Quelle Nummer 158
Rubrik 12 : BILDENDE Unterrubrik 12.02 : BUECHER
HOERFUNK
FRIEDERICH KNILLI
DEUTSCHE LAUTSPRECHER
VERSUCHE ZU EINER SEMIOTIK DES RADIOS
J.B. METZLERSCHE VERLAGSBUCHHANDLUNG STUTTGART 1970
S. 62-70
001 Das Mikrophon. Symbol des Rundfunks nannte Eckert das
002 Mikrophon. 1931 forderte Flesch, Hörspiele aus dem Mikophon
003 herauskomponiert. Für diese Mikro-Kunst fehlen dem
004 Hörspielautor heute die Erfahrungen. Denn selbst die
005 Mikrophoneinstellungen nahe, normal, entfernt werden nicht
006 klangdialektisch geführt, sondern sollen beim Hörer ein
007 Raumempfinden auslösen, sollen Nähe und Entfernung und damit
008 den Grundriß einer unsichtbaren Bühne entwerfen; z. B.
009 gehen laut Regiebemerkung Harry und Fräulein Lenz ab,
010 Türgeräusch im Hintergrund. Mikrophonkontraste,
011 Mikrophondialektik und damit Klangdramatik verwendet Wolfgang
012 Weyrauch. In seinen Japanischen Fischern beschränkt
013 sich Weyrauch auf drei Mikrophoneinstellungen: nahe, normal,
014 entfernt, und entwickelt daraus ein Hörspiel. Mikrophone hängen
015 in den Hörspielstudios an Winden oder Galgen (boom), mit denen
016 sie gehoben, gesenkt, geschwenkt oder gedreht werden können. Es
017 gibt Tischmikrophone. Nach der Richtcharakteristik:
018 Schalldruckempfänger mit kugelförmiger Richtwirkung,
019 Geschwindigkeitsempfänger oder Druckgradientenempfänger
020 mit achterförmiger Richtwirkungskurve und Nieren-Mikrophone,
021 deren Richtwirkung sich aus der Kugelcharakteristik eines
022 Druckempfängers und der Achtercharakteristik eines
023 Geschwindigkeitsempfängers zusammensetzt. Schließlich gibt es
024 Mikrophone mit umschaltbarer Richtcharakteristik. Für
025 Sonderzwecke läßt sich die Richtempfindlichkeit sogar steigern,
026 etwa durch Rohrmikrophone oder durch Mirkophone im Brennpunkt
027 eines Parabolspiegels. Aufstellung der Mikrophone,
028 Richtcharakteristik, Frequenz-Empfindlichkeit und
029 schließlich die Zahl der verwendeten Mikrophone bringen
030 Schallvorgänge in ein Spiel und Gegenspiel. Verstärker,
031 Regler, Filter, Modulator, Sonovox, künstlicher Kehlkopf,
032 Sound Synthesizer. Im Regietisch treffen sich die Kanäle der
033 einzelnen Mikrophone. Einheiten aus Röhren, Kondensatoren,
034 Widerständen, Sicherungen, Gleichrichtern und Transistoren
035 verarbeiten die von den Mirophonen kommenden Schallvorgänge:
