwickelten Lehrmeinungen,
011  andererseits die Verwertung des zu dem grundgesetzlichen
012  Rechtszustand Vorgetragenen. Nur der auf diesem Gebiete
013  Unbewanderte könnte aus der Aufrechterhaltung der
014  staatskirchenrechtlichen Fundamentalnormen auf eine interpretative
015  Kontinuität über den Zusammenbruch des Reiches hinaus und bis
016  hin in die Gegenwart schließen. Der Leichtgläubige wird
017  vielmehr sogleich auf den im ersten Bande der Zeitschrift fur
018  evangelisches Kirchenrecht vom Jahre 1951 geäußerten Leitsatz
019  Rudolf Smends gestoßen: " Aber wenn zwei Grundgesetze
020  dasselbe sagen, so ist es nicht dasselbe ", und damit setzt die
021  Notwendigkeit ein, das seither zu Untermauerung und Ausbau wie
022  Kritik und Abwehr dieser Ausgangsthese der neueren Diskussion
023  erschienene, nahezu unüberschaubare Schriftum in den Griff zu
024  bekommen. Die hier vorgelegte Abhandlung über das im
025  Verfassungsrecht des Bundes und der Länder geregelte
026  Vermögensrecht der " Religionsgesellschaften " wollte dieser
027  Kontroverse nicht ausweichen, sie jedoch auch nicht zum
028  Ansatzpunkt der Untersuchungen nehmen. Es schien wenig sinnvoll,
029  den unzähligen Betrachtungen des Verhältnisses von Staat und
030  Kirchen eine weitere hinzuzufügen, bevor nicht sichergestellt war,
031  inwiefern das begrenzte Thema einer solchen Analyse bedurfte.
032  Dagegen konnte keinem Zweifel begegnen, daß gemäß Art. 140
033  GG die zentrale Norm des Artikels 138 WV inhaltlich und in
034  ihrem Range als Verfassungsbestimmung ungeschmälert Bestandteil
035  des Grundgesetzes geworden ist. Diese Tatsache bindet zunächst
036  einmal die Auslegung, und zwar jedenfalls im Sinne einer
037  Vermutung für die unbeschnittene Geltungskraft des Artikels 138
038  WV, von der mithin, ohne den Vorwurf einer petitio principii
039  fürchten zu müssen, auszugehen war. Deswegen beginnen die
040  Ausführungen zur Rechtslage nach dem Grundgesetz unmittelbar mit
041  der Interpretation des Artikels 138 WV, nämlich mit der
042  Erörterung des Inhalts der in seinem Absatz 2 ausgeworfenen
043  " Kirchengutsgarantie ", die als umfassende Gewährleistung aus
044  syntematischen Gründen vor der in Absatz 1 getroffenen
045  Sonderregelung der Staatsleistungen abgehandelt werden. Die
046  Arbeit soll - nicht zuletzt - eine vollständige Überschau
047  über das sachlich einschlägige Bundesverfassungsrecht
048  und Landesverfassungsrecht bieten. Dies konnte nicht ohne
049  Berücksichtigung der über den alten wie den gegenwärtigen
050  Rechtszustand schwebenden Kontroversen geschehen, wenn man nicht
051  Gefahr laufen wollte, das Stimmengewirr hierüber lediglich zu
052  vermehren statt zu entwirren. Hieraus erklärt sich der zunächst
053  vielleicht befremdende Zitieraufwand in einem Apparat von weit mehr
054  als 500 Titeln und dementsprechend zahlreichen und
055  umfangreichen Anmerkungen: erfahrungsgemäß wird jede
056  literarische Äußerung, die bei einer solchen Aufarbeitung des
057  status controversarium unerwähnt bleibt, sei sie auch noch so
058  abgelegen, bei sich bietender Gelegenheit ausgegraben und belastet
059  dann weiterhin die Diskussion. Der Verfasser sah sich mit anderen
060  Worten vor die Alternative gestellt, entweder zukunftige
061  Erörterungen oder seine Arbeit zu entlasten, und hielt es für
062  seine Pflicht, das persönliche Interesse zurückzustellen.
