Quelle Nummer 074
Rubrik 12 : BILDENDE Unterrubrik 12.01 : PRESSE
FAZ-FEUILLETON
EDUARD BEAUCAMP: ZWEIMAL "RAUM UND ZEIT", FRANKFURTER
AUSSTELLUNGEN: FONTANA UND BATTKE.
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, FREITAG 4.12.1970,
NR.281, S.24
HANS KINKEL: MUENCHNER AUKTIONSFESTIVAL, VERSTEI-
GERUNGSVORSCHAU AUF KETTERER UND KARL UND FABER
S.O., S.24
SINAH KESSLER: REVOLUTION IN ROTEN POLSTERN, TANK-
RED DORSTS "TOLLER" IN MAILAND INSZENIERT
S.O., S.32
ANONYMUS: NEUER DIREKTOR AM BURGTHEATER
S.O., S.32
001 Zweimal " Raum und Zeit ". Frankfurter
002 Ausstellungen: Fontana und Battke. Zeit und Raum wollte
003 Lucio Fontana, der unumstrittene Protagonist der neueren
004 italienischen Kunst, durch seine Kunst integrieren. Er erwartete
005 - ausgesprochen im " Weißen Manifest " von 1946 - den
006 " Augenblick der Synthese " nach einer, wie er meinte,
007 jahrhundertelangen analytischen Entwicklung der Kunst. Fontana
008 dachte an die Realisierung eines Gesamtkunstwerks, das alle
009 " Dimensionen des Daseins " umfasse und allen Sinnen gerecht werde.
010 Modell dieser Vorstellung war die " Natur ", das " Leben ".
011 Fontana hoffte, daß sich durch Entledigung aller formalen
012 Kunstgriffe die Kunst und durch sie dann das allgemeine
013 Bewußtsein diesem idealen Zustand wieder näherten. Was Fontana
014 nach dem Krieg formulierte, kann man als den großen romantischen
015 Entwurf der europäischen Nachkriegszeit ansprechen. Fast eine
016 Generation später und zwei Jahre nach Fontanas Tod hat eine
017 " kunstlose Kunst " zwar ein immer reineres und radikaleres
018 Bewußtsein entwickelt, aber dieses blieb am Ende mit sich und
019 seinen Projektionen, dem " Sein " und der " Natur ", allein,
020 während sich die " wirkliche Wirklichkeit " ihm gegenüber
021 feindlich, fremd und unbewältigt behauptete. Fontana blieb
022 realistisch, da er wie in seinem Denken auch in seiner Kunst nur
023 Anstöße gab, Spuren und Wegweiser zu seinem Mythos hinterließ.
024 Mit dem Durchstoßen der zweidimensionalen Leinwand wollte er
025 den Raum, durch die Bewegung, den Duktus dieser Öffnung -
026 vor allem die berühmten Schlitze - die Zeit ins Bild
027 hereinholen. Weiter kam auch Fontana nicht, er trat auf der
028 Stelle, variierte und wiederholte sich mitunter bis zur Farce.
029 Zu solcher Rekapitulation, der es an Aktualität nicht fehlt,
030 regt eine Fontana-Ausstellung der neu benannten und neu
031 hergerichteten " Westend-Galerie " der Deutsch-
032 Italienischen Gesellschaft in Frankfurt an, die reichlich
033 Graphik, einige Leinwände und als besondere Kostbarkeit frühe,
034 vielfach gegenständliche Zeichnungen der späten vierziger und der
035 fünfziger Jahre bereithält. Auch den Fontana-Bewunderer
036 haben klassizistische Bildungen, die etwa als Prägedrucke auch
037 noch die späten Perforierungen und Schlitzungen der Fläche
038 dekorativ umspielten, beinahe bis zum Verdacht des Kitsches
039 irritiert. In den frühen Blättern finden diese Figurationen
040 eine Bestätigung. Das ist eine deutliche Warnung, Fontanas
041 Prozeduren mit nordischem Ernst als existenzialistische,
042 zerstörerische Manifestationen zu interpretieren. Fontana hatte
043 wie die gesamte italienische Moderne (auf ganz verschiedene Weise
044 der Futurismus wie die Pittura metafisica) ein ungebrochenes
045 Verhältnis zum Barock, dem Fontana in seinem " Weißen
046 Manifest " besonders huldigt. Ihn faszinierte die barocke
047 Freskomalerei, die mit der Größe und Totalität des Raumes
048 durch die " abgebildete Bewegung " der Figuren gleichzeitig die
049 Zeit in unendlicher Perspektive zur Geltung brachte. Einige der
050 frühen Zeichungen, Mädchengruppen, eine Europa auf dem Stier
051 mit aufgelöstem Umriß, kann man geradezu als barock ansprechen.