036 verstärken, mischen, filtern oder sieben sie, verzerren
037 Geräusche, modulieren Stimmen. In der langen elektroakustischen
038 Kette von Mikrophonen zu Lautsprecher steht an erster Stelle der
039 Verstärker, dann kommen verschiedene Regler, Filter und andere
040 Schalteinheiten. Mit Hilfe von Verstärkern und
041 Reglern werden die einzelnen Schalleingänge und deren
042 akustische Dynamik so gesteuert, daß sich Geräusche, Töne und
043 Stimmen in einer Klangbalance befinden. Die Dynamik kann durch
044 Abhörlautsprecher, optische Lautstärkeanzeiger überwacht werden.
045 Der Regietisch kann z. B. 14 Eingangskanäle besitzen,
046 die zu je 6 auf einen Summenregler zusammengeschaltet sind. Für
047 besondere Zwecke können zwei Kanäle hinter den Summenregler
048 geschaltet werden, so daß z. B. ein Sprecher in eine
049 Hörspielszene durch Schließen des Hauptreglers und Öffnen
050 eines dieser zwei Kanäle eingeblendet werden kann. Als
051 " Einblenden " und " Ausblenden " bezeichnet die Regiesprache das
052 Öffnen und Schließen der Regler und damit das Lauter
053 werden und Leiserwerden eines Schallvorganges. Variiert man
054 nach Lautstärke (Null, halb und voll) und Zeit
055 Schallvorgänge (Geräusch, Ton und Stimme), so ergibt sich
056 allein daraus schon eine Vielzahl von Blenden. Einblendungen,
057 Ausblendungen und Überblendungen kommen in jedem herkömmlichen
058 Hörspiel vor, das deshalb auch das als " Kunst der Blende "
059 bezeichnet wird. Bei der herkömmlichen Verwendung geht es nicht
060 um ein konkretes Spiel lauter und leiser werdender Schallvorgänge,
061 nicht um ein Spiel sich mischender, durchdringender,
062 uberlappender Schallfiguren, sondern um den Aufbau des
063 Phantasiebildes, " Was geschieht ", fragt Schwitzke, " wenn
064 im Horspiel eine Blende aufgeht, d. h. der Tontechniker den
065 Regler öffnet? Ein Nichts, ein akustischer Raum, der leer
066 ist, den man aber gleichwohl mit den Ohren warnehmen kann, ist da.
067 Und damit ist ein potentieller Raum für Stimme und Sprache
068 aufgetan, der dem potentiellen Raum für Bilder in unserer
069 Phantasie seltsam genau entspricht. Jedes einelne Wort, das in
070 diesen Raum hineinfällt, füllt ihn nun mehr und mehr, ähnlich
071 wie sich im Traum der leere Raum bewußtlosen Dämmerns mit Licht
072 und Bewegung zu füllen vermag. Aber jedes Schweigen läßt
073 diesen Raum sogleich wieder dunkler und leerer werden; er fließt
074 sozusagen immerfort aus. Dieses Sich-Füllen und Leerwerden
075 ist der Atem des Hörspiels. Das Schließen des Reglers aber,
076 bei dem dann nicht nur die Inhalte des Raumes verschwinden,
077 sondern der Raum selber, ist der Hörspielschluß - oder es ist
078 nur ein Durchgangspunkt zum sofortigen Öffnen eines neuen
079 Raums, ein Umkippunkt von einer Szene zur andern. " Die
080 Schallblende verkümmert dabei zur Phantasieblende. Filter
081 - meistens mit Verstärker, Regler und anderen Geräten im
082 Regietisch eingebaut - formen den Schallvorgang durch lineare
083 Verzerrung (Amplitudenverzerrung). Es gibt Filter, die tiefe
084 oder hohe Anteile eines Klanges durchlassen und alle anderen
085 dämpfen. Durch ein Tiefpaßfilter wird eine Stimme gesiebt,
086 wenn das Manuskript einen irrealen Richter mit dumpfer Stimme
087 (Hubalek: Der öst-westliche Diwan) fordert. Soll
088 eine Stimme aber wispern, wie in Hoerschelmanns Hörspiel
089 Ich höre Namen, werden die tiefen Anteile des Stimmklangs
090 durch einen Hochpaß weggefiltert. Bandpaßfilter wiederum können
091 beliebige Obertongruppen eines Klanges dämpfen und unterdrücken,
092 so daß Stimmen blechern, mechanisch klingen, was Hoerschelmann
093 für den Sprechchor in der Verschlossenen Tür fordert.
