| Kant: Briefwechsel, Brief 610, Von Heinrich Amadeus Wilhelm Klapp. | |||||||
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| Von Heinrich Amadeus Wilhelm Klapp. | |||||||
| 20. Dec. 1793. | |||||||
| Würdiger Mann. | |||||||
| Es ist beynah zwey Iahre, daß ich durch Ihre Art zu philosophiren | |||||||
| (die ich nun als die einzig richtige anerkennen muß) veranlaßt, | |||||||
| Schüler und Zögling meiner eigenen Vernunft geworden bin. | |||||||
| So erhaben mir aber auch von der einen Seite das Bewustseyn | |||||||
| meiner Menschheit in meiner Vorstellungsfähigkeit erscheint, so muß | |||||||
| eben dies auf der andern Seite mir oft einen Spiegel vorhalten, | |||||||
| worinnen ich mich lieber nicht beschauen mögte, weil mich meine | |||||||
| wirckliche Gestalt zu sehr demüthigt. Ich muß es bekennen, daß es | |||||||
| oft Stunden gibt, wo ich wünsche, den Weg zu meinem Selbstbewustseyn | |||||||
| nicht angetreten zu haben (die Revolution meiner Denckart war | |||||||
| schnell und es ging mir wie dem Blinden der nach der glücklichen | |||||||
| Operation sich nicht sogleich in der Gesichtswelt zurecht finden konnte), | |||||||
| aber von der andern Seit erhebt mich wieder das Bewustseyn meiner | |||||||
| Freiheit und das aus Achtung gegen meine intelligibele Natur entsprungene | |||||||
| point d'honneur gibt mir Muth und Standhaftigkeit. Ich | |||||||
| ehre die Wege der Vorsehung und ich bin izt wenigstens so weit, da | |||||||
| mich Hinderniße Vorurtheil und Irrthum anderer nicht zum lächerlichen | |||||||
| Menschenhaß verleiten. Der Weg meiner Denckart, den ich schon | |||||||
| als Knabe eingeschlagen hatte, war nicht der gewöhnliche, das fühlte | |||||||
| ich schon, ehe ich Ihre Wercke studirte, und izt sehe ich, daß es doch | |||||||
| Vorbereitung war, um Ihre Idee (die ich nun izt mit Recht die | |||||||
| meinige nennen kann) faßen zu können. Schon in meinen KnabenIahren | |||||||
| wälzte ich die dialektischen Träume der Metaphisik in meinem | |||||||
| Kopfe herum, ohne zu wißen oder nur einmahl zu ahnden, daß es | |||||||
| schon Leute gegeben habe, die durch solche Dinge, die man nur bloß | |||||||
| Kindern verzeihen kann, Anspruch auf den erhabenen Nahmen eines | |||||||
| Philosophen gemacht hatten. Da ich nun die Unzulänglichkeit aller | |||||||
| dieser mich quelenden Vernünfteleien im praktischen schon fühlte, und | |||||||
| mir keine Ariadne aus dem Laberinthe half, so ging es ganz natürlicher | |||||||
| Weise zu, daß ich alle Spekulation und Metaphisik verwarf und | |||||||
| daß ich lieber ein reoussauisches Thier zu sein wünschte, als ein Mittelding | |||||||
| zwischen einem vernünftigen Wesen und einem Vernünftler. | |||||||
| Meine Sinnlichkeit war lebhaft, das Dencken stand dieser im Wege, | |||||||
| und daher kam es, daß ich mir im Sceptizismus Beruhigung suchen | |||||||
| wollte. | |||||||
| Doch gab es oft Stunden, wo ich mich, durch den Genuß angenehmer | |||||||
| Gefühle (romantisches) veranlaßt, des Wunsches nicht erwehren | |||||||
| konnte, daß es doch mit uns Menschen anders beschaffen seyn | |||||||
| mögte, denn ich fühlte es, daß wenn wir unsere Glückseeligkeit entweder | |||||||
| von Zufall oder von unserer eigenen Thetigkeit abhangen laßen | |||||||
