Quelle Nummer 077

Rubrik 08 : GESELLSCHAFT   Unterrubrik 08.12 : VERBRECHEN

VERBRECHEN (NEUE REVUE)
DIETER ABHOLTE: MITTEN IN DEUTSCHLAND, DER LUST-
MOERDER, DER LIEBENDE FRAUEN JAGT, S.15
ANONYMUS: IM BLUTRAUSCH TOETETE ER DREI MENSCHEN,
S.30
ANOYMUS: VON DEN EIGENEN ELTERN WIE EIN KETTENHUND
GEQUAELT, S.62
FRIEDHELM WERREMEIER: DAS MAEDCHEN, DAS DIE POLIZEI


001  Mitten in Deutschland Der Lustmörder, der liebende
002  Frauen jagt. Ein brutaler Verbrecher lauert nachts auf
003  einsame Liebespaare. Er schießt die Männer zusammen und
004  vergewaltigt ihre Freundinnen. Vierzehn junge Menschen fielen ihm
005  bis her zum Opfer. Die Polizei ist machtlos.
006  Plötzlich ist ein Mann da. Er reißt die Tür des Wagens auf,
007  rammt dem aufschreienden Mädchen den Lauf einer Pistole brutal in
008  den Leib. Dann befiehlt er dem Liebespaar: " 'raus aus dem
009  Auto! Keine Dummheit. Sonst schieße ich ihr eine Kugel in
010  den Bauch. " Mit erhobenen Händen steigen der
011  Maschinenschlosser Herbert Klein (31) und seine Freundin Reni
012  Altmann (21) - die Namen wurden von der Redaktion geändert
013  - aus dem Wagen. Das Mädchen weint, klammert sich an den
014  Freund. Doch niemand kann den verliebten jungen Leuten auf dem
015  einsamen Feldweg bei Braunschweig helfen. " Laß den Kerl los "
016  herrscht der Unbekannte das Mädchen an. Den Rollkragen
017  seines Pullovers hat er bis über die Nase hochgezogen. In seinen
018  Augen liegt wilde Gier. Mit vor Erregung heiserer Stimme
019  befiehlt der Bewaffnete: " Mach den Kofferraum auf und leg dich
020  'rein. Dann kannst du hören, wie deine Freundin schreit, wenn
021  ich es ihr im Wagen besorge. " Herbert Klein hat keine Wahl.
022  Er öffnet den Kofferraum, steigt mit einem Fuß hinein. Dann
023  sieht er, wie der Maskierte ihn einen Augenblick aus den Augen
024  läßt und das Mädchen ansieht. Der Maschinenschlosser nimmt
025  diese kleine Chance wahr. Er schlägt dem Maskierten die Waffe
026  zur Seite und flieht, läuft zur Landstraße, um Hilfe zu holen.
027  Doch das junge Mädchen kann niemand vor dem bewahren, was jetzt
028  mit ihr geschieht. Brutal reißt der Fremde das Mädchen weg vom
029  Wagen: " Ich will, daß du mich liebst ", schreit er. Mit
030  vorgehaltener Pistole treibt er Reni Altmann ins Unterholz. Die
031  letzten Meter schleift er das Mädchen bis unter einen Busch.
032  Dort reißt er ihr die Kleider vom Leib und vergeht sich brutal an
033  ihr. Dann verschwindet er in der Nacht. Das Mädchen läßt er
034  im Unterholz liegen. " Ich habe geschrien, gebettelt und
035  gewimmert. Doch er ließ nicht von mir ab. Als alles vorbei war,
036  habe ich mich zur Strasse geschleppt. Ein Autofahrer hat mich zur
037  Polizei gebracht ", schildert Reni den Reportern die
038  schrecklichste Stunde ihres Lebens. Die Fahndung nach dem Mann
039  mit der langläufigen Pistole und dem stechenden Blick verlief
040  ergebnislos. Das Liebespaar war nicht das erste Opfer des
041  Unbekannten. Mitten in Deutschland macht ein bewaffneter
042  Lustmörder Jagd auf liebende Frauen. Siebenmal hat er bisher
043  Paare überfallen, die sich mit ihrem Auto einsame Feldwege
044  ausgesucht hatten, um sich ungestört lieben zu können. Der
045  Täter schlich sich an die Paare heran, beobachtete sie. Er
046  schoß in sechs Fällen. Bei einem Fall vergewaltigte er " nur ".
