Quelle Nummer 170

Rubrik 05 : KULTUR   Unterrubrik 05.03 : SCHULBUCH

FUNKKOLLEG ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT
EINE EINFUEHRUNG IN DREI BAENDEN
EINE VORLESUNGSREIHE DER PHILIPPS-UNIVERSITAET MAR-
BURG IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM HESSISCHEN RUNDFUNK
DEM SUEDDEUTSCHEN RUNDFUNK UND DEM SUEDWESTFUNK
(QUADRIGA), S. 15-20
ERZIEHUNGSWISSENSCHAFT 2
EINE EINFUEHRUNG
VON WOLFGANG KLAFKI UND ANDEREN
FISCHER TASCHENBUCH VERLAG IN ZUSAMMENARBEIT MIT
DEM VERLAG JULIUS BELTZ; WEINHEIM FRANKFURT 1970


001  Bereits in der Einführung in das Funk-Kolleg hatten wir
002  innerhalb der Analyse einer Hörszene folgende allgemeine Aussage
003  formuliert: " Pädagogische Vorgänge sind durchweg von jeweils
004  bestimmten (...) Normvorstellungen oder Zielvorstellungen
005  geprägt. " Wenn Sie an die darauffolgenden Beiträge denken,
006  so werden Sie zahlreiche weitere, mehr oder minder ausdrückliche
007  Belege dafür finden, daß dieses Bestimmtsein durch Norm
008  vorstellungen und Zielvorstellungen ein allgemeines
009  Kennzeichen aller Vorgänge ist, die wir als " Erziehung "
010  bezeichnen. Das bedeutet aber auch: Soweit Sie ständig oder
011  gelegentlich erzieherisch tätig sind - als Mutter oder Vater,
012  als Kindergärtnerin oder Jugendleiter, als Lehrerin oder Lehrer,
013  als Lehrlingsausbilder oder Dozentin -, orientieren Sie sich,
014  mehr oder minder Bewußt, dauernd an Zielvorstellungen
015  oder Normvorstellungen; andernfalls wäre Ihre Arbeit
016  richtungslos. Es könnte nun aber sein, daß Sie sich zwar von
017  klar formulierten Zielen leiten lassen, dabei jedoch nicht erkennen,
018  daß es sich vielleicht um z. T. überholte
019  Leitvorstellungen handelt. Wer über die Berechtigung der von ihm
020  verfolgten Erziehungsziele nicht kritisch nachdenkt, dem könnte es
021  geschehen, daß seine pädagogischen Bemühungen, sein guter
022  Wille, sein Einsatz für sein Kind, seine Schüler, seine
023  Lehrlinge nicht eine Lebenshilfe, sondern ein Hemmnis bedeuten.
024  Kurzum: Wir werden das Problem der Ziele und Normen hier zwar
025  als Erziehungswissenschaftler behandeln, aber dieses Problem ist
026  alles andere als eine " bloß theoretische " Frage. Es ist von
027  größter praktischer Bedeutung! Bevor wir uns diesen
028  Sachverhalt noch einmal an Beispielen verdeutlichen, muß geklärt
029  werden, was unsere Doppelformel " Normvorstellungen
030  oder Zielvorstellungen " besagen will. Erziehungsziele
031  und in der Erziehung mitwirkende Normen. Als zusammenfassenden
032  Grundbegriff gebrauche ich im folgenden den von Herrn
033  Rückriem bereits eingeführten Terminus " sozio-
034  kulturelle Normen ". Dieser Begriff wird hier also als
035  Oberbegriff im Verhältnis zu dem der " Erziehungsziele "
036  verwendet; Erziehungsziele bilden eine bestimmte Art von sozio
037  -kulturellen Normen. Unter " sozio-kulturellen " Normen
038  verstehe ich alle Grundsätze, Forderungen, Regeln, die in
039  einer mehr oder minder großen Gruppe von Menschen gelten, d.h.
