Quelle Nummer 127
Rubrik 33 : BELLETRISTIK Unterrubrik 33.07 : HUMOR
RHEINISCHER HUMOR
HERMANN JUNG
RHEINLAND WIE ES LACHT
EINE SAMMLUNG RHEINISCHEN HUMORS HERAUSGEGEBEN VON
HERMANN JUNG MIT ZEICHNUNGEN VON ANTON HEINEN
FRANKFURT 1971, S.82-
001 Die Eintrittskarte. Der Büttenredner Heinz
002 Paffenholz, der durch seine humorvollen Auftritte als
003 " Marktfrau in den besten Jahren ", " Demimonde " usw. im
004 rheinischen Karnevall brillierte, erschien vor dem Krieg auf dem
005 Ball einer sehr vornehmen Karnevallsgesellschaft in einem für die
006 damalige Zeit schamlos dekolletierten Damenkleid. Unter einer
007 raffiniert aufgebauten platinblonden Frisur zeigte er einen
008 provozierenden femininen Augenaufschlag. Er hatte sich die sonst
009 nicht käufliche Eintrittskarte durch seine guten Beziehungen
010 " organisiert ". Ungeniert holte er, von den durchbohrenden
011 Blicken der Damen verfolgt, die Ehemänner von den Tischen und
012 tanzte mit ihnen so aufreizend und frivol, daß sich schließlich
013 die erzürnten Ehefrauen an die Festordner wandten und sich über
014 das schamlose Frauenzimmer beschwerten. Diskret wurde die
015 unmanierliche " Dame " zur Rede gestellt und nach ihrer Eintrit
016 gefragt. Paffenholz zierte sich wie eine Jungfrau und tat
017 plötzlich verschämt. Aber schließlich erklärte er: " Wenn
018 Sie unbedingt darauf bestehen, meine Karte sehen zu wollen -
019 bitte! " Er schwang den Rock über den Kopf und bot den Herren
020 und dem aufmerksam gewordenen Publikum im Spitzenhöschen seine
021 Hinterseite, wo die Eintrittskarte säuberlich angenäht war.
022 Die Empörung stieg auf den Siedepunkt. In diesem Augenblick
023 riß sich Paffenholz die Perücke vom Kopf und stellte sich vor:
024 " Gestatten (...) " Tosende Heiterkeit und Applaus erteilten dem
025 närrischen Sünder Absolution. In Erinnerung (...). Ein
026 in Ehren ergrauter Karnevalspräsident schwelgt in Erinnerungen.
027 " Ob wir das noch einmal erleben? " ruft er begeistert vor einer
028 Runde jüngerer Nachwuchstalente. " Ich habe meiner
029 Haushälterin noch gestern erzählt, wie es damls so auf den
030 Herrensitzungen zuging, wenn wir richtig in Stimmung waren. Ich
031 sage euch, mir sind die Tränen gekommen, und wir wären beide vor
032 Lachen fast aus dem Bett gefallen (...) " Der
033 Fastnachtsschoppen. Jüppchen Bliemel, wohlachtbarer
034 Weingutbesitzer in B. an der Mosel, wo man von altersher die
035 zünftigste Weiberfastnacht im ganzen Flußtal zu feiern pflegt
036 hatte sich zu früh die Hände über den Auftrag des
037 Karnevalsausschusses gerieben, in diesem Jahr den offiziellen
038 Festwein für die Fastnachtsveranstaltungen zu liefern. Die
039 traditionelle Wahl des Ausschußes war auf eine liebliche Kreszens
040 aus dem " Heißen Berg " gefallen, auf die Jüppchen Bliemel
041 besonders stolz war. Aber zu seiner Enttäuschung blieb der
042 erwartete und in diesem Falle übliche Umsatz aus. Ganze fünf
043 Liter hatte er außerhalb der offiziellen Festlieferung erst
044 verkauft, während in den anderen Jahren fast alle Ortsbewohner,