052 Die zerflatternden Formen fassen sich dann wieder zu skulpturalen
053 Gebilden zusammen, man erkennt surrealistische Gruppen, die zum
054 Teil noch eine Standfläche haben, zum Teil im imaginären Raum
055 schweben oder als durchsichtige Schemen den Raum selbst in sich
056 aufgenommen haben. In diesen meist schwer datierbaren Blättern
057 ist bereits der ganze spätere Fontana enthalten: die
058 Durchlöcherungen sind als zeichnerische Punktornamente
059 vorweggenommen, und die aufgeplatzten Kugeln, die Fontana später
060 unmittelbar in die Landschaft trug, sind hier bereits vorgebildet.
061 Den Sprung von Fontana zu einem fast vergessenen souveränen
062 Zeichner wie Heinz Battke diktiert allein der Zufall. Battke
063 -Blätter sind zur Zeit in einer zweiten sehenswerten
064 Frankfurter Ausstellung im Kunstkabinett Hanna Becker vom Rath
065 vereinigt. Anlaß ist das Erscheinen des Battkeschen
066 Werkverzeichnisses, das Joachim Cüppers vom Kunstkabinett
067 bearbeitet hat (Verlag Hauswedell, Hamburg). Battke hat keine
068 unmittelbare Aktualität, er hat sich als verspäteter und
069 eigenbrötlerischer, nicht selten gequälter Surrealist seiner
070 Zeit immer quergestellt. Aber Battke behauptet durch seinen
071 anspruchsvollen Manierismus gegenüber den meisten seiner
072 Weggenossen, den modernen Deutschitalienern und Neoklassizisten,
073 die heute dünnblütig erscheinen, ein geradezu intellektuelles
074 Interesse. Battke ist ein " pictor doctus " in einer
075 komplizierten Brechung, für die es kaum in der Kunst, eher in
076 gewissen hermetischen Formen moderner Lyrik Parallelen gibt.
