Quelle Nummer 051

Rubrik 31 : SPORT   Unterrubrik 31.01 : PRESSE

KICKER
PELE WILL ES NOCHMAL WISSEN
PETER S. BRANDENBURG
SPORTMAGAZIN KICKER, NR.98, 7.12.1970, NUERNBERG 1970
S. 4-5
WENN DAS FASS ABER NUN EIN LOCH HAT...
WOLFGANG ROTHENBURGER, S. 7-8
MIT 3O HAT MAN NOCH PLAENE
GEORG WICH, S. 10


001  Pele will es noch mal wissen. kicker: " Herr
002  Zagallo, haben Sie Ihren Vertrag als Nationalcoach mit dem
003  brasilianischen Verband bereits verlängert? " Zagallo:
004  " Nach der Weltmeisterschaft in Mexiko ist mein Vertrag mit dem
005  Verband automatisch abgelaufen. Zur Zeit habe ich zwar keinen
006  Vertrag mit dem brasilianischen Sportbund, ich bekleide aber
007  weiterhin den Posten eines Nationaltrainers. Daneben betätige
008  ich mich selbstverständlich nach wie vor als Vereinstrainer von
009  Botafogo Rio de Janeiro. " kicker: " Haben Sie im
010  Hinblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 1974 in
011  Deutschland schon einen gewissen Arbeitsplan aufgestellt? "
012  Zagallo: " Von 1970 bis 1974 ist ein weiter Weg, und während
013  dieser Zeit kann noch viel passieren. Bis 1972 werden wir den
014  Nationalkader jedenfalls nur ab und zu vor gewissen Länderspielen
015  zusammenziehen. Im Jahre 1972 werden wir uns dann auf die
016  internationalen Spiele von Brasilien vorbereiten. Und ab 1973
017  legen wir wieder ein intensives Trainingsprogramm fest, um den
018  Weltmeistertitel in Deutschland erfolgreich verteidigen zu können. "
019  kicker: " Sie sprachen von den internationalen
020  Meisterschaften von Brasilien 1972. Sind Sie überzeugt, daß
021  diese Mini-WM tatsächlich zustande kommt? " Zagallo:
022  " Selbstverständlich! Ich habe erst vor kurzem mit unserem
023  Verbandspräsidenten Havelange darüber gesprochen. Er hat mir
024  die feste Zusage für dieses Turnier gegeben. Während meiner
025  Europareise habe ich außerdem mit Sir Alf Ramsey über dieses
026  Projekt gesprochen, der mir die Teilnahme Englands bereits
027  zugesichert hat. 1971 werden wir den FIFA-Präsidenten Sir
028  Stanley Rous nach Brasilien einladen, damit er sich vom Zustand
029  der Stadien überzeugen kann, in denen dieses Turnier stattfinden
030  wird. " kicker: " Herr Zagallo, haben Sie schon eine
031  klare Vorstellung, welche Länder an diesem Turnier teilnehmen
032  werden? " Zagallo: " Wir haben vorgesehen, auf jeden
033  Fall die Halbfinalisten von Mexiko nach Brasilien einzuladen,
034  also Uruguay, Italien und Deutschland. Ferner werden wir
035  spielstarke Länder berücksichtigen, die in Mexiko nicht dabei
036  waren, wie Jugoslawien, Portugal, Spanien, Argentinien und
037  Schottland. Verbandspräsident Havelange deutete an, daß ein
038  Turnier mit 16 bis 24 Nationalmannschaften geplant ist, die in
039  verschiedene Gruppen eingeteilt werden. " kicker: " 1972
040  ist das Jahr der Olympischen Spiele von München. Glauben Sie
041  nicht, daß dieses Turnier den Münchner Spielen Konkurrenz
042  machen könnte? " Zagallo: " Nein, auf keinen Fall.
043  Erstens werden in München ja nur Amateurfußballmannschaften am
044  Werk sein, während es sich hier in Brasilien um ein Turnier von
045  Profis handelt. Zweitens vermeiden wir eine terminliche
046  Überschneidung mit den Olympischen Spielen, da wir das Turnier
047  entweder im Frühjahr oder im Herbst durchführen werden. "
048  kicker: " Werden 1972 die altbewährten brasilianischen Asse wie
049  Gerson, Brito, Felix und König Pele nochmals zum Zuge kommen? "
050  Zagallo: " Ich nehme an, daß die internationalen
051  Meisterschaften 1972 von Brasilien einen würdigen Abschied für
052  unsere " alte Garde " bilden werden. Pele wollte eigentlich
053  schon nach Mexiko Schluß machen. Er erklärte sich aber nach
054  Bekanntwerden des Miniturniers bereit, sich der
055  Nationalmannschaft noch bis 1972 zur Verfügung zu stellen. "
056  kicker: " Haben Sie schon junge Talente im Auge, die in
057  Zukunft die Stars ersetzen könnten? " Zagallo: " Wir
058  besitzen in Brasilien ein enormes Spielerreservoir.
