Quelle Nummer 110
Rubrik 17 : ASTRONOMIE Unterrubrik 17.00 : ASTRONOMIE
ASTRONOMIE (POPULAER)
HEINZ HABER
BRUEDER IM ALL
DVA STUTTGART 1970, S.103-109
DIE MOEGLIHKEIT DES LEBENS AUF FREMDEN WELTEN,
UNTERSUCHT UND VERSTAENDLICH DARGESTELLT.
001 besitzen wir einen ansehnlichen Schatz von Erkenntnissen über die
002 besitzen wir eine ansehnlichen Schatz von Erkenntnissen über die
003 chemische Natur des Planetensystems, über die physikalischen
004 Kräfte, die es beherrschen, und über das Wesen des Lebens.
005 Daher ist die Frage nach der Möglichkeit des Lebens auf den
006 Schwesterwelten der Erde keineswegs mehr ein so müßiges
007 Unterfangen, wie es früher war. In einer gewissen Weise ist
008 eine Antwort auf diese Frage dadurch leichter geworden. Das
009 Problem hat sich andererseits auch sehr erschwert durch die
010 Erkenntnis, daß das Leben materiell so hoch organisiert ist,
011 daß man es in seinen Einzelheiten nur ahnen und keineswegs schon
012 überschauen kann. Erschwert hat sich dadurch auch die Vorstellung,
013 daß das Leben auf einem Planeten durch Urzeugung entstehen
014 könne. Auf unserer Erde ist ein solcher Vorgang immerhin noch
015 denkbar. Bevor wir uns daher nach dem Leben auf den anderen
016 Planeten in unserem Sonnensystem auf die Suche machen, sollten
017 wir bei diesen Schwierigkeiten noch etwas verweilen. Die nun
018 folgenden Betrachtungen werden uns sehr dienlich sein, da sie unser
019 Urteil uber die mögliche Belebtheit unserer Schwesterwelten
020 festigen. Unter Urzeugung versteht man jenen Vorgang, bei dem
021 sich ein fortpflanzungsfähiges Lebewesen in einer geeigneten
022 Umgebung im Laufe der Zeit durch das Zusammenspiel physikalischer
023 und chemischer Kräfte von selbst bildet. Bereits im vorigen
024 Jahrhundert hat Charles Darwin seine berühmte Abstammungslehre
025 aufgestellt, die seitdem zu den bedeutendsten Erkenntnissen in der
026 Biologie zählt. Nach dieser Lehre war es lediglich notwendig,
027 daß bei der Urzeugung nur ein einziges Mal eine winzige
028 fortpflanzungsfähige Zelle entstand. Unsere heutigen biologischen
029 Erkenntnisse erlauben uns dann durchaus die Vorstellung, daß sich
030 im weiteren Entwicklungsgang durch die Jahrmillionen als Folge von
031 Mutationen und Auslese alle heutigen Lebewesen einschließlich des
032 Menschen gebildet haben. Zuvor hatten wir ausführlich geschildert,
033 daß wir die Anfänge der Bildung organischer Moleküle im
034 Urozean der Erde vor Milliarden von Jahren nicht nur verstehen
035 können; wir können sie sogar künstlich im Laboratorium
036 nachahmen. Dazu muß man lediglich ein künstliches Urmeer in der
037 Retorte zusammenstellen, das jene Stoffe enthält, die damals in
038 der Atmosphäre der Erde reichlich vorhanden waren - Methan,
039 Ammoniak, Kohlendioxyd und Zyan. Bringt man dann elektrische
040 Entladungen oder Bestrahlungen zur Anwendung, wie sie in der
041 Urzeit durch Blitzschläge ins Meer oder durch die
042 Radioaktivität der Erdkruste reichlich geliefert wurden, so
043 entstehen die einfacheren organischen Moleküle, aus denen sich die
044 Körper der Lebewesen aufbauen. Ja sogar Anfänge der für die
045 Lebenssubstanz so typischen Kettenbildung von Aminosäuren haben
046 sich bei diesen Experimenten ergeben. An dem natürlichen Aufbau
047 komplexer Moleküle - wenn auch nur in bescheidenem Umfang -
048 durch die Physik und die Chemie der Urerde läßt sich heute nicht
049 mehr zweifeln. Nun war es allerdings bestimmt noch ein sehr weiter
050 und wohl auch sehr verschlungener Weg der Entwicklung von den
051 ersten primitiven Ketten von Aminosäuren bis zu einer
052 hochorganisierten, fortpflanzungsfähigen Zelle mit der ganzen
053 Mannigfaltigkeit ihres Stoffwechsels. Dieser Weg ist keineswegs
054 kürzer gewesen als die gesamte Länge der Entwicklungsbahn von
055 jener Zelle bis zu den höchstentwickelten Tieren oder sogar bis
056 zum Menschen. Den Gang von der ersten Zelle bis zum Menschen
057 können wir freilich nicht in allen Einzelheiten verfolgen. Wir
058 können ihn uns jedoch zumindest vorstellen, da diese Entwicklung
059 nach biologischen Gesetzen erfolgt sein kann, die wir kennen. Es
060 ist aber noch eine gewaltige Lücke, die in unserem Verständnis
061 des gesamten Entwicklungsganges zwischen den einfachsten organischen
062 Molekühlen und der ersten Zelle klafft. Auf diese Lücke haben
063 schon viele hingewiesen, die an die Urzeugung nicht zu glauben
064 vermögen. Dazu hat uns kürzlich ein Leser ein scheinbar sehr
065 treffendes Beispiel geschrieben: Man stelle sich einen
066 Schutthaufen vor, auf dem eine große Zahl von ausgedienten
067 Haushaltgeräten - darunter auch Radios, Toaster,
068 Kühlschränke, Tonbandgeräte und Elektroherde - gestapelt
069 sind. Auch wenn man Jahrmillionen wartet, so kann man wohl kaum
070 damit rechnen, daß aus diesem Schutthaufen von selbst schließlich
071 ein so hochkompliziertes Gerät wie ein Farbfernseher entsteht.
