Quelle Nummer 112

Rubrik 08 : GESELLSCHAFT   Unterrubrik 08.22 : SOZIOLOGIE

DIE REICHEN
MICHAEL JUNGBLUT
DIE REICHEN UND SUPERREICHEN IN DEUTSCHLAND
HAMBURG 1971, S. 236-243, HOFFMANN UND CAMPE VERLAG


001  Großunternehmen als Familienerbstück. Die
002  Erbhofmentalität, das heißt der Übergang ganzer Unternehmen
003  vom Vater auf den Sohn, ist im Mittelstand besonders ausgeprägt
004  und häufig, aber deshalb keineswegs nur auf kleine und mittlere
005  Unternehmen beschränkt. Sie ist nicht in erster Linie eine
006  Frage der Größe, sondern der Rechtsform. Wir haben schon
007  gesehen, daß es zu den Phänomenen des deutschen Wiederaufbaus
008  gehört, daß die Familienkonzerne wieder in ihrer alten Größe
009  erstanden sind und sich auch angesichts der vielen technischen und
010  wirtschaftlichen Veränderungen als äußerst zählebig und robust
011  erwiesen haben. Flick, Quandt, Otto Wolff, Oetker, Henkel,
012  Röchling, Wehrhahn und Thyssen errichteten auf den Trümmern
013  ihrer alten Hausmacht neue Konzerne von weltweiter Bedeutung. In
014  manchen Fällen haben Mitglieder des Familienclans, in anderen
015  die von ihnen berufenen Manager die Restauration bewerkstelligt.
016  Zu diesen " Unternehmern ohne Kapital ", die als Lehnsfürsten
017  einer Industriellenfamilie arbeiteten, gehörte auch Fritz Aurel
018  Goergen, der im Auftrag der Familie den industriellen Nachlaß
019  des Konzerngründers Fritz Thyssen verwaltete und dem es vor allem
020  zu danken ist, daß die Thyssen-Gruppe heute der größte
021  kontinentale Stahlkonzernen Europas ist. Dennoch wurde er von
022  Am‚lie Thyssen und ihrer Tochter Gräfin Anita de Zichy
023  in Ungnade entlassen, als es zwischen ihnen zu Differenzen kam.
024  Der Manager mußte ungeachtet seiner Verdienste der Macht des
025  Familienkapitals weichen. Die Trennung zwischen Familie und
026  Management blieb bei dem Stahlriesen Thyssen aber dennoch erhalten.
027  Die Damen setzten einen neuen Statthalter ein. Bei vielen
028  anderen der Familien, deren Unternehmen unter den hundert
029  größten der Bundesrepublik rangieren, ist die Trennung zwischen
030  Kapital und Herrschaft noch nicht vollzogen. Herbert Quandt
031  steht - unterstützt von zwei getreuen Vasallen namens Horst
032  Pavel und Gerhard Vieweg - allein an der Spitze seines
033  weitverzweigten Gemisch-Konzerns und läßt andere
034  Familienmitglieder wie die Frau seines tödlich verunglückten
035  Bruders sowie Mitglieder der jüngeren Generation wie Karl-
036  Heinz Quandt in die Führungspositionen der dem Konzern
037  angegliederten Unternehmen nachrücken. Reinhard Mohn, der Chef
038  des Hauses Bertelsmann, übertrug schon früh achtzig Prozent der
039  Kapitalanteile seines Unternehmens auf seinen Sohn. Für eine
040  glatte und vom Finanzamt ungestörte Erbfolge sorgte in gleicher
041  Form der Versandhändler Werner Otto. Der mächtigste deutsche
042  Konzernherr, Friedrich Flick, verfügte sogar, daß die mit ihm
043  beginnende Dynastie schon bei seinen Lebzeiten bis ins dritte
044  Glied hinein familiär abgesichert wurde. Er übertrug die
045  Mehrheit der Anteile an seinem Mammutkonzern bereits auf die
046  Enkelkinder. Während er noch (und später sein Sohn) das
047  Zepter selbstherrlich führte, lag das Eigentum zumindest formal
048  zu einem großen Teil schon bei den Kindern seiner Söhne.
049  Soweit es ihm irgend möglich war, hat Flick die Erbfolge in
050  seinem Industrieimperium also auf Jahrzehnte im voraus festgelegt.