047  Nach seinen Verbrechen entkam er stets. " Es ist zum
048  Verrücktwerden. Es gibt noch immer keine heiße Spur ",
049  fluchte Oberkommissar Peter Lehr (33) von der Braunschweiger
050  Kripo. Gemeinsam mit einem Dutzend Kriminalisten will er den
051  brutalen Verbrecher zur Strecke bringen. Doch bisher tappt die
052  " Sonderkommission Liebespaarmorde " beim Landeskriminalamt
053  Niedersachsen völlig im dunkeln. In einem Fernschreiben an den
054  Innenminister faßte der Leiter der Kommission, Hauptkommissar
055  Solf, die mageren Ergebnisse aus monatelanger Ermittlungsarbeit
056  in zwei Sätzen zusammen: " Das einzige, was wir haben, ist
057  eine vage Täterbeschreibung und Kugeln, die aus der gleichen
058  Waffe - einer Wehrmachtspistole 08 Parabellum (9 Millimeter)
059  - abgefeuert wurden. Diese Waffe hatte der Täter bei jedem
060  Überfall benutzt. " Das sind die Verbrechen, die auf das
061  Konto des unheimlichen Lustmörders gehen: Beim Austausch
062  von Zärtlichkeiten wurden ein 15jähriges Mädchen in Marwerder
063  (Kreis Celle) und sein 17jähriger Freund aus nächster Nähe
064  beschossen. Die jungen Leute hatten sich am Waldrand
065  niedergesetzt. Das Mädchen wurde im Unterleib schwer verletzt.
066  Am Mittellandkanal bei Peine schoß der Triebtäter auf ein
067  Liebespaar, das sich im Auto liebte. Der 25jährige Mann wurde
068  schwer verletzt. Dreimal schoß er auf ein Liebespaar im Wald
069  bei Wolfenbüttel. Die Kugeln schlugen durch das Karosserieblech
070  und verletzten den 24jährigen Mann schwer. Diese Anschläge auf
071  Paare ereigneten sich vor drei Jahren innerhalb einer einzigen
072  Woche. Nie wurde der Täter gesehen. Anhand der Kugeln und
073  Geschoßhülsen stellte die Kripo fest: Alle Geschosse stammen
074  aus der gleichen Waffe. 36 Monate passierte nichts mehr. Doch
075  jetzt ist der unheimliche Lustmörder wieder am Werk. Jetzt tritt
076  er selbst in Erscheinung. Er will seine Opfer leiden sehen, wenn
077  er die Frauen vergewaltigt. Am Prinzenpark in Braunschweig
078  zwang er ein Liebespaar mit vorgehaltener Waffe, auf einen
079  einsamen Feldweg zu fahren. Dort verlangte er von dem 24jährigen
080  Mann und dem 22jährigen Mädchen: " Zieht euch aus! " Als
081  sich das Paar weigerte, schoß er vor ihnen in den Boden und floh
082  mit ihrem Wagen. Aus nächster Nähe schoß der Triebtäter
083  in Braunschweig ein 21jähriges Mädchen in den Unterleib. Er
084  hatte sich an den Wagen des Liebespaares herangeschlichen. Nach
085  dem Schuß raubte der Verbrecher den 21jährigen Verlobten des
086  lebensgefährlich verletzten Mädchens mit vorgehaltener Waffe aus.
087  Nur durch die Energie und den Einsatz des jungen Mannes kam das
088  Mädchen mit dem Leben davon. Der Verlobte raste mit der
089  Verletzten zum Krankenhaus und trug sie selbst in den
090  Operationssaal. Dann brach er vor Überanstrengung zusammen.
091  Die behandelnden Ärzte: " Der junge Mann hat seiner
092  Verlobten das Leben gerettet. Minuten später wäre das Mädchen
093  verblutet. " In Helmstedt schoß der Lustmörder einem
094  20jährigen Bundeswehrsoldaten eine Kugel durch die Hand. Der
095  Täter hatte den Soldaten und dessen Freundin auf einer Parkbank
096  überrascht. " Zieht euch aus ", hatte der Verbrecher verlangt.
097  Als sich das Liebespaar weigerte, schoß er. Über 1000
098  Spuren haben die Beamten der Sonderkommission bisher verfolgt.
099  Doch der Täter bleibt ein Phantom. " Hier kann uns nur der
100  Kommissar Zufall helfen ", resigniert Oberkommissar Lehr. Die
101  Kriminalisten wissen bisher nur, daß der Täter 170 bis 175
102  Zentimeter groß und schlank ist. Bei den Überfällen trug er
103  dunkle Rollkragenpullover. Bei einem Verbrechen eine dunkelblaue
104  Latzhose. Oberkommissar Lehr und seine Kollegen wissen noch
105  etwas, und das läßt sie nachts nicht ruhig schlafen: " Wenn
106  wir den Lustmörder, der Jagd auf liebende Frauen macht, nicht
107  sofort fassen, werden wir vielleicht schon morgen die nächsten
108  Opfer irgendwo tot auf einem Feldweg finden. " Im
109  Blutrausch tötete er drei Menschen. Rasende
110  Eifersucht verwandelte einen stillen Familienvater in einen
111  blindwütigen Amokläufer. Das Gesicht des kleinen,
112  unscheinbaren Mannes mit dem schütteren Haar war von Wut und
113  Haß verzerrt. Entsetzt wichen seine Verwandten zurück. Dann
114  knallten Schüße, wälzten sich drei Menschen in ihrem Blut.
