Kant: Briefwechsel, Brief 697, Von Iohann Plücker.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Plücker.      
           
  15. März 1796.      
           
  Elberfeld 15 Mertz 1796.      
           
  Hat Ihnen mein Brief, VerEhrungs Würdiger Freund! da Sie      
  merckten, daß Ihre Bemühungen nicht vergebens und eine schöpferische      
  Kraft bey sich führen - die Hin und Wieder gute Würckungen hervorbringen!      
  eine angenehme Stunde gemacht? so kan Ihnen auf Dero      
  Liebe volle Antworth vom 26 Janry mit Warheit sagen - daß dieselbe      
  mir, die erfreülichste Stunde meines Lebens gegeben habe!      
           
  Hab ich Ihrentwegen beym Anhören des Lästerns über Sie, durch      
  Aergernüs ein u. andermahl gelitten [?] und durch Vertheydigung der      
  Warheit, mich Selbst mit aufs schwartze Bredt setzen laßen! Wan ich      
  Hören muste daß Sie, mein Bester! die Christliche Religion mit teüflischer      
  Boßheit zu untergraben suchten - und das Hören muste      
  von Leüthen die als Lehrer angeordnet sind. "Wie kan ein ehrlicher      
  Mann, ohne sich zu entrüsten solches anhören? - doch glaub' ich da      
  Sie mit mir, Jesu Werden nachbethen - Vatter! vergib Ihnen, Sie      
  Wißen nicht Was Sie thun! indeßen haben Sie mich durch Ihre Antworth      
  nicht nur entschädigt - sondern freue mich Ihrenthalben gelitten      
  zu haben! - ist Jesus gelästert Worden, Wie kan sein Nachfolger      
  es beßer Haben -- Hier Können Sie des reinen Gesetzes      
  unbeschadet, einen frohen Blick auf die Zukunft thun und dadurch gestärckt      
  - froh zu Ihrer Pflicht wieder obrück kehren - ferner Menschen      
  zu bekehren und als ein Licht (: das eben nichts neües schaft - sondern      
  die Gegenstände an's Tage Licht bringt:) zu erleüchten!      
           
  Sie sind nicht Allein, der Vatter ist bey Ihnen! und noch viele      
  gute Menschen mit Ihnen, die für dem Baal des phantastischen Aberglaubens      
  und dem, des närrischen Unglaubens, ihre Knieen nicht gebeügt      
           
  haben! sondern die da trachten den Willen des Vatters zu thun,      
  der in reinem Gesetze des Geistes so deütlich zu Ihnen spricht! und      
  um diese Sprache des Vatters zu vernehmen, und sich darnach zu      
  achten und der zu folgen, find' ich Warlich - redliche Ungelehrte      
  fähiger als die Meiste sogenanter Gelehrten! denen Ihr Wißen zum      
  Luxus geworden, und die mit den scholastischen Vor Urtheilen sich      
  dergestallt verpantzert Haben, daß jenes Wahrhafte Licht nicht Hindurch      
  dringen kan - ja etliche derselben sind von der Arth, davon Jesus      
  sagt - Sie Wollen nicht in das Himmelreich der Tugend und Warheit      
  eingehen sondern hindern über dem noch die, so hinein Wollen!      
           
  der gröste Fehler liegt Wohl darin daß die Menge der Gelehrten,      
  den Gott der Iuden nicht können fahren laßen - der ist bey Ihnen      
  noch Despoth und Tiran der bald mit Zorn und Raache um sich      
  Wirft, bald diesen und jenen begnadigt - so hat man Ihm menschliche      
  Ideen angedichtet und dies Allerrealste Weesen in den Rang der      
  absurdesten Menschen herabgewürdigt! einst reichte ich einem Theologen      
  eine Rose mit den Worten, Hier Haben Sie ein Bild aus der Natur,      
  von der Unpartheylichkeit, die in Gott ist - dem Ungerechten sowohl      
  als dem gerechten - gibt Sie ihren guten Geruch - dies hörte Er      
  mit vieler Verwunderung! und hatte nie so Was gedacht.      
           