077 Auch Battke gelingt dabei, ganz anders als Fontana, eine
078 Integration von Raum und Zeit, freilich nicht in einem
079 philosophisch-kategorialen Sinne, sondern in der Projektion
080 eines formal wie geschichtlich durch die Tradition determinierten,
081 eben manieristischen Bewußtseins. Zum ersten Mal sieht man in
082 dieser Ausstellung Battkes Anfänge: eine Serie von
083 Selbstbildnissen (meist Radierungen) teils akademisch, teils
084 expressionistisch, schließlich auf einem aquarellierten Blatt das
085 verschlossene Gesicht in den schroffen Flächen und der kalten
086 Farbigkeit der " Neuen Sachlichkeit ". Eine vollständige
087 Dokumentation seines Weges ist kaum möglich, Battke selbst hat
088 vieles vernichtet. Er war nie ein Kolorist, er ließ sich beinah
089 nur als Zeichner gelten. Einziges Instrument ist der Bleistift,
090 mit dem messerscharfe Linien, aber auch weiche Konturen,
091 Vordergründe und verlorene Raumpläne, Protokolle der Gegenwart
092 wie traumhafte Erinnerungen geschildert werden. In zwei
093 Landschaften von 1939 und 1943, den einzigen Bindegliedern zum
094 Spätwerk, kündigt sich die magische Räumlichkeit bereits an.
095 Von nun beschreibt die Zeichnung nicht direkt, sie stellt ein
096 System bizarrer Beziehungen her, das Möglichkeiten demonstriert,
097 Perspektiven aufreißt, Verwandlungen andeutet, die sich
098 vielfach im Unendlichen oder in der Phantasie und Erinnerung
099 verlieren. Immer ist mehr im Spiel, als dargestellt wird. Die
100 traumhaften Konstellationen üben einen Formzwang aus, der die
101 aufeinander bezogenen Dinge in quälende, deformierende und
102 zerreißende Spannungen bringt. Münchner
103 Auktionsfestival. Versteigerungsvorschau auf Ketterer
104 und Karl *und Faber. Durch das Engagement von Karl *und
105 Faber sowie durch den von Wolfgang Ketterer riskierten Versuch,
106 den bisherigen Versteigerungsturnus um eine Herbstrunde zu
107 ergänzen, wird München zu einer Zentrale der bundesdeutschen
108 Auktionssaison. Das betrifft vor allem den Sektor der Moderne,
109 die sich am Karolinenplatz wie in der Stuck-Villa in
110 überraschender Vielfalt und mit bemerkenswert qualitätvollen
111 Einzelstücken präsentiert. Klammert man ein bei Ketterer
112 verfügbares Jugendstil-Ensemble aus, so kommen in beiden
113 Versteigerungen fast 1500 Kunstwerke des 20.Jahrhunderts unter
114 den Hammer. In beiden Firmen sind weder Materialsorgen noch
115 Resonanzklagen zu vernehmen; die Erwartungen bleiben auf einen
116 vorsichtigen Optimismus gestimmt. Tatsächlich dürften die
117 Ergebnisse dieser substantiell besetzten Auktionen eine Art von
118 Marktbarometer, eine reale Probe auf Kaufbereitschaft und
119 Bewilligungsradius der öffentlichen und privaten Sammlungen sein.
120 Als entscheidendes Plus der 4.Ketterer-Versteigerung (8.
121 Dezember) kann die Konzentration auf ein überschaubares, in
122 gutem Sinne beschränktes Kontingent gelten. Weder problematische
123 " Schinken " noch billige Makulatur belasten die Offerte; das
124 sentimentale, mit 12000 Mark geschätzte Panorama " Gang nach
125 Emmaus " von Uhde bleibt Episode. Auf dem Umschlag ist eine