051  Anders als mancher mittelständische Firmendiktator sorgte
052  Deutschlands raffiniertester Konzernschmied allerdings gleichzeitig
053  dafür, daß seinen Söhnen und Enkeln ein fähiges Management
054  zur Seite steht. Damit soll nicht nur die Erbfolge, sondern auch
055  der Bestand der riesigen Vermögensmasse so weit wie möglich
056  abgesichert werden. Wenn der Erbfall eintritt, werden die vielen
057  zehntausend Beschäftigten in den zahllosen Flick-Firmen davon
058  überhaupt nichts merken. Die meisten von ihnen wissen dank der
059  Geheimnistuerei in der Konzernzentrale ja nicht einmal, daß die
060  Maschine, mit der sie arbeiten, einem Mann namens Friedrich
061  Flick gehört. Der Übergang von Macht und Vermögen auf
062  Söhne und Familienmitglieder ist auch bei den Unternehmen des
063  Quelle-Herrn Gustav Schickedanz sichergestellt. Peter
064  Neckermann, der Sohn des Versandhausgründers und Olympia-
065  Reiters Josef Neckermann, wird ebenfalls seit Jahren in
066  führender Position auf die Übernahme des Erbes vorbereitet.
067  Auch bei Rudolf August Oetker, der Familie Henkel, bei den
068  Quandts, der Coutinho-Gruppe oder den Werhahns ist ist es
069  gar keine Frage, daß das Riesenvermögen und der
070  Führungsanspruch innerhalb der Familie weitergegeben werden. Es
071  bleibt dabei völlig dem Gutdünken und der Einsicht des jeweiligen
072  Firmenchefs oder des Inhabers der meisten Kapitalanteile
073  überlassen, ob er die Erbfolge stur so handhabt, daß jeweils der
074  älteste Sohn oder sonst der nächste Verwandte, ungeachtet seiner
075  kaufmännischen und sonstigen Befähigungen, nachrückt, oder ob
076  er wie im Fall Flick Führungsmannschaft Ausschau hält. Die
077  Angst, daß Führungsmannschaft Ausschau hält. Die
078  Angst, daß Außenstehende, beziehungsweise von außen Kommende,
079  Einfluß auf das Unternehmen gewinnen könnten, treibt oft
080  seltsame Blüten. So bestimmte beispielsweise Willi Sachs,
081  Alleininhaber der Fichtel *und Sachs AG, in seinem Testament,
082  daß das Kapital nur in den Händen der Familie bleiben dürfe und
083  Fremdmittel nur aufgenommen werden sollten, wenn es unvermeidlich
084  sei. An diese Vorschrift haben sich die beiden Söhne Ernst
085  Wilhelm und Gunter sachs auch gehalten. Weniger im Sinne des
086  Vaters dürfte es sein, daß sich zwar sein ältester Sohn
087  intensiv um das Unternehmen kümmert, Gunter Sachs dagegen mit
088  Hilfe der Einkünfte aus seinen Kapitalanteilen und zahlreicher
089  einträglicher Nebenbeschäftigungen eine internationale Playboy
090  -Karriere startete. Hier wird man wieder unwillkürlich an die
091  Allüren reicher Gutsbesitzersöhne aus den Kreisen des Landadels
092  erinnert, die die Erträgnisse ihrer ausgedehnten Güter, die von
093  Verwaltern bewirtschaftet wurden, in mondänen Spielklubs und mit
094  Halbweltdamen durchbrachten. Auch heute noch reicht es aus, der
095  Erbe eines tüchtigen Mannes zu sein und gute Verwalter
096  einzusetzen, die dafür sorgen, daß die Geldquellen nicht
097  versiegen, um durch Extravaganzen und mit Hilfe der
098  internationalen Klatschpresse zu " Weltruhm " zu gelangen.
099  Die subventionierte Apanage. Noch schöner ist es natürlich,
100  wenn man sich sogar den Verzicht auf die Arbeit, die die
101  Verwaltung des väterlichen Erbes natürlich immer mit sich bringt,
102  noch abkaufen lassen kann. In dieser glücklichen Situation sah
103  sich der Krupp-Erbe Arndt von Bohlen und Halbach, der gegen
104  eine fürstliche Apanage auf sein Erbrecht (das ihm ohnehin nur
105  eine Erblast war) verzichtete. Wieder fühlt man sich an einen
106  Duodezfürsten erinnert, der den Thron seines
107  heruntergewirtschafteten Ländchens gegen Zahlung einer jährlichen
108  Rente räumt. In seinem Testament hat der im Sommer 1967
109  verstorbene Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, der letzte