  Jesus Litte den bittern Tod des Kreutzes zur Bestättigung der      
  Warheit, die Er in der Schule seines himmlischen Vatters gelernt hatte!      
  und Ward dadurch das erhabenste Muster des vollkommensten Menschen      
  außer Uns, Womit jenes Ideal in Uns genau übereinander stimmbt!      
  ich glaube daher, daß der Mensch, Kraft der ihm zugetheilter      
  Freyheit und Anlagen, bey dem Beyspiel außer Uns, und dem Zeügen      
  des Vatters in Uns, seine Glückseeligkeit allein selbst bewürcken und      
  schaffen müße! - Was außer dem der Unsichtbare Gott dabey thue      
  ist nicht Nöthig zu Wißen! unsere Zeit ist allweege!      
           
  das aber erfahren und Wißen Wir, daß Gott im physischen nach      
  unveraenderlichen ewigen Weisen Gesetzen einhergehe. Darnach, daucht      
  mir, darf man den sichern Schluß machen, daß Gott, in betref des      
  Moralischen - ähnlichen unveraenderlichen heiligen Gang halten      
  Werde! dan außer Uns, Wie Sie Weißlich in ihren Schriften bemercken,      
  haben Wir, zu Würcken, keine Macht, es seye dan - das es      
  genau in den Plan der Fürsehung paße? und nur den guten Willen      
  in Uns Hervorzubringen - haben Wir vollkommene Macht! und      
           
  Wohl Uns, daß auch nur darin allein der Werth liegt obgleich nur      
  als ein roher Diamant, der sich nur Kennern empfiehlt!      
           
  Nun mögt ich Sie mein bester! noch um eins bitten, nemlich mich      
  gütigst zu berichtigen, Wan ich, betref meiner Meynung, über dem      
  Wohnsitz des reinen Gesetzes irrig dencke - dan meiner Meynung      
  nach, Hat daßelbe seinen ursprünglichen Sitz, im Geiste und nicht in      
  der Vernunft! diese muß von dem reinen Gesetz sich belehren laßen      
  und so von demselben erleüchtet - gibt Sie dem Willen eine andere      
  beßere Richtung, in beygefügten Schemate Werden Sie meine Gedancken      
  am deutlichsten entwickelt finden.      
           
  Was ich längst so sehnlichst gewünscht! finde in öeffenlichen      
  Blättern - erfüllt - nemlich daß die französische Nation durch den      
  Abt Sieyes Sie ersucht habe - Ihre entworfene Constitutions=Gesetze      
  zu untersuchen - das unnütze Wegzustreichen und das beßere anzugeben.      
  Dies gefält mir um desto mehr - da dadurch eben Ihre      
  Schriften in großes Ansehen kommen und desto mehr gelesen und behertziget      
  Werden.      
           
  Ach Gott! Wie Weith sind die Menschen auch Hier noch zurück!      
  Hier im bergischen suchen die reformirte sogenannte - noch Licht bey      
  der Lampe, das ist man bedient sich beym Unterricht der Kinder      
  des Lampen Cathegismus Büchleins - so voller Unsinn ist! in Welcher      
  Lehr' ich auch in der Iugend unterrichtet Worden bin. aber Müh'      
  und Fleiß kostet es - der verworrener Begriffen sich zu entschlagen      
           
  Wan es Ihnen nicht zu viel Arbeith und Zeit Wegnimbt? mögt      
  ich Sie wohl bitten! mir, in ein paar Bogen verfaßt, Wie die Kinder      
  in der Iugend unterrichtet Werden müsten! - in Manuschript zu übermachen,      
  als ein philosophischer Versuch für die Kinder - Wie Iener      
  es War für den ewigen Frieden.      
           
  Ihnen zahl' ich gerne dafür - Was Sie begehren und laß es      
  zum besten der Kinder Welt unter Ihrem Nahmen und auf meine      
  Kosten hier drücken.      
           
  Gott sey ferner mit Ihnen! und erhalte Sie zum Besten der      
  Menschheit noch eine lange Reyhe von Iahren im Seegen ich bin so      
  lang ich athme Ihr gantz ergebener Diener und Freünd      
           
  Johann Plücker Werners Sohn.      
           
           
  [Beilage.]      
           
