Kant: Briefwechsel, Brief 682, Von Friedrich Bouterwek. |
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| Von Friedrich Bouterwek. | |||||||
| Darmstadt, den 29 Sept. 1795. | |||||||
| Schon zum drittenmale, verehrungswürdiger Lehrer, werden Sie | |||||||
| von einem Manne, der vielleicht besser thäte, für sich als für die Welt | |||||||
| zu philosophiren, mit der Zumuthung beschwert, einen neuen Versuch | |||||||
| zur Beförderung Ihrer Sache und der Sache der Wahrheit als einen | |||||||
| Beweis einer Dankbarkeit, die mehr als Verehrung ist, mit Nachsicht | |||||||
| aufzunehmen. Soll ich mich aber auch dießmal entschuldigen? Ich | |||||||
| glaube, ich darf nicht. Wenigstens liegt es mir wie eine Pflicht auf | |||||||
| dem Herzen, die Aphorismen, mit denen ich in einem Gedräng von | |||||||
| erfreulichen und lästigen Geschäften der Welt zur Last fiel, auch gegen | |||||||
| Sie wieder gut zu machen. Und solte ich selbst, was ich denn doch | |||||||
| kaum glauben kan, durch diesen Paullus Septimius meine Sache | |||||||
| verschlimmert haben, so würde ich ihn doch Ihnen haben vorlegen | |||||||
| müssen, weil ich dann, wenn auch dieser Versuch verunglückt ist, nicht | |||||||
| ein fünfjähriges pythagoreisches, sondern ein lebenslängliches Stillschweigen | |||||||
| in der philosophirenden Welt zu beobachten entschlossen bin. | |||||||
| Auch kan ich dieses Buch nicht wie die Aphorismen ein Werk der | |||||||
| Uebereilung nennen. Ich habe es mehr als einmal durchzuprüfen | |||||||
| Zeit gehabt und habe es also ganz zu verantworten. Ueber das Kleid | |||||||
| zu disputiren, das ich der Wahrheit umzuhängen gewagt habe, werde | |||||||
| ich nicht nöthig haben, wenn nur die Wahrheit nicht durch dieses | |||||||
| Kleid entstellt ist. Aber wird die reine und entkleidete Wahrheit, die | |||||||
| Unsichtbare und Unsterbliche, die Ihnen erschien, als Sie den Begriff | |||||||
| einer reinen Erkenntnißform fanden und die Tafel der Categorien aufstellten, | |||||||
| wird diese sich erkennen in der Lehre meines eleusinischen | |||||||
| Priesters? Hätte ich nicht wenigstens vor der Berührung der transcendentalen | |||||||
| Logik mich scheuen sollen? Wird meine Bestimmung der Begriffe | |||||||
| der Freiheit und des Willens die Probe halten? Ist meine Theorie | |||||||
| vom Glauben an eine beste Welt nicht eine Verirrung der Speculation | |||||||
| über die Gränze, die Sie ihr vorgezeichnet haben? Wenn ich doch | |||||||
| darüber die Wahrheit selbst fragen könnte! Oder wenn ich von Ihnen | |||||||
| hören könnte, ob Sie die Abweichungen der Lehre Theophranors von | |||||||
| Ihrer Critik der r. V. für ganz grundlos erkennen! - Aber Sie haben | |||||||
| mehr zu thun in Ihrem Wegweiser=Amt, als sich umzusehen, ob | |||||||
| nicht Einer oder Anderer stolpert, der Ihre Wege betreten will. Wer | |||||||
| gefallen ist, fühlt doch am Ende selbst, daß er am Boden liegt, wenn | |||||||
| er nicht durch übermäßige Träumerei alle Besonnenheit verloren hat; | |||||||
| und wer stolpert, ohne zu fallen, fühlt wenigstens, daß er sich stößt. | |||||||
| Ein Wanderer, wie ich, kan schon aus der Erfahrung sprechen. Seitdem | |||||||
| ich mich von Göttingen getrennt, darauf eine Reise durch die | |||||||
| Schweiz gemacht, und jezt mich in einen stillen Privatstand in diese | |||||||
| Rheingegend zurückgezogen habe, ist mir mancher Irrthum mit dem | |||||||
| Staube von meinen Füßen gefallen, und manche Empfindungen, die mir | |||||||
| fest anhingen, haben mich verlassen, nur nicht meine Ueberzeugung | |||||||
| von Ihrem unvergänglichen Verdienst in der größten Angelegenheit | |||||||
| der Vernunft, und nicht die innige Verehrung, mit der ich bin | |||||||
| Ew. Wohlgeb. | |||||||
| gehorsamster D[iene]r | |||||||
| >F Bouterwek. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 043 ] [ Brief 681 ] [ Brief 683 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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