110  Inhaber des einst mächtigsten deutschen Industrieimperiums, das
111  gesamte Krupp-Vermögen einer gemeinnützigen Stiftung
112  vermacht. Sein Sohn hatte auf das ihm zustehende Erbe (und damit
113  auch auf das dem jeweiligen Firmeninhaber vom Kaiser verliehene
114  Recht, den Namen Krupp zu führen) verzichtet. Diesen
115  Verzicht sprach er allerdings erst aus, nachdem ihm eine jährliche
116  Rente von mindestens zwei Millionen Mark zugesichert worden war.
117  Sie sollte aus zwei Quellen fließen: Aus den Zinsen für eine
118  frühere Krupp-Beteiligung an der Büromaschinenfabrik
119  National Registrier Kassen GmbH in Augsburg erhält Arndt von
120  Bohlen jährlich eine Million Mark. Daneben wurde ihm die
121  Förderrente der Zeche Rossenray zugesprochen. Diese ergiebige
122  Kohlengrube hatte der von den Alliierten als Kriegsverbrecher
123  verurteilte Alfried Krupp neben anderen Montanbesitz verkaufen
124  müssen. Als Entgelt dafür war ihm 1953 der Anspruch zugestanden
125  worden, 2,5 Prozent vom Verkaufspreis jeder geförderten
126  Tonne als sogenannte Förderrente zu kassieren. Im Jahre 1969
127  flossen Arndt von Bohlen, der unter anderem ein Schloß in
128  Österreich und in Marokko sowie eine Wohnung in München
129  unterhält und manchen Tag des Jahres auf seiner Luxusjacht
130  " Antinous 2 " verbringt, allein 1,6 Millionen Mark aus
131  dieser Förderrente zu. Zeche Rossenray in die
132  Einheitsgesellschaft Ruhrkohle AG eingebracht werden sollte, mit
133  deren Hilfe man endlich der inzwischen mehr als ein Jahrzehnt
134  währenden Kohlenkrise Herr zu werden hoffte, wurde Widerstand
135  gegen die Zahlungen an den Playboy wach. Die Gerwerkschaft
136  Bergbau argumentierte, daß man es dem Steuerzahler, der noch auf
137  Jahre hinaus den Steinkohlenbergbeu subventionieren müsse, nicht
138  zumuten dürfe, bei dieser Gelegenheit gleichzeitig den luxuriösen
139  Lebenswandel von Deutschlands jüngstem Rentner mit zu finanzieren.
140  " Es geht nicht an, das achthundert Kumpel ihren Rücken für
141  einen Playboy krumm machen ", polterte ein Gewerkschaftsvertreter.
142  Die Bergleute von Rossenray drohten mit Streik. Die
143  Förderrente für den jungen Krupp von der Ruhrkohle AG ist
144  " gesellschaftspolitisch unerträglich ", lamentierte die Welt
145  der Arbeit. " Die Kapitalisten und Manager in den
146  Konzernkontoren wehte es kalt an. Das waren revolutionäre Töne ",
147  berichtete die Süddeutsche Zeitung. " Schließlich
148  zehren von Kohle und Stahl, dem staatlich bezuschußten
149  Montanbereich, etliche Dutzend reicher Familien, Millionäre
150  und Multimillionäre, die nicht so demonstrativ im Jet-Set
151  leben wie Arndt von Bohlen, sondern ihr Geld auf solidere Weise
152  verpulvern. Der Thyssenstahlwerker in Duisburg-Hamborn weiß
153  wenig oder nichts von seiner Mehrheitsaktionärin Gräfin Anita
154  Amelia Thyssen de Zichy, die im fernen Buenos Aires mit ihrer
155  Familie von den an der Ruhr erarbeiteten Dividenden lebt. Die
156  Stahlkocher und Kumpel des Gutehoffnungshütte Aktienvereins
157  ahnen höchstens, wie ihre Arbeit, teils vom Steuerzahler
158  subventioniert, Müßiggang und süßes Nichtstun in der
159  weitverzweigten Sippe der Gründerfamilie Haniel gestattet. "
160  Arndt von Bohlen sah denn auch keinen Anlaß, auf seinen Teil
161  seiner Apanage zu verzichten und ließ durch seine Anwälte damit
162  drohen, daß er notfalls seinen Erbverzicht rückgängig machen