126 jener leuchtenden, aus freien Formen entwickelten " Variationen "
127 zu sehen, die Jawlensky in großer Zahl gemalt hat. Das im
128 Oevrekatalog von Clemens Weiler nicht erfaßte, mit 25000 Mark
129 taxierte Original befand sich im Besitz der Malerin Ida
130 Kerkovius, von der Jawlensky einmal sehr treffend bemerkte:
131 " Sie ist ganz Kunst ". Blättert man den 145 Seiten starken,
132 mit vielen Minireproduktionen ausgestatteten Katalog durch, so
133 trifft man auf weitere Provenienzen von Rang und Klang, etwa auf
134 die Sammlungen von Heymel und Stinnes, die einen der
135 glanzvollsten Abschnitte moderner Kunstpflege im privaten Bereich
136 akzentuieren. Das wohl interessanteste und erregendste Gemälde
137 der Versteigerung hing einmal bei Karl Ströher in Darmstadt:
138 " Hespen " von Richard Oelze. Die 1959 gemalte phantastische
139 Szenerie hat einen Schätzpreis von 20000 Mark, was im
140 Verhältnis zu dem in gleicher Höhe eingestuften Nolde-
141 Aquarell einer martialisch tätowierten Südsee-Insulanerin
142 wie ein Versehen wirkt. Spitzenreiter des Angebots ist das
143 umfangreiche, auf Packpapier gemalte Aquarell " Der gelbe Platz "
144 von Hundertwasser (65000). Die vogelperspektivische Ansicht
145 war in Wiener Privatbesitz; ihre Aufnahme in München wird man
146 mit einiger Spannung verfolgen. Mit den Bildern von Baumeister,
147 Kanoldt, Levy, Mueller und Wunderlich hält Ketterer, der aus
148 dem gemischten Effekt seiner Frühjahrspartie einige nützliche
149 Einsichten und Erfahrungen gewonnen haben dürfte, ein erfreulich
150 anregendes Spektrum malerischer Tendenzen bereit. Plastik bleibt
151 in der Defensive (Barlach, Kollwitz, Marini); zwischen
152 Jankel Adler und Heinrich Zille kommen die Enthusiasten der
153 Zeichnung auf ihre Kosten. Die etwa 70 Objekte zählende
154 Jugendstil-Einlage bringt solide Beiträge aus den Kategorien
155 Glas, Keramik und Metall sowie Gemälde und Graphik. Ein
156 fundamentaler Vorzug der Ketterer-Auktionen wird auch in
157 diesem Durchgang spürbar: die weitgespannte und breitgefächerte
158 Präsenz der modernen Druckgraphik. Was an Werkgruppen von
159 Beckmann und Corinth, Dix und Heckel, Liebermann und Miro
160 1 vorhanden ist, sollte erneut einen Erfolg signalisieren. Mit
161 repräsentativen und gesuchten Einzelblättern wie dem
162 " Selbstbildnis mit steifem Hut " von Beckmann (12000), der
163 frühen Chagall-Lithographie " Mann mit Backenbart " (6500),
164 der " Kupplerin " von Dix (5000), dem prachtvollen
165 Farbholzschnitt " Fränzi stehend " von Heckel (18000), dem
166 Probedruck der Farblithographie " Orange " von Kandinsky
167 (14000) sowie den Kirchner-Holzschnitten " Der Theosoph ",
168 " Kopf des Kranken " und " Stilleben mit Holzfigur " (8000
169 bis 15000) kann sich der Versteigerer, den mit rund 900
170 Positionen ein anstrengendes Tagespensum erwartet, auf erste Wahl
171 und höchste Qualität stützen. Heinrich Aldegrever und Anders
172 Zorn sind bei Karl *und Faber die Pole eines künstlerischen
173 Materials, das dem Auktionsgänger ein halbes Jahrtausend
174 europäischer Graphik im Ausschnitt erschließt (10.und 11.