040  in dieser Menschengruppe befolgt werden oder befolgt werden
041  sollen. Beispiele für solche Normen sind etwa die Forderungen:
042  Man darf nicht stehlen, man soll die Wahrheit sagen, man muß der
043  Obrigkeit gehorsam sein, man soll Bekannte grüßen, man soll
044  seine Heimat lieben, man soll gegen oder für die betriebliche
045  Mitbestimmung sein, aber auch: Man soll Angehörige dieser oder
046  jener Rasse verachten oder: Man soll sich nicht in einen
047  Menschen mit anderer Hautfarbe verlieben oder: man soll sich im
048  Kriegsfalle nicht weigern, auf Gegner zu schießen usf.. Die
049  Art und die Größe der Menschengruppe, für die solche Normen
050  gelten oder gelten sollen, können sehr verschieden sein. Es kann
051  sich um eine Familie handeln, um die Bewohner eines Dorfes, um
052  eine bestimmte soziale Schicht, um ein ganzes Volk oder um alle
053  Angehörigen einer bestimmten Kultur oder Religion. Der Begriff
054  " sozio-kulturelle Normen " als solcher sagt auch noch nichts
055  darüber, wie die Geltung der Normen in einer Gruppe
056  begründet wird. Bestimmte Normen können z. B. damit
057  begründet werden, daß die Teilelemente einer Weltanschauung oder
058  Religion sind oder aber dadurch, daß die Mitglieder der
059  betreffenden Gruppe sich nach Absprache darauf geeinigt haben oder
060  aber dadurch, daß die betreffenden Normen in Gesetzen festgelegt
061  sind. - Wo innerhalb einer größeren Anzahl von Menschen
062  Teilgruppen entgegengesetzte Normen verfechten, sprechen wir vom
063  " Normenkonflikt " in einer Gesellschaft oder Kultur;
064  aber auch dieser Begriff muß wertfrei verstanden werden, er
065  schließt also nicht etwa eine negative Wertung ein, so als wären
066  Normenkonflikte etwas grundsätzlich Abzulehnendes. Der Begriff
067  " sozio-kulturelle Normen " läßt schließlich auch offen,
068  wie es kommt, daß Grundsätze, Forderungen, Regeln in
069  bestimmten Gesellschaften in der Mehrzahl der Fälle anerkannt
070  oder eingehalten werden: Es mag sein, daß solche Normen deshalb
071  befolgt werden, weil ihre Gültigkeit als religiöses Gebot
072  geglaubt wird und weil ihre die jeweils ältere Genaration
073  diesen Glauben an die nachwachsende Generation übermittelt; es
074  mag aber auch sein, daß ein Herrscher oder eine herrschende
075  Gruppe bestimmte Normen setzt und ihre Anerkennung und
076  Einhaltung durch offene oder versteckte Gewalt erzwingt.
077  Kurzum: Die Vermittlung der Normen einer sozialen Gruppe an
078  neu eintretende Mitglieder oder an den Nachwuchs und die ständig
079  erneuerte Sicherung, daß die Normen eingehalten werden, kann
080  sich in unterschiedlichen Sozialisierungsvorgängen, wie Herr
081  Rückriem sie in den letzten Stunden darstellte, vollziehen
082  also u. a. durch Werbung, durch Massenmedien, durch
083  Gespräche zwischen Nachbarn oder am Arbeitsplatz, durch
084  Gesetzgebung usw. schließlich: durch Erziehung. Nun
085  zum Begriff " Erziehungsziel ". Wir werden ihn, wie
086  gesagt, in einem engeren Sinn verwenden. - Zunächst: Wir
087  gebrauchen das Wort " Erziehung " im umfassendsten Sinne als
088  Begriff für alle bewußten Einwirkungen von Menschen, die auf
089  die Entwicklung von Menschen, die auf die Einwirkung oder die
090  Veränderung des Wissens und Könnens, dauerhafter Haltungen und
091  Verhaltungsformen anderer, insbesondere junger Menschen,
092  gerichtet sind. - Am Rande erwähnen wir: In diesem Sinne
093  können bestimmte Menschen oder Menschengruppen auch Propaganda
094  oder gewisse Zwangsmaßnahmen als " Erziehung " verstehen. Das
095  bedeutet nicht etwa, daß wir selbst z. B. unser
096  Funk-Kolleg-Team, solche Formen der Beeinflußung für
097  erzieherisch vertretbar halten. Sofern wir nämlich nicht nur
098  theoretisch beschreiben und analysieren, sondern selbst
099  Entscheidungen über Erziehungsziele treffen, erkennen wir
100  bestimmte Wertgesichtspunkte als verbindlich an, so z. B.
