Quelle Nummer 101
Rubrik 13 : GESCHICHTE Unterrubrik 13.04 : ALLGEMEINE
HEINRICH BRUENING (MEMOIREN)
MEMOIREN 1918-1934, S.226-232
STUTTGART 1970, DT. VERLAGSANSTALT
001 Die politische Lage für das Kabinett war damals sehr
002 schwierig. Eine weniger vorsichtig abgewogene Erklärung
003 meinerseits würde einen größeren Erfolg in der Innenpolitik
004 haben, konnte aber vielleicht sogar einen neuen Run der
005 Auslandsgläubiger auf die deutschen Banken mit nachfolgendem
006 Zusammenbruch der Banken herbeiführen, den zu überwinden ich
007 mich damals psychologisch, politisch und diplomatisch noch nicht
008 stark genug fühlte. Als ich das Reichskanzleramt übernommen
009 hatte, stand ich noch voll unter dem Eindruck der bitteren
010 Erfahrungen von 1928 und 1929. Das plötzliche Abrufen von 2
011 Milliarden RM kurzfristiger Auslandskredite im kritischen
012 Augenblick der Reparationsverhandlungen hatte damals Reichsbank
013 und Reichsregierung in eine Lage gebracht, in der sie zwischen
014 Annahme des Young-Plans und einem schon damals drohenden
015 Zusammenbruch der Banken zu wählen hatten. Daher war es mir
016 mindestens zweifelhaft, ob, falls nicht unerwartete Glücksfälle
017 eintreten würden, die deutschen Banken nach erneuter Aufrollung
018 des Reparationsproblems einen neuen Run vom Ausland aushalten
019 konnten. Eine solche Gefahr konnte nicht überwunden werden ohne
020 vorhergehende Stärkung der öffentlichen Finanzen durch drastische
021 Maßnahmen, da nur so den Gläubigern der Banken eine
022 ausreichende Sicherheit geschaffen werden konnte. Ich fürchtete
023 auch aus anderen Gründen eine Bankenkrise, die unter keinen
024 Umständen ausbrechen durfte, ehe die Kassenlage des Reiches so
025 weit geordnet war, daß wir ohne ausländische Hilfe mit dem
026 gefestigten kredit des Reiches auch den Kredit der Banken retten
027 konnten. Jede Andeutung seitens der Regierung, die eine zu
028 frühe öffentliche Diskussion über die Unfähigkeit Deutschlands,
029 weitere Reparationen zu zahlen oder zu transferieren, hervorrief,
030 hätte für wenige Wochen Jubel im deutschen Volke erzeugen
031 können, aber in nicht viel längerer Frist wäre Deutschland zur
032 politischen Kapitulation vor Frankreich und vielleicht auch vor
033 anderen Reparationsgläubigern gezwungen worden. Schon damals war
034 es unverständlich, daß fast niemand in der Wirtschaft, den
035 Banken, der Politik und den Ministerien erkannte, daß unsere
036 übermäßige auslandsverschuldung, die Schacht erst zu spät und
037 mit zu radikalen Mitteln einzuschränken versuchte, uns in eine,
038 in manchen Beziehungen viel schwierigere Situation hineinbringen
039 würde als manche Einzelbedingungen des Young-Plans selbst.