072 Gewiß, auf diesem Schutthaufen befinden sich alle Stoffe, die
073 beim Bau eines Farbfernsehgerätes benötigt werden: Eisen,
074 Aluminium, Kupfer und Zinn, Glas, Kunststoffe und Farbe und
075 sogar auch Spuren des Metalles Germanium, das in den modernen
076 Transistoren verwendet wird. Es ist bestimmt richtig, daß man
077 trotzdem wohl vergebens auf die Urzeugung eines Farbfernsehgerätes
078 in einem solchen Schutthaufen warten würde. Wie viele Beispiele
079 hinkt auch dieses, so treffend es auf den ersten Blick zu sein
080 scheint. Da ist zunächst einmal die sogenannte Katalyse, eine
081 Erscheinung, die beim Ablauf chemischer Vorgänge eine ganz
082 entscheidende Rolle spielt. Was ist das? Unter einem
083 Katalysator versteht man eine Substanz, die die Geschwindigkeit
084 chemischer Prozesse, die in einer bestimmten Richtung ablaufen
085 sollen, ganz erheblich steigert. Ein Katalysator spielt bei
086 diesen Prozessen nur die Rolle eines Zwischenträgers. Wenn die
087 Reaktion abgelaufen ist, wird er wieder in seine ursprüngliche
088 Form zurückverwandelt, so daß er seine Rolle immer wieder von
089 neuem spielen kann. Diese Wirkungsweise eines Katalysators ist so
090 wichtig, daß ohne sie die Lebensvorgänge überhaupt nicht
091 vorstellbar wären. Lebewesen nutzen diese Erscheinung praktisch
092 bei jedem chemischen Umsatz ihres komplizierten Stoffwechsels.