115  Eifersucht war es, die den stillen, stets freundlichen
116  Staatsangestellten Dante Boero (53) aus Turin so plötzlich zur
117  reißenden Bestie machte. Und als die Familie seine grauenvolle
118  Verwandlung endlich erkannte, war es schon zu spät. Im
119  Blutrausch tötete der Amokläufer seine Frau, einen Nachbarn
120  und schließlich sich selbst. Noch nie in ihrer zwanzigjährigen
121  Ehe hatte sich Maria Boero (51) vor ihrem Mann fürchten
122  müssen. Nie war er gewalttätig gewesen, nie hatte sie ihm jemals
123  Grund dazu gegeben. Erschüttert gaben die Angehörigen des
124  kinderlosen Ehepaares bei der Kriminalpolizei zu Protokoll:
125  " Sie war eine so gute, liebevolle, treue Frau, wie man es sich
126  nur wünschen kann. " Doch ihren Mann hatte über Nacht
127  krankhafte Eifersucht gepackt. Aus dem wirren Gestammel des
128  Amokläufers, das Zeugen nach der blutigen Tragödie wiedergaben,
129  ging hervor, daß Dante Boero sich betrogen glaubte. Betrogen
130  von seiner Frau und einem Nachbarn, dem Arbeiter Giovanni Marmo
131  (41). Dieser Verdacht genügte, die Liebe des treuen
132  Ehemannes in mörderischen Haß zu verwandeln. Seine Frau hatte
133  nicht die geringste chance, dem Anschlag zu entgehen. Denn sie
134  schlief noch, als ihr Mann mit einem schweren Hammer in der Hand
135  neben ihr Bett trat. Wuchtige Schläge zertrümmerten den
136  Schädel des Opfers. Dann verschloß der Mörder die Wohnung
137  und fuhr, mit einem Jagdgewehr bewaffnet, in das 60 Kilometer
138  entfernte Dorf Quarto d'Asti, um dort auch den vermeintlichen
139  Rivalen zu töten. Erst vor wenigen Jahren war Dante Boero mit
140  seiner Frau aus diesem Dorf fortgezogen, um in Turin eine bessere
141  Stellung anzutreten. Seine Wohnung in Quarto d'Asti hatte er
142  behalten, dort lebten alle seine Verwandten. Dort wohnte auch der
143  Mann, der das nächste Opfer werden sollte. Erschrocken stellte
144  sich der Bruder des Amokläufers, Marco (45), dem Rasenden in
145  den Weg. " Was ist denn mit dir los, was ist denn geschehen? "
146  rief er entsetzt. Wütend schrie der Mörder seine
147  Beschuldigung gegen den angeblichen Nebenbuhler heraus: " Er
148  hat mir Maria weggenommen, das wird er büßen! " tobte er.
149  Nur knapp entkam der Bruder den Kugeln, als Dante Boero sich
150  den Weg freischoß. Der Nachbar konnte nicht mehr fliehen. Aus
151  nächster Nähe streckte der Mörder sein zweites Opfer, Vater
152  von drei Kindern, nieder. Dann legte der Amokläufer in blinder
153  Wut sogar noch auf seine eigene Kusine Ricarda Nediolo (53) an,
154  die sich dazwischen werfen wollte. Sie wurde schwer verletzt.
