Quelle Nummer 055

Rubrik 13 : GESCHICHTE   Unterrubrik 13.01 : POPULAERWISSENSCHAFTLICHES

DENN SIE ENTZUENDETEN DAS LICHT, GESCHICHTE DER
ETRUSKER- DIE LOESUNG EINES RAETSELS
WERNER KELLER
MUENCHEN/ZUERICH 1970, S. 306-315


001  Aus dem Grau zerfallener Farben und verwaschener Konturen
002  schaut rechts an der feuchten Kammerwand, wie dahingehaucht, das
003  Bildnis einer jungen Frau den Besucher an. Sie hat ihren
004  schönsten Schmuck angelegt - traubenförmige Ohrgehänge und
005  kostbare Halsketten - und trägt eine weiße Tunika.
006  Goldblätteriger Lorbeer bekränzt ihr Haar, das ein Netz im
007  Nacken zusammenhält. Zu ihren Füßen blieben die Umrisse einer
008  Ruhestätte, belegt mit bunten Decken und Kissen. Die Schöne
009  hieß Velia, wie eine Inschrift besagt. Ihr Gesicht ist blaß,
010  voller Schwermut, schmerzlich der Zug um die vollen, sinnenfrohen
011  Lippen, gerade, als riefe sie sich vergebens die Freuden des
012  Lebens in die Erinnerung zurück, aus denen sie jäh gerissen
013  wurde. Schreckeneinflößend, einem Schatten gleich, steht
014  hinter ihr mit riesigen Flügeln ein Geschöpf der Finsternis:
015  Charun, der etruskische Bote und Künder des Todes, der
016  Geleiter der Seelen auf ihrem letzten dunklen Weg. Spitze
017  Tierohren stehen aus seinen schlangenleibigen Haaren, rot funkelt
018  sein Blick über der großen, einem Geierschnabel ähnelnden Nase,
019  grünlich wie verwest schimmert seine Haut. Eine Schlange
020  richtet sich ihm zur Seite auf. Drohend hat er den schweren
021  Hammer - das Sinnbild seiner Macht - am Schaft gepackt, mit
022  dem der tödliche Schlag geführt wird, der das Leben auslöscht.
023  Dieses Ungeheuer, dieser Dämon hat nichts mit Charon, dem
024  friedlichen Fährmann des griechischen Hades, gemein. Im selben
025  Grab in einem Jahrzehnte jüngeren Raum sind Bilder aus Sagen
026  mit Szenen aus dem Jenseits vermischt, tauchen neben griechischen
027  Göttern und Heroen die Dämonen und Geister aus dem
028  unterirdischen Reich der Etrusker auf. Das Leichenmahl ist in
029  die Unterwelt von Hades und Persephone versetzt. Den Kopf
030  umwallt mit wirr ineinanderverstrickten Schlangen, erscheint
031  Persephone neben Hades. Ein Wolfskopf mit weit aufgerissenem
032  Rachen ist über sein bärtiges Haupt gestülpt. Er sitzt auf
033  seinem Thron, Richter und Herr der Finsternis, weit
034  ausgestreckt den rechten Arm, um den sich eine Schlange windet,
035  den linken in die Höhe gehoben. " Die mehr machtvolle als
036  drohende Geste ", schreibt Pietro Pomanelli, " scheint der des
037  Christus als Richter von Michelangelo in der Sixtinischen
038  Kapelle vorauszugehen. " Entsetzlicher noch als Charun anzusehen,
039  taucht an einer Wand eine andere furchterregende Gestalt auf.
040  Über einem tückischen Raubvogelschnabel wimmeln Nattern um
041  seinen Kopf, aus denen Eselsohren hervorragen. Er hat Klauen
042  und Krallen. Das ist Tuchulcha. Drohend erhebt er sich zwischen
043  Theseus und Peirithoos. Letzterer ist kaum noch zu erkennen.
044  Traurig sitzt Theseus, zusammengesunken vor dem bösen,
045  durchdringenden Blick des Tuchulcha. Zwei jugendliche Dämonen
046  mit riesigen Raubvogelschwingen treffen die Vorbereitungen zum
047  rituellen Mahl der Toten. Schemenhaft nur noch erkennt man die
048  Umrisse anderer unheilverkündender Wesen. Allzuviel wurde nach
049  der Entdeckung des Grabes für immer zerstört. Doch das erhalten
050  Gebliebene genügt, um den Schrecken einer Unterwelt ahnen zu
051  lassen, die wie eine Vision der späteren christlichen Hölle
052  anmutet. Überall tauchen seit dem 4.Jahrhundert v. Chr.
