Kant: Briefwechsel, Brief 711, Von Ephraim Gotthold Dominici.  | 
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| Von Ephraim Gotthold Dominici. | |||||||
| 28. Iuli 1796. | |||||||
| Wohlgebohrner! | |||||||
| Hochzuverehrender Herr Profeßor! | |||||||
| Schon vor einigen Iahren hatte ich einmal den Vorsatz gefaßt, | |||||||
| Ew: Wohlgebohr: mit der Bitte beschwerlich zu fallen, mir eine Dunkelheit, | |||||||
| den moralischen Beweis für das Daseyn Gottes betreffend, gütigst | |||||||
| aufzuhellen. Ich nahm aber immer Anstand, meinen Vorsatz auszuführen | |||||||
| und hoffte, theils durch eignes Nachdenken, theils durch Lectüre, | |||||||
| mir das gewünschte licht zu verschaffen. Meine Hoffnung ist | |||||||
| nicht erfüllt worden. Ich wage es daher, Ew: Wohlgebohr: selbst, | |||||||
| meine Bedenklichkeit freymüthig darzustellen. Sie betrifft nur Einen | |||||||
| Punct, über welchen ich seit mehrern Iahren Auskunft gesucht und | |||||||
| nirgends gefunden habe. | |||||||
| Ich meine nicht zu irren, wenn ich den moral. Beweis, den man | |||||||
| (wie Sie in der Critik der Urtheilskraft sagen) leicht die Form der | |||||||
| logischen Präcision anpaßen kann, durch folgenden Syllogism ausdrücke: | |||||||
| Wenn kein Gott ist: So ist die Ausübung des moralischen Gesetzes | |||||||
| (weil als dann keine der moral: guten Gesinnung angemeßne Glückseeligkeit | |||||||
| zu hoffen ist) unmöglich. Nun ist das zweyte falsch. Also | |||||||
| auch das Erste. | |||||||
| Diesen Schluß kann ich auch auf folgende Sätze zurück bringen: | |||||||
| Ich soll das moralische Gesetz erfüllen (um der Glückseeligkeit | |||||||
| würdig zu werden) | |||||||
| Ich will glückseelig werden. | |||||||
| Ich kann es, ohne Gott, nicht werden. | |||||||
| Ich muß es aber werden können. | |||||||
| Also ist ein Gott | |||||||
| Der vierte von diesen Sätzen läuft mit dem Untersatze des vorigen | |||||||
| Schlusses auf Eins hinaus. | |||||||
| Nun glaube ich berechtigt zu seyn, nach dem Grunde des Satzes: | |||||||
| Ich muß glückseelig werden können, oder, die Ausübung des moralischen | |||||||
| Gesetzes ist möglich, zu fragen. Und diesen Grund finde ich nicht. | |||||||
| Es soll doch durch jene Gedankenreihe der Glaube an Gott, wo | |||||||
| nicht hervorgebracht, doch wenigstens befestiget werden. In dem Augenblicke, | |||||||
| da ich sage: Ich muß glückseelig werden können, glaube ich | |||||||
| entweder noch das Daseyn Gottes nicht, oder mein Glaube wankt noch. | |||||||
| In diesem Zustande muß ich es daher für möglich halten, daß kein | |||||||
| Gott ist und daß ich das Werk einer blindwirkenden Ursache bin. | |||||||
| Von einer solchen Ursache kann ich aber nicht das Mindeste hoffen | |||||||
| und noch weit weniger bewogen werden, zu behaupten, daß ich glückseelig | |||||||
| werden müße. | |||||||
| Ew. Wohlgebohr: sagen in der Critik der Urth. Kr. S. 457. | |||||||
| "Der Glaube an Gott ist ein Vertrauen auf die Verheißung des moralischen | |||||||
| Gesetzes. Denn ein Endzweck kann durch kein Gesetz der | |||||||
| "Vernunft geboten seyn, ohne daß diese zugleich die Erreichbarkeit | |||||||
| "deßelben, wenn gleich ungewiß, verspreche und hiemit auch das Fürwahr | |||||||
| halten der einzigen Bedingungen berechtige, unter denen unsre | |||||||
| "Vernunft sich diese allein denken kann." | |||||||
| Ich vermiße hier wieder den Grund zu jenem Vertrauen. Denn | |||||||
| wenn ich das Daseyn eines weisen und gerechten Weltregierers nicht | |||||||
| schon voraussetze: So habe ich hinlänglichen Grund, gegen die Einrichtung | |||||||
| meiner Natur mistrauisch zu seyn, und zu fürchten, daß die | |||||||
| blindwirkende Ursache, deren Werk ich vielleicht bin, das moralische | |||||||
| Gesetz mit einer Verheißung verknüpft habe, die gar nicht in Erfüllung | |||||||
| gehen kann. | |||||||
| Hierauf erwiedert man: daß ja dann der Mensch ein Wesen seyn | |||||||
| würde, welches unauflösliche Widersprüche enthielte, die seine ganze | |||||||
| Würde zerstörten. Dabey wird nun vorausgesetzt, daß der Mensch | |||||||
| keine solche Widersprüche enthalten könne. Da mit diesem Satze, wie | |||||||
| meine, der moral: Beweis steht oder fällt: So habe ich mir den Gang, | |||||||
| den die kritische Philosophie in Ansehung der beyden Hauptwahrheiten | |||||||
| der Religion, nimmt, auf folgende Weise dargestellt. | |||||||
| Der Mensch kann nicht ein Wesen seyn, welches unauflösliche | |||||||
| Widersprüche enthielte. | |||||||
| Ein solches würde er aber seyn, wenn keine Unsterblichkeit wäre. | |||||||
| Also ist eine Unsterblichkeit. | |||||||
| Sie kann aber ohne Gott nicht seyn. | |||||||
| Also ist ein Gott. | |||||||
| Der erste Satz wird nun allemal ganz isolirt, ohne einige Bestätigung, | |||||||
| wodurch er wenigstens glaublich würde, aufgestellt. Und doch | |||||||
| meine ich fragen zu müßen, was uns berechtige, ihn gleichsam als | |||||||
| Axiom, anzunehmen, da, wenn kein Gott ist, das Gegentheil deßelben | |||||||
| ganz wohl möglich ist? Die Antwort auf diese Frage finde ich nirgends. | |||||||
| Ich halte deswegen die Ethicotheologie für unbefriedigend. | |||||||
| Welche Freude würde es mir machen, wenn Ew: Wohlgebohr: | |||||||
| die Güte hätten, mich vom Gegentheil zu überzeugen, oder mein ferneres | |||||||
| Nachdenken wenigstens durch einige Winke, zu leiten. | |||||||
| Von einem Gegenstande, mit welchem man sich so lange, so anhaltend | |||||||
| beschäftigt hat, als ich mit diesem, spricht man gern. Aber | |||||||
| ich überwinde die Versuchung, Sie noch mit manchen Herzenseröffnungen | |||||||
| zu unterhalten, und versichere nur noch, daß ich mit der innigsten | |||||||
| Verehrung verharre | |||||||
| Ew: Wohlgebohr: | |||||||
| ganz ergebenster Diener. | |||||||
| Oels in Schlesien. | Ephraim Gotthold Dominici, | ||||||
| d: 28 Julii | Herzogl: Braunschweig=Oelsnischer | ||||||
| 1796. | Hof= und Stadt=Prediger. | ||||||
|   [ abgedruckt in : AA XII, Seite 088 ] [ Brief 710 ] [ Brief 712 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]  | 
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