063  Vollständigkeit war insoweit um so mehr angezeigt, als eine
064  systematische Darstellung des seit 1946 entstandenen einschlägigen
065  Rechts bisher nicht vorlag. Zur Weimarer Zeit hatte die
066  Auseinandersetzung mit Absatz 1 des Artiekls 138 WV im
067  Vordergrund gestanden; hervorzuheben sind hier die Schriften von
068  Josef Schmitt (1921) und Breitfeld (1929), die Aufsätze
069  Günther Holsteins und Berners (beide 1930) und die
070  Dissertationen von Fittgens und glade (beide 1932). Nach dem
071  Zusammenbruch des Reiches hatten sich eine Abhandlung Werner
072  Webers (1948) und die Dissertation von Hermanns (1954) mit
073  dieser Materie befaßt. Dem Absatz 2 des Artikels 138 WV war
074  der Beitrag Johannes Heckels zur Festschrift für Rudolf Smend
075  (1952) gewidmet, der seither die Basis der herrschenden Meinung
076  bildet, gefolgt von einem Aufsatz von Muus (1964-65). Eine
077  monographische Gesamtdarstellung beider Aufsätze des Artikels 138
078  WV hatte lediglich Ernst Rudolf Huber im Jahre 1927 unternommen.
079  Von diesen unmittelbar das Thema betreffenden literarischen
080  Zeugnissen abgesehen, mußte den Äußerungen über Kirchengut
081  und Leistungen der öffentlichen Hand an die Kirchen in
082  jahrzehntealten wie jüngsten Abhandlungen verschiedenster
083  Zielrichtung, Lehrbüchern und Handbüchern des Staats
084  rechts und Kirchrechts, Kommentaren zur Reichsverfassung
085  und zum Grundgesetz sowie zu den nach 1945 ergangenen
086  Landesverfassungen nachgespürt und ihre Konfrontation, Kritik
087  und Korrektur versucht werden. Das Gebot, den Überblick über
088  den verfassungsrechtlichen Rechtszustand, wie er sich aus Art.
089  138 WV und den landesrechtlichen Parallelbestimmungen ergibt,
090  durch eine zusammenfassende Bearbeitung des Schrifttums abzusichern
091  - die Rechtssprechung hatte nur sporadisch Gelegenheit zur
092  Stellungnahme -, bestimmte das Vorgehen des Verfassers und
093  setzte seinem Vorhaben Grenzen. Man mag zwar als bedeutsamste und
094  deswegen umstrittenste Norm des von der Weimarer Verfassung in das
095  Grundgesetz übernommenen Staatskirchenrechts den Artikel 137 WV
096  ansehen, gerade Art. 138 WV ist aber in hohem Maße beladen
097  mit einem Ballast an historischen Voraussetzungen und politischem
098  Streitstoff. Aus diesem Grunde orientierten sich die Darlegungen
099  nicht an einem vorgefaßten - sei es restaurativen, sei es
100  modernistischen - Programm, sondern an dem Ziel, anhand der
101  Verfassungstexte und ihrer bisherigen Interpretation Stein für
102  Stein zu dem schließlich eine Übersicht gewährenden Mosaik
103  zusammengetragen und dieses nach einer Gültigkeitsprüfung sich
104  bewähren zu lassen. Dies könnte unter methodischen
105  Gesichtspunkten als altmodisch, womöglich begriffsjuristisch
106  angegriffen, der Ansatz an Problem und Sache vermißt werden;
107  angesichts der eindeutigen begrenzten Zwecksetzung der Abhandlung
108  muß ein solcher Einwand in Kauf genommen werden. Es ging darum,
109  den vom Grundgesetz als unveräußerlich vorausgesetzten Bestand
110  des staatskirchenrechtlichen Vermögensrechts gegenüber der auf
