Quelle Nummer 124

Rubrik 33 : BELLETRISTIK   Unterrubrik 33.06 : KINDERBUECHER

ARCHIBALD U. SEIN KL. ROT/FIRLEFANZ/HALLO IRINA
BRIGITTE SCHROEDER: ARCHIBALD UND SEIN KLEINES ROT,
MUENCHEN 1970 (VOLLSTAENDIG).
WILFRIED BLECHER (BLIDER)/HANNE BRENKEN (TEXT):
FIRLEFRANZ, MUENCHEN 1970 (VOLLSTAENDIG)
DIETLIND BLECH (BILDER?)/ YAAK KARSUNKE (TEXT?):
HALLO IRINA
WEINHEIM-BERLIN-BASEL 1970, S. (1-27)


001  Archibald und sein kleines Rot. Archibald wohnte mit
002  seinem Hund in einem kleinen Haus. " Schlafen und essen -
003  essen und schlafen! " dachte er tagein, tagaus. Archibald war
004  ehrlich gesagt ein fauler kleiner Mann. Und weil er so faul war,
005  wollte er von der großen, bunten Welt nichts wissen, denn um die
006  Welt zu sehen, hätte er laufen müssen. Laufen mochte er nun
007  einmal nicht! Dabei vergaß er das kleine Rot seiner rechten
008  Backe. Das langweilte sich immer mehr. Es war nämlich sehr
009  neugierig und wollte gerne in die bunte Welt hinaus. " Die Welt
010  ist groß ", dachte es, " viel größer als Archibalds Haus.
011  Und eines Tages, als Archibald vor dem Spiegel stand, geschah
012  es: Das kleine Rot sprang - hopp - auf die Erde und rollte
013  wie ein kleiner Ball zur Türe hinaus. Archibald erschrak, denn
014  nun hatte er auf einmal eine rote und eine weiße Backe! Und
015  Archibald lief! Er lief, so schnell er konnte, hinter seinem
016  kleinen Rot her. Doch das rollte schneller und schneller die
017  Straße entlang und weiter den Hügel hinauf. Da holte Archibald
018  sein Pferd aus dem Stall und ritt ihm nach, bergauf und bergab,
019  bis er zwei Apfelbäume sah. " Hoppla! " rief Archibald. "
020  Hinter den Bergen stehen große Apfelbäume und unter den
021  Apfelbäumen liegen schöne reife Äpfel! " Und weil er immer
022  Hunger hatte, sprang er vom Pferd und bückte sich nach dem
023  schönsten Apfel im Gras. Doch der bewegte sich plötzlich und
024  sprang - hopp - davon. " Das ist (...) ", rief Archibald, "
025  das ist doch mein kleines Rot! " Und er vergaß seinen Hunger
026  und stieg wieder auf sein Pferd. Aber das Pferd war ihm zu
027  langsam. Da schickte er es nach Hause zurück und stieg in ein
028  Auto. Er fuhr wie der Wind durch Wiesen und Felder und fast
029  hätte Archibald sein kleines Rot eingeholt, da rollte es
030  plötzlich in die Stadt hinein und - husch - war es verschwunden.
031  Archibald suchte es überall, in der ganzen großen Stadt: in
032  allen Straßen und in allen Gassen und auf allen Plätzen und
033  schließlich sogar im Hafen. Aber auch dort fand er es nicht. Da
034  ließ er sein Auto stehen und setzte sich auf die Landungsbrücke.
035  Die Möven sind klein ", dachte er. " Die Schiffe sind
036  riesengroß und noch viel größer ist das Meer. Aber alles wäre
037  noch schöner, wenn ich mein kleines Rot wiedergefunden hätte! "
038  Und während er das dachte, schlief er ein und träumte. Er
039  träumte von vielen bunten Luftballons und von seinem kleinen Rot,
040  das sanft mit ihnen im Abendwind hinschaukelte und
041  herschaukelte. und als er wieder aufwachte, da sah er sie wirklich,
042  die bunten Luftballons, von denen er eben geträumt hatte. Sie
043  leuchteten wie kleine Laternen am dunklen Himmel. Und dann *g sah
044  er auch sein kleines Rot. Es flog auf einem roten Luftballon hoch,
045  ganz hoch oben! Und weit unten auf der Erde stand Archibald,
046  ratlos und allein. Aber als es vom Stadtturm her Mitternacht
047  schlug, landete auf einmal leise ein großer Reiseballon im Hafen.