| wollten, wir uns zuletzt alles Vergnügen wegvernünfteln müsten. | |||||||
| Wie wars mir nun? Die wirckliche Welt ist ein Schein, ein absurdes | |||||||
| ein närrisches Ding, wo man machen kann was man will, und | |||||||
| der ist am klügsten, der seine Unwißenheit am besten zu verbergen | |||||||
| weiß, so vernünftelte ich, und da ich in der idalische Welt keine Wircklichkeit | |||||||
| fand um den Bedürfnißen meiner Sinnlichkeit abzuhelfen, | |||||||
| deren Ansprüche ich nicht aufgeben konnte, so muste ich um consequent | |||||||
| zu seyn, die mir versinnlichte intelligibele Welt, wovon ich wohl einsah, | |||||||
| daß sie nie in der Erfahrung möglich seyn könnte, gänzlich verwerfen, | |||||||
| und denjenigen der darinnen die Quelle seiner Glückseeligkeit suchen | |||||||
| wolte für eben so narrisch halten, als jemanden der sich selbst in die | |||||||
| Lage des Tantalus setzen wollte. | |||||||
| So entstand denn aus mir ein sonderbares Gemisch von Wüstling, | |||||||
| Vernünftler und Philosophen, worüber ich noch izt mannigmahl lächeln | |||||||
| muß. Sonderbahr zu scheinen, daß machte mir noch den meisten | |||||||
| Spaß, bald war ich Sophist, und begegnete mir ein solcher in einer | |||||||
| andern Person, so suchte ich ihm die Maske abzuziehen, bloß nur um | |||||||
| sonderbar zu seyn. Doch muß ich es bekennen, daß ich den rechtschaffenen | |||||||
| und wahrhaft religiösen so viel als möglich verschont habe, | |||||||
| ja ich hatte zu viel Achtung gegen die Menschheit um andern in Unglauben | |||||||
| zu verwickeln. So war es mit mir einige Zeit, wehrend dem | |||||||
| ich in Hipochondrie verfiel, die ich mir durch meine unregelmäßige | |||||||
| Lebensart zu gezogen hatte. Nun wurde ich wieder ganz Cörper, und | |||||||
| die Liebe zum sinnlichen Leben war so lebhaft in mir, daß mich bey | |||||||
| dem geringsten Anfall eine entsetzliche Furcht für dem Tode quälte. | |||||||
| O wie oft habe ich geweint und Gott kann es nur allein wißen wie | |||||||
| viel ich gelitten habe, (izt ehre ich die Wege der Vorsehung), Vernunft | |||||||
| und Sinnlichkeit waren ein Chaos bey mir, In der wirklichen Welt | |||||||
| entdeckte ich nichts als Unsinn, Inconsequenz und Vorurtheil, die | |||||||
| idealische war mir ein Gespenst wofür ich zurük bebte, und doch wurde | |||||||
| ich immer von der einen zur andern geworfen, ich hatte nichts woran | |||||||
| ich mich halten konnte, da ich gar keine Empfänglichkeit für Freude | |||||||
| hatte, so hielt ich sie selbst für Wahn Vorurtheil und Betrug. Ich | |||||||
| haßte nicht, ich liebte nicht, ich konnte mich niemanden mittheilen, weil | |||||||
| mich niemand verstehen konnte. Einen eigentlichen Freund hatte ich | |||||||
| auch nicht, kurz ich war sehr unglücklich. Nun entstand ein gewißer | |||||||
| Stolz bey mir, ich bot alle Entschloßenheit auf um über den Wiederspruch | |||||||
| meiner selbst zu siegen, ich nahm alle meine psychologischen | |||||||
| Regeln zu Hülfe um einen Mittelweg zu finden ich strengte mich an, | |||||||
| an manchen Dingen etwas Vergnügen zu finden, welches freilich sehr | |||||||
| langsam zu ging. Bey alledem aber wurde es doch mit mir immer | |||||||
| beßer, eine mir eigene Laune erwachte wieder, und fing an mich selbst | |||||||
