Kant: Briefwechsel, Brief 706, Von Daniel Ienisch. |
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| Von Daniel Ienisch. | |||||||
| 22. Mai 1796. | |||||||
| Wohlgeborner, | |||||||
| Hochzuehrender Herr Profeßor! | |||||||
| Der, der sich so lange nur in der Stille, aber mit dem dankbarsten | |||||||
| Herzen, Ihren Schüler, Ihren Verpflichteten, nannte, hat es | |||||||
| endlich gewagt, sich öffentlich dafür zu erklären; hat es gewagt, über | |||||||
| das Ganze Ihres philosophischen Lehrgebäudes ein Werk zu schreiben, | |||||||
| und dies, mit dem Imprimatur der Kgl. Akademie der Wißenschaften, | |||||||
| den Augen des, auf Sie hingerichteten deutschen Publikums vorzulegen. | |||||||
| Ia er hat demselben so gar ein Sendschreiben voll Dankgefühls des | |||||||
| tiefverpflichteten Schülers, u. voll freymüthiger Äußerungen des Mannes, | |||||||
| an Sie selbst, Verehrungswürdiger, vorgeschickt. | |||||||
| So manches hatte ich mir von je her vorgesezt, den ersten Tiefdenker | |||||||
| des Iahrhunderts schriftlich zu befragen! Ich habe den Weg des | |||||||
| Druks gewählt, und in diesem Werk alles das vereiniget, und gleichsam | |||||||
| auf einen Haufen gelegt, was ich über Ihr ganzes System je dachte, | |||||||
| empfand, u. selbst entwickelte. | |||||||
| Ich bin so frey gewesen, bey der verdrießlichen und ganz Deutschland | |||||||
| anstößigen Uneinigkeit Ihrer andern Schüler und Partheynehmer, | |||||||
| ohne alle Zudringlichkeit an Sie selbst, und an Ihr Urtheil, zu appelliren. | |||||||
| Darf ich so frey seyn, Sie, Verehrungswürdiger! hier schriftlich | |||||||
| noch einmal in aller Ergebenheit zu ersuchen, mir, wenn Ihre, | |||||||
| dem Ruhm Deutschlands so theuren, Stunden Ihnen einst und wär's | |||||||
| nach langer Zeit, einen verlornen Augenblick finden laßen sollten, | |||||||
| die Ehre eines Schreibens zu gönnen, in welchem Sie mir über die | |||||||
| wichtigsten Puncte meines Werks, hier, dort einen Wink ertheilten, in | |||||||
| wie fern ich Ihrem Sinne gemäs geurtheilt? | |||||||
| Mir kan es dabey wohl einzig um die Selbstbefriedigung | |||||||
| meiner eigenen Wisgier und des Studiums Ihres Systems zu thun | |||||||
| seyn: denn ich kenne die erhabene Bedächtlichkeit Ihres Geistes, nichts | |||||||
| dem Publikum vorzulegen, was die Umstände untersagen. | |||||||
| Und würde daher auch in keinem Fall von Ihren Aeußerungen über | |||||||
| mich selbst, oder andere, selbst nicht einmal für meine Freunde, viel | |||||||
| weniger denn für das Publikum, Gebrauch machen. Der Verfaßer | |||||||
| so vieler unsterblichen Werke hat nicht Zeit, lange Briefe eines so unbedeutenden | |||||||
| Mannes, als ich bin, zu lesen. | |||||||
| Ich wage es, meine eben=vorgebrachte Bitte um eine - wenn | |||||||
| auch noch so lange, verzögerte Antwort, u. wär's auch nur über das | |||||||
| Ganze meines Werks, zu widerholen; und nenne mich mit dem | |||||||
| dankbarsten Herzen, | |||||||
| Ew Wohlgebornen! | |||||||
| Meines Hochzuehrenden Herrn Profeßors | |||||||
| Berlin | verpflichtetster Schüler | ||||||
| den 22. May Dan. | Dan. Ienisch, | ||||||
| 1796. | Prediger an der Nicolai= u. Kloster=Kirche | ||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 083 ] [ Brief 705 ] [ Brief 707 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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