048  Archibald überlegte nicht einen Augenblick. Schnell stieg er
049  ein und schwebte mit dem großen Ballon zu den bunten Lufballons
050  hinauf. Und als der Morgen kam und die Sonne aufging, da hatte
051  Archibald sie fast er reicht. Doch plötzlich - pff -
052  zerplatzte ein roter Luftballon. Er wurde ganz klein und fiel
053  tiefer und immer tiefer hinunter auf das große Rote Meer.
054  Archibald lief aufgeregt von einer Seite zur anderen, denn mit dem
055  Luftballon fiel auch sein kleines Rot! Was sollte er nun machen?
056  Wie sollte er hinunterkommen? Da sah er den Fallschirm, der
057  auf dem Boden lag. Er hob ihn auf (...), schnallte ihn um (...) und
058  sprang! Zu seinem großen Glück landete er in einem kleinen
059  Segelschiff, das alleine auf den Wellen schaukelte. Und nicht
060  weit davon entfernt entdeckte er bald sein neugieriges Rot!
061  Archibald machte einen Luftsprung. " Hurra! " rief er.
062  " Ich habe es wiedergefunden! " Aber das neugierige kleine Rot
063  kümmerte sich nicht um Archibald. Es sprang vergnügt über die
064  Wellen und schwamm davon. Da wurde Archibald traurig, so traurig
065  wie niemals zuvor. " Es will nicht mehr zurück zu mir. Ich
066  werde es nie wiedersehn ", dachte er. " Jetzt habe ich für
067  immer eine rote und eine weiße Backe! " Mit dem Fernrohr
068  suchte er nach Land. Und als er es gefunden hatte, spannte er das
069  Segel und lenkte das Schiff langsam dem Ufer zu. Sein kleines
070  Rot schwamm indessen immer weiter. Doch als die Sonne unterging,
071  fing es an sich zu langweilen, und es sah sich nach dem Segelschiff
072  um. Aber das war verschwunden. Da erschrak das kleine Rot! -
073  Was sollte es allein, ohne Archibald auf dem großen, weiten
074  Meer? - Und so schnell es nur konnte, sprang es von Welle zu
075  Welle bis an das Ufer; es hüpfte und rollte den Strand entlang,
076  auf einmal machte es vor Freude einen Purzelbaum: es hatte
077  Archibald entdeckt! Doch Archibald drehte sich nicht ein
078  einziges Mal um. Er stieg auf ein Fahrrad und fuhr traurig davon.
079  Sein kleines Rot rollte und hüpfte hinter ihm her. Aber
080  Archibald sah es nicht. Da sprang das kleine Rot einfach über
081  das Hinterrad nach vorne auf die Lenkstange und gleich darauf -
082  hopp - auf Archibalds rechte Backe. Archibald hielt
083  augenblicklich an. Vorsichtig streichelte er seine rechte Backe.
084  Dann lachte er und warf vor Freude seinen Hut in die Luft.
085  " Hurra! " rief er. " Hurra, mein kleines Rot ist wieder da! "
086  Und mit seinen zwei runden roten Backen radelte er fröhlich
087  nach Hause zurück. Erst spät am Abend, als der Mond am
088  Himmel stand, fuhr er über die große grüne Wiese vor seinem
089  Haus. Sein kleiner Hund und sein treues Pferd liefen ihm
090  entgegen. " Hallo! " rief Archibald ihnen zu. " Da bin ich
091  wieder! Ich habe viel gesehen. Und morgen, wenn die Sonne
092  scheint, dann nehme ich euch mit hinaus - in die große bunte
093  Welt.! " Firlefranz. Kommt alle her! Wir machen
094  einen Ausflug in die Zauberburg mit dem Zaubergarten und den
095  Zaubertieren. Wir haben uns Fahnen genäht, rote, blaue und
096  grüne, die nehmen wir mit. Ich bin die Anna, mein Bruder
097  heißt Franz, doch jeder nennt mich Firle und uns beide
098  Firlefranz, denn wir sind ständig zusammen und machen viel Unsinn.
099  Nun geht's los. Wir haben die Zauberburg gefunden. Da sind
100  Türen und Tore, Treppen und Gänge und überall Kinder,
101  Franz sagt, wie in einem Labyrinth, aber ich weiß nicht, was
102  das sein soll. Es ist ziemlich dunkel in den engen Gängen. Alle
103  rufen laut, weil sie dann ihre Stimme immer wieder hören. Ich
104  versuche es auch und rufe: Franz, wo bist du, wo bist du?
