Kant: Briefwechsel, Brief 827, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.      
           
  25. Nov. 1798.      
           
  Innigstgeliebter Freund und Lehrer,      
           
  Sein Sie nur nicht böse, daß ich erst jetzt Ihren lieben Brief      
  beantworte, ich wollte Ihnen nicht eher schreiben bis ich Ihnen den      
  Abgang der Rüben melden könnte und da diese fortgeschickt waren,      
  fanden sich eine Menge Hindernisse, die mich bis jetzt vom Schreiben      
  abhielten. Das Fäßchen mit Rüben müssen Sie bald nach Empfang      
  dieses Briefs erhalten, der Fuhrmann der es Ihnen bringt heißt Wegener,      
  das Fäßchen ist gezeichnet: H. P. K. in Königsberg in Preussen,      
  Fracht, Accise und Zoll ist alles schon errichtet, so daß Sie es durch      
  Lampe ohne alle weitere Umstände können abholen laßen. Sie glauben      
  nicht, wie herzlich ich mich freue, wenn ich eine Gelegenheit erhalte      
  Ihnen irgend worin dienen zu können; ich wünsche nur recht sehr,      
  daß die Rüben Ihren Beifall erhalten möchten; es sind eingebohrne      
  Teltower und die ich zur Probe kochen ließ haben mir gefallen. Ihre      
  Köchin muß sie an einem trockenen Ort in Hexel aufbewahren, und      
  wen sie sie kocht mit lauem, nicht mit kaltem Wasser abwaschen, und so      
  gleich in die heiße Fleischbrühe oder das heiße Wasser kochen. Setzen      
  Sie kein Mistrauen in den Rath, er kömmt nicht von mir, sondern      
  von meiner Mutter die eine gute alte Hausfrau ist.      
           
  Ihr Streit der Fakultäten und Ihre Anthropologie haben mir      
  unendlich viel Freude gemacht, die letztere vergegenwärtigte mir oft die      
  glückliche Zeit, da ich Ihres mündlichen Unterrichts genoß; eine Zeit,      
  die mir ewig unvergeßlich sein wird. Könnte ich Sie doch noch einmal      
  sehen und Ihnen persönlich danken. Sie sind der Schöpfer meines      
  Glücks, was ich etwa weiß und was ich bin verdanke ich größtentheils      
  Ihnen, und der Gedanke, daß ich kein unwürdiger Schüler von Ihnen      
  bin, macht mich froh. - O mein theurer Freund, wie unendlich viel      
  Gutes haben Sie durch Ihre Schriften gestiftet, welch eine reiche Erndte      
  kann die Welt von dem Saamen erwarten, den Sie ausgestreut haben.      
           
  Was Ihr System in England für Fortschritte macht, werden Sie      
  wahrscheinlich durch Herrn Nitsch erfahren haben; ich habe neuerdings      
  Nachrichten aus Frankreich über diesen Gegenstand erhalten, die ich      
  Ihnen mittheilen will. Ihre Schrift, zum ewigen Frieden, erregte      
           
  wegen des Gegenstandes durch die in Königsberg veranstaltete Uebersetzung      
  Aufsehen in Paris, allein man fand die Uebersetzung hart und      
  sie wollte dem eklen Pariser nicht gefallen, nur da erst als ein Pariser      
  Gelehrter, dessen Name mir entfallen ist, in einer Zeitschrift den Innhalt      
  nach französischer Manier aufstellte, woraus nachher im Moniteur      
  Auszüge geliefert wurden, ward jedermann enthusiastisch eingenommen      
  und wünschte mit Ihrem System näher bekannt zu werden. Dieser      
  Wunsch ward vorzüglich bei mehreren Mitgliedern des institut national      
  rege, und man trug vor einiger Zeit dem HE von Humboldt dem ältern      
  auf, über die Resultate Ihres Systems im institut eine Vorlesung zu      
  halten. Dieser unterzog sich auch dieser Sache, ob er gleich nicht das      
  gehörige Zeug dazu hat und zeigte, der Nutzen der kritischen Philosophie      
  sei negativ, sie halte die Vernunft ab, im Felde des Uebersinnlichen      
  Luftschlösser zu bauen. Die Pariser Gelehrten antworteten, da      
  sie nicht in Abrede sein wollten, daß Sie auf eine neue und scharfsinnigere      
  Art die Wahrheit dieses Resultats bewiesen hätten, daß aber      
  dadurch so viel eben nicht gewonnen sei, weil dis Resultat auch schon      
  sonst bekannt gewesen, sie fragten, ob Sie denn blos eingerissen und      
  nichts aufgebaut hätten, und denken Sie sich, Herr von Humboldt      
  kannte blos den Schutt, der durch die Critik eingestürzten Systeme. Si      
  *L tacuisset, philosophus mansisset +. Der Gesandte der Hanseestädte,      
  Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurth in Paris, wohnte dieser Vorlesung      
  bei, und da er mit den kritischen Schriften nicht unbekannt ist,      
  nahm er an dieser Vorlesung großes Aergerniß, er bestritt Humboldts      
  Behauptung, war aber nicht im Stande Ihr System selbst aufzustellen.      
  Dieser Gesandte kam vor einigen Wochen nach Berlin, suchte meine      
  Bekanntschaft, erzählte mir den Vorfall und nützte die Zeit seines Aufenthalts      
  allhier, um mit dem Geiste und den Resultaten Ihres Lehrgebäudes      
  näher bekannt zu werden. Er war entzückt über das was      
  er hörte und wünschte nun nichts sehnlicher, als die Pariser Gelehrten      
  von ihrem Irrthum zurückzuführen; ich habe ihm versprochen, dazu      
  mitzuwirken. Dis wird nun, wie ich glaube am besten auf folgende      
  Weise geschehen. Ich will zuvörderst die Resultate Ihrer philosophischen      
  Untersuchungen kurz zusammengedrängt, leicht und faßlich aufstellen,      
  doch so daß ich mich auf die Beweise nicht weiter einlaße. Das Ganze      
  darf nicht über 6 bis 8 Bogen einnehmen. Mit Aufstellung des formalen      
  Moralprincips und mit einem kurzen Abriß der Ethik und des      
           