175 Dezember). Man hat am Karolinenplatz erhebliche Mühen
176 investiert, um von der Quantität zur Qualität, von der
177 unkritischen Serie zur attraktiven Selektion zu gelangen. Das
178 Ergebnis wirkt überzeugend. Sowohl im historischen Sektor als
179 auch im Terrain der Moderne trifft man auf substantielle Folgen
180 wie auf kostbare Einzelstücke. Schon an den Provenienzen läßt
181 sich die Güte der Offerte ermessen. Da werden große
182 Sammlernamen wie Davidsohn und Sack, wie Lanna und Yorck von
183 Wartenburg, wie Campe und Koenig-Fachsenfeld gegenwärtig;
184 da treten die berühmten Kabinette wie etwa die Wiener Albertina
185 oder die Berliner Kupferstichsammlung, das Bostoner Museum of
186 Fine Arts oder die privat verwaltete Waldburg-Wolfeggsche
187 Kollektion in das Blickfeld. Man wird an den imperial
188 operierenden Heinrich Stinnes und an den souveränen Lautrec-
189 Fanatiker Ludwig Charell erinnert; einige der wichtigsten
190 Originale aus der Etappe des orthodoxen Kubismus stammen aus dem
191 Nachlaß des Malers Theodor Werner, der ein kenntnisreicher und
192 anspruchsvoller Sammler gewesen ist. Zwischen dem auf 25000 Mark
193 taxierten Frühdruck von Dürers Kupferstich " Ritter, Tod und
194 Teufel " und der 1920 datierten, mit 60000 Mark geschätzten
195 Gouache " Gu‚ridon " von Picasso gibt es eine Reihe
196 exzellenter Objekte, die der Versteigerung eine unbestreitbare
197 Faszination sichern: der Zustandsdruck des " Faust " von
198 Rembrandt (20000), der Schongauer-Kupferstich " Christus
199 am Kreuz " (32000), die eminent modern anmutende, gespenstische
200 Kerker-Suite von Piranesi (30000), zeichnerische Orginale
201 von Goethe, Corot und C‚zanne (10000 bis 20000), die
202 Barlach-Bronze " Der Sänger " (20000), eine
203 Vorzeichnung zur Hölle-Folge von Beckmann (30000),
204 ein spätes, farbig wie formal dringliches Juan-Gris-
205 Aquarell (18000), eine 1940 entstandene Klee-Szene (35000),
206 ein um 1911 gezeichnetes kubistisches Stilleben von Picasso
207 (40000). Zu einem Höhepunkt der modernen Passage dürfte die 25
208 Werke zählende Kirchner-Gruppe werden (1800 bis 15000).
209 Sie konnte aus Amerika für die Auktion ermittelt werden und gibt
210 einen authentischen Querschnitt durch das stilistische und
211 inhaltliche Repertoire aus drei Schaffensjahrzehnten. Die ihrer
212 Qualität wie ihrer Erhaltung nach unterschiedliche Kollektion ist
213 1937 von Kirchner an den Kunsthistoriker Wilhelm R.
214 Valentiner in Detroit dediziert worden. Man hätte gewünscht,
215 daß ein so bedeutsames, in werkhistorischer Beziehung wohl
216 einzigartiges Dokument geschlossen in den Besitz einer
217 öffentlichen deutschen Sammlung gelangt - die Versteigerung wird
218 diese Zeugnisse einer an Umbrüchen und Wandlungen reichen
219 Entwicklung in alle Winde zerstreuen. Auch bei Karl *und Faber
220 spielt die Druckgraphik die entscheidende Rolle. Interessante und
221 vielfältige Lots sind von Brueghel, Dürer, Rembrandt,
222 Piranesi, Ridinger, Klinger, Beckmann, Corinth, Feininger,
223 Kollwitz, Nolde, Picasso und Schmidt-Rottluff verfügbar.
224 In diesen Abschnitten sollte es zu spannenden Duellen und
225 aufschlußreichen Notierungen kommen. Der traditionsgemäß
226 defensive Bereich der Malerei wird innerhalb des 19.
227 Jahrhunderts durch typische Arbeiten von Braith, Busch,
228 Courbet, Defregger, Koekkoek, Krüger, Pettenkofen und
229 Spitzweg wirkungsvoll akzentuiert (2500 bis 35000).
230 Revolution in roten Polstern. Tankred Dorsts " Toller "
231 in Mailand inszeniert. Die Münchner Räterepublik auf
232 italienisch und inszeniert von einem Franzosen - wie mag sich das
233 zusammenreimen, fragte man mit leiser Skepsis, als Piccolo
234 Teatro di Milano ankündigte, Dorsts " Toller " von Aloisio
235 Rendi übersetzen zu lassen, damit Patrice Ch‚reau das
236 Stück inszenieren könne. Das gute Echo, das " Toller " in
237 Peter Palitzschs Inszenierung vor sieben Monaten anläßlich des
238 vom P. T. und dem Auswärtigen Amt im Rahmen der
239 Milano aperta-Veranstaltungen realisierten Gastspiels des
240 Stuttgarter Theaters bei Presse und Publikum hatte, bestärkte
241 Paolo Grassis Plan zweifellos. Selbst wenn einiges gegen Ch‚reaus
242 Inszenierung einzuwenden ist, soll gleich vorweg gesagt
243 werden, daß der Vergleich mit der Stuttgarter Inszenierung
244 absolut positiv und zu seinen Gunsten ausfiel. Neben der
245 Toller-Aufführung, die jetzt im Piccolo Teatro Abend
246 für Abend mit großem Erfolg läuft (ja sogar das französische
247 Fernsehen herbeilockte und Ch‚reau bereits die Aussicht
248 eintrug, Dorsts Stück auch in Frankreich herauszubringen),
249 wirkt Palitzschs Inszenierung wie eine sauber gegliederte, neutral
250 informierende Schulstunde, in der mit zweifellos bester Fertigkeit
251 und historischem Verantwortungsgefühl eine Epoche demonstriert
252 wurde. Ch‚reaus Inszenierung lebt dagegen aus dem
253 revolutionären Atem und der Hektik jener Zeit und hat zugleich
254 etwas von der Gewalt und Wirrnis der Proteste heutiger Jugend.
255 Sie stilisiert die historische Situation zu einem Kaleidoskop,
256 worin Vergangenheit und Gegenwart, Ideologien und
257 Verhaltensweisen, ohne konturlos zu werden, ineinanderfließen zu
258 einem beunruhigenden, fesselnden Mosaik.
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