059  Selbstverständlich finden wir aber nicht über Nacht
060  Persönlichkeiten, die Ausnahmeerscheinungen wie Pele und Gerson
061  auf Anhieb ersetzen können. In der diesjährigen Meisterschaft
062  haben sich einige junge Talente stark in den Vordergrund gespielt.
063  Beim 5:1 gegen Chile setzte ich für den verletzten Gerson
064  einen jungen Spieler von Botafogo (Nei) ein, der sich gleich
065  hervorragend ins Team einfügte. Möglicherweise wird er eines
066  Tages die Rolle von Gerson übernehmen. " Wenn das Faß
067  aber nun ein Loch hat (...). Ein reicher Mann zog aus,
068  um einen Klub aus der Versenkung hervorzuholen. So könnte ein
069  modernes Fußballmärchen beginnen. Ein bißchen Märchen ist
070  dran, wenn man von Eintracht Kreuznach spricht, das von 1950 bis
071  1952 und von 1954 bis 1963 in der Regionalliga Südwest spielte.
072  Ein Klub, der 1967 noch einmal am Scheideweg zur Regionalliga
073  stand und nur am SV Alsenborn scheiterte. Von da an führte
074  Alsenborns Weg steil nach oben. Der Kreuznacher Kurs indes noch
075  weiter nach unten. Heute spielt die Eintracht in der zweiten
076  Amateurliga - zusammen übrigens mit einem Klub, der ebenfalls
077  durch einen Mäzen bekannt wurde: SV Kirchenbollenbach.
078  Zusammen auch mit einem ebenfalls einstigen Südwest-
079  Regionalligaverein, VfR Kirn. Eintracht besitzt vieles, was
080  sogar manchem guten Regionalligaverein fehlt: Ein modernes
081  Stadion - die Stiftung eines früheren Eintracht-Freundes,
082  dessen Namen das Stadion trägt. Ausgezeichnete Trainingsanlagen
083  - und sogar einen hauptamtlich angestellten Trainer: Herbert
084  Rappsilber, der TuS Neuendorf noch vor einem Jahr in die
085  Bundesliga-Aufstiegsrunde hievte, ging an der Nahe an Land,
086  um den dortigen Fußball wieder näher an die Regionalliga
087  heranzuführen. Und die Eintracht besitzt eben auch einen Mäzen.
088  Einen Mann mit Geld und mit Beziehungen. Aber Elmar Pieroth,
089  Wein-Millionär, neuer Vorsitzender der Eintracht, auch
090  in der großen Politik längst in helles Rampenlicht gerückt,
091  macht es sich nicht leicht. Leicht - das hieße finanzielle
092  Spritzen nach Bedarf. " Das wäre nur " - so sagte der
093  dynamische 36jährige Managertyp beziehungsreich - " ein Faß
094  ohne Boden. Der Wein würde doch immer wieder herauslaufen. "
095  Pieroth will dem Sportklub Eintracht das Beispiel modernen
096  Managements zeigen. So, wie er es im eigenen Unternehmen
097  bewiesen, auf seinem politischen Weg angestrebt hat. " Ein
098  Verein muß auf eigenen Beinen stehen. Dazu will und werde ich
099  der Eintracht verhelfen. " Pieroth muß sich die Zeit stehlen.
100  Aber er stiehlt sie sich gern, weil er auf dem Sportplatz
101  " wirklich einmal abschalten kann. " Hier liegt zu viel brach
102  Wenn's geht, zieht er hinaus ins Möbus-Stadion mit Frau
103  und seinem halben Dutzend Kindern. Zwei Söhne sind's nur -
104  und die haben für Fußball kein Interesse. Sie lieben Hockey
105  - genau wie die Mama, die einst sogar eine respektable Spielerin
106  war, sagt stolz der Papa! Da liegt es nahe, daß Hockey bald
107  neu aufgenommen wird ins sportliche Kaleidoskop der Kreuznacher,
108  das bislang nur Handball und Tischtennis außer Fußball umfaßt.
109  " Auch Kegeln werden wir offiziell aufnehmen ", meinte Pieroth.