094 Veränderliche Terzfilter können beliebige Ausschnitte aus einem
095 Klang von je einer Terzbreite aussperren. Nach dem gleichen
096 Prinzip filtert das Oktavsieb und der Analysatorfilter. Alle
097 diese Netzwerke verändern das natürliche Schallmaterial durch
098 Beschneidung, Absenkung, Anhebung bestimmter oder beliebiger
099 Klangteile. Filter werden im Hörspiel immer wieder dazu benützt,
100 um Telefonstimmen, wie in Walther Jens Hörspiel Der
101 Telefonist, oder um Radiostimmen zu imitieren, wie dies
102 Dürrenmatt in seinem Hörspiel Stranizky und der
103 Nationalheld oder Eisenreich in seinem Spiel Wovon wir
104 leben und woran wir sterben tun. In Fis mit Obertönen
105 läßt Günter Eich den Steward sogar durch ein Megaphon
106 sprechen, ebenfalls ein Klangeffekt, der mit Filter erzeugt
107 werden kann. Tiefpässe, Hochpässe und Bandfilter kreieren
108 Stimmen der Vergangenheit oder innere Stimmen, Phantome,
109 Geister und Götter. Für sie wurden sogar eigene
110 " Hörspielverzerrer " (1947 " W 26 ", 1951 " W 49 ")
111 konstruiert, Geräte, in denen verschiedene Filterglieder
112 zusammengebaut sind. Alle diese Filterkreise, Netzwerke,
113 Tonsiebe sind Bedämpfungsverfahren. Die Klangfarbe des
114 Schallvorganges, eine Eigentümlichkeit seiner Obertöne bleibt
115 jedoch erhalten, da keine neuen Obertöne hinzugefügt werden.
116 Verloren geht die Klangfarbe erst bei nichtlinearer Verzerrung
117 (im Erzeugungsverfahren). Eine Kombination aus nichtlinearer und
118 linearer Verzerrung bietet ein im Kölner Studio fur elektronische
119 Musik verwendetes elektroakustisches Gerät. Mit diesem
120 " Verzerrer " wurden für die bereits erwähnte Hörfolge Gegen
121 den Dezembersturm (Atlantikflug Lindberghs) menschliche
122 Stimmen zuerst so gefiltert, " daß sie aus dem Telefonhörer zu
123 kommen schienen ", und darauf mit Sinustönen moduliert. " Der
124 Sinn der Worte ", schreibt Prieberg, " ging dabei
125 zwangsläufig verloren; der Hörer begriff aber, daß es sich um
126 ein sprechendes Organ handelte, um das Organ hinter dem Rücken
127 des Fliegers auftauchender und wieder verschwindender Phantome.
128 Auch hier waren es stilisierte Geräusche, die der Sendung
129 packendes Leben verliehen, vor der Natur fast ganz befreite
130 Muster mit indessen erheblichem Anreiz für die Einbildungskraft. "
131 Genial verfährt ein Sprachverzerrer, der bei den
132 amerikanischen Radiostationen unter den Namen " Sonovox "