  Das Gesetz des Geistes Freyheit Die Lust      
  ist   ist      
  unbedingt Heilig und gerecht Vernunft der Baum der Erkäntniß gutes      
  fällt      
  mit dem Gesetz Gottes in eins Wille und Böses.      
  ist        
  daher der Baum des Lebens, daß der, Die Freyheit liegt zwischen dem Gesetz      
  der davon ißet - das ist: Wer seinen des Geistes und der Lust in der Mitte      
  Lebens=Wandel, nach obgedachtem - und bedient sich der Vernunft auf den      
  Heiligen unbedingtem Gesetz gantz einzurichten Willen! nun ist der Mensch dem Gesetze      
  sich bestrebet? der Wird in Ewigkeit des Geistes nach, aus Gott! (: der Ward      
  nach nichts Weiter verlangen! Dan Fleisch, ein unbegreiflich Geheimnüß :)      
  es Wird Ihn in alle Warheit leiten, und dem Leibe nach aber, ist der Mensch sinnlich      
  Wird in Ihm eine nie zu vesiegende Wie die Thiere denen nichts als das      
  Qüelle eröeffnen - die in's ewige Leben Gesetz des Geistes abgeht.      
  quillet: daß ein solcher Mensch mit Jesu Der Leib des Menschen und deßen      
  Wird sagen können, das ist meine Speise Lüste und Begierden nehmen schnell zusehens      
  daß ich thue den Willen meines Vatters zu! Wo hingegen das Gesetz des      
  im Himmel! unter beständiger Annäherung Geistes, mit Darstellung des Ideals des      
  des Urbildes des vollkomenen vollkommenen Menschen seinen Majestätischen      
  Menschen und Gottes! ersteres Wird Er langsahmen Gang hält. biß die      
  früh oder späth - vielleicht erst nach Vernunft sich mehr entwickelt und fähig      
  dem Tod' erreichen? Gott aber Wird Ihm Wird in Ihre Schule zu kommen und      
  in alle Ewigkeit unerreichbar bleiben! Worte des Lebens zu hören.      
  stäts aber der Vorwurf seiner Bewunderung Der Mensch fängt daher mit der      
  - Freüde - Seeligkeit und Anbethung Sinnlichkeit an, findet nur darin seyn      
  seyn! dan Er allein ist Gott! Vergnügen, und nimbt dieselbe - in      
  und keiner mehr! seinen Handlungen zu seiner Maxime auf!      
    Da nun der Weise Gott auf jede überbriebene      
    Lust - schmertzliche Folgen gesetzt      
    hat? die den Zweck der Beßerung haben?      
    so fängt das Gesetz des Geistes (: bey      
    an, seine MachtStimme zur Zurechtweisung      
    hören zu laßen - und die Vernunft,      
    die bisher zum Dienst der Lust      
    sich beschäftigte statt jener Stimme zu      
    folgen, die Sie noch nicht gnug kennt,      
    nimbt zu dem Schwall von Menschen      
    Satzungen (: Mangel guter Erziehung      
    und guter Beyspiehle:) ihre Zuflucht!      
           
    und Wird getäuscht so daß der Mensch      
    die Finsternüs mehr liebt als das Licht      
    des Gesetzes des Geistes! indeßen haben      
    die peinliche Folgen der mißbrauchten      
    Freyheit - und die gemachte Vorwürfe      
    des Gesetzes des Geistes, die schlaue Vernunft      
    aufmerksam gemacht. und fängt      
    an, sich etwas zu heben bedient sich der      
    Freyheit über Ihr - nach und nach das      
    lauth und mit Majestaet sprechende Gesetz      
    des Geistes - näher zu untersuchen, je      
    mehr Sie forscht je mehr göttliches findet      
    Sie, und überkompt damit Erleüchtung      
    und Kraft - erstens Ihre Thorheit einzusehen!      
    Zweytens dem Willen eine      
    andere Richtung zu geben. und an statt      
    des Bösen einen guten Willen hervorzubringen,      
    Wo dan gerade das Kämpfen      
    und ringen angeht - das Jesus so sehr      
    empfohlen.      
    Die Vernunft des Menschen würde      
    Wohl eine Weith fähigere als die der      
    Thiere seyn? aber doch nur im physischen      
    Ihr Spiel haben? Wan nicht unser Geist,      
    mit dem Ebenbild Gottes, das ist dem      
    Heiligen Gesetze des Geistes - als von      
    Gott ausgegangen - aus bestattet worden      
    sey? Wodurch unsere Vernunft      
    außerordentlich gewinnt - daß Sie      
    (: davon erleüchtet :)im Moralischen solche      
    Fortschritte machen könne - mit Gott      
    zu einem Zwecke zu Würcken.      
           
           
           
     

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