110  " Kegeln ist unabhängiger von den Jahrgängen, schafft aber
111  eine tiefe sportliche Gemeinsamkeit. " Der Millionär Pieroth
112  spielte selbst einmal Fußball - im Nahe-nahen Münster/
113  Sarmsheim. Und er hat sich die Liebe zum Fußball erhalten.
114  " Es ist ein Unding, daß ein so weites Gebiet wie das unsere
115  (Nahe) nur über einen wirklichen Verein von Rang verfügt. Das
116  ist Brachland. Wir müssen es bepflanzen. " Die ersten,
117  kleinen Pflänzchen werden schon begossen (...). Herbert Rappsilber
118  machte den Sprung ins neue Wasser mit. " Natürlich ist hier
119  alles anders, schwerer. Das kleine und große Abc des Fußballs
120  muß mancher erst noch lernen. Ein Verein dieser Klasse bekommt
121  selten einen fertigen Spieler. Aber ich habe bereits gesehen,
122  daß es in diesem weiten Gebiet ringsum Talente gibt. Talente,
123  die jetzt in stärkerem Maße zu uns stoßen. " Talente hat es
124  dort immer gegeben. Sogar die Bundesliga zog einst Kreuznacher
125  Auslese an: Drescher, der beim FC Bayern spielte, Melcher,
126  der bei Neunkirchen kickte. Natürlich könnte Pieroth mal tief
127  in die Tasche greifen, um Spieler zu angeln. " Das klingt gut
128  - ist aber in meiner Position schlecht. " Geld verdirbt oft
129  gute Sitten. Dennoch: Der Trainer, der seine Mannen dreimal
130  in der Woche in die Mangel nimmt, die Chance, auf einem
131  Rasenplatz spielen und trainieren zu können, lockt junge Leute
132  nach Kreuznach. Gegen die meisten (Hart) Plätze der zweiten
133  Amateurligen ist das Kreuznacher Stadion ein wahres Paradies.
134  " Wenn Sie wüßten, auf welchen Äckern wir oft spielen, Sie
135  würden die Hände vor Angst über dem Kopf zusammenschlagen ",
136  erläuterte Rappsilber. Die besten Schiedsrichter werden auch
137  nicht gerade in die untere Klasse beordert. Linienrichter spielen
138  meist zwei Klubmitglieder, die gerade Zeit haben.
139  Geselligkeit gehört dazu. Man kann sich vorstellen, was da
140  zusammengewunken (oder nicht angezeigt) wird. Ein Klubheim wird
141  gebaut (Pieroth macht den ersten Spatenstich) - denn auch
142  Geselligkeit gehört zu einem Sportklub. So viel von Fußball
143  gesprochen wird - man kann nicht den ganzen Tag nur darüber reden.
144  Die meisten Spieler stammen aus der weinträchtigen Nahe-
145  Gegend. Dieter Arnold, ein langer, schlaksiger Flügelstürmer
146  (meines Erachtens nach eignet er sich als Innen-sturmspitze
147  noch besser), kaum 18 Jahre alt, schoß beim sensationellen 5:
148  0 gegen den Spitzenreiter Kirn allein vier Tore und insgesamt
149  schon über 20 Tore in dieser Saison. Jens Holste - den sie
150  den Playboy der Mannschaft nennen - machte einen kurzen
151  Abstecher nach Bielefeld zum VfB, ehe er wieder in heimische
152  Gefilde zurückkam. Auf wichtige Spieler muß die Eintracht noch
153  einige Zeit warten: Auf den Ex-Waldhöfer Metzler, der
154  noch bis zum 1.Dezember ausharren mußte, weil die
155  Bestimmungen es nicht zuließen, daß ein ehemaliger
156  Vertragsspieler gleich in einer Amateur-Mannschaft spielen
157  darf. Auf den ehemaligen Weisenauer Alois Hoyden (sein Bruder
158  Norbert spielt bereits eine Saison lang bei der Eintracht), der
159  gar erst am 1.Januar 1971 nächsten Jahres die
160  Spielberechtigung erlangt. Welche weltfremden Beschlüsse die
161  Amateurspieler so an die Ketten legen! Senior ist der 29jährige
162  Dieter Sieler, ein Mann mit sächsischem Akzent, der über
163  Schwennigen und Blue Stars Zürich nach Kreuznach fand.
164  Rubröder (zweifacher Goalgetter beim 4:4 gegen FK
165  Pirmasens) spielte einst bei der SpVgg Weisenau. Pirmasens
166  zeigte schon den Weg, den die Eintracht gehen will. An
167  stärkeren Gegnern das eigene Leistungsvermögen zu messen. Der
168  nächste im Bunde war der 1.FC Saarbrücken. Tests
169  gegen Regionalligaklubs. " Diese Klubs kommen zu recht
170  annehmbaren Bedingungen zu uns und verpflichten sich zudem, in
171  stärkstmöglicher Besetzung anzutreten ", meinte Vize-
172  Vorsitzender Lothar Schrögel, der beruflich im Katasteramt der
173  Stadt zu tun hat, aber für seinen Klub immer " auf dem Sprung "
174  steht. Die meisten Spieler kommen aus der eigenen Jugend.