045 ob sie eigene Weinberge besaßen oder nicht, sich mit dem Festwein
046 des Jahres einzudecken pflegten. Das war gutnachbarlicher Brauch,
047 von dem sich niemand ohne Grund ausschloß. Umsomehr zerbrach
048 sich Bliemel den Kopf, was die Bürger von B. und Umgebung
049 zu diesem Boykott veranlassen konnte. Er schickte seine Söhne in
050 das Dorf, das Geheimnis zu ergründen und den Namen des
051 Konkurrenten zu erfahren, der offenbar hier am Werk war. Die
052 beiden Buben hatten die Ursache der väterlichen Geschäftsflaute
053 schnell erkundet. Was sie ihrem Vater erzählten, klang wie ein
054 Fastnacht scherz. Man habe, so berichteten sie, für die
055 Weiberfastnacht überhaupt keinen Wein gekauft, auch nicht bei der
056 Konkurrenz. Dafür aber sei der Essigumsatz beim Ortskrämer
057 Sabel seit acht Tagen ständig gestiegen. Die Krämers Anna
058 habe in dieser Zeit, während der Anton Sabel bei seiner Tochter
059 in Köln weilte, schon nahezu ein Faß Essig verkauft, und die
060 Nachfrage werde immer noch größer. Jüppchen Bliemel kannte
061 seine Mitbürger als große Schalks narren. Ihnen aber zu
062 unterstellen, eine Weiberfastnacht mit Essig feiern zu wollen,
063 erschien ihm jedoch absurd, denn dafür liebten sie alle ihren Wein
064 zu sehr. Vielleicht war es " Haustrunk ", was der Krämer als
065 Essig verkaufte, jener aus Trester unter Zusatz von Wasser und
066 Zucker bereitete " Hauswein ", den man zur Erfrischung mit in
067 den Wingert nahm? Zur Not konnte man ihn auch zu Essig
068 verwenden. Aber wer brauchte davon solche Mengen zur
069 Weiberfastnacht? Nach diesen Überlegungen sandte Bliemel seine
070 Tochter Bienchen zum Krämer, eine Flasche Essig zu holen.
071 Sie kehrte erst nach einer guten Stunde zurück, denn dort standen
072 die Käufer Schlange. Bliemel roch an der geöffneten Flasche,
073 atmete erstaunt einen lieblichen Duft, goß eine Probe des
074 Inhalts in ein Gläschen und kostete - schnalzte mit der Zunge,
075 kostete wieder und noch einmal. " Donnerwetter! " das war weder
076 Essig noch Haustrunk, sondern ein großartiger Wein, wie er
077 selbst keinen im Keller hatte. Bliemel zögerte nicht, seine
078 Tochter erneut zum Krämer zu schicken, dieses Mal mit einem
079 Fünfliterkrug. Aber Bienchen kam mit leerem Krug zurück. Der
080 Essig war ausverkauft. Und weiter berichtete sie, daß Sabels
081 Anton, soeben aus Köln zurückgekommen, beim Anblick der
082 Käuferschlange schleunigst die Tür verschlossen und vor seinem
083 Haus die Rolläden heruntergelassen habe. Dann sei ein
084 Höllenspektakel entstanden, denn die Anna, dieses kurzsichtige
085 und etwas einfältige Mädchen, habe das falsche Faß im Keller
086 angezapft udn acht Tage lang statt Essig einen " Graacher
087 Himmelreich " verkauft, den Anton Sabel als Meßwein für den
088 Pfarrer eingekauft und zum weiteren Ausbau bei sich gelagert hatte.
089 Niemals sollen in B. die Heiterkeit und die Räusche an
090 Weiberfastnacht größer gewesen sein als in jenem Jahr.
091 Freistaat Flaschenhals. Über die Landstraße von Lorchhausen
092 nach Limburg zuckelte im August des Jahres 1919 ein Weinfuhrwerk.
