Quelle Nummer 008
Rubrik 33 : BELLETRISTIK Unterrubrik 33.01 : HEFTROMANE
DAS MONSTER AUS DER RETORTE
DAN SHOCKER
ZAUBERKREIS VERLAG RASTATT 1970, S. 54-59
SERIE: Z SILBER-KRIMI NR. 862
001 X-RAY-3 wirbelte
002 herum, als er plötzlich auf das Geräusch aufmerksam wurde, das
003 seitlich hinter einem Felsblock entstand. Er glaubte zu träumen,
004 als er es sah. Eine Frau, genau wie die Fremde, die Keimatse
005 in seinem Tokioer Büro untergebracht hatte! Ein Affenwesen,
006 von dem der irrsinnige Professor Yondo einige geschaffen haben
007 sollte! Larry merkte, wie sein Blut in den Schläfen hämmerte
008 und der Pulsschlag sich beschleunigte. Yondo sollte ein Versteck
009 haben! Sollte durch einen tragischen Zufall das Flugzeug in
010 unmittelbarer Nähe dieses Verstecks, so weit von Tokio entfernt,
011 abgestürzt sein? Dann war es ausgeschlossen, daß man Yondo
012 und seine Mutanten fand. Ein besseres Versteck zur Entwicklung
013 und Ausdehnung der Gruppe gab es nicht. Plötzlich tauchte die
014 zweite riesige behaarte Gestalt auf. Tonko, das Monster aus der
015 Retorte, mit dem Instinkt des Stammesführers und der Schläue
016 des Menschen (...). Er war über zwei Meter groß. Auf seinen
017 Armen trug er einen reglosen Menschen. Es handelte sich um einen
018 jungen Mann, um einen Passagier der Boeing 737. Der Mann
019 stöhnte und wimmerte leise. Er schien stark verletzt zu sein und
020 Fieber zu haben. Tonko öffnete sein Maul und fletschte wie ein
021 Urtier die Zähne. Ein lautes Brüllen kam aus der Tiefe seiner
022 Kehle, als er den Amerikaner sah. Ein Mensch! Haß und Zorn
023 mischte sich in ihm und trieben ihn sofort zum Angriff. Er warf
024 die Gestalt auf seinen Armen einfach dem Weibchen zu, winkelte
025 die Arme an und näherte sich mit ausgreifenden Schritten dem
026 verletzten Amerikaner. Der Regen hatte völlig nachgelassen.
027 Die Wolkendecke war ein wenig aufgerissen, aber nur noch schwaches
028 Tageslicht zeigte sich am Firmament. Larry Brent stellte sich
029 auf den Angriff ein, aber er war durch seine Verletzung und seine
030 Schwäche noch so gehandikapt, daß es für das Monster eine
031 Kleinigkeit war, den Agent zu schnappen und wie einen Spielball
032 in die Luft zu heben. X-RAY-3 merkte, wie wenig er mit
033 einer Hand ausrichten konnte. Für den Bruchteil eines
034 Augenblicks war er überzeugt davon, daß das Ungeheuer ihn packen
035 und auf dem Boden zerschmettern würde. Aber dann erkannte er,
036 daß Tonko ihn als eine Art Beute betrachtete, ein zufriedenes
037 Knurren über seine Lippen kam und seine Miene - wie bei einem
038 Menschen - sich vor Stolz und Genugtuung aufhellte. X-
039 RAY-3 versuchte sich dem kraftvollen Griff zu entwinden. Er
040 erinnerte sich daran, daß er vorhin doch noch seine Laserwaffe bei
041 sich gehabt hatte. Aber dann fiel ihm ein, daß er unmittelbar
042 nach dem Erwachen aus der Ohnmacht unwillkürlich nach dem
043 Schulterhalfter gegriffen und die Laser gesucht hatte. Bei dem
044 Sturz aus dem auseinanderbrechenden Flugzeug mußte er die
045 wirkungsvolle Waffe, die ihm jetzt einen unschätzbaren Dienst
046 erwiesen hätte, verloren haben. Danach war er auf die junge
047 Japanerin, die gleich ihm den Absturz überlebt hatte, aufmerksam
048 geworden und vergaß seine ursprüngliche Absicht, sich in der
049 unmittelbaren Umgebung nach der Smith und Wesson Laser umzusehen.