175  Und das macht die Eintrachtler ein bißchen stolz. Die Jugend
176  ist das Kapital, das sich verzinst. Rappsilber nimmt sie daher
177  auch selbst unter seine Fittiche. Er behält auch seine Älteren
178  unter Kontrolle. Ein Bierchen nach dem Spiel (oder auch zwei)
179  gestattet er schon mal, wenn sich das Team nach den Spielen im
180  Klublokal Germania oder im Twen-Treffpunkt " Big Ben "
181  zusammenfindet, um über das Spiel und über die Fehler zu
182  diskutieren. Elmar Pieroth nimmt darauf keinen Einfluß. Er
183  redet Rappsilber nicht hinein. " das ist Sache des Trainers.
184  Er weiß, wohin wir steuern wollen, und er ist der Steuermann ",
185  meinte der Weinproduzent. Elmars Minuten sind abgezählt.
186  Unser Interview fand im Pieroth-Mercedes (ausstaffiert mit
187  Telefon, damit der " Boß " jederzeit und allerorts erreichbar
188  ist) auf dem Wege von Frankfurt nach Mainz statt. Für Pieroth
189  ist Zeit Geld. Seinen Fußballern aber gibt er Zeit, nach oben
190  zu kommen. Der Wein reift eben schneller als eine gute
191  Fußballmannschaft. Doch eines Tages - so hofft man an der
192  Nahe - wird man wieder nicht nur vom guten Pieroth-Wein
193  sondern auch von der Pieroth-Eintracht sprechen. Der Anfang
194  ist schon getan. Mit 30 hat man noch Pläne.
195  Die Aussprache mit Trainer Picchi hat sich für Haller gelohnt
196  Totgesagte leben angeblich lange. Wenn das stimmt,
197  braucht Helmut Haller (31) die Fußballstiefel noch lange nicht
198  an den Nagel zu hängen. Mitte November gönnte Juventus Turin
199  dem Augsburger eine kurze schöpferische Pause. Daraufhin malten
200  ein paar Schwarzseher die Zukunft des Blondschopfs in düsteren
201  Farben. Für Haller, so prophezeiten sie, sei in der ersten
202  Mannschaft auf längere Zeit kein Platz mehr. Ihre Berichte
203  klangen wie Nachrufe, denn sie erklärten Haller sportlich
204  gleichsam zu einem toten Mann. Der " Totgesagte " strafte die
205  Pessimisten jedoch Lügen. Beim 2:0-Sieg gegen AS
206  Rom knüpfte er an frühere Glanzzeiten an. Er machte das Spiel,
207  schoß beide Tore, und wurde von seinen Kameraden im Triumph
208  vom Platz getragen. Die Lobeshymnen aus Italien veranlaßten uns,
209  nach den Gründen für Hallers überzeugendes Comeback zu
210  forschen. kicker-sportmagazin: " Gegen AS Rom standen
211  Sie nicht nur auf dem Papier als Rechtsaußen. Sie haben, neben
212  Anastasi und Bettega, tatsächlich als dritte Sturmspitze
213  gespielt. Wie kam es zu dieser neuen Verteilung der taktischen
214  Aufgaben? " Haller: " Das ging auf eine Aussprache mit
215  Trainer Picchi zurück. Zuvor erstreckte sich mein Aktionsradius
216  vom eigenen bis zum gegnerischen Strafraum. Das kostete Kraft.
217  Daher fehlte es mir manchmal vorne, im entscheidenden Augenblick,
218  an Frische und Konzentration. Von meinem Wechsel in die
219  vorderste Linie versprachen wir uns eine größere Wirkung. Mit
220  dem Rochieren in die Mitte und nach links und mit meinen kurzen
221  Dribblings kann ich Lücken öffnen und Anastasi und Bettega
222  Raum verschaffen. Picchi zeigte uns zunächst an der Wandtafel,
223  wie er sich den Platzwechsel vorstellt. Im Training probte ich
224  dann vor allem den Platztausch mit Anastasi. Wenn ich in die
225  Mitte rückte, setzte er sich auf den rechten Flügel ab. Im
226  Ernstfall hat sich das dann auf Anhieb bewährt. " kicker-
227  sportmagazin: " Das Dribbeln beherrschten Sie schon, als Sie
228  in der BCA-Schülermannschaft spielten. Verleitet virtuose
229  Ballbeherrschung nicht dazu, den Ball zu lange zu halten? "
230  Haller: " Als junger Spund übertreibt man häufig das
231  Einzelspiel. Ich war da keine Ausnahme. Es machte mir einen
232  Riesenspaß, nacheinander 5, 6 Gegenspieler aussteigen zu lassen.

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