040 Außenpolitisch war die übermäßig hohe kurzfristige Verschuldung
041 Deutschlands noch bedenklicher als finanzpolitisch. Trotz Locarno
042 und anderer Sicherungen, die die deutsche Außenpolitik seit dem
043 Dawes-Plan geschaffen hatte, blieb jede außenpolitische
044 Initiative Deutschlands riskant, da durch Zurückziehung der
045 hohen kurzfristigen Auslandsgelder Deutschland immer wieder zum
046 Nachgeben gezwungen werden konnte, vor allem Frankreich gegenüber.
047 Ich kannte sehr wenige Persönlichkeiten, die sich darüber
048 überhaupt Gedanken machten. Der damals in allen Ländern
049 verbreitete Optimismus in bezug auf die Möglichkeit einer
050 fortschreitenden Kommerzialisierung der deutschen
051 Reparationsschulden ist wohl die einzige Erklärung für diese
052 Tatsache. Bis 1929 übersah man völlig, daß sich seit dem
053 Kriege eine fundamentale Änderung in der Bankenpolitik vollzogen
054 hatte, mit Ausnahme von den USA, England und, auf dem
055 Kontinent, Frankreich. Eine der wenigen deutschen Zeitungen,
056 die ähnlich wie der Londoner " Economist " auf die fundamentale
057 Änderung hinwies, die der Gold-Exchange-Standard für
058 die internationalen Kreditbeziehungen nach dem Kriege
059 herbeigeführt hatte, war die " Frankfurter Zeitung ", deren
060 wirtschaftlichen Teil ich täglich las, trotz der Antipathie gegen
061 den politischen Teil. Ich erinnere mich lebhaft häufiger
062 Unterhaltungen mit Hilferding über Aufsätze des " Economist "
063 und der " Frankfurter Zeitung ". Wir besprachen die Folgen der
064 internationalen Kreditausweitung infolge der Tatsache, daß die
065 meisten kontinentaleuropäischen Länder Golddevisen zusätzlich
066 zum Gold als Deckung benutzten und daß fortschreitend Notenbanken
067 in Ländern, die sich zum reinen Goldstandard bekannten, sich an
068 der Erwerbung von Golddevisen beteiligten - mit dem Ergebnis,
069 daß dadurch beim Ausbruch einer Panik in einem Lande
070 Krisenerscheinungen sich sehr viel schneller auf die ganze Welt
071 ausdehnen würden als vor 1914. Ebenso klar war, daß, wegen der
072 zu niedrigen Stabilisierung des französischen Franc durch
073 Poincar‚, Frankreich zum Herrscher des internationalen
074 Geldmarktes werden würde, solange wenigstens, als es nicht gelang,
075 die deutschen Reparationszahlungen an Frankreich, die über
076 Frankreichs Kriegsschulden an seine Alliierten hinausgingen,
077 ausschließlich in Form von Sachleistungen durchzuführen. Als
078 ich einige Zeit im Amte war, wurde mir bis zu einem gewissen
079 Grade, aber leider noch nicht genügend, klar, daß der neue
080 Staatssekretär des Reichsfinanzministeriums diese Entwicklung
081 nicht nur als selbstverständlich hinnahm, sondern auch als
082 Grundlage unserer eigenen FinanzPolitik und
083 Reparationspolitik fast begrüßte. Ich war Staatssekretär
084 Schäffer außerordentlich dankbar, daß er in enger Verbindung
085 mit andern Herren des Finanzministeriums und der Reichsbank und
086 vor allem mit Finanzminister Dietrich sein Hauptaugenmerk darauf
087 richtete, durch langfristige Disponierung die ständigen Krisen in
088 der Kassenlage des Reiches zu vermeiden, die seit 1926 zu
089 wiederholten finanziellen und vor allem parlamentarischen
090 Schwierigkeiten, manchmal sogar zu Kabinettskrisen, geführt
091 hatten. Die Staatssekretär Schäffer zu dankende vorsichtige
092 Finanzpolitik und Kassenpolitik und die Aussicht, einen
093 den Wünschen der Regierung entsprechenden Etat auf normalem
094 parlamentarischem Wege zur Annahme zu bringen, führten zu einer
095 bedenklich überoptimistischen Stimmung. Ich hielt es deshalb für
096 notwendig, einige Minister und ihre höheren Beamten über meine
097 Finanzsorgen vertraulich aufzuklären. An der Besprechung nahmen
098 auch die leitenden Beamten des Finanzministeriums, des
099 Auswärtigen Amtes und des Reichswehrministeriums teil. Als ich
100 ihnen erklärte, daß wir, nach meiner Beurteilung der
101 finanziellen und wirtschaftlichen Lage, gezwungen sein würden,
102 spätestens im Mai eine Initiative in bezug auf die Weiterzahlung
103 der Reparationen zu entwickeln, entstand betroffenes Schweigen.