133 " bekannt ist. Der Erfinder Gilbert Wright beobachtete beim
134 elektrischen Rasieren, daß das Brummen des Apparates durch die
135 Kehlwand drang und aus dem Mund, verstärkt wie durch einen
136 Lautsprecher, wiederklang. Das genügte Wright, daraus das
137 Sonovox zu entwickeln: Bei diesem Verfahren werden an die Kehle
138 eines Sprechers zwei kopfhörerartige Instrumente gepreßt, die
139 Geräusche und Musikpassagen in den Kehlkopf spielen, und
140 während darauf der Schall wieder aus dem Mund des Artikulators
141 dringt, flüstert der Sprecher und oktroyiert Klängen und
142 Geräuschen vom Staubsauger bis zur Feuersirene seine Worte und
143 Sätze, seine Sprache. Der " künstliche Kehlkopf ",
144 von Meyer-Eppler für den ehemaligen NWDR entwickelt, geht
145 ebenfalls davon aus, daß beim Flüstern die Stimmlippen des
146 natürlichen Kehlkopfes nicht mitschwingen. Er wurde in dem
147 Hörspiel Der alte Roboter ausprobiert. Synthetische
148 Sprache erzeugen der amerikanische " Voder ", " Vocoder " und
149 der " Sound Synthesizer ", wobei beim Vorder-Gerät
150 die Sprachlaute mit einer Schreibmaschinentastatur ausgelöst
151 werden, beim Vocoder dagegen, einem sehr komplizierten
152 Gerät, die Stimme in einzelne Schwingungsbereiche zerlegt und
153 nachträglich mit den gleichen oder anderen Bestandteilen wieder
154 aufgebaut wird. Der " RCA Sound Synthesizer 2
155 " (1959) aber übertrifft sowohl den Vocoder, den Voder, den
156 künstlichen Kehlkopf als auch die anderen Geräte. " Der Ton
157 ", berichtete Artur Holde, " wird (...) in Höhe, Dauer und
158 Farbe maschinell durch Tasten erzeugt, die denen einer
159 Schreibmaschine ähnlich sind. Zwei Gruppen dieser Tasten, und
160 zwar 18 und 17, die sich ergänzen und steigern, verursachen, wenn
161 heruntergedrückt, auf präparierten Papierstreifen Löcher,
162 ähnlich denen auf den Papierrollen der bekannten mechanischen
163 Klaviere. Diese Markierungen leiten elektronische Wellen zu dem
164 " Synthesizer ". Von ihnen setzen die Wellen ihren Weg zu
165 einem Arm mit Nadel fort, die wiederum die elektrische
166 Registrierung auf einer Schallplatte vornimmt. Durch Verbindung
167 mit einem gewöhnlichen Tonvergrößerer und Lautsprecher dringt
168 dann der auf diesem Wege erzeugte Ton an das Ohr. Dieser Ton
169 kann durch die von elektronischen Energien systematisch beeinflußte
170 Änderung seines Charakters jede Klangfarbe annehmen, die der den
171 Apperat bedienende Ingeneur wünscht. Die Maschine kann also
172 nach Belieben Männerstimmen, Frauenstimmen
173 oder Kinderstimmen künstlich herstellen und ebenso das Timbre
174 jedes Instrumentes imitieren. Durch die völlig mechanische,
175 durch Kombinationen und durch Veränderungen der elektronischen
176 Kraftzufuhr herbeigeführte Amalgamierung der zunächst einzeln -
177 Ton für Ton - produzierten Klänge wird in einem bisher
178 noch sehr langsamen und mühseligen Verfahren das Entstehen von
179 Klnagorganismen möglich, wie ihn Orchester, Klavier, Orgeln
180 darstellen. " Stereophonie. Illusionistische Radio
181 theorien und Hörspieltheorien zielen auf totale Wiedergabe und
182 Imitation, auf restlose Reproduktion. Zwei wiedergebene Stimmen
183 sollten nicht nur in natürlicher Tonhöhe, Klangfarbe und
184 Lautstärke erklingen, es soll auch die Raumlage dieser beiden
185 Stimmen eindeutig übertragen werden. Mit einem einzigen
186 Lautsprecher kann der Stimmklang ziemlich echt wiedergegeben werden.
187 Nicht aber die Raumlage. Denn das Einkanalsystem mit einem
188 Lautsprecher überträgt so, als ob nur eine Schallquelle
189 bestünde. Deshalb muß die Raumlage durch Mikrophoneinstellung,
190 durch überlegte Aufstellungsregie und Bewegungsregie der
191 Sprecher, durch kennzeichnende Geräusche (Schritte,
192 Stuhlrücken, Fensteröffnen, Türöffnen) oder durch
193 Ortshinweise im Monolog oder Dialog, durch einen Ansager oder
194 Sprecher mitgeteilt werden, so daß sich beim Hörer eine mehr
195 oder minder genaue Raumvorstellung ausbilden kann. Sieht man von
196 Illusionsstereophonie ab, so bietet einfach die technische
197 Erfindung, daß vorerst über zwei getrennte Kanäle zwei
198 Lautsprecher und vielleicht einmal sogar über mehrere Kanäle eine
199 ganze Schallzeile gespeist werden kann, einen Informationszuwachs
200 und eine Weitung der radiophonischen Gestaltungsmöglichkeiten,