093 Die Fässer lagen hoch aufgestapelt, denn seit sieben langen
094 Wochen warteten die Weinhändler in ganz Deutschland auf ihre
095 Ware. Es waren kuriose Zustände im Freistaat Flaschenhals.
096 Ihr werdet dieses seltsame Staatsgebilde nicht kennen! Die
097 Politiker und Strategen hatten nach dem ersten Weltkrieg mit einem
098 Zirkel um die Brückenköpfe Mainz, Koblenz und Köln einen
099 Radius von dreißig Kilometern geschlagen. Was in diesem Raum
100 lag, war besetztes Gebiet. Bei dem mathematischen Spiel der
101 Diplomaten und Militaristen, die meist anderen Sinnes waren als
102 die Winzer und Weinhändler, blieb auf der Landkarte ein
103 Streifen übrig, der von Limburg bis zum Rhein reichte und die
104 Form eines Flaschenhalses hatte. In diesem Raum lagen die
105 Weinorte Lorch, Lorchhausen und Kaub. Es hätte in diesem
106 Hals vieleicht ganz schön leben lassen, wenn nicht die Grenzen
107 gewesen wären mit ihren Einschränkungen und Fesseln. Die
108 Bewohner des Freistaates besaßen Wein die Fülle, aber weder
109 ausreichende Lebensmittel noch Kohlen, während die Menschen
110 außerhalb dieser Enklave nach dem guten 17er lechzten, der in den
111 den drei Weinorten gewachsen war. Es fuhr keine Eisenbahn, und
112 kein Schiff durfte am Ufer anlegen, nicht einmal ein Nachen.
113 " C'est la guerre! " erklärten die Franzosen und " It's the war! "
114 die Engländer und Franzosen und " It ' s the war! '
115 die Engländer und Amerikaner, basta! Und doch kam bald ein
116 schwarzer Handel in Schwung, der es in sich hatte. Eine von den
117 Engländern aufgestellte Wache sollte den Schmuggel verhindern,
118 aber sie nahm es nicht so genau, und eine Flasche Wein galt auch
119 den Tommis als köstlicher Nektar, dem zuliebe sie zwei Augen
120 zudrückten. Aber einmal war die Wache mit Männern besetzt, die
121 es verteufelt ernst mit mit ihrer Plicht nahmen. Die Schmuggler,
122 die Brüder Pfeifer aus Lorch, waren gewarnt worden, und man
123 hatte ihnen geraten, nur einen Versuchstransport zu schicken. Er
124 wurde prompt beschlagnahmt. Die Pfeifers stimmten ein Gezeter an,
125 als seien sie um ihr ganzes Vermögen gebracht worden. " Du
126 einen Drink mit uns machen, " lenkten nun die Wachen ein. Damit
127 war der Pfeifer Ludwig gleich einverstanden, während sich sein
128 Bruder Emil unbemerkt fortschlich. As erste Fäßchen wurde
129 gleich auf der Wache angezapft. Hei! wie ihnen der Fluppes -
130 es war kein Wein, sondern nur " Haustrunk " (Tresteraufguß)
131 - schmeckte! Und Pfeifers Ludwig hielt wacker mit. Auch das
132 zweite Fäßchen wurde geöffnet und schließlich mußte auch das
133 dritte daran glauben. " Du gutes Wine, du bestes Wine ",
134 lobten sie. Während hier die Verbrüderung zwichen Old England
135 und den Lorchern gefeiert wurde, fuhr ein zweiter Transport mit
136 feinstem 1917er Lorchhausener Niederflur im Galopp über die
137 Grnze nach Limburg zu, ohne daß einer der Zöllner es bemerkte.
138 Auf dem Bock saß Pfeifers Emil, dessen Bruder drüben auf der
139 Wache mit den Engländern laut und inbrünstig " it's a long way
140 to Tipperary " sang, als habe er nie in seinem Leben ein
141 schöneres Lied gekannt. Die Straßenfeger. Als die
142 Engländer nach dem ersten Weltkrieg Köln besetzt hatten,
143 verhängten sie ein Ausgangsverbot von 22 Uhr abends bis 5 Uhr
144 früh. Das war eine bittere Pille für die alten Schoppenstecher.
