Kant: Briefwechsel, Brief 608, Von Christian Gottlieb Zimmermann.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Christian Gottlieb Zimmermann.      
           
  Berlin den 12 Xbr- 93.      
           
  Wohlgebohrner Herr!      
  Insonders Hochzuehrender Herr Professor!      
           
  Ew. Wohlgebohrnen haben mir während meinem Aufenthalte in      
  Königsberg so viele Beweise Ihrer Gewogenheit gegeben, daß ich mich      
  erdreistet habe Dero Aufmerksamkeit von den wichtigern Geschäften      
  auf einige Augenblicke zu entreißen. Durch Ihre Großmuth war ich      
  in den Stand gesetzt, mir meine wenigen Kenntnisse dadurch zu erwerben,      
  daß Sie mich würdigten allen Vorlesungen der moralischen und      
  speculativen Philosophie ohne Ausnahme beyzuwohnen; und Ihre wohlthätige      
  Hand reichte mir in meinen früheren academischen Iahren,      
  durch ein Stipendium, das ich drey Iahre lang genoß, die Mittel dar      
  meine ersten Bedürfnisse befriedigen zu können; ja Sie ertheilten mir      
  selbst die gütige Erlaubniß, mich Ihres unschätzbaren Rathes bedienen      
  zu können, wenn sich mir Gegenstände der Philosophie darböten, wo      
  die Anstrengung meiner Kräfte nicht hinreichend war, dieselben von      
  ihrer Dunkelheit oder ihren Zweifeln zu befreyen. Von so viel unverdient      
  genossener Güte gerührt, bin ich zu gring die Erkenntlichkeit      
  an den Tag zu legen; die ich Ew. Wohlgebohrnen schuldig bin und zu      
  unfähig die Gefühle des Dankes auszudrücken, von welchen mein Herz      
  erfüllt ist, und die durch keine Zeit können geschwächt werden. O wie      
  glücklich würde ich mich schätzen, wenn ich mir auch noch in der Entfernung      
  schmeicheln dürfte, daß Ew. Wohlgebornen mir diese Güte zu      
  statten kommen ließen, wann ich bey manchen philosophischen Untersuchungen      
           
  keinen Ausweg vor mir sähe und ohne höhere Einsicht in      
  ein Labyrinth zu gerathen befürchten müßte! Durch die Abwesenheit,      
  sagt Cicero, lernen wir den Werth dessen was uns theuer und schätzbar      
  ist erst recht schmerzhaft empfinden. Die Lage in welcher ich bin, seitdem      
  ich Königsberg verlassen habe, hat mich von dieser Wahrheit vollkommen      
  überführt, da ich mich ausser Stand gesetzt sehe, an den      
  mündlichen Vorträgen des großen Lehrers und meines unvergeßlichen      
  Wohlthäters Antheil nehmen zu können, dessen unsterbliche Werke      
  Europa in Erstaunen setzen und die Bewunderung und Ehrfurcht aller      
  denkenden Köpfe in den entferntesten Norden, wie hier an den Ufern      
  der Spree erzwingen. Ich bin in Petersburg und in andern nördlichen      
  Provinzen Europa's gewesen und bin dadurch ein Zeuge von der gerechten      
  Achtung geworden, von welcher sich jeder denkende Geist bey      
  dero Nahmen durchdrungen fühlt; und nur die Furcht diesen Zeilen      
  den Anschein der Schmeicheley zu geben, die vor der Weisheit flieht      
  untersagt es mir hier einen Gebrauch von dem zu machen, weßen mich      
  die Erfahrung belehrt hat. Dieses alles aber überzeugt mich wie groß      
  der Verlust ist, den ich seit meiner Abreise erlitten habe und wie unaussprechlich      
  meine Freude seyn wird, wenn ich erfahre, daß Ew.      
  Wohlgebohrnen mir noch Dero fernere Gewogenheit in dieser Rücksicht      
  schenken wollen.      
           
  Die Art mit welcher Ew. Wohlgebohrnen sich einst meiner so      
  großmüthig annahmen, flößt mir Muth ein, mich noch in einer andern      
  Absicht an Sie wenden zu dürfen. Es ist hier eine Stelle am Cadettenhofe      
  offen. Herr General v. Mosch, wie auch H. Oberstl[ieutenant]      
  v. Wulfen, die ersten Vorgesetzten bey demselben, halten ungemein viel      
  auf das Zeugniß des H. Professors. Und H. Pr[ofessor] Fischer, dem das      
  Examen übertragen, eben der, dessen Arbeiten Herr Professor wahrscheinlich      
  unter Händen haben, bietet mir dazu seine hülfreiche Hand      
  dar. Dürfte ich daher wohl so frey seyn und Ew. Wohlgebohrnen bitten      
  in einem Briefe an H. Pr. Fischer ehestens ein Zeugniß von mir und      
  besonders von meiner Führung auf der Academie und meinem moralischen      
  Character mit einfließen zu lassen. Die Gesetze der Bescheidenheit      
  untersagen es mir hierin ein Urtheil über mich selbst zu fällen; da      
  aber H. Diacon. Kraft, H. Oberconsistorialr. Anders, wie auch H. Hof      
  und Oberhofpr. Schultz, meine Verhältnisse und Umstände etwas genauer      
  kennen, besonders die beyden ersten; so glaube ich, daß diese Männer      
           
  es bezeugen können, daß ich nie etwas unternommen habe, das meinen      
  Character in ein nachtheiliges Licht setzen könnte.      
           
  H. Pr. Fischer und H. Pred. Ienisch versichern ihre tiefste Achtung.      
  Vergeben Sie mir, Theurester Herr Professor, daß ich nochmahls meine      
  Zuflucht zu Deroselben genommen habe; denn es hangt davon ein      
  wesentlicher Theil meines Glückes ab. So wenig Ansprüche ich auch      
  auf Dero Gewogenheit zu machen habe; so genehmigen Sie doch die      
  lebhaften Gefühle meiner unbegränzten Ehrfurcht, in welcher verharret      
           
    Ew. Wohlgebohrnen      
    gehorsamster Diener      
    Zimmermann.      
           
           
           
     

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