093 Katalysatoren, die in lebenden Organismen wirken, hat man einen
094 besonderen Namen gegeben: man nennt sie Enzyme. Ein großer
095 Teil der Arbeit der Biochemiker der letzten Jahrzehnte war darauf
096 gerichtet, wenigstens einige der unzähligen Enzyme, die in den
097 Zellen von Lebewesen dauernd am Werke sind, zu identifizieren.
098 In jedem einzelnen Fall hat man festgestellt, daß sie beim
099 Aufbau - und auch beim Abbau - der riesigen verschiedenartigen
100 Proteinmoliküle eine Schlüsselrolle spielen. So kennen wir
101 heute viele solcher Proteinmoleküle, die ohne die Anwesenheit
102 eines ganz bestimmten, spezifischen Enzyms vom Körper eines
103 Lebewesens nicht hergestellt oder abgebaut werden können.
104 Vielleicht sollten wir uns für die Wirkungsweise eines Enzyms ein
105 Beispiel ausdenken. Auf einer Kegelbahn ist es nach jedem Spiel
106 ein etwas mühseliges Geschäft, die umgeworfenen Kegel wieder
107 geordnet aufzusetllen. Aus diesem Grunde hat man dafür schon
108 immer Kegelbuben beschäftigt. Wollte man diesen Aufbau
109 mechanisieren, so könnte man zwei Wege gehen. Man könnte die
110 Plattform, auf der die Kegel aufgestellt sind, auf Federn
111 montieren und sie mit einer mechanischen Rüttelmaschine in
112 schaukelnde Bewegung versetzen. Dadurch werden die Kegel hin und
113 her gewürfelt, und es könnte durchaus der Fall sein, daß sie
114 durch diese rastlose Bewegung alle zufällig einmal in der richtigen
115 Position zum Stand kommen. Das ist allerdings so unwahrscheinlich,
116 daß noch niemand auf die Idee gekommen ist, die Kegel etwa auf
117 diese Weise mechanisch aufzustellen. Eine Kegelbahn, die mit
118 einer solchen Ausrüstung bestückt wäre, würde sich vermutlich
119 nur für ein einziges Spiel pro Abend eignen. Das war wohl die
120 Idee des Beispiels mit dem Farbfernsehgerät. Mechanische
121 Vorrichtungen zur Aufstellung von Kegeln sind natürlich völlig
122 anders konstruiert. Nachdem die Kegel gefallen sind, werden sie
123 von einem Raster, das entsprechend dem Muster der Aufstellung
124 gebaut ist, erfaßt und in kürzester Zeit in der richtigen
125 Position aufgestellt. Dieses Raster nun entspricht in einer
126 gewissen Weise einem Enzym. Aus dem wirren Gemisch von
127 einfacheren organischen Bausteinen im Innern einer Zelle holt sich
128 das Enzym, das auch eine Art Raster besitzt, diejenigen heraus,
129 die zu einem geordneten Proteinmolekül zusammen gefügt werden
130 sollen. Jetzt verstehen wir auch, weshalb Enzyme so spezifisch
131 sind, das heißt, daß zum Aufbau oder Abbau eines jeden
132 Proteinmolekül auch ein bestimmt geformtes Enzym gehört. Dieses
133 Verfahren, das die Natur offenbar schon in grauer Vorzeit
134 erfunden hat, hat zudem noch den Vorteil, daß die
135 Proteinmoleküle praktisch immer fehlerlos zusammengestellt werden.
136 Auch eine Maschine zum aufstellen von Kegeln ist so gebaut, daß
137 sie immer wieder dasselbe Muster in der Position der Kegel
138 fehlerlos herstellt. Zudem hat diese Erfindung noch den Vorteil,
139 daß sie sehr schnell zum Ziel führt und aus dem Wirrwarr in
140 kürzester Zeit Ordnung schafft. Die Enzyme sind in der Tat
141 zauberhafte Substanzen, welche die chemischen Prozesse im Innern
142 einer Zelle ganz gezielt und sehr schnell in eine bestimmte
143 Richtung vorantreiben. Wenn man also die Wirkungsweise der
144 Enzyme ins Auge faßt, dann erscheint jene Lücke, von der wir
145 gesprochen haben, nicht mehr ganz so groß; das Beispiel mit dem
146 Farbfernsehgerät hat nun schon etwas an Überzeugungskraft
147 verloren. Dann muß noch eine zweite Erscheinung bedacht werden:
148 die Auslese, jene brillante Erkenntnis von Darwin.Wenn sich bei
149 den langwierigen Prozessen der Urzeugung vielleicht einmal ein
150 bestimmtes Enzym gebildet hat, dann ist jene Molekülgruppe, die
151 es sich angeeignet hat, allen anderen gegenüber weit im Vorteil.
152 Diese Molekülgruppe ist dann im Besitz eines Verfahrens, das
153 ihr eine sehr viel schnellere und erfolgreichere Vermehrung im
154 Vergleich zu den anderen sichert. Schon zuvor hatten wir einmal
155 erwähnt, daß die wichtigste Zutat im Rezept des Lebens die
156 Zeit ist. Es standen ja Hunderte von Millionen von Jahren zur
157 Verfügung, in denen weitere Enzyme entstehen konnten. Die
158 inzwischen bereits weit vorgeprellte Molekülgruppe hatte dann auch
159 die größte Chance, sich diese neuen Enzyme anzueignen, ja
160 weitere vielleicht sogar selbst herzustellen. Jetzt verstehen wir
161 auch, daß das Beispiel mit dem Farbfernsehempfänger sogar
162 völlig falsch ist. Auf einem Schutthaufen wird im Laufe der
163 Zeit nur abgebaut; organische Moleküle, bewaffnet mit der
164 Erfindung der Enzyme und unterstützt durch die Kraft des
165 Ausleseprinzips, bauen auf. Alle diese Überlegungen helfen uns
166 zu verstehen, daß die gewaltige Kluft zwischen den noch unbelebten
167 organischen Molekülen und der ersten fortpflanzungsfähigen Zelle
168 im Laufe der Jahrmillionen durchaus überbrückt werden konnte.