163  werde. Durch seinen Verzicht, so ließ man vernehmen, habe
164  Arndt von Bohlen es ermöglicht, " daß der Öffentlichkeit ein
165  großes Vermögen zu gemeinützigen Zwecken zur Verfugung gestellt "
166  werde. Es sei demnach grober Undank, wenn man Arndt das
167  süße Leben in München und an der Riviera mißgönne, mußte
168  man aus solchen Sätzen schließen. Davon, daß dieses große
169  Vermögen damals ernsthaft gefährdet war und nur durch eine große
170  öffentliche Stützungsaktion gerettet werden konnte (für die der
171  Steuerzahler geradestehen durfte), war in diesem Zusammenhang
172  natürlich nicht die Rede. Um einen langen Rechtsstreit zu
173  vermeiden und den Eintritt der Zeche Rossenray in die
174  Einheitsgesellschaft nicht zu gefährden, tüftelte man
175  schließlich eine Lösung aus, nach der das Geld nicht mehr direkt,
176  sondern auf dem Umweg über die Krupp GmbH an den abgedankten
177  Industriefürsten fließt. An den tatsächlichen Verhältnissen
178  änderte sich dadurch gar nichts. Arndt von Bohlen darf weiter mit
179  den Millionen spielen, die ihm der Verkauf staatlich
180  subventionierter Kohle einbringt. Ein Erbprinz, auch wenn er
181  abgedankt hat, muß weiter standesgemäß leben können. So wie
182  der Sohn des letzten Krupp hat auch mancher andere Familienclan an
183  der ihm zugefallenen Unternehmenspfründe nur noch das eine
184  Interesse, soviel Geld wie möglich aus der Firma zu ziehen.
185  Selbst wenn man nicht regieren will oder kann, will man doch
186  verdienen. Dieser Wunsch, der auch die meisten kleinen
187  Aktionäre beseelt, ist an sich durchaus ligitim, hat im Fall von
188  Familienunternehmen aber in der Regel fatale Folgen. Denn hier
189  ist meist kein mächtiger Vorstand und Aufsichtsrat, der die
190  Kapitaleigner bei ihren Entnahmen im Interesse der Firma bremst.
191  " Manche Kommanditisten halten ihr Unternehmen für einen
192  Mehlsack; diesen kann man bekanntlich noch nach hundert Jahren
193  ausstauben, und immer noch kommt Mehl heraus ", schreibt die
194  Interfinanz GmbH in ihrem Geschäftsbericht 1969. Diese
195  Unternehmensmakler-Firma, die auf Grund ihrer Tätigkeit
196  über reiche Erfahrungen mit Firmen im Familienbesitz verfügt,
197  glaubt, daß nur eine verstärkte Umwandlung dieser Unternehmen in
198  Aktiengesellschaften eine Auszehrung von Firmen durch ihre nicht
199  arbeitende Teilhaber verhindern könne. Und wenn die Familie
200  versagt?. Das Haus Neuerburg beispielsweise war einmal ein
201  erfolgreiches Familienunternehmen, das auf dem Zigarettenmarkt
202  eine bedeutende Rolle spielte. Anfang der dreißiger Jahre
203  rauchte jeder vierte Deutsche die Glimmstengel aus den
204  Manufakturen der Neuerburgs. Dann taten sich die Kölner mit
205  Deutschlands führender Tabakdynastie, der Familie Reemtsma
206  zusammen. Gemeinsam beherrschten sie den Markt zu über achtzig
207  Prozent (heute noch stammt etwa jede zweite Zigarette, die in der
208  Bundesrepublik geraucht wird, aus dem Haus Reemtsma). Nach dem
209  Krieg mußten sich die Nikotingiganten wieder trennen. Auch nach
210  der Entflechtung von 1952 beherrschte die Familie Neuerburg mit
211  ihren Zigaretten immerhin noch 16 Prozent des deutschen Markts.
212  Das Unternehmen kam aber zu spät mit der Filterzigarette auf den
213  Markt - zwei Jahre nach ihren großen Konkurrenten -, und
214  konnte deswegen nicht auf der Gesundheitswelle mitreiten. Mitte
215  der fünfziger Jahre starb der Familienchef Heinrich Neuerburg.
