Kant: Briefwechsel, Brief 655, Von Carl Leonhard Reinhold. |
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| Von Carl Leonhard Reinhold. | |||||||
| 29. März 1795. | |||||||
| Verehrungswürdigster Lehrer und Freund! | |||||||
| Seit zehn Iahren bin ich gewohnt alles was mir besonders theuer | |||||||
| und wehrt ist Ihnen zu verdanken. Dieß ist auch mit der Freundschaft | |||||||
| des edlen jungen Mannes Camerherrn Graf von Purgstall | |||||||
| aus Steyermark, der Ihnen diese Zeilen bringen soll, der Fall. Das | |||||||
| Verlangen sich bey dem Studium Ihrer Philosophie durch mich unterstützen | |||||||
| zu lassen, führte Ihn aus seinem Vaterlande zu mir nach | |||||||
| Iena und mit mir nach Kiel. Ich habe ihn durch fünfvierteljahre, | |||||||
| die er mit mir als mein Zuhörer, Hausgenosse und treuer Lebensgefährte | |||||||
| zugebracht hat, sehr genau kennen, und was bey Ihm eine | |||||||
| natürliche Folge davon ist, innig lieben und hochachten gelernt; und | |||||||
| Ihre Philosophie und seine Empfänglichkeit haben mich in den Stand | |||||||
| gesetzt zur Vollendung der Eintracht zwischen einem der besten Köpfe | |||||||
| und besten Herzen die ich kenne mitzuwirken. Er verdient Ihre persönliche | |||||||
| Bekanntschaft eben so sehr als er dieselbe wünscht, und er | |||||||
| wünscht sie nicht wenig; denn er geht schlechterdings aus keiner andern | |||||||
| Absicht von Kiel nach Königsberg. Er sehnt sich der Humanität in | |||||||
| der Person des Mannes zu huldigen, dem er mit Zeitgenossen und | |||||||
| Nachwelt den bestimten Begrif von der Würde derselben verdankt, und | |||||||
| hoft von Ihm den Seegen zur Ausführung desjenigen zu empfangen, | |||||||
| was er durch Ihn kennen und wollen gelernt hat, und wozu er vor | |||||||
| so vielen andern durch Natur und Glück ausgerüstet ist. Es sey auch | |||||||
| mir vergönnt die Versicherung meiner Verehrung, Liebe, Dankbarkeit, | |||||||
| und Bewunderung, die kein todter Buchstabe auszudrücken vermag, | |||||||
| und die ich Ihnen diesseits des Grabes wohl schwerlich in Person | |||||||
| darbringen kann, durch Ihn - ich kenne keinen lieberen Stellvertreter | |||||||
| - an Sie gelangen zu lassen. Ich werde Sie durch seine Augen | |||||||
| sehen, durch seine Ohren hören - und falls Sie mir selbst dieß erlauben | |||||||
| würden - durch sein Herz Sie an das Meinige drücken. - Aber | |||||||
| er hat den Wehrt Ihrer Zeit kennen gelernt; und wird sich in den | |||||||
| wenigen Wochen seines Aufenthaltes in Königsberg mit wenigen Zeittrümmerchen, | |||||||
| die Sie Ihm ohne Ihre Ungelegenheit zukommen lassen | |||||||
| können, genügen lassen. | |||||||
| Er wird Ihnen sagen: daß auch hier das Evangelium der praktischen | |||||||
| Vernunft nicht weniger als in Iena Eingang gefunden hat. | |||||||
| Doch ich besinne mich, daß ich für dieses mal nichts schreiben kann, | |||||||
| was Sie nicht durch seinen Mund ausführlicher vernehmen könnten. | |||||||
| Es soll mir genug seyn wenn Sie mir durch Ihn antworten; mich | |||||||
| durch Ihn hören lassen, was ich nicht oft genug hören kann, daß sich | |||||||
| noch immer Ihrer Liebe zu erfreuen hat | |||||||
| Kiel den 29 Merz 1795. | Ihr wärmster Verehrer | ||||||
| Reinhold. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XII, Seite 009 ] [ Brief 654b ] [ Brief 656 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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