101  die Forderung, das Kind im Erziehungsprozess grundsätzlich als
102  werdende, zur Selbstbestimmung fähige Person anzuerkennen, die
103  nicht als bloßes Mittel zu fremden Zwecken benutzt werden darf.
104  Wenn man nun den Begriff " Erziehung " zum Zwecke der
105  Beschreibung und Analyse im oben angegebenen weiten und
106  wertfreien Sinne verwendet, dann kann man die Ziele,
107  an denen solche bewußte Einwirkung der Erziehenden sich orientiert,
108  als " Erziehungsziele " bezeichnen. Im Prozeß der
109  Erziehung werden aber nicht nur diese bewußten und meist
110  ausformulierten Erziehungsziele wirksam, sondern auch Normen, die
111  dem Erziehenden überhaupt nicht bewußt sind oder die er mindestens
112  nicht als Ziel seiner erzieherischen Einwirkungen verfolgt. Er
113  vertritt solche Normen als Angehöriger einer sozialen Schicht,
114  einer Konfession, einer Berufsgruppe, eines Volkes also auch
115  dann, wenn er sie nicht bewußt in seinen Erziehungsauftrag
116  einbezieht. Und diese Normen sind, gerade weil sie unbemerkt
117  bleiben, vielleicht überaus wirksam im Spiele, möglicherweise
118  wirksamer als die bewußten Erziehungsziele. Ich fasse ein erstes
119  Mal zusammen: In allen Gesellschaften und Kulturen werden immer
120  bestimmte Normen vertreten oder eingehalten, sogenannte sozio-
121  kulturelle Normen. Sie werden durch verschiedene
122  Sozialisationsvorgänge an neu eintretende Mitglieder oder die
123  nachwachsende Generation übermittelt. Eine besondere Form der
124  Sozialisation ist die Erziehung. Wenn wir von
125  " Erziehungszielen " im Verhältnis zu " sozio-kulturellen "
126  Normen sprechen, haben wir bereits zwei Einengungen vorgenommen.
127  Von sozio-kulturellen Normen allgemein
128  unterscheiden wir solche, die in der Erziehung wirksam
129  werden. Unter diesen Normen, die in der Erziehung wirksam
130  werden, unterscheiden wir weiterhin zwischen solchen, die
131  unreflektiert, unkritisch, evtl. völlig unbewußt in
132  Erziehungsprozesse einfließen - wir nennen sie im folgenden
133  " in der Erziehung mitwirkende Normen " - und solchen, die
134  ausdrücklich und bewußt für die Erziehung gesetzt werden;
135  letztere nennen wir " Erziegungsziele ". Wir machen uns
136  die Bedeutung dieser begrifflichen Unterscheidungen im folgenden
137  noch einmal an zwei Beispielen klar, Zunächst ein Beispiel für
138  das Nebeneinander von " Erziehungszielen " und " in der
139  Erziehung mitwirkenden Normen ". In der Familie Arndt
140  unterhalten sich die Eltern oft über Erziehungsfragen und speziell
141  über die Ziele der Erziehung ihrer beiden Kinder, der 14
142  jährigen Marion und des 10 jährigen Christian. Frau und Herr
143  Arndt bemühen sich z. B. bewußt darum, ihre Kinder zu
144  zweckmäßigem und rationalem Umgang mit Geld zu erziehen; das
145  kommt etwa darin zum Ausdruck, daß sie ihren Kindern in
146  methodischer Steigerung wachsende Freiheit in der Verfügung über
147  ihr Taschengeld und einen Teil ihrer Ersparnisse gewähren. Und
148  weiter: Frau und Herr Arndt motivieren ihre Kinder bewußt zu
149  sozialem Verhalten, und sie bemühen sich, ihnen schrittweise ein
150  kritisches Bewußtsein ihrer eigenen sozialen Herkunft zu
151  vermitteln. Es gibt z. B. häufig Gespräche mit Marion
152  und Christian darüber, daß sie für den Schulerfolg erheblich
153  bessere Ausgangsbedingungen haben als z. B. der mit
154  Christian befreundete Dieter, der uneheliche Sohn einer