155  Gegen die herbeieilenden Polizeibeamten verschanzte sich Boero
156  dann im Obergeschoß des Dreifamilienhauses. Fast eine Stunde
157  dauerte der wilde Schußwechsel, den der Mörder den Karabinieri
158  vom Fenster aus lieferte. Erst als seine Munition verbraucht war,
159  erkannte er, daß es keinen Ausweg mehr gab. Doch lebend wollte
160  er sich nicht fangen lassen. Die letzte Kugel jagte er sich selbst
161  in den Kopf. Von den eigenen Eltern wie ein Kettenhund
162  gequält. Jeden Tag mußte Aych‚ an einen Baum
163  gefesselt auf die Mutter warten Mit sechs Jahren war Ayche
164  1 noch ein fröhliches und ausgelassenes Mädchen, das zusammen
165  mit anderen Kindern den ganzen Tag im Dorf umhertollte. Mit neun
166  Jahren hatte grausame Elternstrenge aus dem lebenslustigen Kind
167  ein abgestumpftes Wesen gemacht, das sich vor seiner Umwelt scheu
168  hinter einem Baumstamm verbarg. Von seinen eigenen Eltern war
169  Aych‚ wie ein Kettenhund an einen Baum gefesselt worden, nur
170  damit das aufgeweckte Mädchen nicht mehr wie die anderen Kinder in
171  dem kleinen türkischen Dorf Derbentbasi seinen Unfug treiben
172  konnte. Denn immer wieder hatten sich Nachbarn bei Vater Mustafa
173  und Mutter Fatma Dalgic über die stets zu allerhand Streichen
174  aufgelegte Aych‚ beschwert. Mal hatte das Mädchen Hühner
175  gestohlen, mal sollte es mit Steinen Fensterscheiben eingeworfen
176  oder Erwachsenen die Zunge herausgestreckt haben. Die Einwohner
177  glaubten sogar, daß in Aych‚ ein böses Wesen stecken müsse,
178  denn das kleine Mädchen hatte einmal zwei Wochen mit hohem
179  Fieber zu Bett gelegen und dabei phantasiert. Nach dieser
180  geheimnisvollen Krankheit hatte es Aych‚ mit ihren Streichen
181  toll getrieben. Doch für diese kleinen Missetaten, die alle
182  Kinder auf dieser Welt vollbringen, mußte das kleine türkische
183  Mädchen furchtbar büßen. Vater Mustafa fesselte seine Tochter
184  mit einem Strick einfach an einen Baum außerhalb des Dorfes, so
185  daß Aych‚ kein Unheil mehr anrichten konnte. Dabei hatte
186  der Vater seiner Tochter eine teuflische Schlinge um den Hals
187  gelegt, die sich sofort zuzog, wenn Aych‚ weglaufen wollte.
188  Tagaus, tagein mußte die sonst so lebhafte Aych‚ nun bei
189  glühender Mittagshitze und bei wolkenbruchartigen Regenfällen im
190  Freien am Baum ausharren. Gerade drei Meter weit konnte sich das
191  Mädchen mit seiner Fessel vorwagen, dann hielt es die
192  mörderische Schlinge zurück. Erst spät am Abend, wenn Mutter
193  Fatma vom Feld zurückkehrte, " befreit " sie Aych‚ vom
194  Baum und führte sie wie einen gefesselten Schwerverbrecher unter
195  dem Gejohle der Dorfkinder zurück. Am anderen Morgen brachte
196  Vater Mustafa, der für seine Familie schwer arbeiten mußte, um
197  im Monat etwa 60 Mark nach Hause bringen zu können, das Kind
198  wieder an den Baum. Drei Jahre dauerten die Höllenqualen für
199  Aych‚. Dann kamen Fremde durchs Dorf, befreiten sie und
200  fuhren sie in die psychiatrische Klinik nach Istanbul. Dort
201  hoffen die Ärzte jetzt, das abgestumpfte und verstörte Mädchen
202  wieder in eine lachende und fröhliche Aych‚ zurückverwandeln
203  zu können. Das Mädchen, das die Polizei in Atem hält.
204  Es ist ein Jahr her, seit die hübsche Gerda
205  Jozefowicz aus Gelsenkirchen zum letztenmal gesehen wurde. Am
206  Vormittag des 25.Mai 1970 ging sie aus ihrem Elternhaus im
207  Gelsenkirchener Stadtteil Scholven, Kirchhellenstraße 164, in
208  Richtung der angrenzenden Stadt Gladbeck davon. Bunt gekleidet
209  machte sie sich wie immer auf den Weg zu einem Fortbildungskurs,
210  doch sie kam dort nie an. Ein paar Leute wollten allerdings
211  gesehen haben, daß die siebzehnjährige Gerda nicht zu Fuß ging,
212  sondern mit ihrem Fahrrad fuhr. Das scheinbare Rätsel löste
213  sich inzwischen. Unbekannt aber ist geblieben, wohin das Mädchen
214  ging. Am Tag zuvor war die dunkelhaarige, zierliche Gerda noch
215  bei ihrem Verlobten gewesen. Johann K. tat Dienst bei der
216  Bundeswehr im westfälischen Städtchen Borken. Und Johann K.
217  war einer der ersten, den man nach Gerda befragte, als sie
218  nicht heimkehrte " Sie war so wie immer ", sagte der junge
219  Soldat, " es gab keinen Streit zwischen uns, nicht die geringste
220  Meinungsverschiedenheit! " Ob sie ihm denn gesagt habe, wurde
221  Johann K. gefragt, daß sie ihr Elternhaus verlassen wolle?

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