145 Es blieb ihnen nur die Wahl, ihren Schoppen daheim zu trinken
146 oder bis morgens fünf Uhr in der Stammkneipe auszuhalten. Aber
147 das war nicht immer möglich. Der Kegelklub " Alle Nüng'
148 " (Alle Neun!) hatte in jenen Tagen im " Fiesen Kunibert " am
149 Bollwerk eine Nachfeier gehalten. Dabei war es drei Uhr morgens
150 geworden und höchste Zeit, sich auf den Heimweg zu machen. Aber
151 wie sollte man der Gefahr entgehen, vom Tommy verhaftet zu werden?
152 Man hielt Rat, und wenig später schwärmte eine Kolonne
153 Straßeng Straßenfeger vom " Fiesen Kunibert " aus. Jeder
154 der Kegelbrüder hatte einen Besen unterm Arm und langsam aber
155 sicher trollte sich die Kolonne durch Gassen und Gäßchen nach
156 Hause, denn die Kehrerkolonnen waren von dem Ausgehverbot
157 ausgenommen. Kein Tommy hielt sie an, obgleich die Kolonne immer
158 kleiner wurde, bis schließlich der letzte " Straßenfeger ' in
159 seiner Haustür verschwunden war. Bellejeck. Bellejeck war
160 der historische Pritschenmeister von Köln, der seinen
161 Mitbürgern den Beginn des lustigen Treibens im Karneval zu
162 verkünden hatte. Im Jahre 1794, als Köln von den Franzosen
163 besetzt war, verbot der General Championet jegliches
164 Maskentreiben und jeden Mummenschanz. Aber Bellejeck erschien
165 wie jedes Jahr in den Straßen, dieses Mal in einer
166 französischen Uniform, die mit allerlei Flitter und Firlefan
167 behängt war. Die Franzosen aber kannten keinen Spaß. Kaum
168 hatte Bellejeck sein Sprüchlein verkündet und dabei einen
169 Weinpokal auf das Wohl der Bürger geleert, war er auch schon
170 verhaftet und sollte erschossen werden. Championet hatte Anweisung
171 gegeben, eine halbe Stunde vor der Exekution geweckt zu werden,
172 da er den Übeltäter selbst zur Hinrichtung begleiten wollte.
173 Der General war noch völlig im Weingelage der vergangenen Nacht
174 benebelt, als ihn der Ruf seines Burschen aus dem Schlaf riß.
175 In der Schlaftrunkenheit griff er nach seiner Uniform und merkte
176 nicht, daß er das Kleid des Bellejeck anzog, das ihm der
177 Bursche zurechtgelegt hatte, der auch ein Kölner war. Als der
178 General zu dem Todeskandidaten innärrisch herausgeputzt habt!
179 " " sacr‚ bleu! " fluchte der die Gefängniszelle trat,
180 empfing ihn dieser mit schallendem Gelächter. " Wenn ihr mein
181 Nachfolger seid, " rief Bellejek, " dann ist mir um meine
182 letzte Reise nicht bang! " Der General schaute entsetzt an sich
183 herab, und Bellejeck fuhr fort: " Ihr bringt mir sicher die
184 Freiheit, weil Ihr Euch so närrisch herausgeputzt habt! " "
185 Sacr‚ bleu! " fluchte der General, " schaffe mir schnell
186 meine Uniform herbei! Quelle Blamage! Ich sehe, die ganze
187 Stadt steckt voller Schelme. Wenn du mir unverzüglich meine
188 Uniform bringst, sollst du frei sein, auf Ehrenwort!
189 " Bellejeck verließ sich allerdings lieber auf seine Beine. Er
190 nahm die Schlüssel, sperrte den General in seiner Zelle ein und
191 machte sich aus dem Staub. Als der Exekutionspeleton den
192 Delinquenten zur Hinrichtung abholen wollte, fand es nur den
193 maskierten General. Dieser war schlau genug, die Situation und
194 seine Ehre zu retten, indem er sogleich in Köln die
195 Narrenfreiheit verkünden ließ und vor dem Rathaus einen
196 Ehrenpokal auf das Wohl der Bürger trank.
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