| zu studiren um nicht wieder in den vorigen Zustand zu verfallen. | |||||||
| Endlich kam ich auf ihre Wercke, und da ich durch das Hörensagen | |||||||
| mancher ihrer Sätze mir bewust wurde, daß ich auch wohl so etwas, | |||||||
| nur dunkel gedacht hatte, so bekam ich Lust und studirte in abgebrochnen | |||||||
| Zeiten zwar nicht lange aber doch mit großer Anstrengung. | |||||||
| Ununterbrochen wolte ich deswegen mein Studium nicht fortsetzen, weil | |||||||
| ich Schaden für meine Gesundheit davon befürchtete. Da fand ich | |||||||
| aber wieder meine Beruhigung nicht bey, den ich fühlte es daß ich | |||||||
| aus dem Zusammenhang gerißene Sätze zum Vernünfteln nur bloß | |||||||
| mißbrauchte, dabey wurde ich aber durch die Critik Ihrer praktischen | |||||||
| Vernunft veranlaßt meine eigenen Handlungen scharf zu critisiren, | |||||||
| gegen Irrthum und Vorurtheil unerbittlich zu seyn und gewißermaßen | |||||||
| den Versuch zu machen ob eine eigentliche Tugend denn wohl möglich | |||||||
| sey. Was war wohl natürlicher, als daß die Critik meiner Handlungen | |||||||
| meistens zu meiner eusersten Beschämung ausschlagen muste. Nun | |||||||
| erwachte wieder der Ehrgeiz in mir, ich wolte schreiben, und das solte | |||||||
| was recht vollkommnes seyn. Deutsch mochte ich nicht schreiben, | |||||||
| französisch schien mir beßer, genuch ich fing eine Idee zu bearbeiten | |||||||
| an die mir sehr reichhaltig schien. Le citoyen de l'univers aux | |||||||
| citoyens franéais , so war der Tittel. Um nicht seicht zu seyn, wurde | |||||||
| ich metaphisisch, und bedachte nicht, daß eigentlich ein wahrer Weltbürger | |||||||
| durch eine Metaphisik der Sitten bey einem empörten Volcke | |||||||
| unmittelbar etwas auszurichten sich nicht vorstellen könnte. Nun | |||||||
| critisirte ich immer weiter, sahe meine Inconsequenz, fing an mich zu | |||||||
| orientiren, bebte für mich selbst zurück, schwanckte hin und her, verwarf | |||||||
| oft die eine Minute wieder was ich in der vorigen angenommen hatte, | |||||||
| durchlief in einer sonderbaren Art von Spekulation, wobey ich mir | |||||||
| selbst bald furchtsam bald erhaben vorkam das Gewebe der Vorurtheile, | |||||||
| der Irrthümer, und so kam endlich die Revolution zu Stande. Es | |||||||
| würde unnötig seyn mehr zu sagen, Sie verstehen mich, und wißen es | |||||||
| zu bestimmen was ich bin. | |||||||
| Da ich Arzt bin, so halte ich es für meine Pflicht bey diesem | |||||||
| Fache zu bleiben, den Menschen gesund zu machen, oder ihm die | |||||||
| Hinderniße der Aeusserung der Freiheit wegzuräumen komt ja im | |||||||
| Grunde auf eins heraus. Mit der Medizin sieht es noch schlimmer aus | |||||||
| als mit der Theologie und mit der sogenannten Philosophie. Da ich | |||||||
| itzt in einem Alter von 25 Iahren bin und einer festen Gesundheit | |||||||
| genieße, so kann ich vielleicht noch viel thun. Daß ich ihnen so weitläuftig | |||||||
| geschrieben habe, geschah gewißer maßen um mein Herz zu | |||||||
| erleichtern und Ihnen zu zeigen, daß ich wenigstens Ihre Arbeiten zu | |||||||
| schatzen wiße. | |||||||
| Im übrigen bitte ich mir ihren väterlichen Rath aus. | |||||||
| Lippstadt den 20 ten Decbr | H. A. W. Klapp | ||||||
| 1793. | Dr. der Medizin. | ||||||
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