155  Hilfsarbeiterin aus der Nachbarstraße. Es wird offen über die
156  weitaus bessere Einkommenslage der Familie Arndt gesprochen und
157  darüber, daß Arndts sich mehr um ihre Kinder kümmern können,
158  daß Christian und Marion bereits eine eigene kleine Bibliothek
159  besitzen, daß sie ihre eigenen Zimmer haben usf. Christian hat
160  Dieter schon vor längerer Zeit angeboten, mit ihm zusammen
161  nachmittags im eigenen Zimmer Schularbeiten zu machen, und die
162  Jungen sind seither auch danach häufiger und länger beim Spielen
163  zusammen. - Es ließe sich auch über die moderne Einstellung
164  des Ehepaares Arndt zur Sexualerziehung und über ihre
165  Bereitschaft, sich selbst der Kritik ihrer Kinder zu stellen,
166  berichten. Einem aufmerksamen Beobachter der Familie Arndt
167  müßte aber z. B. auffallen, daß es häufig Situationen
168  wie folgende gibt: MARION: Mutti, können wir am Sonntag
169  nicht zusammen nach Burg Bernau fahren? FRAU A.: Von
170  mir aus ja! Vati sagte gestern Abend aber, wir wollten wieder
171  mal nach Degershausen. MARION: Och - da waren wir doch
172  schon so oft! FRAU A.: Naja, schon, aber nun laß man,
173  Vati fährt doch nun mal so gern dorthin. Mach bitte keinen
174  Ärger darum! Oder eine andere Szene: FRAU A.:
175  Christian, ich geh' jetzt zum Friseur. Auf Wiedersehn!
176  CHRISTIAN: Wiederseh'n Mutti! FRAU A.:
177  Moment mal, was liest du denn da? Waas? Die Werbezeitung vom
178  Damenfriseur? CHRISTIAN: Ja - Du, Mutti, hör
179  mal, unsere Musiklehrerin, Frl. Körner, hat wieder eine
180  Klasse-Frisur! Die könntest du dir doch auch mal machen
181  lassen! Die hier ist das, sieh mal! Findest du sie nicht flott?
182  FRAU A.: Doch, die ist sehr hübsch! Die würde mir
183  auch stehen.CHRISTIAN: Na also! Marion sagt auch, da
184  sähst du bestimmt ganz schick aus. Warum läßt du die dir nicht
185  machen? Ist die teuer? FRAU A.: Nein, nicht teurer
186  als meine alte, die ich jetzt trage! CHRISTIAN: Na
187  siehst du! Und du sagst ja selbst, daß du die Frisur schick
188  findest. Laß dir die doch mal hinzaubern! FRAU A.:
189  Ich möcht' ja schon, aber ob der Vati die mag?
190  CHRISTIAN: Ach was, überasch' den Familienvorstand
191  doch einfach, der ist dann bestimmt ganz hingerissen. Es ist ja
192  nicht so, als wenn du von Nußbraun auf Platinblond umschalten
193  würdest! Nur mal ein bisschen mehr Schwung in der Form! Also
194  los, klare Entscheidung! FRAU A.: Na, diesmal lieber
195  noch nicht, da will ich doch lieber erst den Vati fragen. Was
196  zeigen die kleinen Szenen, von denen gesagt wurde, daß ähnliche
197  Situationen in unserer Beispiel-Familie Arndt häufiger
198  auftreten? Sie zeigen, daß neben den bewußt angestrebten
199  Erziehungszielen mindestens bei Frau Arndt in ihrem Umgang mit
200  ihren Kindern eine Norm mitwirkt, deren möglicher Einfluß ihr
201  vielleicht gar nicht oder kaum bewußt ist. Frau Arndt spielt
202  ihrem Mann häufig eine dominierende Stellung zu; sie gibt seinen
203  Entscheidungen ein größeres Gewicht als ihren eigenen. Sie
204  handelt im Sinne einer in unserer Gesellschaft weitverbreiteten
205  Norm, die man " Anerkennung der Dominanz des Mannes gegenüber
206  der Frau " nennen könnte, ohne daß das etwa eines ihrer bewußt
207  angestrebten Erziehungsziele wäre. Aber diese Norm wirkt als
208  nicht reflektierter Verhaltungsgrundsatz in ihren
209  Erziehungsbemühungen mit. Damit dürfte die Unterscheidung