201 gegen die sich Schwitzke verständlicherweise wehrt, weil dadurch
202 die Bühne des Hörspiels aus der Phantasie des Hörers in das
203 Zimmer des Zuhörers verlegt wird. Diese Konkretisierung würde
204 für das herkömmliche Hörspiel einen " unheimlichen und immerfort
205 peinlich empfundenen Mangel " bedeuten, jedoch ein unerhörter
206 Vorteil für das Schallspiel sein. Beim direkten Hören
207 unterscheidet man sehr gut, ob eine Schallquelle " links-
208 rechts, " oben-unten " oder " vorne-hinten " liegt,
209 Diese Richtungseindrücke kommen im wesentlichen durch
210 Intensitätsunterschiede und Laufzeitunterschiede, die
211 zwischen beiden Ohren auftreten, zustande. Bei der zweikanaligen
212 Übertragung (mit zwei Lautsprechern) werden aber nur
213 Seitenlokalisationen wiedergegeben. Die Richtungseindrücke
214 " vorn-hinten ", " oben-unten " fehlen. Zwischen dieser
215 " echten " Sterophonie und der Einkanalübertragung, dem
216 monauralen Hören wurden eine Menge Verfahren entwickelt, die
217 Raumeindrücke vermitteln: Pseudostereophonie,
218 Trickstereophonie. Gute Raumeindrücke lassen sich z. B.
219 mit einer Einkanalaufnahme erzielen, die über zwei gleiche,
220 parallel geschaltete, räumlich getrennte Lautsprecher abgestrahlt
221 wird. Lautsprecher mit verschiedenen Frequenzgängen steigern
222 ebenfalls den Raumeindruck, und zwar so, daß bestimmte Tonlagen
223 bestimmten Seiten zugeordnet sind (die Tiefen kommen von rechts,
224 die Höhen von links). Die Richtungsinformation bleibt vom Ort
225 der Schallquelle unabhängig. Hörspielstimmen wandern deshalb mit
226 wechselnder Tonlage von links nach rechts oder von rechts nach links.
227 Diese Methode erzeugt ein Raumschema, das von den
228 tatsächlichen Abständen der Orginalschallquellen völlig
229 unabhängig bleibt. Den Raumillusionisten wird eine solche
230 Stereophonie kaum befriedigen, obwohl sie für das Schallspiel
231 reizvolle Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet. Die Stereophonie
232 bietet dem Hörspielautor künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten.
233 " Hier erst recht ", schreibt Schwerte, " in der poetischen
234 Durchdringung der stereophonischen Sendung, die in jedem Fall auf
235 uns zukommt, wird das Hörspiel sich in neue, in eigene
236 künstlerische Dimensionen ausweiten können. Was das
237 ursprünglich rein technische Mittel des elektrischen Scheinwerfers
238 seit 1912/1916 poetisch und dramaturgisch für die Bühnen
239 bedeutet hat, wird die Stereophonie für das künftige Hörspiel
240 bedeuten können. " Das Magnettongerät. In der
241 Frühzeit des Funks wurde von Richard Kolb und anderen Pionieren
242 befürchtet, daß das " Schallplattenhörspiel " - heute
243 können wir sagen das Bandspiel - die Illusion der
244 Gleichzeitigkeit, einen Hauptvorteil des Funks vereitle.
245 Deshalb forderte man die Direktübertragung oder, wie wir heute
246 sagen, die Livesendung: Paul Laven im Stil einer
247 Stegreiferzählung. Arnold Zweig in der Form des freien
248 Erzählers, des Märchenerzählers, in den Formen der großen
249 improvisierten Komodie, des improvisierten Romanes. Einzelne
250 Funkregisseure und Hörspielsprecher trauern heute, da das
251 Tonband eine Selbstverständlichkeit des Funks ist, dem direkt
252 übertragenen Hörspiel nach, dem " Livespiel ", in dem nichts
253 von der kühlen Perfektion der Bandaufnahme klinge, das noch der
254 Zauber des Zufalls überstrahle. Die Begriffspaare Zufall/
255 Perfektion und Direktübertragung/Bandübertragung und das
256 Paar Gleichzeitigkeit/Nichtgleichzeitigkeit kommen aus
257 demselben Hörspielschema wie die Begriffspaare Unmittelbarkeit
258 /Mittelbarkeit, unmittelbare und mittelbare Darstellung,
259 unmittelbare und mittelbarakustische Begegnung, Begegnung und
260 vermittelte Begegnung, Dabeisein/Nichtdabeisein,
261 Einmaligkeit/Wiederholbarkeit. Hinter all diesen
262 Begriffspaaren steht als Leitschema die Bühne und das Drama,
263 der Wunsch, es der Bühne gleichzutun, sie zu übertragen, zu
264 vermitteln. Diese Zielvorstellung deutet das Instrument Rundfunk
265 als ein bloßes Übertragungssystem, dessen Mittelbarkeit nur
266 durch die " Illusion der Unmittelbarkeit " verdeckt werden kann.
267 Diese subjektive Unmittelbarkeit und die Illussion der
268 Gleichzeitigkeit liegen durchaus im Bereich der
269 Erlebnismöglichkeiten.
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