050 Immer wieder die Anzeichen einer noch nicht überwundenen
051 Gedankenschwäche (...). Larry Brent wurde von kraftvollen Armen
052 davongetragen. Es verwunderte ihn, daß man ihn am Leben ließ,
053 und ein eigentümliches Gefühl breitete sich in ihm aus. Als er
054 in die Höhle geschleppt wurde und in der Dämmerung zwei weitere
055 der behaarten Wesen erblickte, wurden seine Ahnungen noch trüber.
056 Gewißheit über seine Vermutungen aber erhielt er in dem Moment,
057 als Tonko ihn in die anschließende Nebenhöhle brachte. Es
058 roch nach Blut und Verwesung. Larry Brent schluckte. Er sah
059 Tierkadaver an der armdicken Stange an der Decke hängen - und
060 einen menschlichen Leichnam, der bereits blau angelaufen war. Auf
061 dem kahlen, rauhen Boden lagen oder hockten drei weitere Gestalten.
062 Zwei Männer und eine Frau. Die Frau kannte er. Es handelte
063 sich um die Japanerin, die er mit der verbundenen Hand
064 zurückgelassen hatte. Die Dolmetscherin war bewußtlos.
065 Offenbar war sie vor Angst und Entsetzen ohnmächtig geworden,
066 als die unheimlichen Gestalten sich ihr näherten. Einer der
067 Männer war der Bauer Ujeida, der mit leeren Blicken vor sich
068 hinstarrte; diesen Mann kannte Larry nicht. Aber dafür den
069 anderen, der ebenfalls an Armen und Beinen mit Bastriemen
070 gefesselt war. Neben diesem Mann wurde Larry Brent zu Boden
071 geworfen. Der Schmerz in seiner rechten Schulter strahlte über
072 den gesamten Rücken aus, und es war so fürchterlich, daß der
073 Amerikaner glaubte, man würde ihm mit einer rasiermesserscharfen
074 Klinge die Haut abschälen. Tonko verschwand im Dunkel, ohne
075 noch einmal die Fesseln des neuen Opfers zu überprüfen. Larry
076 Brent wandte den Blick und betrachtete mit unverhohlener Neugierde
077 den greisen, nervösen Mann an seiner Seite. Es war -
078 Professor Yondo! X-RAY-3 erkannte ihn nach den
079 Bildern, die er durch Keimatse von ihm gesehen hatte. Larry
080 Brent lächelte müde. " Das hätten Sie sich wohl auch nicht
081 träumen lassen, daß Ihr eigenes Geschöpf Sie nicht als Gast
082 aufnimmt, Professor? In ganz Japan werden Sie gesucht, und
083 Sie zogen es vor zu fliehen! Aber ich glaube, in
084 Polizeigewahrsam wäre es Ihnen besser ergangen als hier (...). Sie
085 sind vom Regen in die Traufe geraten, scheint es mir (...)! "
086 Yondo blickte seinen Nachbarn aus weitaufgerissenen Augen an.
087 " Gehören Sie etwa schon zu dem Trupp, der meine Spur gefunden
088 hat? " fragte er eisig. " Dann sieht es ja traurig mit Ihrer
089 Mannschaft aus. Tonko läßt sich nichts entgehen! Seine
090 Speisekammer ist schon beachtlich, finden Sie nicht auch? "
091 konnte er sich die makabre Bemerkung nicht verkneifen. Larry
092 schloß die Augen. Am liebsten hätte er sich die Nase zugehalten.
093 Der Verwesungsgeruch in dieser kalten, feuchten Nebenhöhle war
094 unerträglich. " Ihr Experiment ist gründlich mißlungen ",
095 entgegnete Larry. " Ihr Wesen aus der Retorte - ist ein
096 tierisches Ungeheuer, und die Frauen, die der Strahlung
097 ausgesetzt waren und deren Natur Sie auf so schaurige Art
098 verändert haben - sind es ebenfalls! Tonko kennt nicht einmal
099 das Gefühl der Dankbarkeit! Er behandelt Sie als einen
100 Fremden! " Yondo lachte irr. " Und das ist gut so, es
101 beweist mir nur, daß meine Theorie richtig war. Ich war - vor
102 zwei Tagen, als ich so überstürzt die Flucht antrat, allerdings
103 noch nicht so weit, um die Dinge in Ihrer ganzen Tragweite zu
104 begreifen. Ich hoffte, er würde mich erkennen, aber das war
105 nicht mehr der Fall. Tonko lebt ganz in seiner Welt - in einer
106 Welt, in der Menschen, wie wir sie darstellen, keinen Platz
107 mehr haben. Sie sind Feinde, sie müssen ausgerottet werden, um
108 der neuen Gruppe Platz zu machen, um ihr zu beweisen, daß ihre
109 Lebensform die einzig richtige ist (...). " Er unterbrach sich,
110 als draußen in der großen Haupthöhle plötzlich ein lautes
111 Kreischen ertönte, beifälliges Knurren und Pfeifen sich
112 bemerkbar machte und dann ein gellender, markerschütternder Schrei
113 das Innere des Berges erfüllte. Dann plötzlich Stille, und
114 man hörte nur noch ein Schmatzen (...). Larry Brent schluckte.