104 Zwar fehlte Bülow nicht der Mut zu einer außenpolitischen
105 Initiative, aber seine Gedanken bewegten sich mehr in Richtung
106 der Aufnahme von Verhandlungen mit der Tschechoslowakei und
107 Österreich sowie den anderen Donaustaaten zwecks Herabsetzung der
108 Einfuhrzölle, wie wir dies im juli 1930 besprochen hatten, als er
109 in den Akten des Auswärtigen Amtes das zwischen Reichskanzler
110 Hermann Müller und Bundeskanzler Schober vereinbarte Protokoll
111 fand, in dem sich Deutschland zu Unterhaltungen mit Österreich
112 zwecks einer Zollangleichung verpflichtete. Ministerialdirektor
113 Ritter ließ deutlich erkennen, daß er ein Anschneiden des
114 Reparationsproblems in diesem Zeitpunkt für undenkbar halte. Die
115 zum Teil freundliche, zum Teil eisige Ablehnung seitens der
116 leitenden Persönlichkeiten in den Ministerien brachte mich in
117 ungewohnte Erregung. Ich verlangte eine schärfere
118 Zusammenfassung der Arbeit und des Willens zur Durchführung der
119 von mir festgelegten Ziele der Politik. Starke Unterstützung
120 fand ich nur bei Dietrich, Curtius und Admiral Raeder.
121 Nachträglich sah ich, daß meine Darlegungen von Bülow
122 mißverstanden worden waren und er aus diesem Mißverständnis
123 heraus die Verhandlungen mit Österreich in der
124 Zollangleichungsfrage stärker vorantrieb, als mir lieb war und er
125 es selbst beabsichtigt hatte. Immerhin führte diese Aussprache zu
126 einer besseren Zusammenarbeit zwischen den Ministerien. Ich
127 hoffte, vor allem im Reichswehrministerium mehr Verständnis für
128 die Notwendigkeit einer zeitlichen Koordination aller Einzelphasen
129 in der Reparationspolitik und Abrüstungspolitik
130 erzielt zu haben, vor allem weil ich betonte, daß nach
131 menschlicher Voraussicht die beiden Fragen zum gleichen Zeitpunkt
132 zu einer endgültigen Entscheidung heranreifen würden. Daher
133 müsse vermieden werden, daß ein Ministerium eine Vorlage im
134 Kabinett durchzusetzen versuche, bevor die damit zusammenhängenden
135 Probleme von den anderen Ministerien völlig geklärt seien. Eine
136 Wiederholung solcher Besprechungen sei dafür nötig, aber nur
137 dann möglich, wenn ihr Inhalt streng vertraulich bleibe und
138 darüber keine Aufzeichnungen gemacht würden. In diesem
139 Augenblick sah ich in Schleichers Miene ein etwas zynisches
140 Lächeln, das mich stutzig machte. Dieses eigentümliche
141 Lächeln deutete Schleichers Neigung zur Skepsis in allen
142 entscheidenden Augenblicken an; es stand im Gegensatz zu dem
143 jovial forschen Auftreten, das er jeweils zur Schau trug, wenn
144 eine schwere Krise eine glückliche Wendung zu nehmen schien.
145 Trotz der strengsten Vertraulichkeit dieser Unterhaltung sickerten
146 nach acht Tagen einzelne wesentliche Punkte durch. Das
147 Reichswehrministerium schob die Verantwortung für den Bruch der
148 Vertraulichkeit auf Staatsekretär Schäffer vom
149 Finanzministerium, für den aber Pünder auf Grund seiner langen
150 Zusammenarbeit mit ihm auf das stärkste eintrat. Wegen der
151 Unmöglichkeit festzustellen, woher die Indiskretionen kamen,
152 mußte ich auf ähnliche Besprechungen von nun an verzichten und
153 mich selbst in Kabinettsitzungen nur auf Andeutungen über die
154 nächsten von mir geplanten politischen Schritte beschränken.
155 Dies war der Grund, weshalb ich niemanden darüber unterrichtete,
156 als ich Major Archibald Church von der Labour Party bat, mich
157 zu besuchen. Ich hatte ihn und auch Mitglieder der Konservativen
158 Partei gelegentlich des Interparlamentarischen Handelskongresses
159 in London im Jahre 1925 näher kennengelernt und diese Beziehungen
160 weiter ausgebaut, als ich mit Treviranus zusammen auf Einladung
161 mit einer Gruppe von konservativen Abgeordneten mehrere Tage 1927
162 in London politische Aussprachen führte. Das Gespräch mit
163 Major Church fand Anfang Februar statt. Ich besprach mit ihm
164 die Möglichkeit einer englichen Initiative in der
165 Reparationsfrage. Er war verhältnismäßig optimistisch und
166 glaubte bestimmt, MacDonald dafür gewinnen zu können, mich zu
167 einer eingehenden Besprechung nach Chequers einzuladen. Damit
168 begann eine Politik, die keine Frontstellung gegen Frankreich
169 bedeutete, aber die Möglichkeit bot, mit Hilfe Englands einer
170 Verständigung mit Frankreich näherzukommen. (Als später die
171 Einladung nach Chequers wirklich erfolgte, wurde von
172 Rechtskreisen verbreitet, Herbert Gutmann habe diese Einladung
173 vermittelt - wie er sich allerdings auch selbst rühmte -, aber
174 auf Grund eines Versprechens meinerseits, Gutmanns Spielschulden
175 in Höhe von 300000 RM aus Reichsmitteln zu bezahlen. Der
176 Reichspräsident glaubte für einige Tage an diese kindische
177 Verleumdung und schüttelte bekümmert den Kopf.) Nur Bülow
178 und Schäffer wurden über den Plan von Major Church orientiert.
179 Beide waren ablehnend, Bülow, weil er, falls MacDonald
180 ablehnte, einen Prestigeverlust für mich befürchtete. Ich gab
181 deshalb eine Notiz zu den Akten, daß ich Church keinen Auftrag
182 gegeben habe. Am 11.Februar erklärte ich aber Church
183 persönlich, daß ich nichts dagegen einzuwenden hätte, wenn er
184 seinen Plan als eine rein private Angelegenheit betreibe.
185 Gleichzeitig bat ich Botschafter von Neurath, nach Berlin zu
186 kommen, um für den Fall, daß Church irgendeinen Erfolg hatte,
187 die Lage durchzusprechen. Innerhalb von drei Wochen erreichte
188 dann Church, daß MacDonald am 17.März Neurath, der nun
189 darauf vorbereitet war, für mich eine Einladung nach Chequers
190 für Anfang Mai übermittelte. Wesentlich dazu beigetragen haben
191 meine Unterhaltungen im Hause von Herrn von Raumer und in der
192 Reichskanzler mit Sir Phillip Cunliffe-Lister, der auf
193 Veranlassung von Dannie Heinemann nach Berlin gekommen war. Mit
194 Dannie Heinemann hatte ich auf Veranlassung von Bücher und
195 Oliven eingehende Aussprachen über die Reparationen und die
196 Weltwirtschaftslage. Es war eine der glücklichsten Verbindungen
197 für die Entwirrung internationaler wirtschaftlicher
198 Schwierigkeiten, die während meiner ganzen amtlichen Tätigkeit
199 für mich geschaffen wurden. Inzwischen war Botschafter Sackett
200 nicht untätig gewesen. Er arbeitete zähe daran, uns
201 weiterzuhelfen, ohne sich nach außen hin etwas anmerken zu lassen.
202 Sackett bat um eine Darstellung seitens der Reichsbank über die
203 Folgen der Reparationsverpflichtungen Deutschlands für die
204 deutsche Zahlungsbilanz und die Lage des Reichshaushalts, weil er
205 beabsichtige, Anfang Mai nach Washington zu fahren, um Hoover
206 dafür zu gewinnen, die in Stocken geratene Initiative in der
207 Reparationsfrage wieder aufzunehmen. Als einzige unter den
208 Parteiführern wurden Prälat Kaas und Graf Westarp streng
209 vertraulich über diese Vorgänge unterrichtet. Während meines
210 kurzen Osteraufenthaltes in Badenweiler wurden Curtius, Dietrich
211 und Luther über die Einladung nach Chequers informiert mit der
212 Bitte, sich, falls bis Juni keine neue Initative in der
213 Reparationsfrage seitens Präsident Hoovers erfolge, auf eine
214 offene Krise in der Reparationsfrage vorzubereiten. Um
215 katastrophalen Auswirkungen einer solchen Krise vorzubeugen,
216 mußte eine schwierige, rein menschliche Aufgabe gelöst werden.