111  Landesebene eingetretenen Rechtszersplitterung erst einmal
112  hervorzukehren, entsprechend dem Postulat der Einheit der
113  Rechtsordnung auf der Ebene des Verfassungsrechts und von dort her
114  zur Durchsetzung zu verhelfen. Ein durchsichtiges schrittweises
115  Vorgehen bei der Auslegung der vorgegebenen Texte und die
116  Erörterung der sich stellenden Sachfragen anhand des Textbefundes
117  waren die Intention, die hier geltenden Grundsätze unter
118  gleichzeitiger Diskussion der darüber divergierenden Meinungeen
119  herauszuarbeiten, nur förderlich. Sollten die Darlegungen nicht
120  völlig ausufern, mußte allerdings die Beschränkung auf die
121  verfassungsrechtlichen Situation konsequent durchgehalten
122  werden. Das bewog zum Verzicht auf rechtsdogmatisch nicht
123  unerläßliche Betrachtungen der den verfassungsrechtlichen
124  Normenkomplex tragenden Wirklichkeit. Eine gewisse Farblosigkeit
125  auch hinsichtlich der Interessenlage, die erst eine Aufzeichnung
126  der vermögensrechtlichen Verflechtungen von Staat und Kirchen,
127  wie sie sich in den einzelnen Ländern entwickelt haben, zu voller
128  Entfaltung gebracht hätte, erwies sich als unvermeidbar. Jeder
129  mit der Materie Vertraute kennt die unüberwindlichen
130  Schwierigkeiten, die dem Versuch begegnen würden, eine
131  Gesamtdarstellung der staatlich-kirchlichen
132  Vermögensverhältnisse zu liefern, ihr Entstehen und
133  Bestehen im einzelnen überschauweise zu würdigen. Denn die
134  rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen wechseln von Land zu
135  Land, von Landeskirche zu Landeskirche bzw. von Diözese zu
136  Diözese, ja, von Landesteil zu Landesteil, zuweilen von
137  Gemeinde zu Gemeinde bzw. von Pfarrei zu Pfarrei, so daß
138  schon die Darbietung von Beispielen die Arbeit überladen würde.
139  Die Verwicklungen finden ihren Erklärungsgrund vor allem in
140  uneinheitlichen historischen Ursprung und der Unterschiedlichkeit
141  der Leistungen der öffentlichen Hand an die Kirchen, wenn auch
142  durch staatlich-kirchliche Vertragsvereinbarungen inzwischen
143  einige Vereinfachungen technischer Art eingetreten sind. Die
144  Leistungen beruhen zum Teil auf weit vor Beginn des 19.
145  Jahrhunderts begründeten Rechtstiteln, führen sich jedoch
146  zumeist auf die Säkularisation des Jahres 1803 zurück, die
147  nahezu das gesamte Kirchengut zu Staatsgut werden ließ - der
148  katholischen Kirche z. B. jährliche Einnahmen in Höhe von
149  21 Millionen Gulden und einen Grundbesitz von mehr als 1700
150  Quadratmeilen entzog - oder bieten sich als Folgen des Systems
151  der privilegierten Landeskirchen dar. Der Rechtsgrund im
152  einzelnen kann oft nicht mehr eruiert werden. Nach kirchlicherseits
153  stets abgelehnter staatlicher Auffassung werden die Leistungen
154  vorwiegend nur moralischer Verpflichtung halber erbracht. Sie
155  tauchten zunächst, nach Bedarf festgesetzt, alljährlich im
156  Staatsetat auf, einigen bereiteten später insbesondere die gegen
157  Ende des 19.Jahrhunderts ergehenden Pfarrbesoldungsgesetze
158  eine feste Rechtsgrundlage. Staatsgehältern für Geistliche, z.B.