115 " Kannibalen (...) ", murmelte er. " Sie können das Verbrechen an
116 der Menschheit nie wieder gut machen. " Yondo lachte. Sein
117 Gesicht leuchtete weiß, wie verklärt aus dem Dunkel vor Larry
118 Brent. " Was da draußen geschieht, zeigt doch nur das
119 Animalische, das wir alle in uns tragen. Kannibalismus gab es
120 noch in jüngster Zeit, ja, gibt es noch heute, wie populäre
121 Forschungsreisende zu berichten wissen, die mit Stämmen in
122 tropischen Dschungeln in Berührung kamen, die noch keinerlei
123 Kontakt mit der so gepriesenen modernen Welt hatten. - Tonko
124 und seine Gefährtinnen folgen dem Urtrieb der Natur: sie machen
125 sich das Schwache untertan, sie erlegen Tiere, verspeisen sie -
126 so machte es das Menschengeschlecht vor vielen Jahrhunderttausenden,
127 und so geschieht es auch noch heute. Für Tonko sind wir auch
128 nur Tiere, die den Essenstrieb der Rasse befriedigen. "
129 " Immerhin beruhigt es mich zu wissen, daß Sie auch nicht
130 davonkommen ", erwiderte Larry Brent. Ironisch fügte er hinzu:
131 " Das von Ihnen geschaffene Monster wird Ihre Knochen
132 abnagen - erschreckt Sie das nicht, Yondo? " Der Gefangene
133 lachte wieder leise. " Warum sollte es? Ich glaube nicht, daß
134 Tonko es so weit kommen läßt. Es wird mir gelingen, ihn davon
135 zu überzeugen, daß es ein Fehler von ihm ist, mich ebenfalls
136 aufzufressen. Ich bin der einzige, der ihm helfen kann. Auch
137 für die Zukunft (...). " " Es ist fraglich, ob er das noch
138 begreifen wird. Urtriebe lassen sich wohl durch logische
139 Erklärungen nicht beseitigen (...). " Draußen hörte man, wie
140 ein Knochen an eine Felswand geworfen wurde. In der kleinen
141 stinkenden Nebenhöhle war es still. Larry Brent dachte
142 verzweifelt nach, während er mechanisch anfing, seine Bastriemen
143 an der rauhen, scharfkantigen Rückwand zu wetzen, in der
144 Hoffnung, seine Hände freizubekommen. Die Nacht brach an, und
145 er arbeitete noch immer. Er konnte kein Auge schließen. Wer von
146 ihnen würde der nächste auf Tonkos Speisezettel sein? Als der
147 Schatten am Eingang zur Nebenhöhle auftauchte verhielt X-
148 RAY-3 sofort in der Bewegung, um nicht unnötigerweise auf
149 sich aufmerksam zu machen. Er atmete tief und fest, um damit
150 anzudeuten, daß er schlief. Ob das eine gute Entscheidung war,
151 wußte er nicht. Yondo neben ihm bewegte sich. Auch der Bauer
152 Ujeida stöhnte leise. Die kleine Dolmetscherin gab einen
153 erschreckten Ausruf von sich, als das riesige Wesen so unverhofft
154 in der Höhle auftauchte. " Du kannst dir nehmen, was du willst,
155 Tonko ", tönte Yondos Stimme auf, hart und eiskalt, und
156 doch bittend, aber auch gleichzeitig befehlend. " Es ist völlig
157 richtig, was du tust. Du mußt so handeln. Aber es wäre ein
158 Fehler, wenn du mich (...) ah (...). " Sein Aufschrei hallte durch
159 die Höhle, als die langen behaarten Arme nach ihm griffen und ihn
160 vom Boden hochhoben, als wäre er leicht wie eine Puppe. " Du
161 begehst einen Fehler, Tonko! " Yondos Stimme überschlug sich.
