Kant: Briefwechsel, Brief 563, Von Carl Spener.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Carl Spener.      
           
  9. März 1793.      
           
  Verehrungswürdiger Mann      
  Durch die berlinische Monatsschrift habe ich mittelbarer Weise den      
  Vorzug Ihr Verleger zu seyn! Erlauben Sie, daß ich mich hiedurch      
  zu einer Bitte an Sie berechtigt halten dürfe. Das NovemberStück gedachter      
  Monatsschrift vom Iahr 1784 ist vergriffen und ich muß,      
  (wenn gleich der Fall, daß bey der ietzigen Corpulentz der Monatsschrift      
  ein vollständiges Exemplar verlangt wird, äußerst selten vorkommt,)      
  zum Dienst des Publicums dennoch für eine neue Auflage      
  sorgen. Indem ich ietzt die ersten CorrecturBogen desselben durchlese,      
  sehe ich wohl wem ich den verhältnißweise schnelleren Absatz dieses      
  MonatsStückes zu verdanken habe, den herzerhebenden Ideen zu      
  einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht.      
           
  Dankbar gegen den Verfasser derselben erinnere ich mich der hohen      
  Gefühle und Ahnungen, welche sie bey ihrer ersten Erscheinung in mir      
  zur Gewißheit brachten, und des Vorsatzes den sie in mir befestigten      
  in meinem kleinen Würkungskreise weltbürgerlich zu handeln. Ach mit      
  welcher Wehmuth muß ich ietzt nach 9 Iahren, bey einer zweyten Auflage      
  sehen, daß dieser vortrefliche Aufsatz nicht bis zu den Fürsten und      
  zu ihren Räthen gedrungen ist; den edlen CronPrinzen von Dännemark      
  ausgenommen! Wie niederschlagend ist die iezige höchste Spannung      
  des Antagonism. Ist es nicht Pflicht durch irgend einen Tropfen      
           
  Oehls die schrekliche friction zu vermindern, die hunderttausende zu      
  zerquetschen droht? Darf ein Mann den die Vorsicht mit dem seltenen      
  Kopf und Herzen das hiezu erfordert wird, ausgerüstet hat, - darf      
  Er diesen Beruf von sich ablehnen? Zeigt Seine Weisheit Ihm nicht      
  den Weg auf welchem dies mit der Behutsamkeit welche die Umstände      
  nothwendig machen, geschehen könne, ohne daß dabey dem Interesse      
  und der Wichtigkeit des Zeitpunktes etwas vergeben werde? Haben      
  neun Iahre fortgesetzter Beobachtung und Nachdenkens über diesen      
  merkwürdigsten aller Gegenstände nicht irgend einen neuen Funken aus      
  Ihm hervorgelockt, den aufzufangen sein Vaterland iezt empfänglicher      
  seyn möchte als je? Wollte möchte Er diesen zurükhalten! Ach so mag      
  ich wenigstens nicht der Mitschuldige seyn!      
           
  Entschuldigen, verzeihen Sie, verehrungswürdigster Mann die      
  Sprache dieser Aufforderung! Sollten Sie mir auch mit Ernst antworten,      
  daß mein Herz mit meinem Verstande davon läuft; so fühle      
  ich doch deutlich genug, daß man im 43sten Lebensjahre, bey einem      
  durch frühe Kranklichkeit gebeugten Cörper nicht füglich mehr schwärmt      
  In keinem Fall fürchte ich, daß Sie in meinem Anliegen den blanken      
  Eigennutz des Verlegers erkennen und daher, der beßeren Motive deren      
  ich mir dabey bewußt bin, ohnerachtet es mir versagen werden, da      
  ich, von den 26 Colummnen welche dieser Aufsatz füllt, bey Gelegenheit      
  dieser nur auf 150 Exemplar angesetzten neuen Auflage des Monatsstückes      
  selbst, eine Anzahl besonders abdruken lassen dürfe. Aber doppelt      
  glücklich würde ich seyn, wenn Sie dieser Skizze, mit oder ohne Rüksicht      
  auf die iezige Zeitumstände, (wenn auch lezteres nicht explicite      
  geschähe) einige weitere Ausdehnung oder einige gelinde Anwendung      
  zu ertheilen, gerathen finden möchten! Hume sagte in den ersten Iahren      
  von Pitts ieziger administration: This is the age for young men !      
  Wie wenn Ihre Abhandlung iezt von neuem, und einzeln publicirt, in      
  irgend eines Iünglings Hände fiele, den die Vorsicht dazu bestimmt      
  haben mag dereinst unter eines Cronenträgers Nahmen ein mächtiges      
  Land zu beherrschen! Wie wenn diese Bogen in seine Seele den      
  Saamen ausstreuten, der dereinst Früchte bringen würde, die sonst dem      
  menschlichen Geschlecht Iahrhunderte später zu Theil werden würden?      
  Ist es bloßer Zufall daß gerade iezt Ihre Ideen einer neuen Auflage      
  bedürfen? Ich wenigstens mag die Verantwortlichkeit für die Unterlaßung      
  nicht theilen, dixi & salvavi animam .      
           
  Mit der herzlichsten innigsten Verehrung bin ich lebenslang      
           
    Dero      
    gehorsamstergebenster      
  Berlin den 9 März 1793. Carl Spener      
           
           
           
     

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