169 Alle diese Betrachtungen mußten wir noch anstellen, bevor wir uns
170 auf die Suche nach Leben auf den Schwesterwelten der Erde in
171 unserem Sonnensystem begeben konnten. Andernfalls wären solche
172 Betrachtungen wohl bloße Spekulationen; sie sind auch so schon
173 gewagt. Dabei wollen wir uns unter Eben diejenigen Formen der
174 Materie vorstellen, die wir von irdischen Lebewesen her kennen.
175 Wir wollen also Lebensformen nachspüren, deren Hauptbestandteile
176 Proteine und Nukleinsäuren sind. Zu den Lebenssubstanzen
177 allerdings können wir auch noch langkettige Kohlenwasserstoffe -
178 wie die Fette - oder auch Kettenmoleküle aus Zucker - wie
179 etwa Zellulose - zählen. Damit der Entwicklungsgang des
180 Lebens auch auf anderen Planeten seinen Gang genommen haben
181 könnte, müßten wir in erster Linie eine entsprechend milde
182 Temperatur fordern. Wir haben ja gesehen, daß diese diffizilen
183 Bausteine der Lebenssubstanz bei hohen Temperaturen zerfallen;
184 umgekehrt, bei tiefen Temperaturen werden die für das Leben
185 erforderlichen chemischen Reaktionen so verlangsamt, daß es nicht
186 gedeihen und noch weniger entstehen kann. Sodann muß ein
187 Himmelskörper als Anwärter für das Leben bestimmt eine
188 Atmosphäre und wohl auch ein Weltmeer besitzen. Mit dieser
189 Liste von Forderungen wollen wir jetzt das Planetensystem
190 durchstreifen. So können wir im ersten Anlauf bereits den Mond
191 als Träger des Lebens ausscheiden. Er ist zu klein, um eine
192 Atmosphäre zu halten, von einem Weltmeer ganz zu schweigen.
193 Schon die ersten unbemannten Instrumententräger, die man auf dem
194 Monde abgesetzt hatte, hatten diese Vorstellungen über die Natur
195 unseres Mondes bestätigt. Auch die ersten Astronauten, die auf
196 dem Monde landeten, fanden eine staubtrockene, atmosphärelose
197 Wüste vor, wie man ja nach allem zu erwarten hatte. Es ließ
198 sich bei den ersten Landungen allerdings noch nicht endgültig
199 entscheiden, ob es auf dem Monde, und zwar in tieferen Schichten,
200 nicht vielleicht doch auch Wasser gibt. Einige Wissenschaftler
201 vermuten, daß es auf dem Monde unterirdische Eisschichten geben
202 könne, die allerdings dem Leben kaum eine Existenzmöglichkeit
203 bieten würde, selbst wenn es sie gäbe. Auch der innerste Planet
204 unseres Sonnensystems, Merkur, kann keineswegs als Kandidat für
205 das Leben angesehen werden. Sein Durchmesser beträgt knapp 5000
206 Kilometer; er ist damit nur etwa um tausend Kilometer größer
207 als unser Mond. Diese Größe reicht ebenfalls nicht aus, um
208 Atmosphärengase daran zu hindern, sich in kurzer Zeit ins
209 Weltall zu zerstreuen. Auch auf dem Merkur gibt es aus diesem
210 Grunde kein freies Wasser. Hinzu kommt, daß er der Sonne sehr
211 nahe steht, so daß die Temperatur auf seiner Oberfläche, die
212 von der Sonne bestrahlt wird, 500 Grad oder mehr übersteigt.
213 Auf einem so unwirtlichen Planeten besteht für das Leben keine
214 Chance. Als nächstes wollen wir die äußeren Planeten unseres
215 Systems besuchen, und zwar die Riesen Jupiter, Saturn, Uranus
216 und Neptun. Diese können wir bei unserer Betrachtung in einer
217 Gruppe zusammenfassen, da sie sich von den inneren Planeten -
218 Merkur, Venus, Erde und Mars, den sogenannten terrestrischen
219 Planeten - in zweierlei Hinsicht deutlich unterscheiden.
220 Zunächst einmal sind sie sehr viel weiter von der Sonne entfernt,
221 so daß in ihren Atmosphären sehr niedrige Temperaturen herrschen.
222 Man hat Kältegrade zwischen 100 und 200 Grad Celsius unter
223 Null auf ihnen gemessen. Schon aus Gründen der Temperatur daher
224 müssen wir den Schluß ziehen, daß irdische Lebensformen auf
225 ihnen nicht zu erwarten sind. Zum zweiten sind diese Planeten
226 riesengroß. So sind Jupiter 318mal, Saturn fast 100mal, Urnus
227 und Neptun etwa 15mal massereicher als die Erde. Sie haben daher
228 in ihrer Entwicklung eine völlig andere Geschichte gehabt als die
229 Erde.
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