  Naturrechts will ich den Anfang machen, durch die Antinomie über      
  Freiheit und Naturnothwendigkeit will ich den Uebergang zur Critik der      
  reinen Vernunft machen, auf diese den Abriß der metaphysischen Anfangsgründe      
  der Naturwissenschaft folgen laßen, und so dann mit den      
  Principien der Critik der Urtheilskraft schließen. Bin ich mit diesem      
  Aufsatze zufrieden, so will ich so dann dieselben Ideen französisch niederschreiben,      
  und die Schrift mit einem meiner besten Schüler der das      
  Französische vollkommen inne hat, durchgehen um Sprachfehler und Germanismen      
  auszumerzen. Beide den deutschen und französischen Aufsatz      
  will ich an meinen Freund nach Paris schicken, er soll den letztern      
  mehreren Gelehrten, die gar nicht wissen müssen, daß er eine Uebersetzung      
  ist, vorlesen, damit diese alles was hart und eckigt ist, wegschleifen,      
  und so dann mag er ins Publikum gehen. Ich wünsche, mein      
  theurer Freund, daß dieser Plan von Ihnen genehmigt werde, geschieht      
  dis, so will ich mich getrost an die Arbeit machen. - Es gäbe freilich      
  einen kürzern Weg zum Ziel, ein Mann der sich jetzt bei uns in      
  Berlin findet, würde gern die Hände darzubieten, allein die Regierung      
  hat hier, eine für mich wenigstens unübersteigliche Barriere gezogen.      
  Ich denke Sie werden mich verstehen.      
           
  Meine übrigen schriftstellerischen Arbeiten sind, ein Lehrbuch der      
  reinen Mathematik und die Besorgung der dritten Auflage meiner      
  Schrift über den ersten Grundsatz der Moralphilosophie, welche ich      
  völlig umzuarbeiten und mit einem dritten Theil zu vermehren gedenke.      
  Was das Lehrbuch der reinen Mathematik betrift, so werde ich eine      
  ganz neue Methode befolgen; ich will nämlich in demselben nicht die      
  Auflösungen und Beweise, wie dis immer geschieht, selbst aufstellen,      
  sondern nur Anleitung geben, wie man dieselben finden kann, diejenigen      
  Fälle ausgenommen, wo die Auffindung mit zu viel Schwierigkeiten      
  verknüpft wäre. Ich glaube, daß ein mathematisches Lehrbuch in dieser      
  Form dem Lehrer und Zuhörer angenehm sein wird. - Bei Bearbeitung      
  dieses Werks aber stoße ich auf eine Schwierigkeit, über die ich mir      
  Ihren gütigen Rath erbitte. Es scheint mir, als wenn man bisher      
  einen Theil der reinen Mathesis mit Unrecht zur angewandten gezählt      
  habe, dis ist nämlich die reine Größenlehre der Bewegung. Die      
  reine Mathesis zerfällt meines Erachtens in zwei Haupttheile, der      
  erste beschäftigt sich mit der Quantität überhaupt, Arithmetik, sie hat      
  blos symbolische Construktion, der zweite auf Quanta, reine Quanta      
           
  giebt es zwei, Raum und Zeit, der erste ist Gegenstand der Geometrie;      
  die zweite ist an sich nicht zu construiren, sondern nur durch Bewegung      
  im Raum, die reine Größenlehre der Bewegung würde also den drittten      
  Theil der reinen Mathesis ausmachen. - Auch wünschte ich, mein      
  hochgeschätzter Freund eine Definition von Postulat zu haben, wodurch      
  dieser Begrif so wohl für die Mathematik als Philosophie hinreichend      
  bestimmt, und sein Unterschied von Grundsatz angegeben würde.      
  Verzeihen Sie meine Zudringlichkeit, die sich freilich nur durch das      
  feste Vertrauen auf Ihre Güte entschuldigen läßt.      
           
  Von litterärischen Neuigkeiten weiß ich wenig. Garve ist dem      
  Ende seines Unglücks nahe. - Mattern Reuß, der so viel zur Verbreitung      
  der kritischen Philosophie im südlichen Deutschland beitrug,      
  ist todt, er hat mir von seinem Todbette durch zwei seiner liebsten      
  Schüler den letzten Gruß gesandt; ich erhielt diesen mit der Nachricht      
  von seinem Tode zu gleicher Zeit. Die Nachricht hat mich sehr erschüttert.      
       
           
  Der gelehrte Partheigänger Kriegsrath Genz, hat von der Regierung      
  800 rthlr. jährliche Zulage und den Auftrag erhalten ein Regierungsjournal      
  zu schreiben; wie dis eigentlich beschaffen sein soll,      
  weiß ich noch nicht, soviel aber ist ausgemacht, es soll ein Gegengift      
  sein.      
           
  Ich fürchte Ihre Geduld zu ermüden, darum schließe ich meinen      
  Brief. - Meine besten Wünsche für Ihr Wohl. - Darf ich eine      
  baldige Antwort von Ihnen hoffen? - Um diese und daß Sie einen      
  Mann ein wenig lieb behalten, der Sie über alles liebt und schätzt      
  bittet Sie      
           
    Ihr      
  Berlin den 25ten November 1798. dankbarer Schüler      
    Kiesewetter.      
           
           
           
     

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