053  die hammerschwingenden, geiernasigen Todesdämonen auf. Ihre
054  Gestalten und Namen finden sich auf den Wandbildern der Grüfte
055  wie auf Vasen, auf Spiegeln und Sarkophagen; Symbole der
056  Angst und des Bedrücktseins, die aus dem Unbewußten aufsteigen.
057  Mehr und mehr fällt bei Themen der griechischen Götter
058  sage und Heldensage die Wahl etruskischer Künstler auf
059  Szenen blutigen, tragischen Geschehens. Menschenopfer, die
060  Ermordung der Klytaimnestra, das Umbringen der Gefangenen von
061  Troja, der Kampf des Eteokles und Polyneikes, die sich
062  gegenseitig töten, werden zum immer wiederkehrenden Motiv. Zwei
063  Furien mit riesigen Flügeln, Schlangen in den Händen
064  vorgestreckt haltend, wohnen auf einem zu Torre S. Severo bei
065  Orvieto gefundenen reliefgeschmückten Sarkophag der Abschlachtung
066  trojanischer Gefangener durch Achill für die Seele seines
067  Freundes Patrokles bei. Als Schatten stützt sich der tote Held
068  auf die Stele seines Grabes. Immer scheint Charun gegenwärtig,
069  wenn der Tod naht, im Augenblick, da das Leben - friedlich zu
070  Hause oder im Gefecht - auszulöschen droht. Einzeln oder auch
071  paarweise, in vierschrötiger Gestalt mit wilden Gesichtszügen
072  mitten in Kampfszenen, wie beim Abholen der Toten oder als
073  Türhüter vor den Grüften taucht er auf. Als Waffe trägt er
074  stets den gewaltigen, schweren Hammer. Genauso bewaffnet und
075  maskiert ließ man im kaiserlichen Rom später bei den
076  Gladiatorenspielen den Dispater die Leichname der Erschlagenen
077  aus der Arena schleppen. Charun und Tuchulcha erscheinen selten
078  allein. Ein ganzes Heer anderer männlicher und weiblicher
079  Todesdämonen - unter ihnen die Todesgöttin Vanth -, alle
080  das unausweichliche Schicksal verkörpernd, begleiten sie, dienen
081  ihnen als Helfershelfer. Auch sie beflügelt, Jagdstiefel an den
082  Füßen, ausgerüstet mit Keulen, Zangen oder Stricken;
083  Fackeln und Schlägel schwingend, Schlangen in den Händen.
084  Drohend schweben sie über den Szenen, wo der Tod seine Ernte
085  hält, oder stehen abwartend dabei. Sie nehmen die Sterbenden in
086  Empfang, reißen sie aus der Mitte der Verwandten und schleppen
087  sie fort. Sie führen das Todesroß, begleiten den Leichenwagen
088  oder spannen sich selbst davor. Sie schreiten vor und hinter den
089  Begräbniszügen oder warten an der letzten Pforte. (Abb.) Als
090  Todessymbole bevölkern auch wilde, reißende Tiere und Ungeheuer
091  die Welt der Toten. Sie lauern in den Giebeln der Grüfte,
092  kauern sprungbereit in den Friesen, die die Wände der
093  Grabkammern umlaufen: Chimären und Sphinxen, Löwen,
094  Panther und Greifen. Sie fallen Tiere wie Menschen an, jagen,
095  zerreißen oder verschlingen ihre Opfer. Unentrinnbar, gnadenlos
096  walten die ewigen Mächte des Kosmos, unentrinnbar wie der
097  Untergang der etruskischen Nation. Einer dumpfen, bangen Ahnung
098  gleich müssen es die Etrusker gespürt haben: Ihre Jahre als
099  freies Volk waren bereits gezählt. Eine andere, unbekannte Welt
100  kam auf sie zu - düster und hoffnungslos (...). Aufstand in
101  Arezzo. Etrurien war niedergeworfen. Von diesem Alpdruck
102  befreit, konnte Rom alle Kraft auf die Beendigung des
103  Samnitenkrieges richten. Zwar fanden die Samniten neue
104  Bundesgenossen in den Umbrern im nördlichen, in den Marsern und
105  Paelignern im mitteleren Italien. Selbst von den Hernikern
106  trafen Freiwillige ein. Allein, was mit entscheidendem Gewicht
107  gegen Rom in die Waagschale hätte fallen können, das fehlte -
108  die Etrusker. Wohl flackerte, als die Umbrer ein starkes Heer
109  aufstellten, gewillt, " gerade auf Rom loszugehen, um es zu
110  belagern ", die Unruhe auch im benachbarten Etrurien auf.