216  Fortan teilten sich sein Sohn Paul und dessen Vettern Gottfried
217  und Helmut Neuerburg die Geschäftsführung. " Doch die
218  Cousins verstanden mehr vom Golfspiel als vom harten
219  Zigarettengeschäft ", urteilte das Wirtschaftsmagazin
220  Capital. " Zudem begann der Epigonenkampf: Die Neuerburg
221  -Familie (damals acht Gesellschafter) zog lieber Gewinne aus
222  dem Unternehmen und investierte zuwenig. " Mit Marktanteil und
223  Umsatz ging es steil bergab, die Parademarke der Firma, die
224  " Overstolz "-Zigarette sank zur Bedeutungslosigkeit herab,
225  die Filterzigarette " Güldenring ", mit der die Neuerburgs dem
226  Raucher ebenfalls " Genuß ohne Reue " hatten verschaffen wollen,
227  konnte ihnen auch nicht mehr die Gunst der Verbraucher
228  zurückerobern. Anfang der sechziger Jahre war es dann soweit:
229  Die Familie sah nur noch in einem Verkauf an einen
230  kapitalkräftigen US-Konzern die Rettung. Amerikas
231  führender Zigarettenproduzent, die Reynolds Tobacco Company,
232  übernahm zunächst 51, später 90 Prozent des Kapitals und begann,
233  das Unternehmen nach amerikanischer Methode, aber ohne
234  Rücksicht auf die Wünsche und Gewohnheiten der deutschen
235  Raucher umzukrempeln. Die meisten noch verbliebenen
236  Familienmitglieder wurden nach und nach aus der Geschäftsführung
237  gedrängt, aber der Erfolg wollte sich dennoch nicht mehr
238  einstellen. Mit riesigen Werbeaufwand wurde die Mentholzigarette
239  Reyno zwar zu einer der bekanntesten Marken in der Bundesrepublik
240  gemacht, aber nur wenige Deutsche mochten die Pfefferminzzigarette
241  rauchen. So konnte sich die einst bedeutende Firma trotz
242  amerikanischer Kapitalhilfe jahrelang nicht von der Mißwirtschaft
243  der unfähigen Erben erholen. Natürlich läßt sich nachträglich
244  nicht mehr nachweisen, daß dieser Niedergang von einem nicht nach
245  der familiären Erbfolge, sondern nach objektiven Gesichtspunkten
246  ausgewählten fähigen Management hätte aufgehalten werden können.
247  Die Chancen wären aber mit Sicherheit höher gewesen. Erst
248  Anfang der siebziger Jahre gelang es dem Haus Neuerburg und
249  seinem US-Management, mit der " Camel "-Zigarette
250  wieder Marktanteile zurückzugewinnen. Diese Marke war den
251  Deutschen noch aus der Nachkriegszeit vertraut, aus den Jahren
252  der Zigarettenwährung, als für eine " Stange Amis " noch fast
253  alles zu haben war. Vetternwirtschaft und überhöhte
254  Entnahmen. Familienunternehmen müssen eben wie eine
255  Aktiengesellschaft geführt werden, wenn sie überleben wollen.
256  Das zeigte sich auch sehr deutlich bei den Rollei-Werken, der
257  weltberühmten Kamerafabrik in Braunschweig, die in eine sehr
258  ähnliche Situation wie das Haus Neuerburg geraten war. Bis 1957
259  hatte sich das Unternehmen auf dem Erfolg der von ihm selbst
260  entwickelten zweiäugigen Spiegelreflexkamera ausgeruht, die
261  schließlich in sieben Ländern in 44 Versionen nachgebaut wurde.
262  1963 aber mußte die Firma bei einem Gesellschaftskapital von 8
263  Millionen Mark rund 10 Millionen Mark Verlust ausweisen, ein
264  Viertel davon war allein im Jahre 1963 angefallen. In den
265  Schubladen und auf den Reißbrettern war kaum eine brauchbare
266  Neuentwicklung zu finden. Die Familie, die das Unternehmen
267  führte, hatte sich über die Marktentwicklung keinerlei Gedanken
268  gemacht und nicht begriffen, daß es mit zunehmender Sättigung auf
269  dem Photomarkt immer schwerer werden würde, die
270  Verbraucherwünsche zu erfüllen. Nicht einmal als die
271  benachbarten Voigtländer-Werke in Schwierigkeiten gerieten,
272  wurde dies als Warnung aufgefaßt. Nur einer aus dem Familienclan,
273  der Aufsichtsratsvorsitzende Erich Meyerhoff, erkannte die
274  tödliche Gefahr und setzte schließlich durch, daß die Führung
275  der Geschäfte einem erfahrenen Manager anvertraut wurde.

Zum Anfang dieser Seite