Kant: Briefwechsel, Brief 691, Von Iohann Plücker.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Plücker.      
           
  5. Ian. 1796.      
           
  Elberfeld den 5 Janry 1796.      
           
  Herr Professor Emanuel Kant in Königsberg.      
           
  Übel Werden Sie's doch mir nicht nehmen Wan ich durch diese      
  gute Gelegenheit die Freyheit brauche, diese wenige Zeilen, in Hofnung      
  meiner Belehrung, an Sie zu schreiben!      
           
  voraus muß ich sagen, daß ich von Iugend auf, jetzt in die 60      
  alt seyende, mich nach Warheit umgesehen, und Wo ich dieselbe nur      
  fand? lieb gewann? - auffallender aber hab ich nie etwas - als      
  dero Schriften gefunden? als mir dieselbe zu erst zu Gesichte kahmen      
  - von vielen Vorurtheilen entbunden, laß ich dieselbe mit vielem      
  Nachdencken und öfter Wiederhohlt fleißig - biß ich - das, in mir      
  durcheinander liegende Chaos ziemlich in Ordnung brachte! neües      
  haben Sie, meinem Düncken nach mir nichts gesagt - Weil es in      
  mir lag - aber dasjenige geordnet, Was, ich weiß nicht Wie? Alles      
  in mir - mögt ich sagen, Confus durcheinander lag? Sie gaben      
  mir den Schlüßel - zur Erkäntniß - der tiefen Weißheit - die      
  Jesus Christus - durch seine Lehre und Reden geäußert!      
           
  und ich dancke meinem Schöpfer! daß Er mich die Tage erleben      
  laßen! Wo Sie edler Mann am Ende des Achtzehenden Iahrhunderts      
  - als ein Hell scheinendes Licht die Welt erleüchten.      
           
  beurtheilen Sie gütigst folgenden Brief, den ich vor Wenig Iahren      
  an einen Freünd - auf gewiße Veranlaßung schrieb - und demnechst      
  meine Gedancken die ich bey Gelegenheit einer Wahrnehmung - vermittels      
  eines Microscopii compositi - für mich entwarf - der Brief      
  War wie folgt!      
           
  "keine gute Handlung kein gutes Worth geht verlohren der Lohn ist      
  "unausbleiblich! - dies darf man dem publico zu Anlockung und      
  "NachAhmung sagen! der Weise handelt aus Pflicht! der noch      
           
           
  "Weisere aber aus Hochachtung für die Pflicht ! bückt sich tief für      
  "des Gesetzes Heylichkeit! Er Wähnt einen Gott! und Ihm ahndet      
  "deßen Majestaet! - ! so weith der Brief      
           
  durch ein vortrefliches Microscopium compositum ließ mich einst      
  der Besitzer und Künstler davon, mein Freünd! ein kaum zu bemerckendes      
  kleines Westindisches Würmgen sehen! und Wie staunt' ich, da ich      
  es als mit den feinsten Perlen Wie bedeckt fand! Demnechst legte      
  mein Freünd ein Miniatür Gemalde, etwan so groß Wie der Nagel      
  aufm kleinen Finger darunter, mit der Versicherung, daß Er darauf      
  so viel Fleiß und Mühe gewendet - daß es nicht bezahlt Werden      
  Würde! - auch so vollkommen gut schien es zu seyn! aber noch mehr      
  staunte ich - da ich die Striche, Wie Krauth und Rüben unordentlich,      
  durch einander liegen fand? und fast keinen eintzigen vollkommenen,      
  guten Strich Wahrnahm? lang lage mir das Gemählde, und deßen      
  Carricatur mit dem Würmgen in den Gedancken, biß ich, nach meinem      
  Urtheil - und zu meiner Belehrung - den richtigen Schluß machte!      
  so wie sich die Natur verhält zur Kunst - so verhält sich das Ideal      
  des vollkommenen Menschen in Uns - zu unserem Verhalten und      
  Betragen! - diesem Ideal sich zu näheren, Wird die Würde des      
  Menschen befördern und Ihn beseeligen! - das Reich Gottes ist inwendig      
  in Eüch, sagt ja auch der lieber Weiser Jesus?      
           
  um nichts mehr - ädler Mann ersuch' ich Sie nun, als mir      
  in Antworth gütigst freymütig zu sagen, in Wie fern Sie mit mir      
  in besagtem einstimmig sind? und Was mehreres dabey zu erinnern      
  seyn mögte? Sie Werden mich dadurch unendlich verpflichten - dan      
  nie vergaß ich von Iugend auf den - der zu meiner Belehrung Was      
  beytrug! in Erwartung ihrer lieben Antworth, direct über die Post,      
  bin Ihr, obwohl unbekanter, doch aber gantz ergebener Freünd      
           
  Johann Plucker Werners Sohn.      
           
  PS. auch Werden Sie mich sehr verbinden, Wan Sie das Hau      
  von Carl Ludwig Kirschnick dorth kennen? mir in Antworth zu sagen      
  belieben? ob demselben einige Tausend rthlr. zu fidiren seyn? dies Hau      
  empfahl, mir, und durch daßelbe empfangen Sie mein Schreiben.      
  Bin wie oben.      
           
           
           
           
     

[ abgedruckt in : AA XII, Seite 055 ] [ Brief 690b und c ] [ Brief 692 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ]