Kant: Briefwechsel, Brief 808, Von Iohann Richardson.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Richardson.      
           
    Altenburg      
    den 21 Iun. 1798.      
           
  Sie werden mit dieser Post den ersten Band Ihrer Versuche und      
  Abhandlungen erhalten, worin ich nach meinen besten Kräften mir      
  Mühe gegeben habe, Ihren Sinn auszudrücken, und den Geist Ihrer      
  Werke zu fassen. Ich weiß nicht, ob ich glücklich genug gewesen bin,      
  dasjenige andern deutlich zu machen, was mich nicht nur höchlich interessirt      
  und belehrt, sondern mich auch aufgeklärter, ja, ich sage es      
  aufrichtig, mich zu einem bessern Menschen gemacht hat.      
           
  Unter dem gemeinen Titel: Versuche, habe ich viel metaphysische      
  Materie versteckt. Durch dieses Mittel hoffe ich meine Landsleute, die      
  noch immer in der Empirie ersoffen sind, zu bewegen, daß sie eine      
  besser gegründete, und nach meinem demüthigen Dafürhalten, die einzig      
  wohl gegründete Philosophie, studieren. Der Übergang von der Empirie      
  zu dem kritischen Idealismus, scheint so schwer zu seyn, (und ich gestehe,      
  es selbst so gefunden zu haben, und daß ich dem Beystande      
  meines würdigen und gelehrten Freundes Prof. Beck viel verdanke)      
  und ich werde daher noch einige Iahre die geringfügigen Kritiken meiner      
  Landsleute mit Geduld ertragen. Selbst in Deutschland wo die      
  Gelehrten den Vortheil haben, Ihre Werke im Original zu lesen, ist      
  Ihr System wenigstens zwölf Iahre hindurch unverständlich geblieben,      
  und was noch schlimmer ist, hat Gelegenheit zu absurden Theorien,      
  und ungeheuern Verirrungen gegeben. Ein Beweis hievon ist Fichte,      
  unter dem ich, verleitet durch den großen Ruf dieses Mannes, die      
  Philosophie studiren wollte, der mir aber in weniger als zehn Tagen      
  seine Philosophie so verekelte, daß ich sein Auditorium nicht mehr besuchte.      
       
           
  Ich sage Ihnen tausend Dank für die gütige Beantwortung der      
  von mir dem Prof. Iakob vorgelegten Fragen, und für die verbindliche      
  Art, mit der Sie im Briefe an P. Beck meiner gedenken. Doch      
  muß ich mir jetzt von Ihnen eine große Gewogenheit erbitten, nähmlich,      
  einige wenige Zeilen unmittelbar von Ihrer eigenen      
  Hand, und die gütige Erklärung folgender Stellen:      
           
  In Ihren Beobachtungen über das Gefühl des Schönen      
           
  und Erhabenen, S. 90, wo Sie von einer Schönen sagen: Es ist      
  Schade, daß die Lilien nicht spinnen.      
           
  In: Die falsche Spitzfündigkeit der vier syllogistischen      
  Figuren erwiesen, gegen das Ende von N. 5, wo Sie mit einem      
  Colossus vergleichen, der sein Haupt in den Wolken des Alterthums      
  verbirgt, und dessen Füße von Thon sind.      
           
  Ich würde Sie mit diesen Fragen nicht belästiget haben, wenn ich      
  nur irgend jemand gefunden hätte, sie mir zu beantworten. Ietzt will      
  ich Ihnen nicht mehr von Ihrer kostbaren Zeit rauben, sondern nur      
  versichern, daß Sie keinen größern Bewunderer in der Welt haben als      
  mich, und daß Sie niemand mit aufrichtigerer Dankbarkeit verehret.      
  Ich bin etc.      
           
  Ioh. Richardson.      
           
  N. S. Meine Adresse ist: Bey dem Freyherrn von Mühlen in      
  Altenburg.      
           
           
           
     

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