105  Franz hat die Türe aufgemacht und viele Tiere antdeckt. Bär
106  und Elefant, Schildkröte und Nashorn. Wir können auf ihnen
107  reiten, auch auf dem Hahn, der sprechen kann. Wie der Elefant
108  wohl die steile Treppe heraufkam? Vielleicht war er früher mal
109  kleiner. Franz und ich wollen den Zauberer suchen, dem die Burg
110  gehört, so laufen wir weiter. Wir finden einen riesigen Saal.
111  An allen Wänden stehen Spiegel. Manchmal sehe ich kugelrund aus
112  und dann wieder so dünn wie eine Bohnenstange. Franz lacht
113  darüber. Aber als er sich zwanzigmal sieht, rennt er gleich davon.
114  Die anderen Kinder möchten auch den Zauberer kennenlernen.
115  Kommt mit, rufe ich, wir werden ihn schon entdecken. Wer hat uns
116  wohl die bunten Bälle in den Weg gerollt? Wir können gar nicht
117  über sie klettern, denn sie sind viel größer als wir und so
118  furchtbar glatt. Wie sie hüpfen und quietschen, wenn wir vorbei
119  wollen. Franz zeigt uns, wie man es macht. Er ist der erste und
120  ich, Firle, bin natürlich die allerletzte. Nun haben wir
121  großen Hunger und Durst. Schnell die Treppe herunter und in die
122  Küche. Wie klein wir sind! Tassen und Kannen sind groß wie
123  Türme. Schon wieder klettern, sonst gibt es nichts. Viele
124  fallen dabei in den Saft oder die Milch. Und trinken können wir
125  nur wie unser Hund, mit der Zunge. Das ist lustig, Franz sitzt
126  in der Kaffekanne. Ich muß ihm helfen, wieder heraus zukommen.
127  Wir frieren und möchten unsere Kleider trocknen. Endlich finden
128  wir den Garten. Hier ist es warm und die Blumen wachsen höher
129  als Bäume. Eine würde ich gerne mit nach Hause nehmen, aber
130  die Stengel sind viel zu dick. Ich bin müde geworden, doch die
131  anderen wollen gleich weiter in den Wald. Franz lacht mich aus:
132  Du faule Firle. Einen richtigen Wald gibt es hier nicht,
133  sondern nur viele Sträucher und Obstbäume. Gierig essen wir die
134  roten Äpfel. Plötzlich werden wir immer größer. Halt doch,
135  halt, aufhören, ruft Franz laut, diese Äpfel sind verzaubert!
136  Wir versuchen am letzten Baum eine grüne Frucht und werden
137  wieder kleiner. Das ist ja nochmal gutgegangen! Mir ist
138  schwindlig vom Rauf und Runter, mal groß, mal klein. Doch
139  schon geht es weiter zum nächsten Haus. Wieder nur Tiere.
140  Vielleicht sind sie alle verzauberte Menschen? Diese Katze zum
141  Beispiel, sie ist wirklich riesig. Ich sage guten Tag, aber sie
142  antwortet mir nicht. Warum sieht sie uns so sonderbar an? Ob sie
143  womöglich zaubern kann? Oh weh, hätte ich bloß die Katze
144  nicht angesehen. Plötzlich habe ich einen Schuppenkopf, naß wie
145  ein Fisch und ich bin stumm wie ein Fisch. Franz, wo ist Franz?
146  Er wiehert und wiehert und schlägt mit den Hufen. Er sieht
147  wie ein Pferd aus. Wir sind alle verzaubert. Wie seltsam, ich
148  möchte lachen, aber ich kann nur meinen Mund aufmachen
149  und zumachen. Nun sagt die Katze miau und Franz ist Franz und
150  ich bin wieder Firle, doch nicht ganz: wir sind größer als
151  Häuser und passen in kein Zimmer mehr. Wenn uns unsre Eltern
152  sehen könnten könnten! Wir schauen von oben in alle Fenster.