159  den durch die napoleonische Gesetzgebung für das linke
160  Rheinufer geschaffenen, die die Nachfolgestaaten übernahmen,
161  stehen die häufigeren Besoldungszuschüsse gegenüber. Letztere
162  machen zwar regelmäßig den Hauptanteil aus, bilden aber doch nur
163  eine Variante der zahllosen Zuwendungen, die zur
164  Ausstattung der Bistümer, Konsistorien, Domkapitel,
165  Gemeinden, Priesterseminare, Stifter, Klöster usw. dienten
166  und dienen, die von der staatlichen Kirchenbaulast, von den
167  Beiträgen zum Bau und zur Unterhaltung der Pfarrgebäude,
168  Küstereigebäude und Schulgebäude bis hin zur
169  Emeritenpension und Pfarrwitwenunterstützung und
170  Pfarr waisenunterstützung reichen. Die nicht nur dem
171  Währungsschwund, sondern im allgemeinen auch dem Wachsen der
172  Bedürfnisse angepaßte Höhe der Leistungen schwankt je nach
173  Landesgröße und Konfessionszugehörigkeit der Einwohner. So
174  verzeichnete der preußische Staatsetat vom Jahre 1908 die Summen
175  von 6,7 Millionen Mark zugunsten der katholischen und 13,
176  2 Millionen Mark zugunsten der evangelischen Kirche, im
177  umgekehrten Sinne proportional waren es gleichzeitig in Bayern 5,
178  6 Millioen für die katholische Kirche gegenüber 2,9
179  Millionen Mark für die evangelische. Zwanzig Jahre später
180  belief sich die Gesamtsumme des Staatsaufwandes auf 71,6
181  Millionen Mark, bei einem Anteil der evangelischen Kirche von ca.
182  51 Millionen Mark, in Bayern auf rund 31 Millionen Mark,
183  wovon der katholischen Kirche rund 23 Millionen Mark zukamen.
184  Weitere 30 Jahre später waren es in Bayern DM-Beträge in
185  nahezu gleicher Höhe. Im gesamten Bundesgebiet übersteigt der
186  Staatsaufwand gegenwärtig 150 Millionen DM jährlich. Diesen
187  Hintergrund der verfassungsrechtlichen Regelung eingehend zu
188  beleuchten, mußte sich der Verfasser versagen, wollte er nicht
189  sein auf das Grundsätzliche gerichtetes Unternehmen gefähreden.
190  Die auf den Artikel 138 WV und seine Parallelbestimmungen in den
191  Landesverfassungen begrenzte Aufgabe erlaubte auch nicht, eine
192  Betrachtung der Kirchensteuern einzubeziehen, die wegen ihres
193  ständigen Anwachsens den Staatsleistungen den ersten Rang unter
194  den kirchlichen Einnahmen abgelaufen haben. Die im Zusammenhang
195  mit ihnen sich stellenden grundsätzlichen Probleme sind von den
196  hier zu behandelnden so verschieden, daß sie, ohne das Thema zu
197  sprengen, nicht hätten abgehandelt werden können. Dem bisherigen
198  läßt sich bereits entnehmen, daß die Entscheidung über die
199  Behandlung der Staatsleistungen im Verfassungsrecht
200  rechtspolitisch von besonderer Bedeutung sein mußte. Der für
201  beide Seiten unerquicklichen Verzahnung rechtlich wie tatsächlich
202  wirrer staatslichkirchlicher Vermögensverhältnisse begegnete der
203  die Deutsche Nationalversammlung bei der Beratung der Entwürfe
204  zu einer Verfassung des Deutschen Reiches beherrschende
205  Leitgedanke der Trennung von Staat und Kirche, äußerte sich
206  auch in je nach Partei verschieden gefärbtem Gewande. Die
207  parlamentarische Linke versuchte, eine radikale Trennung zu
208  erzwingen, die die Forderung nach ersatzloser Einstellung der
209  Staatsleistungen an die Kirchen einschloß; das Zentrum und die
210  Rechte wollten die Kirchen vor neuerlichen Säkularisationen und
211  vor dem Verlust der als Wiedergutmachung für die früheren
212  betrachteten Staatsleistungen schützen. Art. 138 WV ging aus
213  diesem Streit als Kompromißlösung hervor: Der Bestand des
214  ihrer Mission unmittelbar gewidmeten Vermögens wurde den Kirchen
215  in Art. 138 Abs. 2 WV garantiert, wobei äußerlich die
216  hergebrachte Privilegierung der christlichen Kirchen mit der
217  programmatischen Gleichsetzung aller " Religionsgesellschaften "
