Kant: Briefwechsel, Brief 848, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.      
           
  Berlin den 15ten November 1799.      
           
  Innigstgeliebter Freund,      
           
  Wie sehr habe ich mich gefreut von Ihnen einen Brief zuerhalten;      
  er ist mir ein überzeugender Beweis, daß Sie mich nicht ganz      
  vergessen haben, aber es hat mich auch sehr betrübt, aus Ihrem      
  Briefe zu ersehen, daß Sie an heftigem Kopfschmerz leiden. Guter      
  Mann, wer wünschte Ihnen nicht ein glückliches, schmerzenloses Alter!      
  Die Teltower Rüben waren für Sie schon längst bestellt, ehe Sie      
  an mich schrieben; habe sie nur später erhalten als ich es erwartete,      
  weil in diesem Iahre selbst die Erdfrüchte beinahe 4 Wochen      
  später zeitig geworden sind, als gewöhnlich. Künftigen Montag gehen      
  sie mit dem Frachtfuhrmann von hier ab, und ich hoffe, Sie werden sie      
  vor dem Frost erhalten. Ich werde Fracht, Accise und alles andere      
  berichtigen, so daß Sie nur nöthig haben sie abholen zu laßen. Es      
  wird mich sehr freuen, wenn meine kleinen Landsleute nach Ihrem      
  Geschmack sind; meine Mutter die von derselben Art gekauft hat, hat      
  mir davon zur Probe kochen laßen, und ich habe sie sehr wohlschmeckend      
  gefunden.      
           
  Außer diesem Produkte meines vaterländischen Bodens aber erhalten      
  Sie noch ein Produkt, von mir den ersten Theil der Prüfung      
  der Herderschen Metakritik. Die Wahrheit gesagt, so hielt ich das      
  Herdersche Geschwätz an sich kaum einer Widerlegung würdig, und ich      
  würde mich auch nicht damit befaßt haben, wenn der alte radottirende      
  Wieland im Deutschen Merkur nicht so gewaltig zum Lobe dieses Geschreibsel      
  in die Posaune gestoßen hatte, und der Ton des sonst so      
  gleisnerischen, pfäffischen Herders, mich nicht so sehr beleidigt hätte.      
  Ich bin, wie Sie sehen werden, streng, aber wie ich glaube als ein      
  gentleman mit ihm verfahren. Auffallend und lächerlich ist es, daß die      
  meisten Gegner Ihres Systems sich vorzüglich gegen den Einwurf      
           
  sträuben, sie hätten Sie nicht verstanden, und daß man doch größtentheils      
  mit Recht ihnen diesen Vorwurf machen muß. Nichts hat mich      
  mehr amusirt, als wenn Herder über Mathematik zu schwatzen anhebt;      
  es ist kaum möglich, weniger als er in den Geist dieser Wissenschaft      
  eingedrungen zu sein und doch arroganter darüber zu sprechen. Man      
  kann ihm warlich mit Recht zurufen. Si tacuisses      
           
  In der litterärischen Welt hat sich nichts von Bedeutung zugetragen.      
  Fichte befindet sich noch hier, ich habe ihn im Schauspielhause      
  gesehen, aber nicht gesprochen. Er lebt sehr eingezogen und      
  hat außer Gedicke, niemanden von den hiesigen Gelehrten besucht.      
  Man sagt, er sei beim Staatsrath um die Erlaubniß in Berlin öffentliche      
  Vorlesungen halten zu können, eingekommen, dieser aber habe      
  sein Gesuch abgeschlagen. Ietzt beschäftigt er sich blos mit Schriftstellerei      
  und arbeitet, wie mir Ben David erzählte an einem philosophischen      
  Werk, das er in drei Bänden mit den Titeln: Wissen, Zweifel, Glauben      
  herausgeben will. Von dem Ertrage des Bücherschreibens möchte er      
  wohl schwerlich leben konnen, allein ich glaube, daß er mit seiner Frau      
  ein betrachtliches Vermögen erheirathet hat.      
           
  Einiges Aufsehen macht hier Diogenes mit der Laterne, den man      
  allgemein dem Prediger Iänisch zuschreibt. Das Werk ist cynisch.      
  Der Verfasser hat es auch mit der kritischen Philosophie, die er aber      
  meines Erachtens wohl nicht durchaus gefaßt haben möchte, hin und      
  wieder zu thun. Von Ihnen erzählt er drei Urtheile, über Reinhold,      
  Beck und Fichte, deren Wahrheit ich dahin gestellt sein laße. Sollte      
  Iänisch wirklich der Verf[asser] sein, so würde es ihm gewiß nicht zur      
  Ehre gereichen.      
           
  Nikolai phantasirt noch immer über kritische Philosophie und Fichtianismus;      
  und nun er Academicien geworden, hält er es für Pflicht      
  sein Geschreibsel zu verdoppeln.      
           
  Sie werden aus den Berliner Zeitungen gesehen haben, daß in      
  Berlin gewaltig viel Vorlesungen angekündigt werden, wenn sie gleich      
  nicht zur Hälfte zu Stande kommen. Ich muß ex officio sehr viel      
  Vorlesungen halten, allein ich bin doch mit meinem applausu zufrieden      
  und die Anzahl meiner Zuhörer nimmt von Iahr zu Iahr zu. Sonntags      
  von 10 bis 12 lese ich über Ihre Anthropologie und mein ziemlich      
  großer Hörsaal ist gedrängt voll. Ich zähle Personen von allen      
  Ständen, Studirende, Bürger, Offizire etc. zu meinen Zuhörern.      
           
           
  So eben erfahre ich den Namen des Frachtfuhrmanns der Ihnen      
  die Rüben bringt, er heißt Segemund. Meine Mutter erinnert, da      
  die Rüben nur eine Viertelstunde zu kochen nöthig haben, und da      
  sie von Ihrer Güte verliehren, wenn sie länger kochen.      
           
  Dürfte ich Sie ersuchen Herrn Hofprediger Schulz einliegendes      
  Briefchen zu schicken.      
           
  Geben Sie mir doch recht oft Gelegenheit, Ihnen zu zeigen, wie      
  herzlich ich Sie liebe und hochschätze. Wenn Sie wüßten, wie oft ich      
  mich innigst gerührt Ihres genoßenen Umgangs und Ihrer Belehrung      
  erinnere und wie sehnlich ich wünsche, Sie einmal wieder zu sehen.      
  Ich habe hier Ihre Büste gekauft, die mir sehr ähnlich zu sein      
  scheint, und sie ist mir unschätzbar, weil sie mir das Bild des Mannes      
  vor Augen stellt, dem ich mein ganzes Glück verdanke.      
           
  Leben Sie wohl, theurer Mann, genießen Sie frohe und glückliche      
  Tage, niemand verdient sie gewiß mehr als Sie. Vergessen sie nicht ganz      
           
    Ihren      
    dankbaren Schüler      
    I. G. C. Kiesewetter.      
           
  N. S. Die Prüfung der Metakritik will Ihnen der Buchhändler      
  mit Gelegenheit schicken.      
           
           
           
     

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