210  zwischen Normen, die in der Erziehung unbewußt mitwirken,
211  einerseits und bewußt angestrebten Erziehungszielen andererseits
212  hinreichend verdeutlicht worden sein. Wir haben mit dieser
213  Unterscheidung einen wichtigen allgemeinen Gesichtspunkt für
214  pädagogische Untersuchungen zur Normproblematik und
215  Zielproblematik gewonnen. Dieser Gesichtspunkt muß einerseits
216  bei der Untersuchung konkreter Erziehungsvorgänge und
217  Erziehungssituationen in Familie, Schule, Heimerziehung,
218  Berufsausbildung usf. angewendet werden, andererseits bei der
219  Erforschung ganzer Erziehungssysteme in Geschichte und Gegenwart
220  - etwa der Erziehung im antiken Sparta, der Erziehung
221  im wohlhabenden Bürgertum des 19. Jahrhunderts, des
222  Erziehungssystems der Sowjetunion usw.. Dieser
223  Gesichtspunkt gilt aber auch für die Analyse von pädagogischen
224  Texten und durchformulierten pädagogischen Programmen, denen
225  nicht-reflektierte Normen zugrunde liegen können. Es ist
226  wichtig festzuhalten, daß in allen diesen Fällen zunächst
227  völlig offen ist, ob die unbewußt mitwirkenden Normen oder die
228  speziellen Erziehungsziele in der Praxis auf Kinder und junge
229  Menschen die größere und dauerhaftere Wirkung oder innerhalb
230  einer pädagogischen Theorie das größere Gewicht haben. Wir
231  ergänzen das Beispiel der Familie Arndt durch ein zweites. Es
232  stammt aus einem früheren Kollegteil und zeigt die Möglichkeit,
233  daß sozio-kulturelle Normen, die unreflektiert in der
234  Erziehung mitwirken, und bewußte Erziehungsziele einander direkt
235  widersprechen können. In diesem Falle wird Erziehung, wie
236  Schleiermacher das in seiner Erziehungstheorie nannte, zur
237  " Gegenwirkung ". In Herrn Ibens Beitrag über
238  " Gruppenprozesse in der Schule und Möglichkeiten einer
239  Gruppenpädagogik " wurde ausführlich die schwierige Position der
240  Außenseiter und der sogenannten " schlechten Schüler "
241  behandelt, und zwar unter dem Gesichtspunkt jener Normen, die in
242  den informellen Schülergruppen gelten. Dort heißt es einmal:
243  " Schon vom ersten Schultag an schließen sich informelle Gruppen,
244  sogenannte Cliquen, gleicher Herkunft zusammen. Die
245  Identifikation mit den elterlichen Maßstäben ist so stark, daß
246  ein Unzerschichtenkind nur bei bei ganz außergewöhnlichen
247  Fähigkeiten in eine Clique von Mittelstandskindern aufgenommen
248  wird. Ein ärmliches gekleidetes Barackenkind oder
249  Landarbeiterkind hat keine Chancen. " Das sind zunächst
250  Tatsachenfestellungen. Aber wir würden garnicht auf diese
251  " Tatsachen " aufmerksam werden, wenn uns die darin steckenden
252  Normen nicht problematisch erschienen. Es sind in unserer und
253  etlichen anderen Gesellschaften verbreitete Normen: man meidet
254  den Außenseiter, man pflegt engere Kontakte nur mit Angehörigen
255  der gleichen Sozialschicht usf.; und diese Normen
256  prägen, den Schülern nicht bewußt oder von ihnen mindestens
257  nicht reflektiert, auch die informellen Schülergruppen. Ob wir
258  aber auf diesen Tatbestand aufmerksam werden, das hängt davon ab,
259  ob wir bewußte Erziehungsziele verfolgen, die jener Norm
260  widersprechen, etwa das Erziehungsziel, die soziale
261  Kontaktbereitschaft der Kinder zu entwickeln und sie dazu zu
262  motivieren, soziale Barrieren zu überwinden.

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