111  " Ein großer Teil der Etrusker " ließ sich " zur Empörung
112  verleiten. " Indes reagierte Rom so schnell auf die umbrische
113  Kriegserklärung, daß es zu einer etruskischen Waffenhilfe gar
114  nicht mehr kam. In Eilmärschen kam Fabius Rullianus mit seinen
115  Legionen aus dem Süden. " Die plötzliche Erscheinung des
116  Konsuls, den sie fern in Samnium mit einem anderen Kriege
117  beschäftigt glaubten, schreckte die Umbrer derartig, daß einige
118  zum Rückzug in die festen Städte, andere zum Aufgeben des
119  Krieges rieten. " Nur ein einziger Gau griff mit seinen
120  Streitkräften den Fabius an, " als er eben um sein Lager den
121  Wall zog ". Doch sie wurden geschlagen, und " am anderen und
122  den darauffolgenden Tagen unterwarfen sich auch die übrigen
123  Völkerschaften Umbriens ". Fabius zieht mit seinem Heer sofort
124  weiter und bezwingt in Latium die rebellierenden Kleinstämme.
125  Drei Jahre später, 305 v. Chr., bringt der Feldzug -
126  nach schweren Verheerungen ihrer Ländereien - auch gegen die
127  Samniten die Entscheidung. Ihr Feldherr Statius Gellius wird
128  gefangengenommen und Bovianum erstürmt. Der Fall dieses
129  Hauptwaffenplatzes beendet den zwanzigjährigen, den zweiten
130  Samnitenkrieg. Damit war Rom ein entscheidender Schritt zur
131  Beherrschung Italiens gelungen. Trotzdem war seine Hegemonie
132  alles andere als gesichert. In der Tiberstadt gibt man sich keinen
133  Illusionen hin. Denn noch waren die Kräfte des starken
134  Bergvolkes nicht erschöpft, und es mußte mit einem erneuten
135  Ausbruch des Krieges gerechnet werden. Rom war sich zudem
136  darüber klar, welche Gefahr ein Bündnis von Samniten und
137  Etruskern heraufbeschwören könnte und trifft entsprechende
138  Sicherungsvorkehrungen. Zwischen Süditalien und dem Norden
139  läßt es einen starken Sperriegel errichten. Zwei
140  Militärstraßen werden in die Landschaft, die Samnium und
141  Etrurien scheidet, gelegt und beide durch Festungen und
142  Stützpunkte gesichert. Am Nordrand des Fuciner Sees entsteht
143  als Zwingburg Mittelitaliens Alba mit einer Besatzung von
144  sechstausend Kolonisten, am oberen Liris die Festung Sora mit
145  einer Legion von viertausend Mann. Zielbewußt handelt die
146  Tiberstadt, bedacht darauf, für alle nur denkbaren
147  Möglichkeiten neuer Kämpfe rechtzeitig gewappnet zu sein.
148  Unentschlossen verharren ihre Gegner und lassen wertvolle Zeit
149  tatenlos und planlos verstreichen. Erst über einen
150  lokalen Aufruhr in Etrurien, in den Rom eingreift, soll es zu
151  einer neuen Auseinandersetzung kommen. Im Frühjahr 302 v.
152  Chr. brach in Arezzo ein Bürgerzwist aus. Im Chianatal
153  südöstlich vom heutigen Florenz gelegen, gehörte es damals
154  zusammen mit Perugia und Cortona zu den bedeutendsten etruskischen
155  Städten im Nordosten. Die Plebs erhob sich, um " das
156  mächtige Geschlecht der Cilnii mit den Waffen zu verjagen, weil
157  man ihm seinen Reichtum verübelte ". " Nach der Abschaffung
158  des Königtums gegen Ende des 6.Jahrhunderts hatte überall
159  zuerst der Adel tyrrhenischen Ursprungs, dann das sich adelig
160  gebärdende Großbürgertum die Macht ergriffen. Die zwölf
161  Städte waren zu dieser Zeit plutokratische Adelsrepubliken ",
162  stellt der österreichische Etruskologe Professor Ambros Josef
163  Pfiffig fest. " Die unteren Klassen - meist italischer
164  Herkunft - fühlten sich mehr und mehr als Leibeigene der reichen
165  Handelsherren und Landbarone. Eine eigentliche Sklaverei wie in
166  Griechenland und in Rom hat es im freien Etrurien kaum gegeben,
167  mehr ein Hintersassentum der älteren italischen Bevölkerung.