217 Dr. Schacht mußte in irgendeiner Form vertraulich in unsere
218 reparationspolitischen Gedankengänge eingeweiht werden. Seine von
219 finanztheoretischem Standpunkt aus völlig richtigen Warnungen vor
220 einem baldigen Zusammenbrechen des Young-Plans durften unter
221 keinen Umständen zu einem Run der privaten ausländischen
222 Gläubiger auf Deutschland führen. Ein Run in diesem
223 Augenblicke würde uns außenpolitisch zu einer Kapitulation
224 gezwungen haben. Auf seiner letzten Reise nach den Vereinigten
225 Staaten hatte Dr. Schacht nich nur öffentlich von der
226 Notwendigkeit einer Streichung der Reparationen gesprochen,
227 sondern auch gewisse Andeutungen gemacht, die die Sorge in New
228 York erweckt hatten, daß Deutschland über kurz oder lang seinen
229 langfristigen und kurzfristigen privaten
230 Schuldverpflichtungen dem Auslande gegenüber nicht mehr gerecht
231 werden könne. Daraus erwuchsen die größten Schwierigkeiten,
232 denn es gab eine klare Alternative: Entweder mußte die deutsche
233 Regierung fortfahren Reparationen zu zahlen und zu transferieren,
234 um dann ein Moratorium für unsere langfristigen und
235 kurzfristigen Auslandsschulden zu erbitten; oder, was für den
236 dauernden Kredit Deutschlands in der Welt und für die Lösung
237 der verwickelten internationalen Zahlungsprobleme und
238 Handelsprobleme viel günstiger wäre, versuchen, durch die
239 Erreichung eines Moratoriums für die Reparationen mit
240 nachfolgender Streichung pünktlich und peinlich die
241 Schuldverpflichtungen dem Auslande gegenüber zu erfüllen. Das
242 war so klar, daß er einer nachfolgenden Generation unverständlich
243 bleiben muß, daß man darüber im Interesse der Erholung der
244 Weltwirtschaft überhaupt in Zweifel sein konnte. Gewiß mußten
245 wir uns auf alle Fälle auf einen Run der Gläubiger bei
246 kurzfristigen Auslandsschulden einstellen, sobald es ihnen klar
247 wurde, daß der unvermeidliche Zeitpunkt herannahe, in dem wir
248 nicht mehr gleichzeitig unsere Reparationsverpflichtungen und die
249 dem Auslande gegenüber eingegangenen privaten
250 Schuldverpflichtungen erfüllen konnten. Denn nur durch die lang
251 fristigen und kurzfristigen Auslandsanleihen war bislang
252 eine Transferierung der deutschen Reparationszahlungen möglich
253 gewesen. Kam das Einströmen der Darlehen zum Stillstand und
254 wurden sie zurückgezogen, so wurde die Transferierung der
255 Reparationen unmöglich. Das hätte eine deutsche Reichsregierung
256 kühl lassen können, solange der Dawes-Plan in Geltung war.
257 Dann hätte das Problem von Parker Gilbert gelöst werden müssen.
258 Ich hatte mich währenddessen im Schwarzwald ausruhen können.
259 Aber durch die Annahme des Young-Plans war die Verantwortung
260 von Parker Gilbert auf die deutsche Reichsregierung und die
261 deutsche Reichsbank abgewälzt. Die Bedingungen des Young-
262 Plans ermöglichten keine unabhängigen und konstruktiven
263 Lösungsvorschläge seitens der Reichsregierung Diese
264 Bedingungen mußten Wort für Wort genau erfüllt werden, vor
265 allem was die Stabilität des Goldwertes der RM, die
266 Diskontpolitik der Reichsbank und die Möglichkeit einer
267 Diskontierung von Schatzwechseln mittelbar oder unmittelbar durch
268 die Reichsbank zwecks offener Kreditausweitung anging. In der
269 Befürchtung der Folgen dieser Bedingungen gab es keine
270 Meinungsverschiedenheit zwischen Hugenberg, einzelnen anderen
271 vorausschauenden Gegnern des Young-Plans in den
272 verantwortlichen Parteien und mir. Sicherlich hat ein so
273 hervorragender Bankfachmann wie Dr. Schacht diese Bedenken
274 geteilt. Aber er hatte dem Young-Plan zugestimmt und war dann
275 im letzten Augenblick skeptisch geworden. Hätte Schacht seine
276 Unterschrift verweigert, wozu er schon während seines kurzen
277 Besuches in Berlin in den letzten Phasen der Pariser
278 Verhandlungen über den Young-Plan geneigt schien - auf
279 meine Veranlassung waren der Führer meiner Partei und die
280 Zentrumsmitglieder im Kabinett bereit, ihn dabei zu ermuntern -,
281 so wäre die finanzielle und politische Entwicklung nicht nur in
282 Deutschland eine völlig andere geworden.
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