162 Er warf den Kopf hin und her. " Du kannst das nicht tun, nimm
163 die andern - ich werde dafür sorgen, daß deine Macht hier
164 ständig zunimmt. So verstehe mich doch, Tonko. - Tonko (...)! "
165 Gurgelnd und schmatzend trug das riesige Monster ihn nach
166 draußen. Die in der Nebenhöhle zurückgebliebenen hörten noch
167 das Schreien und Kreischen, die sinnlosen Hilferufe, die in
168 dieser abgeschiedenen Einsamkeit verhallten. Larry preßte die
169 Lippen zusammen. " Die Geister, die er rief ", murmelte er
170 unwillkürlich vor sich hin. " Jetzt kann er sie nicht mehr
171 bändigen! " Plötzlich war es völlig still. Totenstill.
172 Yondo schrie nicht mehr. Er arbeitete schwitzend und
173 ununterbrochen weiter. Er mußte die Bastriemen durchkriegen.
174 Unter normalen Umständen hätte er es längst geschafft, doch er
175 konnte nur mit der rechten Hand Druck ausüben. Seine linke Hand
176 war angeschwollen und völlig gefühllos. Er konnte nicht einmal
177 einen Finger rühren. Aber dann hatte er es doch geschafft. Die
178 Bastschnur war durchgewetzt. Der Schweiß stand auf Larrys
179 Stirn vor Schwäche und Anstrengung. Seine Augen waren ständig
180 auf den Eingang der Höhle gerichtet. Er hoffte, daß das
181 Ungeheuer nicht so schnell zurückkehrte. Sonst war alles umsonst.
182 Die Chancen für einen Erfolg seines Vorhabens waren sowieso
183 äußerst gering. Mit einer raschen Bewegung streifte er den Rest
184 der Fessel ab und löste dann auch die Bastschnur von seinen
185 Füßen. Vorsichtig, ohne sich zu erheben, rutschte er dann auf
186 seinen Nebenmann - jetzt der Bauer Ujeida - zu. " Sind Sie
187 wach? " fragte er. Seine Stimme war wie ein Hauch.
188 " Können Sie mich verstehen? " Der Mann neben ihm nickte.
189 " Ich bin frei. Wir müssen versuchen, von hier wegzukommen.
190 Ich werde Ihnen jetzt die Fesseln lösen. " Larry Brent biß die
191 Zähne zusammen. Wieder gingen wertvolle Minuten verloren, da er
192 nur mit einer Hand arbeiten konnte. Doch er befreite Ujeida.
193 Dann kam die kleine Japanerin an die Reihe. Auch sie war
194 hellwach, was in Anbetracht der besonderen Situation kein Wunder
195 war. " Wir kommen hier nie im Leben 'raus ", bemerkte sie
196 pessimistisch. " Bitte noch völlig still verhalten ",
197 entgegnete Larry Brent. " Vielleicht kommen sie gar nicht mehr
198 in die Höhle. Wenn sie schlafen - dann machen wir uns auf den
199 Weg. Wir schleichen uns davon, den Berg hinunter. Der Bauer
200 hier kennt den Weg (...) ". Er wollte noch etwas sagen, aber seine
201 Worte blieben ihm in der Kehle stecken. Das schlurfende
202 Geräusch vom Höhleneingang her sagte ihm genug. Tonko stand da,
203 hochaufgerichtet und füllte den natürlichen Bogen im Gestein
204 mit seiner massigen Gestalt aus. Larry Brent sprang auf die
205 Beine. Er taumelte, fand aber sofort das Gleichgewicht wieder.
206 Er hatte keine andere Wahl. Er mußte sich dem Gegner stellen.
207 Tonko verfügte über unmenschliche Kräfte, aber er, Larry,
208 hatte die Gabe des Geistes. Er konnte nur mit List und Geschick
209 ein gleichwertiger Gegner sein. X-RAY-3 ließ das
210 Monster auf sich zukommen. Die junge Dolmetscherin und der
211 zitternde Bauer wichen in den äußersten Winkel der finsteren
212 Höhle zurück. Tonko knurrte, daß es von den Wänden
213 wiederhallte.
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