168  Daß das Los der bäuerlichen Hintersassen in demselben Maße
169  härter wurde, wie die Quellen des etruskischen Reichtums aus dem
170  Überseehandel versiegten, ist verständlich. Nun waren ja die
171  Herren mehr auf die Gewinnmöglichkeiten aus eigenem Grund und
172  Boden angewiesen. " Auf die Nachricht vom " Streit der
173  Parteien " mischte sich Rom ohne Zögern ein. An sich hätten
174  ihm die internen Kämpfe gleichgültig, ja erwünscht sein können,
175  da sie das Gefüge etruskischer Macht untergruben. Aber Rom
176  fühlt sich als Ordnungsmacht, die keine gewaltsamen Umwälzungen
177  duldet. Der Senat beschließt, den Vertriebenen mit einem
178  Militärcorps zu Hilfe zu eilen. Die Cilnii, eine als uralt
179  gefeierte Königssippe, der später der berühmte Maecenas,
180  Freund und Berater des Kaisers Augustus, entsproß, mochten den
181  Römern als Garanten des offenbar wenig volkstümlichen
182  dreißigjährigen Waffenstillstandes gelten, den die Stadt Arezzo
183  zusammen mit Perugia und Cortona acht Jahre zuvor hatte
184  unterzeichnen müssen. Roms Einmischung in die inneren
185  Angelegenheiten einer etruskischen Lucumonie löst eine Welle der
186  Empörung und des Hasses aus. Der Anblick der Legionäre ruft
187  die alten Emotionen wieder wach. Es kommt zu einem Aufstand, der
188  überraschend schnell im Land um sich greift. " Die Meldung lief
189  ein, Etrurien beginne wieder einen Krieg ", und Marcus
190  Valerius Maximus wurde zum Dictator ernannt. Gleich zu Beginn
191  der Kampfhandlungen errangen die Etrusker einen beachtlichen
192  Erfolg. Ein Teil des römischen Heeres, befehligt von dem
193  Reiteroberst Maxus Aemilius Paulus, " geriet in einen
194  Hinterhalt, verlor mehrere Fahnen und wurde ins Lager
195  zurückgejagt. Der Verlust an Soldaten und die Flucht waren in
196  gleicher Weise beschämend. (Abb.) Rom ordnete einen
197  Gerichtstillstand an, als ob das ganze Heer vernichtet wäre.
198  Man stellte Posten an den Toren und Wachen zum Schutz der
199  Mauern auf. " Mit neuen Truppen eilte der Dictator nach
200  Etrurien und zog durch das Land bis zum Meer " in das Gebiet von
201  Rusellae ". Die große Entscheidung fällt weitab von Arezzo
202  - nahe der Küste. Die Stadt Roselle im Südosten von
203  Vetulonia, nur 15 Kilometer in Luftlinie von dort entfernt,
204  zählte zu den mächtigsten und ältesten Lucumonien. Geschützt
205  durch gewaltige, nahezu dreieinhalb Kilometer lange Festungsmauern
206  lag sie auf einer Höhe am Tal des Ombrone-Flusses. Von
207  ihrem Hafen am Lacus Prilius - einem heute trockengelegten
208  Brackwassersee, der sich damals weit ins Hinterland dehnte -
209  hatten die Schiffe Zufahrt zum offenen Meer. Etruskische
210  Streitkräfte, die den Römern auf ihrem Marsch wie ein Schatten
211  gefolgt waren, versuchten, deren offenbar weit überlegene Kräfte
212  bei Roselle zu überlisten. " In der Nähe des römischen
213  Lagers standen noch die teilweise zerstörten Häuser eines Dorfes,
214  das bei der Verwüstung des Landes angezündet worden war ",
215  berichtet Livius. " Dort verbargen sie bewaffnete Soldaten und
216  ließen vor der römischen Mannschaft, beffehligt vom Legaten
217  Gnaeus Fulvius, Viehherden vorbeitreiben. Aber kein römischer
218  Posten rührte sich bei diesem Köder. Schließlich kam ein Hirt
219  bis dicht an die Verschanzung und rief den Viehtreibern, die die
220  Tiere nur langsam von den Ruinen des Dorfes heranbrachten, laut
221  zu, weshalb sie denn zögerten. Sie dürften ohne Gefahr durch
222  das römische Lager ziehen. " Als Männer aus Caere dem
223  Fulvius das übersetzt hatten, gebot er " aufzupassen, ob die
224  Mundart der Hirten städtisch oder ländlich klinge ". Wie er
225  erfuhr, " seien der Tonfall, das Benehmen und das gepflegte
226  Aussehen für Hirten zu kultiviert ". Auf diese Meldung ließ
227  Fulvius den Verkleideten zurufen, ihre Machenschaften seien
228  entdeckt. " Da traten plötzlich Bewaffnete hervor und
229  marschierten mit ihren Fahnen in ein übersichtliches, offenes
230  Feld. " Während die Legionen ihr Geschrei erhoben und in den
231  Kampf marschierten, setzte der Dictator völlig überraschend
232  berittene Truppen ein. " Wie im Flug stürzte die Reiterei
233  ungehindert auf die Feinde los, die für ein Reitergefecht nicht
234  gerüstet waren.

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