153  Unsere Windräder knattern hoch in der Luft. Ich singe: Firle,
154  wie fein, daß dein grüner, nasser Fischkopf weg ist! Dann
155  haben wir Röhren gefunden, lange Röhren, die sich ganz schnell
156  drehen. Jetzt bleiben sie einen Augenblick stehen. Gleich
157  kriechen wir rein und lassen uns gewaltig durcheinander rütteln und
158  schütteln. Und es dauert nicht lange, bis wir wieder kleiner sind,
159  so wie wir immer waren. Nun halten sie an. Wo sind wir? Ich
160  kann nichts sehen. Wir krabbeln heraus und taumeln und schwanken,
161  stehen auf dem Kopf und laufen die Wand hoch. Plumps, fallen wir
162  auf den Boden und sitzen zu Hause vor unerer Tür. Das hat der
163  Zauberer gemacht. Na, warte du nur! Morgen werden wir dich
164  wieder suchen. Und wenn die anderen nicht mitgehn, kommen wir
165  beide alleine, Firle und Franz. Hallo Irina. Hallo
166  Irina - wo kommst du. Aus Rußland und über das Meer.
167  Zuhause durfte ich den ganzen Tag lang auf einer Wiese spielen,
168  weil ich noch nicht alt genug war, um Wagen zu ziehen oder Leute
169  auf meinem Rücken durch die Gegend zu tragen. Ich lief frei
170  herum bis ich müde wurde, dann legte ich mich zwischen den Blumen
171  schlafen - wenn ich aufwachte, fraß ich sie auf (vom Schlafen
172  werde ich nämlich immer sehr hungrig). Und oft stand ich am Rand
173  der Wiese, sah auf die Straße und hoffte, etwas zu sehen, was
174  ich noch nie gesehen hatte, irgendetwas besonders Schönes. Was
175  ich eines Tages wirklich sah, waren viele bunte Wagen, zwischen
176  denen kleine Hunde herumliefen. Es war ein französicher Zirkus,
177  der sieben Tage in der Gegend blieb - und in sieben Tagen kann
178  man sich mit einem Hund (besonders wenn er kleiner ist als man
179  selbst) schon sehr gut anfreunden. Mein Freund hieß Gaston.
180  Stundenlang spielten wir in einem Zelt zwischen Futterbergen, die
181  ebenso bunt waren wie Zirkuswagen. Gaston erzählte viel von
182  Frankreich, besonders vom Süden, wo das Wilde-Pferde-
183  Land ist mit Wäldern aus Schilf, über die Reiher fliegen, mit
184  kleinen Teichen, in denen die Flamingos fischen, mit winzigen
185  Häusern für die Menschen und riesigen Wiesen für uns Pferde.
186  Ich bekam große Sehnsucht danach, und als der Zirkus weiterzog,
187  machte auch ich mich auf den Weg. Finnland durchquerte ich in
188  einem Zug, (...) und über das Meer (...) schwamm ich im Bauch eines
189  riesigen Fisches, den die Menschen Schiff nennen. Außer mir
190  hatte er noch viele Säcke und Fässer verschluckt. Zwischen
191  denen lag ich nun - stehen konnte man nicht, denn das Schiff
192  schaukelte und schwankte ganz entsetzlich. Ich hatte keinen Hunger
193  auf all die guten Sachen, die mir die Matrosen brachten - ich
194  lag nur da und dachte an Wladimir, das älteste Pferd unserer
195  Herde in Rußland. Er hatte mir von der Reise abgeraten und
196  gesagt, eines Tages würde es mir sehr leid tun, von zuhause
197  fortgerannt zu sein. Jetzt tat es mir fast leid, aber dann dachte
198  ich an das Wilde-Pferde-Land und mir wurde etwas besser,
199  weil ich auf dem Weg dahin war. So richtig gut ging es mir aber
200  erst wieder, als das Schiff anlegte. Die Matrosen brachten mich
201  an Deck. Ich sah eine kleine Stadt, die rund um eine Bucht
202  gebaut war, und am Ufer standen sehr große Tiere aus Eisen, die
203  auf kleinen Rädern rollten. Sie hatten lange Hälse und jedes
204  trug einen Mann auf dem Buckel, der Kranführer gerufen wurde.
205  Manche trugen auch lange Seile im Maul: so ein Seil wurde
206  herunter gelassen, mir um den Bauch gebunden - und dann gab es
207  einen Ruck, ich verlor den Boden unter den Füßen, flog durch
208  die Luft, hoch über das Schiff hin, die Matrosen winkten mir zu
209  - (...) (...) dann schwebte ich tiefer, und tiefer - zwischen den
210  Schiffen - und dann noch tiefer: bis ich endlich auf der
211  Hafenmauer neben den Kränen stand. Ein Mann band mich los, gab
212  mir einen Klaps (aber einen freundlichen, leichten), dann lief
213  ich (...) (Abb.) in die Stadt. Man sah sehr gut, daß es eine
214  französische Stadt war: mit Häusern bunt wie Zirkuswagen, ohne
215  Zwiebeltürme wie in Rußland; auch die Leute sprachen anders
216  als zuhause. Nur die Tiere sprachen wie überall auf der Welt -
217  nämlich tierisch. Ich fragte einen Hund, der so ähnlich aussah
218  wie Gaston (und auch genauso freundlich war) nach dem Weg.

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