218  und der selbst auf Weltanschauungsvereinigungen ausgedehnten
219  Gewährleistungen ihr Ende fand; die
220  Staatsleistungsverpflichtungen wurden zwar in Art. 138 Abs.
221  1 mit Art. 173 WV erstmals explicite verfassungsrechtlich für
222  das gesamte Reichsgebiet anerkannt, jedoch nur unter dem Siegel
223  ihrer Ablösung. Damit und durch das verbriefte kirchliche
224  Besteuerungsrecht war eine vermögensrechtliche Sicherstellung der
225  Kirchen erreicht worden, die unter den damaligen Umständen auch
226  im staatlichen Interesse liegen mußte und den kriegsbedingten
227  und inflationsbedingten Schwund des Kirchenvermögens
228  erträglicher machte. Nach dem Zusammenbruch des Reiches stand
229  die Regelung des Artikels 138 WV im Parlamentarischen Rat
230  erneut zur Debatte, und es war wiederum Folge eines typischen
231  politischen Kompromisses, daß sie - wie überhaupt die für das
232  Verhältnis von Staat und Kirche maßgeblichen Normen der
233  Reichsverfassung, mit Ausnahme von Art. 135 - über Art.
234  140 GG unverändert in das Grundgesetz einging. Der Versuch
235  einer verfassungsrechtlichen Neuformulierung der staatlich-
236  kirchlichen Beziehungen erstickte in seinen Anfängen und machte
237  der allgemein vertretbaren Auffassung Platz, daß man hinter dem
238  ehemals gewährleisteten Rechtszustand nicht zurückbleiben solle.
239  Jedoch entzündete sich an der - mangels des reichsrechtlichen
240  Grundsatzgesetzes bislang nicht durchgeführten - Ablösung der
241  Staatsleistungen noch einmal der politische Meinungsstreit. Die
242  parlamentarische Linke plädierte für die Beibehaltung der
243  Ablösungsklausel, die sich christlich nennenden Parteien strebten
244  eine unbedingte Garantie an, hatten damit aber, im Unterschied zu
245  den in mehreren Ländern sowohl vor wie nach Inkrafttreten des
246  Grundgesetzes durchgesetzten nichtlimitierten Verfassungsgarantien,
247  keinen Erfolg. Diese Situation spiegelte sich alsbald im
248  ähnlich zwiegespaltenen Schrifttum wieder: Die einen werteten
249  jene zementierten Landesverfassungsbestimmungen als gültigen
250  Ausdruck der durch die tatsächlich nicht erfolgte Ablösung der
251  gekennzeichneten Rechtslage, die anderen erklärten sie pauschal
252  für nichtig, dazwischen herrschte - nicht weiter aufschlüsselbar
253  - Indifferenz. Gleichzeitig setzte eine Entwicklung ein, die
254  von der bis in die jüngsten Tage herrschenden Lehre als Abkehr
255  vom Staatskirchenrecht überkommener Prägung und Hinwendung zum
256  sog. Vertragskirchenrecht gepriesen wurde. Hatte Ulrich Stutz
257  die Weimarer Lösung treffend als System einer " hinkenden "
258  Trennung " bezeichnet und von dem neuen Typus der " vertrags
259  gesicherten oder kondordatsgesicherten autonomen Trennungskirche
260  " gesprochen, so war man sich jetzt darüber einig, daß das
261  Verhältnis von Staat und Kirchen nur im Sinne der Koordination
262  oder Partnerschaft verstanden werden dürfe, und man scheute sich
263  nicht, aus dem Grundgesetz selbst einen dahingehenden Wandel
264  herauszulesen. Die Autoren beriefen sich auf die in den letzten
265  beiden Jahrzehnten geschlossenen zahlreichen Verträge zwischen
266  Ländern und Kirchen, in denen ein erstaunliches Maß mehr ein
267  seitigen als wechselseitigen Entgegenkommens sich
268  abzeichnete, und nur vereinzelt fand das zerschlagene staatliche
269  Selbstbewußtsein eine Stütze in Stimmen, die an eine
270  Rückbesinnung auf die unverbrüchlichen Rechtsstandpunkte
271  gemahnten. Immerhin tasteten die Vertragspartner selbst das
272  grundgesetzliche Ablösungsgebot nicht an, nahmen es vielmehr
273  durchweg ausdrücklich als verbindlich in die Verträge auf und
274  bemühten sich hauptsächlich um die Überführung der vielfältigen
275  Zuschüsse in einen nur der Summe nach festgelegten,
276  wertgesicherten jährlichen Gesamtzuschuß.

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